L 8 SB 4387/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 23/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4387/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15.11.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Kosten des gemäß § 192 SGG bei Dr. D. eingeholten Sachverständigengutachtens nebst der baren Auslagen des Klägers werden nicht auf die Staatskasse übernommen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Der 1968 geborene Kläger beantragte am 29.04.2015 (Blatt 2 VA) bei dem Landratsamt B. (LRA) erstmals die Feststellung eines GdB.

Das LRA holte den Befundschein der Dres. Z. /P. /S. vom 28.05.2015 (Allgemeinmedizin – Arbeitsunfähigkeit seit März 2015, laufend antidepressive Medikation, Blatt 6/17 VA) ein, zu dem Dr. E. die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 09.07.2015 (Blatt 20/21 VA) erstattete und die Feststellung eines GdB von 20 für eine seelische Störung empfahl.

Gestützt hierauf stellte das LRA mit Bescheid vom 13.07.2015 (Blatt 23 VA) einen GdB von 20 seit dem 01.01.2015 fest.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 29.07.2015 (Blatt 26 VA) Widerspruch, den das Landratsamt, nachdem die angekündigte (vgl. Schriftsatz vom 29.09.2015, Blatt 32 VA) Begründung nicht erfolgte, mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2015 zurückwies.

Am 05.01.2016 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG).

Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskünfte des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Z. vom 01.04.2016 (Blatt 27/43 SG-Akte – seit Jahren schwere depressive Episoden, erhöhter Blutdruck, Hypercholesterinämie, Testosteronmangel), des Facharztes für Neurologie Dr. R. vom 01.04.2016 (Blatt 44/50 SG-Akte – immer wiederkehrende depressive Erkrankung, seit 2008 drei längere depressive Episoden) und der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. (Blatt 54/55 SG-Akte – letzte Behandlung 06.12.2013, mittelgradige depressive Episode) ein.

Der Beklagte unterbreite mit Schriftsatz vom 07.07.2016 (Blatt 56 SG-Akte) ein Vergleichsangebot auf Feststellung eines GdB von 30 ab dem 01.01.2015 unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. S. vom 25.06.2016 (Blatt 57 SG-Akte), welches der Kläger ablehnte (Schriftsatz vom 29.07.2016, Blatt 59/60 SG-Akte) und den Befundbericht des Internisten Dr. R. vom 24.10.2016 (Blatt 65/66 SG-Akte – CPAP-Therapie seit 01.05.2016) vorlegte.

Das SG holte das nervenärztliche Sachverständigengutachten des Dr. T. vom 12.12.2016 ein (Blatt 70/90 SG-Akte), der einen Teil-GdB von 30 für die seelische Störung und einen Gesamt-GdB von 30 seit Januar 2015 vorschlug. Den weitergehenden Vergleichsvorschlag des Beklagten auf Feststellung eines GdB von 40 ab dem 01.05.2016 (Schriftsatz vom 23.08.2017, Blatt 117 SG-Akte, versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 17.08.2017, Blatt 118 SG-Akte) lehnte der Kläger erneut ab (Schriftsatz vom 04.10.2017, Blatt 121 SG-Akte).

Mit Gerichtsbescheid vom 15.11.2017 änderte das SG den Bescheid des Beklagten vom 13.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2015 ab und verpflichtete den Beklagten, bei dem Kläger ab dem 01.01.2015 einen GdB von 30 und ab dem 01.05.2016 einen GdB von 40 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass ab Antragstellung eine seelische Störung mit einem GdB von 30 anerkannt werden könne, wie aus dem Sachverständigengutachten des Dr. T. folge. Dieser habe eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit beschrieben, durch die die psychische und körperliche Belastbarkeit deutlich verringert sei. Eine ganz schwere Form einer seelischen Störung könne jedoch nicht angenommen werden, trotz der Reduktion der Arbeitszeit von 40 auf 35 Wochenstunden arbeite der Kläger weiter vollschichtig. Eine erhebliche Alltagskompetenz sei beim Kläger noch vorhanden. Ab dem 01.05.2016 sei weiterhin ein Teil-GdB von 20 wegen eines Schlaf-Apnoe-Syndroms mit der Notwendigkeit einer Überdruckbeatmung zu berücksichtigen, die Schilddrüsenunterfunktion und der Testosteronmangel würden hormonell substituiert, der Bluthochdruck werde medikamentös behandelt, sodass eine funktionelle Beeinträchtigung nicht vorliege.

