L 9 R 2219/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 565/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2219/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1962 geborene Klägerin, die zuletzt bis Oktober 2015 als Produktionshelferin beschäftigt war und nach dem Bezug von Krankengeld Arbeitslosengeld I bezog, beantragte am 05.09.2016 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.10.2016 unter Berücksichtigung beigezogener Befundberichte, insbesondere des Berichtes der M.-Klinik, K. im S., wo die Klägerin vom 28.06.2016 bis 26.07.2016 im Rahmen einer stationären medizinischen Rehabilitation behandelt wurde (Diagnosen: wiederkehrende depressive Episoden, Agoraphobie, vermehrtes Schmerzerleben am Nacken und Rumpfwirbelsäule mit mäßigen Funktionseinschränkungen, PHS beidseits ohne relevante Funktionseinschränkung, Ohrgeräusche, unter Medikation ausgeglichene Schilddrüsenfunktion) ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die aus den Krankheiten oder Behinderungen sich ergebenden Einschränkungen nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung führten, denn die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2017 zurück und wies darauf hin, dass insbesondere aufgrund des vorliegenden Reha-Entlassungsberichts eine weitere Begutachtung nicht erforderlich gewesen sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 22.02.2017 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung geltend gemacht, bei ihr sei ein Grad der Behinderung von 40 anerkannt und sie sei als behandlungsbedürftig und arbeitsunfähig aus der Rehabilitationsbehandlung entlassen worden.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Anhören sachverständiger Zeugen (des Diplom-Psychologen S., des Allgemeinmediziners E., des Orthopäden Dr. L., der HNO-Ärzte Dres. E. und des Psychiaters Dr. H.) sowie durch das Einholen eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. N. und eines neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischen Gutachtens bei Prof. Dr. R.

Der Dipl.-Psych. S. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 18.05.2017 eine Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion gemischt sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert und ausgeführt, dass ohne gezielte testpsychologische Untersuchung unter Berücksichtigung der kulturspezifischen Identitätsentwicklung keine Aussage darüber getroffen werden könne, welche Funktionsbeeinträchtigungen dadurch verursacht seien.

Der Hausarzt E. hat unter dem 18.05.2017 über eine Behandlung seit 2002 und über eine deutliche Verschlimmerung, besonders seit einem Jahr mit Schüben von Depressionen berichtet.

Dr. L. hat am 30.05.2017 die Diagnosen eines lumbalen Wurzelreizsyndroms bei Bandscheibenprotrusionen L5/S1, eine Rhizarthrose linksbetont, eine depressive Entwicklung, eine Coxarthrose II. Grades beidseits, eine Varusgonarthrose beidseits sowie eine Fingergelenkspolyarthrose mit Greifschwäche angegeben. Lumbal habe eine fortgeschrittene Facettengelenksarthrose objektiviert werden können. Wegen der Bandscheibenschädigung L5/S1 und der Arthrosen der tragenden Gelenke sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, auch einer leichten körperlichen Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen.

Die gehörten HNO-Ärzte haben unter dem 13.06.2017 mitgeteilt, dass eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits diagnostiziert worden sei, wegen derer keine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe.

Der Psychiater Dr. H. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 29.06.2017 ausgeführt, dass bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, mittel- bis schwergradig bestehe, weswegen sie nicht in der Lage sei, einer leichten Tätigkeit im Rahmen einer Fünftagewoche von mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen.

Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 20.12.2017 eine Zervikozephalgie und eine Zervikobrachialgie linksbetont mit leichter Funktionseinschränkung ohne radikuläre Symptomatik, ferner eine Dorsalgie mit leichter Funktionsbeeinträchtigung ohne radikuläre Symptomatik, eine Lumboischialgie rechtsbetont mit leichter Funktionsbeeinträchtigung ohne radikuläre Symptomatik, einen Os acromiale rechts mit Einengung des subacromialen Raumes und einer dadurch bedingten Reizung des Schleimbeutels und leichter Tendinopathie der Supraspinatessehne ohne wesentliche Funktionseinschränkung, eine Bursitis subdeltoidea links mit leichter funktioneller Einschränkung des Schultergelenkes links, eine dezente Ansatzverkalkung an den Epicondylen an beiden Ellenbogengelenken ohne Reizzustand und ohne funktionelle Einschränkung des Ellenbogens, eine leichte Daumensattelgelenksarthrose rechts und eine mäßige Daumensattelgelenksarthrose links sowie dezente Fingerendgelenksarthrosen beidseits mit leichter Funktionseinschränkung, einen minimalen plantaren Fersensporn beidseits im Sinne einer Ansatzverkalkung der Plantaroponeurose ohne Reizzustand und ohne Einschränkung der Belastungsfähigkeit, einen kleinen dorsalen Fersensporn links im Sinne einer Ansatzverkalkung der Achillessehne ohne funktionelle Einschränkungen und ohne Reizzustand, eine leichte Großzehengrundgelenksarthrose rechts und eine geringgradige Großzehengrundgelenksarthrose links ohne funktionelle Einschränkungen diagnostiziert. Aufgrund der hierdurch bedingten, vom Sachverständigen näher ausgeführten Einschränkungen sei die Klägerin noch in der Lage, ohne Gefährdung ihrer Gesundheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für sechs Stunden täglich und mehr tätig zu sein. Aus orthopädischer Sicht seien keine betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen erforderlich. Die Klägerin sei darüber hinaus in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Es bestünden darüber hinaus keine Einschränkungen beim Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln.

Prof. Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 23.01.2018 eine leichtgradige anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine Angst und Depression, gemischt diagnostiziert und unter Berücksichtigung der ebenfalls näher ausgeführten hierdurch bedingten Einschränkungen die Auffassung vertreten, dass der Klägerin noch Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünftagewoche zugemutet werden können.

Mit Urteil vom 29.05.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Darlegung der einschlägigen Rechtsgrundlagen hat es sich zur Begründung auf die Gutachten von Dr. N. und von Prof. Dr. R. sowie auf den Reha-Entlassungsbericht der psychosomatischen Klinik in K. vom 12.08.2016 gestützt, wodurch die entgegenstehenden Äußerungen der behandelnden Ärzte widerlegt seien. Den hilfsweise gestellten Antrag der Bevollmächtigten auf Begutachtung durch Dr. S. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat es für verspätet gehalten und abgelehnt.

