L 6 AS 2540/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 4750/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 2540/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 2/19 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf Rev. des Bekl. wird Urteil des LSG aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an LSG zurückverwiesen !!! Neues Az.: = L 6 AS 125/20 ZVW
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.10.2016 geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2014 verurteilt, den Klägern einen Betrag i.H.v. 536,50 EUR zum Ausgleich der Doppelmiete für den Monat Juli 2014 zu bewilligen. Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der doppelten Mietkosten für einen Monat haben, die im Zusammenhang mit der Anmietung einer neuen Wohnung entstanden sind.

Die 1974 geborene Klägerin zu 1) ist türkische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland gem. § 31 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz. Die 2000 geborene Klägerin zu 1) und der 2002 geborene Kläger zu 3) sind ihre Kinder, für die ihr das alleinige Sorgerecht zusteht. Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Anrechnung des Einkommens der Klägerin zu 1) aus Erwerbstätigkeit. Sie bewohnten eine 3-Zimmer-Mietwohnung mit 53,68 qm Wohnfläche in der L. Str. 00 in C. Die monatliche Gesamtmiete betrug 536,50 EUR. Mit Attest vom 20.05.2011 bescheinigte der Facharzt für Innere Medizin Dr. T. der Klägerin zu 1) die Notwendigkeit einer größeren Wohnung für sich und ihre Kinder aus gesundheitlichen Gründen. Unter dem 17.09.2013 bot das Amt für Soziales und Wohnen der Stadt C. der Klägerin zu 1) die Anmietung einer 4-Zimmer-Wohnung mit 81,57 Quadratmeter Wohnfläche in dem Mehrfamilienhaus M.weg 00 in C. an. Die Wohnung sollte zum 01.12.2013 frei werden. Das Mietangebot legte die Klägerin vertreten durch das Diakonische Werk C./Diakonie U. (im Folgenden: Diakonie) bei dem Beklagten vor und bat um Prüfung, ob die Wohnung angemietet werden könne. Mit Schreiben vom 24.09.2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass einer Anmietung der Wohnung ab 01.12.2013 zugestimmt werde, und bat um Vorlage des neuen Mietvertrages. Daraufhin teilte die Diakonie dem Beklagten mit, die neue Wohnung müsse erst noch renoviert werden, deshalb werde sich der Umzug um mehrere Monate verzögern. Die neue Vermieterin werde der Klägerin zu 1) Bescheid sagen, wenn sie die alte Wohnung kündigen solle. Sie - die Diakonie - werde den Beklagten auf dem Laufenden halten.

Am 24.04.2014 unterschrieb die Klägerin zu 1) den Mietvertrag über die Anmietung der neuen Wohnung ab dem 01.07.2014. Ausweislich des Mietvertrages betrug die monatliche Miete ab 01.07.2014 594,20 EUR. Mit Schreiben vom 29.04.2014 kündigte sie das bisherige Mietverhältnis gegenüber dem Vermieter. Die Seiten 1 und 7 des neuen Mietvertrages und eine Fotokopie des Kündigungsschreibens reichte sie bei dem Beklagten am 15.05.2014 ein. Dabei beantragte sie auch die Übernahme der doppelten Mietzahlung für Juli 2014.

Mit Änderungsbescheid vom 11.07.2014 berücksichtigte der Beklagte bei den Klägern ab dem 01.07.2014 die neue Gesamtmiete in Höhe von 594,20 EUR als angemessene Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung. Für Juli 2014 bewilligte der Beklagte den Klägern nach Anrechnung von Einkommen Leistungen in Höhe von 768, 60 EUR (RL 240,66 EUR; KdU 528,56 EUR).

Am 19.07.2014 erfolgte der Umzug in die neue Wohnung, zwei Tage später meldeten sich die Kläger beim Meldeamt der Stadt C. um. Die Auszugsrenovierung der bisherigen Wohnung erfolgte am 31.07.2014.