Gegen den am 17.11.2017 (Blatt 137a SG-Akte) zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.11.2017 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er macht geltend, dass er sehr schnell außer Atem sei. Die Einschränkung der Lungenfunktion und das Schlaf-Apnoe-Syndrom wirkten sich gegenseitig negativ aus. Im Alltag sei eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gegeben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15.11.2017 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheides vom 13.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2015 zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. D. vom 05.07.2018 (Blatt 34/64 Senatsakte) eingeholt, zu dem der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. R. vom 10.08.2018 (Blatt 68 Senatsakte) vorgelegt hat.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 13.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann die Feststellung eines höheren GdB, wie ihn das SG festgestellt und wogegen sich der Beklagte nicht gewandt hat, nicht beanspruchen.

Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.

Nach § 152 Absatz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 1 und 3 SGB IX a.F.) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Absatz 1 Satz 6 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 152 SGB IX (§ 69 a.F.) - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 152 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).

Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung; auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat § 152 Abs. 1 Satz 2 SGBX; (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.).

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Absatz 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet konnte der Senat Funktionseinschränkungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 20 bedingen.

Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Zum neurologischen Befund entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des Dr. T. vom 12.12.2016 (Blatt 70/90 SG-Akte), dass die Kopfkonfiguration unauffällig war, die Pupillen isokor, mittelweit, rund und prompt auf Licht reagierend. Einschränkungen des Gesichtsfeldes bei der Prüfung mit Fingerbewegungen bestanden nicht, die Augenbewegungen waren nach allen Seiten frei und konjugiert, Doppelbilder wurden nicht angegeben, es fand sich kein Nystagmus. Der Tonus, die Trophik und die Motilität der Muskulatur an den Armen und Beinen und am Rumpf waren regelrecht, ebenso der Muskeltonus in den Extremitäten. Es fanden sich keine Paresen, keine Spastik und keine Zeichen einer Myotonie. Die Muskeleigenreflexe an den Armen und Beinen waren seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Sensibilität mit Druck-, Schmerz- und Temperaturreizen nicht beeinträchtigt. Störungen der Koordination bestanden nicht, der Ziel- und Zeigeversuch war regelrecht, ebenso der Romberg-Stehversuch, bei unauffälligem Gang. Die erschwerten Gangprüfungen wurden gut durchgeführt, es bestand kein Tremor. Zeichen für eine Störung des vegetativen Nervensystems ergaben sich nicht, Hinweise für wesentliche Schmerzen ergaben sich während der Untersuchung nicht. Neurologische Einschränkungen, die GdB-relevant wären, konnte der Senat somit nicht feststellen.

Zum psychopathologischen Befund entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des Dr. T. , dass der Kläger wach und in allen Qualitäten orientiert war. Es bestanden keine Störungen der Gedächtnisfunktionen, Merkfähigkeit, Neugedächtnis- und Altgedächtnis. Konzentration und Aufmerksamkeit waren ungestört, der Kläger war in der Lage, über circa eine Stunde Auskunft über Biografie und Krankheitsvorgeschichte zu geben. Formale oder inhaltliche Denkstörungen bestanden nicht, ebenso keine auffälligen Störungen der kognitiven Funktionen bzw. neuropsychologische Störungen. Wahrnehmungsstörungen oder Sinnestäuschungen werden bei ausgeglichener Affektlage verneint, die Schwingungsfähigkeit war nicht eingeschränkt, es ergab sich kein Hinweis auf akute Suizidalität, Antrieb und Psychomotorik waren ausgeglichen, Ich-Störungen bestanden nicht.

