L 21 AS 1116/18 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 3083/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 AS 1116/18 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.04.2018 geändert. Den Klägern wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Köln ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C aus L bewilligt. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Nach § 73 a SGG in Verbindung mit §§ 114, 115 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die hier streitige Versagung findet ihre Rechtsgrundlage in § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Danach kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind, und derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird. Die Leistungsentziehung hindert nicht das Entstehen eines Leistungsanspruchs oder das Bestehen des subjektiven Leistungsrechts, vielmehr gehen die Leistungsansprüche vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entziehungsentscheidung, d.h. zukunftsgerichtet für die Dauer der Entziehungsentscheidung unter.

Das Sozialgericht geht mit der Annahme fehl, dass es für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Entziehungsbescheids auf den Zeitpunkt des Erlasses desselben (hier: 02.07.2017) ankommt. Vielmehr wird die Entziehungsentscheidung mit der Nachholung der Mitwirkungshandlung rechtswidrig, was jedoch nicht unmittelbar zum Wiederaufleben der Leistungsansprüche, sondern lediglich zu einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der entzogenen Sozialleistungen führt (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 66 SGB I, Rn. 65). Mit der nachgeholten Mitwirkungshandlung müsste der (sodann rechtswidrige) Entziehungsbescheid von der Behörde - oder ggf. durch das Gericht - nachträglich aufgehoben werden.

Darüber hinaus dürfte § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I von vornherein nicht zu einer Entziehungs- oder Versagungsentscheidung gegenüber Personen ermächtigen, die selbst keine Mitwirkungspflicht verletzt haben, sondern mit einer anderen Person, die eine eigene Mitwirkungspflicht verletzt hat, in einer Bedarfsgemeinschaft i.S. des § 7 Abs. 3 SGB II leben oder deren Anspruch auf Sozialleistungen in sonstiger Weise von Umständen abhängig ist, die in der Person des zur Mitwirkung Verpflichteten begründet liegen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht vom 21.06.2016 - L 6 AS 121/13 -, Rn. 41, juris; SG Potsdam vom 09.04.2014 - S 40 AS 1288/11 - juris). Denn für eine solche Zurechnung dürfte es an der dafür erforderlichen normativen Grundlage fehlen (Zieglmeier, NZS 2012, 135, 137 m. w. N.; zu Sanktionen BSG vom 02.12.2014 - B 14 AS 50/13 R, juris).

Unabhängig davon war der Entziehungsbescheid zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über das Prozesskostenhilfegesuch zumindest in Bezug auf die am Verfahren beteiligten Kläger - teilweise - rechtswidrig geworden, weil davon auszugehen ist, dass die Klägerin zu 1) ihrer Mitwirkungspflicht vollumfänglich nachgekommen ist. Dem am 00.00.2002 geborenen Kläger zu 2) sowie dem am 00.00.2015 geborenen Kläger zu 3) wurden in den dem Entziehungsbescheid vorangegangenen Aufforderungen zur Mitwirkung vom 10.5.2017 (Bl. 182 d. VA) und 23.5.2017 (Bl. 187 d. VA) keine eigenen Mitwirkungsobliegenheit auferlegt. Die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Lebensgefährte und der 22-jährige Sohn der Klägerin zu 1) können für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe im hiesigen Verfahren keine Bedeutung erlangen, weil diese nicht am Rechtsstreit beteiligt sind.

Von der Klägerin zu 1) wurde mit der Aufforderung zur Mitwirkung vom 10.5.2017, welche inhaltsgleich am 23.5.2017 gegenüber der Klägerin zu 1) nochmals wiederholt wurde, lediglich

- die Vorlage der Kontoauszüge für den Zeitraum ab Januar 2017
- sowie Nachweise über den Zufluss des Gehalts (Kontoauszug oder Barquittung) seit November 2016 und eine Auflistung, an welchen Tagen gearbeitet wurde, und
- Angaben zur geltend gemachten Erstausstattung

verlangt.

Mit Schreiben vom 28.05.2017 erfolgte die - seitens des Beklagten nicht näher konkretisierte - Stellungnahme zur begehrten Erstausstattung (Bl. 198 d. VA). Darüber hinaus führte der Beklagte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 2 AS 3282/ 17 ER) mit Schriftsatz vom 21.8.2017 aus, dass die Klägerin am 8.6.2017 die Quittungen über ihren Verdienst für Februar bis April 2017 vorgelegt hat. Zudem hat die Klägerin zu 1) auch ein Schreiben des Arbeitgebers über eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkung zum 11.5.2017 vorgelegt (Bl. 25 d. GA zum ER-Verfahren). Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 12.6.2017 wurden sodann auch die Kontoauszüge für den Zeitraum vom 23.12.2016 bis zum 1.6.2017 eingereicht (Bl. 213 ff. d. VA).

Somit fehlten zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags lediglich noch die Verdienstbescheinigungen für den Zeitraum November 2016 bis Januar 2017 sowie die Einzelaufstellung der Arbeitstage. Diesbezüglich ist jedoch davon auszugehen, dass - zumindest zu diesem Zeitpunkt - der Beklagte sich durch einen geringeren Aufwand als die Klägerin zu 1) die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann / konnte, so dass eine insoweit fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhaltes nicht erheblich erschwert wurde, wie § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I dies voraussetzt. So findet sich in den Akten vorliegend ein Gesprächsvermerk über eine persönliche Vorsprache der Klägerin zu 1) (Bl. 192 d. VA). Dort erfolgten weitere Angaben zum Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber Herrn Schiller. Allerdings verzichtete der Beklagte auf eine eigene Vernehmung des Arbeitgebers, obwohl dieser die Klägerin zu 1) ausweislich des Gesprächsvermerks persönlich zum Gesprächstermin begleitet hat. Bei der persönlichen Vernehmung des Arbeitsgebers durch den Leistungssachbearbeiter des Beklagten hätte es sich allerdings um eine Maßnahme mit einem geringeren Aufwand zur Ermittlung von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt gehandelt, als von der Klägerin zu 1) Quittungen und Aufstellungen für einen vergangenen Zeitraum zu fordern, die der Klägerin zu 1) unter Umständen nicht einmal (mehr) vorlagen. Dies insbesondere unter Beachtung der Tatsache, dass es dem Beklagten ausweislich des Vermerks um den Ausschluss eines Scheinarbeitsverhältnisses ging. Daneben bestand für den Beklagten die Möglichkeit, eine Arbeitgeberauskunft (§ 57 ASGB II) einzuholen.

2. Ausgehend von dem eingereichten Antragsvordruck sind die Kläger aufgrund der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aktuell nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Diese verfügen lediglich über Einkommen aus Kindergeld i.H.v. 389,00 EUR sowie über kein nennenswertes Vermögen.

3. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist erforderlich (§ 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO) und die Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig. Es wird auf die Ausführungen zu Ziffer 1. verwiesen.

4. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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