Mit Bescheid vom 22.08.2014 lehnte der Beklagte die Übernahme der Miete für die alte Wohnung für den Monat Juli 2014 ab. Doppelmieten könnten nur in Ausnahmefällen übernommen werden, wenn die Aufwendungen unvermeidbar seien. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Die Klägerin zu 1) habe bereits am 24.09.2013 eine Zusicherung für die neue Wohnung erhalten. Sie sei zu Verhandlungen mit den jeweiligen Vermietern hinsichtlich der Vermeidung einer Doppelmiete verpflichtet gewesen. Des Weiteren sei nicht nachgewiesen worden, dass sie einen Nachmieter gesucht habe.

Mit Widerspruch vom 18.09.2014 machte die Kläger zu 1) geltend, es sei nicht möglich gewesen, den Mietvertrag zu einem früheren Zeitpunkt zu erhalten, und die Vermieterin sei auch nicht bereit gewesen, den Mietbeginn um einen Monat zu verschieben. Der Vermieter der alten Wohnung habe diese einem Interessenten aus der Warteliste vermieten wollen; einen Nachmieter habe die Klägerin deswegen nicht suchen können. Die Angaben wurden von der Mitarbeiterin der Diakonie, die entsprechende Nachfragen bei den Vermietern gehalten hatte, bestätigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2014, der sich allein an die Klägerin zu 1) richtete, wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Doppelmiete könne gemäß § 22 Abs. 6 SGB II nach vorheriger Zusicherung als Bedarf anerkannt werden. Voraussetzung sei aber, dass die doppelte Mietzahlung unvermeidbar sei und dass die Zusicherung vor Eingehen der vertraglichen Bindung erteilt worden sein. Die Zusicherung sei hier nicht vor Abschluss des Mietvertrages beantragt worden. Die Klägerin zu 1) habe den Mietvertrag ohne vorherige Rücksprache mit dem Beklagten bereits am 24.04.2014 unterschrieben, die Übernahme der Doppelmiete aber erst am 15.05.2015 beantragt. Der Beklagte sei so vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Dies laufe dem Sinn und Zweck einer vorherigen Zusicherung nach § 22 Abs. 6 SGB II zuwider. Die Zusicherung vom 24.09.2013 betreffe nicht die Übernahme der Doppelmiete. Damit sei lediglich zugesichert worden, dass angemessene Aufwendungen der neuen Wohnung im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II berücksichtigt würden.

Hiergegen richtet sich die am 15.12.2014 erhobene Klage. In der von ihr selbst verfassten Klageschrift war zunächst nur die Klägerin zu 1) aufgeführt. Am 07.12.2015 hat der bevollmächtigte und später im Wege der Prozesskostehilfe beigeordnete Rechtsanwalt der Kläger geltend gemacht, die Klage sei auch im Namen der Kinder erhoben worden. Die rechtsunkundige Klägerin zu 1) habe die Klage auch im Namen ihrer Kinder erheben wollen.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2014 zu verurteilen, ihnen einen Betrag in Höhe von 536,50 Euro zum Ausgleich der Doppelmiete für den Monat Juli 2014 zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Kosten einer Doppelmiete seien nicht unter § 22 Abs. 1 SGB II zu subsumieren, da diese lediglich die Kosten der tatsächlich bewohnten Wohnung darstellten. Der Bescheid vom 24.09.2013 stelle keine Zusicherung zur Übernahme von Doppelmieten dar.