Zum Tagesablauf hat der Kläger gegenüber Dr. T. angegeben, morgens zwischen 4.00 Uhr und 5.00 Uhr aufzustehen, gegen 6.00 Uhr das Haus zu verlassen und mit dem PKW circa 15 Minuten in den Betrieb zu fahren. Er arbeite derzeit von 6.30 Uhr bis 14.00 Uhr, Mittagspause könne er entweder in der Kantine oder innerhalb der Stadt bei Imbissmöglichkeiten machen, nach der Arbeit würden noch Erledigungen gemacht und dann wieder nach Hause gefahren. An sportlichen Tätigkeiten wurden Nordic Walking, Laufen oder Fahrradfahren angegeben, ein engerer Freundeskreis wurde verneint, viele Kontakte und Bekannte habe er durch seine Ehefrau. Zusammenfassend legt Dr. T. für den Senat überzeugend dar, dass der Kläger seit 2008 unter einer rezidivierenden depressiven Störung leidet mit insgesamt jedenfalls drei mittelschweren bis schweren depressiven Episoden. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Alltag beschreibt Dr. T. als nachvollziehbar, weist aber auch darauf hin, dass der Kläger trotz Reduzierung seiner Arbeitszeit und einer Änderung der Arbeitszeit weiterhin vollschichtig arbeitet, sodass sowohl im Durchschnitt (vgl. A Nr. 2 Buchst. f) VG) als auch aktuell eine ganz schwere Form von Depression und seelischer Störung nicht angenommen werden kann.

Nichts anderes folgt aus dem nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachten des Dr. D. vom 05.07.2018 (Blatt 34/64 Senatsakte). Dieser hat ebenfalls einen neurologisch unauffälligen Befund erhoben und zum psychiatrischen Befund mitgeteilt, dass der Kläger bewusstseinsklar und allseitig richtig orientiert war. Mimik und Gestik wurden vergleichsweise spärlich eingesetzt, die Grundstimmung war leicht in depressive Richtung verschoben, die affektive Resonanzfähigkeit war etwas reduziert, aber nicht aufgehoben. Der formale Denkablauf war geordnet, inhaltliche Denkstörungen wie Störungen von Wahrnehmen und Ich-Erlebnis waren nicht nachweisbar, über das zurückliegende Auftreten von Beeinträchtigungsideen im Rahmen einer schweren depressiven Episode sei berichtet worden. Aufmerksamkeit und Konzentration werden als zunächst ungestört, im Verlauf der Untersuchung aber als nachlassend beschrieben. Der Antrieb war reduziert, eine Interesseneinengung war gegeben, hingegen kein Interessenverlust, die mnestischen und intellektuellen Funktionen waren ungestört. Relevante Abweichungen zu den Befunden des Dr. T. konnte der Senat daher nicht feststellen. Eine dauerhafte Psychose ist auch von Dr. D. nicht beschrieben worden. Vielmehr hat dieser lediglich angegeben, dass es vom 03.12.2008 bis 23.01.2009 in der ersten von drei depressiven Phasen seit Beginn der Erkrankung vor Jahren zu einer schweren depressiven Symptomatik mit psychotischen Symptomen gekommen war, die medikamentös behandelt worden war. In den beiden weiteren Phasen sind dagegen psychotische Symptome nicht mehr berichtet. Daher kann auch unter Berücksichtigung von VG Teil B Nr. 2.6 als affektive Psychose keine höhere Bewertung des GdB gerechtfertigt werden, weil weder ein Residualzustand noch mindestens ein bis zwei Phasen im Jahr auftraten.

