L 5 P 104/17 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 12 P 369/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 104/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 65.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Nach § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerseite für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach dem Ermessen des Gerichts festzulegen (vgl. § 52 Abs. 1 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen. Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend (§ 47 Abs. 1 GKG).

Bei einer Anfechtungsklage ist für die Streitwertfestsetzung das Interesse des Adressaten am Wegfall des Verwaltungsakts zu bemessen (Straßfeld in "Streitwertfestsetzung im sozialgerichtlichen Verfahren", SGb 2008, Seiten 80, 82).

Nach diesen Grundsätzen ist der Streitwert im vorliegenden Fall auf 65.000 EUR festzusetzen.

Die Anfechtungsklage (vom 17.08.2017) bzw. der hier zu Grunde liegende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage bezieht sich auf einen Maßnahmenbescheid (§ 115 Abs. 2 SGB XI) vom 03.08.2017. Darin ist der Antragsteller dazu verpflichtet worden, 13 Beanstandungen zu beseitigen. Anhaltspunkte, welche wirtschaftlichen Auswirkungen der Bescheid insoweit im Einzelnen haben wird, sind weder vorgetragen noch sonst aus den Akten ersichtlich, sodass bezogen auf die jeweilige Beanstandung nur der Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG zu Grunde gelegt werden kann. Aus der Summierung der einzelnen Auffangstreitwerte ergibt sich der Betrag von 65.000 EUR (13 x 5.000 EUR).

Ob der Auffangstreitwert bei Anfechtungsklagen gegen Maßnahmenbescheide nach § 115 Abs. 2 SGB XI durch Addition der Anzahl der Einzelmaßnahmen (so früher der 27. Senat des LSG Berlin-Brandenburg, z.B. Beschlüsse vom 07.07.2010 - L 27 P 12/10 B, vom 05.10.2011 - L 27 P 23/11 B, vom 31.07.2013 - L 27 P 32/12 B und L 27 P 66/11 B sowie vom 18.09.2014 - L 27 P 46/14 B), durch Addition der Anzahl der Maßnahmekomplexe nach § 39 Abs. 1 GKG (so der früher für Streitigkeiten nach dem SGB XI zuständige 10. Senat des LSG NRW, Beschluss vom 26.05.2010 - L 10 B 41/09 R und vom 07.03.2012 - L 10 P 133/11 B) zu bemessen oder nur einmalig der Regelstreitwert zu Grunde zu legen ist (so unter ausdrücklicher Aufgabe der Rechtsprechung des 27. Senats der 30. Senat des LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.05.2016 - L 30 P 75/15 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.01.2010 - L 15 P 69/09 B und wohl auch LSG Bayern, Urteil vom 08.07.2014 - L 2 P 80/13) ist umstritten (siehe auch Darstellung des Meinungsstands im Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 5. Aufl. 2017 - abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de/SGBBRD/msgb/Streitwertkatalog2017.pdf).

Der erkennende Senat hat die Rechtsprechung des 10. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen inzwischen ausdrücklich aufgegeben und sich im Ergebnis der Rechtsprechung des 27. Senats des LSG Berlin-Brandenburg angeschlossen (vgl. Beschlüsse vom 01.03.2018 - L 5 P 46/17 B und vom 12.04.2018 - L 5 P 88/17 B ER). Maßgebend dafür sind im Wesentlichen die folgenden Erwägungen:

Ein Maßnahmenbescheid enthält eine oder mehrere Beanstandungen von Mängeln, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt beseitigt werden sollen. Darin werden unterschiedliche Mängel (hier z.B. Behandlungspflege entspricht nicht den ärztlichen Anordnungen, keine hinreichende systematische Schmerzeinschätzung, keine hinreichende Erfassung individueller Risiken bei der Flüssigkeitsversorgung) sowie passend dazu unterschiedliche Handlungsaufforderungen ("Behandlungspflegerische Maßnahmen sind entsprechend der ärztlichen An- und Verordnung durchzuführen"; "Die systematische Schmerzeinschätzung muss zu folgenden Inhalten erfolgen: Schmerzlokalisation, Schmerzintensität, "; "Das individuelle Risiko der Flüssigkeitsversorgung ist bei den Bewohnern nach dem Einzug in die Pflegeeinrichtung und bei einer Veränderung der Pflegesituation zu ermitteln. Das Ergebnis der Einschätzung ist zu dokumentieren.") aufgeführt, deren Rechtswidrig- oder Rechtmäßigkeit jeweils einzeln angegriffen und auch unterschiedlich beurteilt werden kann. Da jede Beanstandung gesondert zu bewerten ist, bildet jede einen eigenständigen Streitgegenstand, sodass der Regelstreitwert dementsprechend mehrfach anzusetzen und gem. § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen ist (so - bei unterschiedliche Wahlämter betreffenden Anfechtungsklagen - auch BSG, Beschluss vom 14.09.2006 - B 6 KA 24/06 B und vom 19.09.2006 - B 6 KA 30/06 B sowie - bei einer mehrere Äußerungen betreffenden Unterlassungsklage - Beschluss vom 08.04.2005 - B 6 KA 60/04 B).

Die Rechtsauffassung des 30. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, die nach Auffassung des Antragstellers vorzugswürdig sein soll, lässt bei der Zugrundelegung des Regelstreitwerts außer Acht, dass es sich bei den Beanstandungen um verschiedene Regelungen und somit verschiedene Streitgegenstände handelt. Zwar ist nach dem Wortlaut des § 52 Abs. 2 GKG ist "ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen". Dies bedeutet jedoch lediglich, dass der Betrag, der als Regelstreitwert zu Grunde zu legen ist, nach der Wertung des Gesetzgebers 5.000 EUR beträgt. Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass bei mehreren Streitgegenständen nach § 39 Abs. 1 GKG eine Addition des Regelstreitwerts nicht nur möglich, sondern geboten ist.

Gegen die Rechtsprechung des 10. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen spricht, dass auch bei Bildung von Maßnahmekomplexen außer Acht gelassen wird, dass die innerhalb eines Komplexes erfolgten Beanstandungen rechtlich jeweils unterschiedlich bewertet werden können. Unabhängig von diesem Gesichtspunkt kann die Frage, wie einzelne Beanstandungen zu Maßnahmekomplexen zusammenzufassen sind, zu nicht unerheblichen Rechtsunsicherheiten führen.

Bei seiner Ermessensentscheidung verkennt der Senat nicht, dass die Addition des Auffangstreitwerts bei einer großen Anzahl von Beanstandungen möglicherweise zu einem Streitwert führen kann, der die tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung im Einzelfall überschreiten mag. Richtig ist auch, dass die Nichtbefolgung eines nicht vollstreckungsfähigen Maßnahmenbescheids keine unmittelbaren Konsequenzen für den Träger hat, da eine Kündigung des Versorgungsvertrags rechtlich davon unabhängig ist. Diese Gesichtspunkte können jedoch nicht dazu führen, dass von einer Addition des Regelstreitwerts gemäß § 39 GKG im Einzelfall abgesehen werden kann. Denn der Gesetzgeber pauschaliert einen nicht bestimmbaren Streitwert regelhaft mit 5.000 EUR, sodass es - wie bei allen Pauschalierungen - im Einzelfall dazu kommen kann, dass die tatsächliche Bedeutung der Sache deutlich unter- oder überschritten wird.

Eine Reduzierung der einzelnen Auffangstreitwerte unter dem Gesichtspunkt, dass es hier nur um die aufschiebende Wirkung der Klage (im Rahmen von § 86b Abs. 1 S.1 Nr. 2 SGG) ging, kommt im Hinblick auf die ausdrückliche Verweisung in § 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG auf § 52 Abs. 2 GKG nicht in Betracht (so auch LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2010 - L 27 P 14/10 B ER Rn. 24).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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