Mit Urteil vom 24.10.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe zu Recht abgelehnt, den Klägern einen Betrag in Höhe von 536,50 Euro zum Ausgleich der doppelten Miete für den Monat Juli 2014 zu gewähren. Bei der Doppelmiete im Zusammenhang mit dem Wohnungswechsel handele es sich um Wohnungsbeschaffungskosten. Sie seien mit dem Finden einer Wohnung zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. mit dem Anmieten einer neuen Wohnung unmittelbar verbunden und fänden ihren Grund nicht primär in der Befriedigung des Grundbedürfnisses Wohnen. Die von den Klägern vertretene Gegenauffassung, dass es sich bei Doppelmietbelastungen anlässlich eines Wohnungswechsels um Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II handele, überzeuge nicht. Denn dies würde den auch für § 22 Abs. 1 SGB II geltenden Grundsatz unterlaufen, dass Kosten der Unterkunft und Heizung immer nur für eine konkret bewohnte Unterkunft übernommen werden könnten. Die Voraussetzungen der danach allein einschlägigen Anspruchsgrundlage § 22 Abs. 6 SGB II seien nicht erfüllt. Denn es fehle an der erforderlichen vorherigen Zusicherung des Beklagten zur Übernahme der geltend gemachten Kosten. Bei der Zusicherung handele es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne der §§ 31, 32 SGB X, der Anspruchsvoraussetzung sei. Das Erfordernis der Vorherigkeit bedeute, dass die Zusicherung vor Entstehen der gegen den Hilfebedürftigen gerichteten mietvertraglichen Ansprüche, d.h. vor Eingehen einer vertraglichen Bindung erteilt worden sein müsse. Eine vorherige Zusicherung des Beklagten in diesem Sinne liege nicht vor. Die Klägerin zu 1) habe den Mietvertrag über die neue Wohnung am 24.04.2014 unterschrieben, den Beklagten darüber und den daraus resultierenden Anfall der Doppelmiete aber erst am 15.05.2014 informiert. Entgegen der Auffassung der Kläger sei in dem Schreiben des Beklagten vom 24.09.2013, mit dem die Zustimmung zur Anmietung der neuen Wohnung erteilt worden sei, keine Zusicherung zur Übernahme einer doppelten Mietzahlung für den Monat Juli 2014 enthalten. Bei diesem Schreiben handele es sich seinem eindeutigen Wortlaut nach um eine Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für die neue Wohnung im Sinne von § 22 Abs. 4 SGB II sowie der Mietkaution. Zu einer Übernahme von eventuell anfallenden doppelten Mietbelastungen enthalte es keine Ausführungen und auch keine Regelungen. Derartiges sei von der Klägerin zu 1) zu diesem Zeitpunkt auch nicht beantragt worden, da ausweislich des Wohnungsangebots des Amtes für Soziales und Wohnen der Stadt C. vom 17.09.2013 der mögliche Termin einer Anmietung noch nicht absehbar gewesen sei. Aus dem Angebot ergebe sich entgegen den Ausführungen der Kläger eben nicht, dass die Wohnung zum 01.12.2013 zur Anmietung zur Verfügung gestanden habe. Mitgeteilt worden sei damit lediglich, dass die Wohnung ca., d.h. nur voraussichtlich zum 01.12.2013 frei werde. Tatsächlich habe die Wohnung dann ja auch erst einige Monate später angemietet und bezogen werden können.

Vom Erfordernis einer vorherigen Zusicherung könne in Ausnahmefällen dann abgewichen werden, wenn die fristgerecht mögliche Entscheidung vom Verwaltungsträger treuwidrig verzögert worden sei. In einem solchen Fall sei zu prüfen, ob die Zusicherung durch den Beklagten hätte erteilt werden müssen. Hier könne von einer zögerlichen Bearbeitung der Umzugswünsche der Kläger durch den Beklagten allerdings keine Rede sein. Bereits die Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für die neue Wohnung im Sinne von § 22 Abs. Abs. 4 SGB II sei von dem Beklagten am Tag nach der Antragstellung erteilt worden. Der Beklagte sei insofern ersichtlich zu einer schnellen Bearbeitung bereit gewesen und ihm sei zuzustimmen, dass die Klägerin zu 1) ihn durch den bereits am 24.04.2014 unterschriebenen Mietvertrag ohne Not vor vollendete Tatsachen bezüglich der daraus resultierenden zusätzlichen Mietzahlungsverpflichtung für den Monat Juli 2014 gestellt habe.