Ebenso wie Dr. D. weist auch Dr. T. darauf hin, dass davon auszugehen ist, dass es immer wieder zu Phasen kommt, in denen der Kläger auch schwerer durch die psychische Erkrankung beeinträchtigt ist. Die rechtliche Schlussfolgerung des Dr. D. daraus, dass der Einzel-GdB deshalb mit 40 zu bemessen sei, entspricht hingegen nicht den Vorgaben der VG. Nach VG Teil A 2 f. ist, wenn bei einem Leiden der Verlauf durch sich wiederholende Besserungen und Verschlechterungen des Gesundheitszustandes geprägt ist, die zeitweiligen Verschlechterung zwar nicht als vorübergehende Gesundheitsstörung zu betrachten, jedoch muss die GdB-Beurteilung von dem "durchschnittlichen Ausmaß" der Beeinträchtigung ausgehen, worauf Dr. R. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.08.2018 (Blatt 68 Senatsakte) zutreffend hingewiesen hat. Dr. D. beschreibt auch selbst (Blatt 60 Senatsakte), dass derzeit nur eine leichte depressive Symptomatik im Sinne einer Dysthymie besteht und keine vollständige Remission vorliegt. Der Senat konnte daher feststellen, dass sowohl bei der Untersuchung durch Dr. T. wie auch bei der Untersuchung durch Dr. D. ein psychischer Befund bestanden hat, der lediglich eine leichtere psychische Störung begründet und damit keinen höheren Einzel-GdB von 20 rechtfertigt. Weiter konnte der Senat feststellen, dass es in den letzten 10 Jahren zu insgesamt drei schwereren depressiven Episoden gekommen ist, wobei psychotische Symptome nur bei der ersten Episode 2008/2009 dokumentiert sind. Somit rechtfertigt sich auch unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Ausmaßes kein höherer Einzel-GdB als 20.

Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach VG Teil A Nr. 2 b. der GdB unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf zu beurteilen ist.

Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme zum Sachverständigengutachten von Dr. T. auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.01.2014 – L 13 SB 131/12 – abstellend ausführt, mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten seien gegeben, wenn in den meisten Berufen sich auswirkende Veränderungen vorlägen, so folgt dem der Senat nicht. Auf solche mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten käme es nur an, wenn eine schwere Störung vorläge. Der Senat kann weder eine schwere Zwangskrankheit noch eine sonstige - im Durchschnitt- schwere psychische Störung noch eine nach VG Teil B Nr. 3.6 zu bewertende psychotische Störung dauerhafter Art feststellen. Auch stellen berufliche Einschränkungen – soweit darauf abgestellt werden kann – nur einen Teilbereich dar, in dem Teilhabeeinschränkungen zu bewerten sind. Auch wird aus den Ausführungen des Klägers deutlich, dass dieser trotz seiner Erkrankung zu konzentriertem Vortrag in der Lage ist, was deutlich macht, das Aufmerksamkeit, Konzentration und Antrieb nicht stärker beeinträchtigt sind.

Eine Lungenfunktionseinschränkung, die einen Einzel-GdB rechtfertigen würde, konnte der Senat nicht feststellen.

Nach VG Teil B Nr. 8.3. bedingen Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion geringen Grades bei das gewöhnliche Maß übersteigender Atemnot bei mittelschwerer Belastung (forsches Gehen, mittelschwere körperliche Arbeit), statischer und dynamischer Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte, Blutgaswerte im Normbereich einen GdB von 20 bis 40.

Insoweit konnte der Senat gestützt auf den Befundbericht der Internistin Dr. M. vom 06.05.2016 (Blatt 67/70 SG-Akte) feststellen, dass sich in der Spirometrie bei valider Kurve eine mittelgradige restriktive Ventilationsstörung zeigte, der FEV1 mit 2,6 l bei 63,5% des Solls lag und die Blutgaswerte normal gewesen sind. Der Internist Dr. R. (Befundbericht vom 24.10.2016, Blatt 65 SG-Akte) beschreibt den FEV1 bei 70% des Solls bei normalen Blutgaswerten, aufgrund des Befundberichtes konnte der Senat weiter feststellen, dass der Kläger angegeben hat, kaum etwas von der Störung zu spüren und lediglich beim Brustschwimmen etwas kurzatmiger zu sein. Dem Sachverständigengutachten des Dr. T. vom 12.12.2016 (Blatt 77 SG-Akte) entnimmt der Senat, dass der Kläger als Hobbys verschiedene sportliche Tätigkeiten wie Nordic Walking, Laufen oder Fahrradfahren angegeben hat, sodass der Senat eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bei mittelschwerer Belastung nicht feststellen kann. Im Übrigen ist aufgrund des durch den Befundbericht der Internistin Dr. M. nachgewiesenen Schlaf-Apnoe-Syndroms mit Notwendigkeit der kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung bereits ein Einzel-GdB von 20 (vgl. VG Teil B Nr. 8.7) für die Atmung zu berücksichtigen.