Gegen das den Bevollmächtigten der Klägerin am 11.06.2018 zugestellte Urteil haben diese am 22.06.2018 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und – ohne die Rechtswidrigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung substantiiert geltend zu machen – den Antrag, "Dr. S. aus W." nach § 109 SGG zu hören, wiederholt.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 15.11.2018 hat der Senat die Anhörung von "Dr. S. aus W." davon abhängig gemacht, bis 13.12.2018 den Arzt, dessen gutachterliche Äußerung beantragt wird, mit genauer Anschrift (Fettdruck im Original) zu benennen, eine Kostenverpflichtungserklärung vorzulegen und auf die entstehenden Kosten einen Vorschuss in Höhe von 2500 EUR an die angegebene Kontoverbindung einzuzahlen. Ferner wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass ein verspätet gestellter Antrag abgelehnt werden kann und dass für den Fall, dass die Auflagen bis zum Ablauf der Frist nicht oder nicht vollständig erfüllt seien, weiterhin beabsichtigt sei, gemäß § 153 Abs. 4 SGG zu verfahren. Dabei nahm die Verfügung auf eine gerichtliche Verfügung vom 06.11.2018 Bezug, in der die Beteiligten auf die Möglichkeit einer solchen Entscheidung hingewiesen wurden. Innerhalb der bis 18.12.2018 verlängerten Frist ist die von der Klägerin unterschriebene Kostenverpflichtungserklärung eingegangen. Diese enthält – obwohl in dem Vordruck vorgesehen – keine Angabe zu dem zu beauftragenden Arzt. Die Einzahlung eines Kostenvorschusses ist bis zur Entscheidung des Senats nicht durch eine Zahlungsanzeige nachgewiesen worden.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Mai 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zumindest auf Zeit ab dem 5. September 2016 zu gewähren, ferner – weiterhin hilfsweise – Dr. S. nach § 109 SGG zu hören.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagte sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 06.11.2018 und 15.11.2018 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung – § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) – dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat nicht festzustellen vermag, dass das Leistungsvermögen der Klägerin für körperlich leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen auf unter sechs Stunden täglich in der streitigen Zeit herabgesunken ist. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat – ebenso wie das SG – aufgrund der übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. N. und Prof. Dr. R. sowie des Reha-Entlassungsberichtes der M.-Klinik. So sind der Klägerin ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte körperliche Tätigkeiten, zeitweise im Gehen und Stehen, überwiegend im Sitzen in Wechselbelastung mit Heben und Tragen und Bewegen von Lasten bis 5 kg, gelegentliches Bücken, gelegentliches Treppensteigen und feinmotorische Arbeiten mit wechselnden Bewegungsabläufen noch zumutbar (vgl. Gutachten Dr. N.), ohne dass sich hierdurch eine zeitliche Leistungseinschränkung rechtfertigen ließe. Ergänzend hierzu und in Übereinstimmung mit der Leistungsbeurteilung durch Dr. N. hat Prof. Dr. R. angegeben, dass die Klägerin aufgrund der auf psychiatrischem Fachgebiet bestehenden Gesundheitsstörungen (leichtgradige anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Angst und depressive Störung, gemischt) Tätigkeiten im Freien nicht grundsätzlich vermeiden muss, Arbeiten an Büromaschinen oder an Computertastaturen noch verrichten kann und auch Tätigkeiten in Früh- und Spätschicht (anders als Nachtschichtarbeiten) zumutbar sind. Ferner können der Klägerin noch Tätigkeiten mit einer besonderen geistigen Beanspruchung mit hoher und höherer Verantwortung (Anleiten/Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw. Überwachen von komplexen oder laufenden Maschinen) abverlangt werden.

Dies berücksichtigend können die vorliegenden Einschränkungen zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keinen Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden am Tag. Für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten muss weder eine konkrete Tätigkeit benannt, noch die Frage geprüft werden, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, GS 2/95 u. a.). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Ernste Zweifel an der Einsatzfähigkeit der Klägerin als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen hat der Senat angesichts des beschriebenen Restleistungsvermögens nicht, da der Klägerin Arbeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen), noch weitgehend zugemutet werden können. Ferner kommen überwachende Tätigkeiten in Betracht, wie sie Prof. Dr. R. beschrieben hat.

In Übereinstimmung mit dem SG vermochten die sachverständigen Zeugenaussagen, soweit sie sich zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin geäußert haben (Dr. L., Dr. H.), angesichts der ausführlichen Begutachtung sowohl auf orthopädischem als auch auf psychiatrischem Fachgebiet und deren schlüssigen Begründung des Leistungsvermögens im Ergebnis nicht zu überzeugen.