Eine Übernahme der Miete für die alte Wohnung für den Monat Juli 2014 durch den Beklagten komme letztlich auch nicht über den sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Betracht. Vorliegend fehle es bereits an der Verletzung einer Auskunfts- und Beratungspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin zu 1). Diese habe sich hinsichtlich einer Beratung über den Wohnungswechsel und die daraus resultierenden Ansprüche und Folgen nicht etwa an den Beklagten, sondern an die Diakonie gewandt. Anträge zum begehrten Wohnungswechsel seien von der Klägerin zu 1) nur schriftlich gestellt worden. Ein persönliches Beratungsgespräch mit dem Beklagten habe die Klägerin zu 1) gerade nicht gesucht und ein solches sei auch nicht erfolgt. Auch habe zur Überzeugung der Kammer für den Beklagten keine Verpflichtung zu einer sogenannten Spontanberatung in Bezug auf eventuell anfallende Doppelmieten bestanden. Denn entgegen der Auffassung der Kläger habe sich zum Zeitpunkt der Vorlage des Mietangebots vom 17.09.2013 der Anfall einer doppelten Mietbelastung nicht aufdrängen müssen, was gegebenenfalls zu einer spontanen Aufklärungspflicht des Beklagten geführt haben könnte. Aus dem Mietangebot sei eben nicht ersichtlich gewesen, wann die Wohnung tatsächlich zur Anmietung zur Verfügung stehen würde. Das Angebot habe nur einen als unverbindlich dargestellten Termin, zu dem die Wohnung frei werden sollte, enthalten.

Gegen das am 22.11.2016 zugestellte Urteil haben die Kläger am 22.12.2016 Berufung eingelegt. Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Kosten sei auch dann, wenn der Hilfebedürftige die Übernahme der Kosten für mehrere Wohnungen beantrage, die er möglicherweise in unterschiedlichem Umfang bewohne, (jeweils) § 22 Abs. 1 SGB II. Denn auch die nicht oder weniger genutzte Wohnung sei systematisch bei § 22 Abs. 1 SGB II einzuordnen. Gleiches gelte für den Fall der Doppelmiete. Den gerichtlichen Entscheidungen, die im Fall notwendiger "Überschneidungskosten" ausnahmsweise die Übernahme der Kosten zweier Wohnungen in Betracht zögen, sei kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass in diesen Fällen Anspruchsgrundlage nicht weiterhin § 22 Abs. 1 SGB II sei. Im Gegenteil spreche gerade der Gedanke, dass es sich dann um einen "Ausnahmefall" handele, dafür, dass diese Gerichte die Kosten nach dieser Bestimmung beurteilten. Die Umetikettierung der Miete für die bislang bewohnte Wohnung in Wohnungsbeschaffungskosten sei fernliegend. Der bloße Fortbestand ohnehin bestehender Belastungen (KdU) könne nicht als Wohnbeschaffungskosten eingeordnet werden, genau so wenig wie bei einer Neuanschaffung eines Kraftfahrzeugs die mit dem weiteren Besitz des bisherigen Wagens verbundenen Kosten (Steuer/ Versicherung) als Anschaffungskosten zu bewerten.

Selbst wenn aber § 22 Abs. 6 SGB II als Anspruchsgrundlage herangezogen würde, sei zu berücksichtigen, dass bei sachgerechter Auslegung der Antrag der Klägerin zu 1) vom 23.09.2013 auch auf die Übernahme der Doppelmiete gerichtet gewesen sei. Denn eine 3-monatige Kündigungsfrist sei allgemein üblich. Der in Aussicht genommeine Mietbeginn habe innerhalb der Kündigungsfrist gelegen. Soweit das Sozialgericht die Auffassung vertrete, der Beklagte habe zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht sicher gewusst, ob eine Doppelmiete überhaupt anfalle, sei zum einen darauf hinzuweisen, dass jedes in der Zukunft liegende Ereignis - und nur solche werden bei vorheriger Antragstellung erfasst - diese Unwägbarkeit in sich berge und einer - insoweit immer nur durch den tatsächlichen Anfall der Kosten bedingten - Zusicherung trotzdem zugänglich sei. Zum anderen sei der Beklagte ausweislich seines Schreibens vom 14.11.2013 gerade davon ausgegangen, dass das Mietverhältnis zum 01.12.2013 zumindest zustande kommen könnte, so dass er offensichtlich auch annehmen konnte bzw. musste, dass sich die Problematik der Doppelmiete stellen werde.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.10.2016 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides 22.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2014 zu verurteilen, den Klägern einen Betrag i.H.v. 536,50 EUR zum Ausgleich der Doppelmiete für den Monat Juli 2014 zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 22.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Die Kläger haben einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Doppelmiete im Monat Juli 2014 in Höhe von 536,50 EUR durch den Beklagten.