Hinsichtlich des Gesamt-GdB ergibt sich somit, dass vor der Diagnose des Schlaf-Apnoe-Syndroms (01.05.2016) nur ein Einzel-GdB von 20 für die Psyche zu berücksichtigen ist, wie er vom Beklagten im Bescheid vom 13.07.2015 festgestellt worden ist. Ob der ab dem 01.05.2016 zu berücksichtigende Einzel-GdB von 20 für das Schlaf-Apnoe-Syndrom eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 30 rechtfertigt, kann der Senat dahinstehen lassen, nachdem das SG bereits einen GdB von 30 seit dem 01.01.2015 und einen GdB von 40 seit dem 01.05.2016 festgestellt und der Beklagte hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat. Eine zu niedrige Feststellung des Gesamt-GdB konnte der Senat somit nicht feststellen. Selbst wenn die Lungenfunktionseinschränkung mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet würde, würde sich die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht rechtfertigen, da sich zwar keine Überschneidungen ergeben, jedoch die psychischen Beeinträchtigungen durch die Lungenfunktionseinschränkung aber auch nicht relevant verstärkt werden.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Von einer Änderung der Kostenentscheidung des SG hat der Senat in Ausübung seines ihm insoweit zustehenden Ermessens abgesehen.

Die Kosten des gemäß § 109 SGG im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. D. sowie die baren Auslagen des Klägers, über die als Gerichtskosten der Senat in Ausübung des ihm nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG zustehenden Ermessens von Amts wegen auch im Urteil entscheiden kann (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 1 U 3854/06 KO-B -, juris; Urteil des Senats vom 23.11.2012 - L 8 U 3868/11 -, unveröffentlicht), werden nicht auf die Staatskasse übernommen. Der Kläger hat diese daher endgültig selbst zu tragen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Kosten eines nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens dann auf die Staatskasse übernommen werden, wenn dieses Gutachten für die gerichtliche Entscheidung von wesentlicher Bedeutung war und zu seiner Erledigung beigetragen bzw. zusätzliche, für die Sachaufklärung bedeutsame Gesichtspunkte erbracht hat. Es muss sich, gemessen an dem Prozessziel des Klägers, um einen wesentlichen Beitrag gehandelt haben und dementsprechend die Entscheidung des Rechtsstreits (oder die sonstige Erledigung) maßgeblich gefördert haben. Durch die Anbindung an das Prozessziel wird verdeutlicht, dass es nicht genügt, wenn eine für die Entscheidung unmaßgebliche Abklärung eines medizinischen Sachverhalts durch das Gutachten nach § 109 SGG vorangetrieben worden ist. Vielmehr muss sich die Förderung der Sachaufklärung auf den Streitgegenstand beziehen (Kühl in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage, § 109 RdNr. 11).

Hiervon ausgehend ist es nicht gerechtfertigt, die Kosten des Gutachtens von Dr. D. auf die Staatskasse zu übernehmen. Das Gutachten hat den Rechtsstreit nicht objektiv gefördert und nicht zu seiner Erledigung beigetragen, wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt. Vielmehr hat Dr. D. keinen neuen entscheidungserheblichen medizinischen Feststellungen getroffen, auf seine abweichende Einschätzung zur Höhe des GdB kommt es nicht entscheidungserheblich an, da es sich hierbei nicht um eine medizinische Frage, sondern eine rechtliche Bewertung handelt.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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