L 8 BA 130/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 23 R 506/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 130/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 28.6.2018 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, allerdings mit der Maßgabe, dass außergerichtliche Kosten der Beigeladenen nicht erstattet werden. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 12.849,21 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 9.5.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.8.2017 zu Recht abgelehnt.

Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die Beschwerdebegründung gibt keinen Anlass, die Entscheidung des SG zu ändern:

1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin spricht gegenwärtig mehr dafür als dagegen, dass der Beigeladene zu 1) in ihren Betrieb im Sinne einer funktionsgerecht dienenden Teilnahme am Arbeitsprozess eingegliedert war (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch [SGB IV]).

Die von ihr selbst im Verwaltungsverfahren überreichten Organigramme belegen, dass der Beigeladene zu 1) mit seiner Aufgabe als Betriebsleiter eine wesentliche betriebsdienliche Funktion erfüllte, die jedenfalls im Streitzeitraum der Antragstellerin untergeordnet war. Zugunsten einer Eingliederung in deren Betrieb spricht nicht zuletzt, dass die Betriebsleitung im Sinne der Verantwortlichkeit für Leitung und Beaufsichtigung in Unternehmen der vorliegenden Art keine in das Belieben des Betriebsinhabers gestellte Rolle ist, sondern zwingend besetzt werden muss, sofern der Inhaber sie nicht selbst übernimmt (vgl. §§ 2 Abs. 2 Satz 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Entsorgungsfachbetriebeverordnung [EfbV]). Dabei sind - wie im vorliegenden Fall geschehen - die Verantwortung sowie die Entscheidungs- und Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsleiters schriftlich, elektronisch oder in gleich geeigneter Weise in Form von Funktionsbeschreibungen oder Organisationsplänen darzustellen und den betroffenen Mitarbeitern bekannt zu geben (§ 3 Abs. 2 EfbV). Dem korrespondiert, dass die Arbeitsabläufe für die im Betrieb durchgeführten abfallwirtschaftlichen Tätigkeiten durch Arbeitsanweisungen festzulegen sind (§ 3 Abs. 3 EfbV), was wiederum für eine Weisungsbefugnis des Betriebsleiters gegenüber den angestellten Kräften der Antragstellerin und damit das Vorliegen eines weiteren Eingliederungsmerkmals spricht. Dass bei der Antragstellerin gegen diese gesetzlichen Organisationsvorgaben verstoßen worden wäre, ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Schließlich wurde der Beigeladene zu 1) in seiner Funktion als Betriebsleiter von einem offenbar angestellten Mitarbeiter der Antragstellerin vertreten.

2. Mit Blick darauf sprechen etwaige weit reichende Entscheidungsfreiheiten des Beigeladenen zu 1) hinsichtlich insbesondere der Arbeitszeit nicht gegen die Annahme seiner Weisungsgebundenheit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, kann die Weisungsgebundenheit - vornehmlich bei Diensten höherer Art, wie sie hier zu beurteilen sind - zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein, d.h. vornehmlich in einer Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb des Weisungsgebers zum Ausdruck kommen, von der hier aus den unter 1. dargestellten Gründen auszugehen ist. Unbeschadet dessen hat die Antragstellerin selbst vorgetragen, dass der Beigeladene zu 1) die ihm obliegenden Aufgaben nach Anfall und Erforderlichkeit erledigt habe. Zumal angesichts eines vereinbarten festen monatlichen Honorars und der genannten gesetzlichen Vorgaben bestehen keine Bedenken anzunehmen, dass die Verpflichtung hierzu Gegenstand der (wenn auch nicht schriftlich niedergelegten) Vereinbarungen zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen zu 1) war. Angesichts dessen tritt die Möglichkeit der freien Arbeitszeitgestaltung in Zeiträumen, in denen vertraglich geschuldete Aufgaben nicht anfielen, als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit jedoch deutlich in den Hintergrund.