Angefochtenen ist der Bescheid vom 22.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2014, mit dem der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Doppelmiete für den Monat Juli 2014 iHv. 536,50 EUR abgelehnt hatte. Der Bescheid ist adressiert allein an die antragstellende Klägerin. Angesichts des Umstandes, dass die Klägerin die Übernahme der gesamten Doppelmiete beantragt hatte, die als Teil der Kosten der Unterkunft von jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft geltend zu machen wäre und der Beklagte diesen erhobenen Anspruch ebenso vollständig abgelehnt hat, kann der Bescheid von der Klägerin nur so verstanden werden, dass ihr gegenüber der Anspruch auch mit Wirkung für und gegen ihre Kinder als die von ihr vertretenen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abgelehnt wird (§ 38 Abs. 1 SGB II).

Das Sozialgericht hat zu Recht nicht nur die Klägerin zu 1), sondern auch deren (minderjährige) Kinder als Kläger angesehen und diese in das Rubrum aufgenommen. Zwar ist in der Klageschrift nicht ausgeführt, dass die - allein sorgeberechtigte - Klägerin zu 1) das Rechtsmittel auch im Namen der Kläger zu 2) und 3) einlegen wollte, zumal der von ihr wie bisher als Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft gestellte Antrag auch nur durch einen an sie adressierten Bescheid (s.o.) abgelehnt worden war. Die Auslegung des Klageantrags nach Maßgabe des so genannten Meistbegünstigungsprinzips führt jedoch dazu, auch die Kinder von Anfang an als Kläger zu behandeln. Nach diesem Prinzip (siehe dazu etwa BSG Urteil vom 04.02.1999 - B 7 AL 120/97 R - juris RdNr 13; BSG Urteil vom 10.03.1994 - 7 RAr 38/93 - juris RdNr 15; BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - juris RdNr 11, jeweils mit weiteren Nachweisen) ist der Antrag unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen (§ 123 SGG), dass das Begehren des Klägers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG Urteil vom 27.09.2011 - B 4 AS 160/10 R - juris RdNr 14). Wie bereits im Verwaltungsverfahren ist das aus dem Vorbringen der Klägerin zu 1) stets erkennbare Begehren auf die Übernahme der gesamten Doppelmiete gerichtet. Bei den Ansprüchen auf Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um Individualansprüche, bei denen Anspruchsinhaber jeweils die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind. Das Ziel ist vollständig nur zu erreichen, wenn die Klägerin zu 1) nicht allein die Übernahme des auf sie entfallenden Anteils weiter verfolgt, sondern auch die Ansprüche ihrer (minderjährigen) Kinder als die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zur gerichtlichen Überprüfung stellt. Dem Vorbringen der Klägerin zu 1) lässt sich weder ausdrücklich noch konkludent entnehmen, dass eine Erklärung im Namen der Kläger zu 2) und 3) nicht gewollt war. Zur Abgabe prozessrechtlicher Erklärungen für ihre Kinder war die allein sorgeberechtigte Klägerin zu 1) als gesetzliche Vertreterin gem. § 1629 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigt (vgl. LSG NRW Beschluss vom 20.05.2014 - L 2 AS 2105/13 B - juris RdNr 18 f).

Die Klägerin zu 1) erfüllte - dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig - die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S 1 SGB II. Die Klägerin zu 1) hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7 a SGB II noch nicht erreicht (Nr. 1), war erwerbsfähig (Nr. 2), hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundessrepublik Deutschland (Nr. 4) und war unstreitig auch hilfebedürftig. Ein Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 S 2 SGB II lag nicht vor. Die Kläger zu 2) und 3) erfüllten die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II.

Die Kläger haben als grundsätzlich Leistungsberechtigte einen Anspruch gegen den Beklagten auch auf Zahlung weiterer 536,50 EUR als Bedarf für die im Juli 2014 zu zahlenden Miete für die "alte" Wohnung in der L.-Straße 00 in C.