Dem mit einem am 13.11.2018 eingegangenen Fax gestellten Antrag, Dr. S. aus W." gemäß § 109 SGG zu hören, war nicht stattzugeben. Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Dieses Antragsrecht, mit dem der Untersuchungsgrundsatz (§§ 103 und 106 SGG) durchbrochen wird, stellt eine Besonderheit des sozialgerichtlichen Verfahrens dar, die der Herstellung von Waffengleichheit zwischen den Beteiligten und dem Rechtsfrieden dient (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 109 Rdnr. 1 m. w. N.). Die Ablehnung des Antrages ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG möglich. Danach kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Für eine Verschleppungsabsicht sind vorliegend Anhaltspunkte nicht ersichtlich, so dass von vornherein lediglich die Tatbestandsalternative einer Verspätung aus grober Nachlässigkeit in Betracht kommt. Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede nach sorgfältiger Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist, wenn nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 109 Rn. 11, m.w.N.). Die Bejahung einer Verspätung kommt in Betracht, wenn der Beteiligte erkennen muss, dass das Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchführt oder wenn ihm das Gericht eine Frist für den Antrag setzt. Vorliegend hat der Berichterstatter des Senats die Bevollmächtigten der Klägerin mit gerichtlicher Verfügung vom 06.11.2018, die diesen ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 08.11.2018 zugegangen ist, darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen des Senats nicht beabsichtigt sind und dass mit Ablauf des 16.11.2018 mit einer Entscheidung des Senats durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG gerechnet werden muss. Mit am 13.11.2018 eingegangenem Fax beantragte die Klägerin die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei "Dr. S.". Hierauf wurde der Klägerin mit gerichtlicher Verfügung vom 15.11.2018 Frist bis 13.12.2018 gesetzt, den Arzt, dessen gutachterliche Äußerung beantragt wird, mit genauer Anschrift zu benennen, eine Kostenverpflichtungserklärung ausgefüllt und unterschrieben vorzulegen und auf die entstehenden Kosten einen Vorschuss in Höhe von 2500 EUR auf das näher bezeichnete Konto einzuzahlen. Hierauf erhoben die Bevollmächtigten hinsichtlich der Vorlage einer Kostenverpflichtungserklärung (Nr. 2 der Verfügung vom 15.11.2018) "Beschwerde", weil eine solche dem Schreiben nicht beigefügt gewesen war. Eine solcher Vordruck wurde den Bevollmächtigten sodann mit gerichtlicher Verfügung vom 21.11.2018 unter Fristsetzung für die Rückgabe bis 18.12.2018 übersandt. Eine von der Klägerin unterschriebene, aber darüber hinaus nicht weiter ausgefüllte Erklärung (Angabe des Arztes, der das Gutachten erstellen soll) ist daraufhin am 19.12.2018 eingegangen.

Damit liegt bis 13.12.2018 bzw. bis 18.12.2018 kein vollständiger Antrag für die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG vor. Dabei wertet der Senat die Vorlage der unterschriebenen Kostenverpflichtungserklärung erst am 19.12.2018 als nicht entscheidend für die Ablehnung des Antrages. Die Klägerin hat es aber versäumt, den Sachverständigen, dessen Anhörung begehrt wird, konkret und zweifelsfrei zu benennen. Ausweislich etwa des im Internet abrufbaren Portals www.jameda.de sind in W. als Ärzte sowohl der Neurologe Dr. A. S. als auch der Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie Dr. M. S. ansässig. Eine Konkretisierung ergibt sich zudem nicht aus der Akte des SG, da in der Niederschrift als Sachverständiger nach § 109 SGG ebenfalls nur "Dr. S. in W." festgehalten wurde. Deshalb ist der Klägerin in der gerichtlichen Verfügung aufgegeben worden, den Arzt u.a. mit genauer Anschrift zu bezeichnen. Ferner vermochte der Senat bis zu seiner Entscheidung keinen Eingang des angeforderten Kostenvorschusses zu verzeichnen. Einer weiteren Nachfrage bedurfte es nicht, da mit einer (vollständigen) Antragstellung nach Fristablauf eine Verzögerung eintreten würde, da der bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung, eine bereits angekündigte Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach Ablauf der gewährten Frist zur Stellungnahme, um mehrere Monate verschoben würde. Der Senat bejaht insoweit eine grobe Nachlässigkeit, denn die Klägerin ist rechtskundig durch Rechtsanwälte vertreten und der Senat hatte ausdrücklich die Einholung des Gutachtens von der Erfüllung der konkret bezeichneten Auflagen abhängig gemacht. Mithin liegen die Voraussetzungen für die Ablehnung des Antrages vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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