3. Der Umstand, dass der Beigeladene zu 1) neben seiner Tätigkeit für die Antragstellerin auch noch in eigenen Unternehmen tätig war, spielt für die Abgrenzung im vorliegenden Fall keine maßgebliche Rolle.

a) Zunächst hat der Gesetzgeber der hauptberuflichen Selbstständigkeit als zur Versicherungsfreiheit führendem Kriterium in der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 5 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) Rechnung getragen, was im Umkehrschluss dafür spricht, dass dieses Merkmal für die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung an sich und der daraus folgenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung keine Bedeutung hat.

b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin erwächst aus der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) in eigenen Unternehmen nicht das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte für seine Tätigkeit bei ihr. Denn die betreffenden Räumlichkeiten standen ihm ggf. aufgrund seiner Tätigkeit in der H Entsorgung & Kanalreinigung bzw. der H Entsorgungs GmbH zu, während das Betriebsgrundstück der Verwertungsanlage H einschließlich Maschinen gerade der Antragstellerin zu Alleineigentum übertragen worden ist.

4. Unternehmerische Risiken seitens des Beigeladenen zu 1) sind entgegen der Auffassung der Antragstellerin für seine Tätigkeit in ihrem Unternehmen nicht zu erkennen.

a) Der Beigeladene zu 1) hat seine Arbeitskraft nicht mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt, weil er eine vereinbarte Festvergütung erhielt. Dass dies vor und nach dem Streitzeitraum anders gewesen sein mag, ist für die Beurteilung des Streitzeitraums selbst unerheblich.

b) Ein Kapitaleinsatz des Beigeladenen zu 1) für das Unternehmen der Antragstellerin mit dem Risiko des Verlustes ist gleichfalls nicht ersichtlich.

aa) In wessen Fuhrpark sich der von ihm genutzte Dienstwagen befand, ist dabei unerheblich. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass er sich ihn privat gerade für die Tätigkeit bei der Antragstellerin angeschafft hat.

bb) Im Übrigen hat der Beigeladene zu 1) nicht nur kein Kapital in den Betrieb der Antragstellerin investiert, sondern ihr - allerdings außerhalb des Streitzeitraums - offenbar in nicht unerheblichem Maße Kapital entzogen (vgl. Darlehnsgewährung i.H.v. 273.239,23 Euro durch Vertrag v. 30.12.2017).

5. Dass die Antragstellerin sich gleichsam gezwungen gesehen hat, dieser Darlehnsgewährung wegen diverser wirtschaftlicher Abhängigkeiten vom Beigeladenen zu 1) zuzustimmen, hat für dessen sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung keine Auswirkungen. Abgesehen davon, dass die Darlehnsgewährung außerhalb des Streitzeitraums erfolgt ist, ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Beigeladene zu 1) kraft seiner (vorgetragenen) wirtschaftlichen Dominanz einen rechtlichen oder auch nur tatsächlichen größeren Einfluss auf die Organisation und die Betriebsabläufe im Unternehmen der Antragstellerin hätte nehmen können, als ihm dies in seiner Funktion als Betriebsleiter ohnedies zustand.

6. Nichts anderes ergibt sich aus dem Vortrag der Antragstellerin, sie habe dem Beigeladenen zu 1) vertraglich eine Tantieme eingeräumt. Derartigen variablen Vergütungsbestandteilen kommt für die Abgrenzung von Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit nur insoweit Bedeutung zu, als sie Anknüpfungspunkt für ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse des für ein Unternehmen Tätigen sein können (vgl. BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R, m.w.N., juris, Senat, Urteil v. 17.10.2012, L 8 R 545/11, juris). Vor dem Hintergrund, dass die Gewährung einer Tantieme an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich ist, spricht sie indiziell jedenfalls dann nicht wesentlich für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit, wenn sie in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung deutlich hinter dem vereinbarten Festgehalt zurückbleibt. Im vorliegenden Fall ist nichts dafür ersichtlich, dass der Tantiemevereinbarung ein nennenswertes wirtschaftliches Gewicht zugekommen wäre.

7. Ob dem Beigeladenen zu 1) im Krankheitsfall ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zustand, richtet sich nicht nach seiner individuellen privatvertraglichen Absicherung, sondern allein nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz. Die Annahme, solche Ansprüche nicht zu haben, ist gegebenenfalls Ausfluss der Fehlvorstellung, eine selbstständige Tätigkeit vereinbart zu haben, hat aber auf die Statusbeurteilung keinen Einfluss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Weil die Beigeladenen von einer eigenen Antragstellung abgesehen haben, entspricht es nicht der Billigkeit, die Hauptbeteiligten mit deren Kosten zu belasten (vgl. § 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Dies war - aus Gründen der Klarstellung - auch für das erstinstanzliche Verfahren zu tenorieren.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 52, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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