Der Anspruch der Kläger beurteilt sich entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts nicht nach § 22 Abs. 6 SGB II, sondern nach § 22 Abs. 1 SGB II. Denn die Kosten für zwei Wohnungen ("Doppelmiete") sind keine Wohnbeschaffungskosten im Sinne von § 22 Abs. 6 SGB II (aA die wohl hM, vgl. LSG NRW Beschluss vom 21.01.2015 - L 19 AS 2274/14 B; LSG Nds-Brem Urteil vom 31.03.2014 - L 11 AS 1445/10; Berlit in LPK-SGB II 6. Aufl. § 22 Rdnr 226 mwN; Luik in Eicher/Luik 4. Aufl. § 22 Rdnr 223 mwN), sondern vielmehr den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzurechnen und fallen deshalb in den Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 SGB II (so auch LSG Bln-Bbg Urteil vom 31.01.2013 - L 34 AS 90/11; in diese Richtung weisend wohl BSG Urteil vom 23.05.2012 - L 14 AS 133/11 R - juris Rdnr 20, BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 49/07 R - juris Rdnr 13, BSG Urteil vom 18.02.2010 - B 4 AS 28/09 R - juris Rdnr 15).

Auch wenn die "Doppelmiete" im Zusammenhang mit einem Wohnungswechsel anfällt, qualifiziert dieser Anknüpfungspunkt allein sie nicht als Wohnbeschaffungskosten. Denn nach dem Wortsinn gehören zu den Wohnungsbeschaffungskosten (nur) die Aufwendungen, die der Wohnungsbeschaffung, also dem Finden und Anmieten einer Wohnung als Ziel ("beschaffen") dienen, bei weiter Auslegung (s. Luik aaO) mit dem Finden und Anmieten der Wohnung verbunden sind. Ob Umzugskosten und Mietkaution, die ohne Weiteres dem Finden und Anmieten einer Wohnung dienen, angesichts des Umstandes, dass sie in § 22 Abs. 6 SGB II gesondert erwähnt werden, gesetzestechnisch aus den Wohnbeschaffungskosten herausgenommen sind, kann offen bleiben. Jedenfalls handelt es sich bei Doppelmieten, die vom Leistungsberechtigten deshalb geschuldet werden, weil die Mietverhältnisse nicht nahtlos aneinander anschließen, nicht um Kosten, die mit dem Finden oder Anmieten der (neuen) Wohnung verbunden sind. Diese Aufwendungen für zwei Wohnungen sind vielmehr Folge zweier nebeneinander bestehender Mietverhältnisse. Würden die Mietverhältnisse nahtlos aneinander anschließen, wären die Aufwendungen für die alte Wohnung ebenso offensichtlich den KdU zuzurechnen wie die für die neue Wohnung. Der Umstand, dass das Mietverhältnis für die alte Wohnung "zu lange" fortgeführt oder das Mietverhältnis für die neue Wohnung "zu früh" begründet wird, ist nicht geeignet, die rechtliche Einordnung zu ändern. Denn es lässt sich nicht nachvollziehbar begründen, warum bei einer kurzfristigen Überschneidung die bisherigen KdU (alte Wohnung) und nicht die künftigen KdU (neue Wohnung) den Wohnbeschaffungskosten zugeordnet werden sollten. Ob dies mit Blick auf das Grundbedürfnis Wohnen dann anders zu beurteilen ist, wenn eine der Wohnungen tatsächlich nicht genutzt wird, kann hier offen bleiben. Denn hier sind die Kläger im Laufe des Monats Juli umgezogen und haben beide Wohnungen in dem einen Monat der Überschneidung genutzt.

Wird die Doppelmiete grundsätzlich von § 22 Abs. 1 SGB II erfasst, werden diese Kosten in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Ob sich angesichts der Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II die Prüfung der Angemessenheit auf die Kosten der "alten" Wohnung fokussiert (so anscheinend LSG Bln-Bbg Urteil vom 31.01.2013 - L 34 AS 90/11), oder ob wohl eher die Gesamtkosten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles in den Blick zu nehmen sind, kann deshalb offen bleiben, weil hier jedenfalls eine sachlich gerechtfertigte Doppelnutzung vorlag.

Der Umzug in die neue Wohnung war, davon geht auch der Senat aus, aus gesundheitlichen Gründen erforderlich. Dass irgendein unsachgerechtes Verhalten insbesondere der Klägerin zu 1) die Überschneidungskosten verursacht hat, ist nicht ersichtlich.

Wird schon jeder umsichtig und planvoll Handelnde seine alte Wohnung nicht vor Abschluss eines neuen Mietvertrages aufgeben, gilt dies erst recht für eine alleinerziehende Mutter mit zwei minderjährigen Kindern. Sie trifft nachvollziehbar auf ungleich schwierigere Bedingungen auf dem Mietmarkt, wenn sie im unteren Preissegment eine Wohnung zu angemessenen Kosten sucht. Gerade dieser Personenkreis kann entgegen der vom Beklagten anscheinend vertretenen Auffassung nicht darauf verwiesen werden, den Mietvertrag über die bisherige Wohnung schon zu kündigen, bevor ein Mietvertrag über eine neue Wohnung abgeschlossen ist. Der Senat hält es schon im Ausgangspunkt für die Klägerin zu 1) für kaum leistbar, einen Umzug mit Auszugs- und Einzugsrenovierung zu bewerkstelligen, ohne dass nicht eine geringe Überschneidungszeit anfällt. Oftmals ergeben sich Möglichkeiten, die neue Wohnung bereits vor dem eigentlichen Mietbeginn (teilweise) nutzen zu können. Ohne praktisches Entgegenkommen ist bei nahtlosem Anschluss der Mietverhältnisse ein Umzug mit Einzugs-/Auszugsrenovierung in einer "logischen" Sekunde ohne Zwischenlösung aber nicht möglich. Unter Berücksichtigung des Wohnungsmarktes im Allgemeinen gelingt es nur sehr schwer, eine neue Wohnung bereits so frühzeitig anzumieten, dass trotz erst danach erfolgender Kündigung des alten Mietverhältnisses keine Doppelmieten anfallen. Dies gilt verstärkt für Leistungsberechtigte nach dem SGB II, denen nur ein Teil des Wohnungsmarktes offen steht. Zudem hält es der Senat nicht für zumutbar, einer Familie in dieser besonderen Situation zuzumuten, ihr bestehendes Mietverhältnis in der bloßen Erwartung zu kündigen, dass innerhalb der dreimonatigen Kündigungsfrist angemessener Wohnraum gefunden werden wird.

Hier kommt hinzu, dass die Kläger zum Einen sich durch die Klägerin zu 1) und unterstützt durch die Diakonie um eine Verringerung der Wohnkosten bemüht haben. Allerdings war der bisherige Vermieter nicht bereit, einen Nachmieter zu akzeptieren, da er unter Interessenten bereits eine Auswahl getroffen hatte. Zum Anderen bestand der neue Vermieter auf einem Mietbeginn noch in der laufenden Kündigungsfrist. Vor diesem Hintergrund haben die Kläger die bisherige Wohnung noch bis zum 18.07.2014 genutzt und sind erst am 19.07.2014 in die neue Wohnung gezogen. Die Auszugsrenovierung der alten Wohnung erfolgte am 31.07.2014, so dass eine frühere Übergabe an den Vermieter ohne nebeneinander bestehende Mietverhältnisse schon aus diesem Grund nicht möglich war.

Angesichts des Umstandes, dass der Umzug erforderlich war, die Aufwendungen für jede der beiden Wohnungen, die zudem auch beide im Juli genutzt wurden, angemessen waren, und es nicht zumutbar war, die sich überschneidenden Mietverhältnisse zu vermeiden, waren die Kosten im Juli 2014 nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 S 1 SGB II angemessen und zu übernehmen.

Die Kostenentscheidung folgt § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache mit Blick auf die rechtliche Einordnung von Doppelmieten grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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