S 32 AS 1415/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 32 AS 1415/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 862/17 NSB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Hin- und Rückfahrkosten von D. nach Moskau in Höhe von 238,47 Euro für die Zeit vom 5. April 2016 bis 8. April 2016.

Die Klägerin steht bei dem Beklagten in Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Am 18. April 2016 beantragte die Klägerin die Erstattung der Fahrkosten in Höhe von insgesamt 238,47 Euro. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. April 2016 ab.

Den hiergegen am 17. Mai 2016 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2016 als unbegründet zurück. Die Übernahme von Fahrkosten für Urlaubs- bzw. Familienheimfahrten zu privaten Zwecken sei nach Auffassung des Beklagten weder geregelt noch vorgesehen. Diese Kosten seien insbesondere nicht im Rahmen einer Eingliederung in Arbeit oder anlässlich einer Arbeitsaufnahme entstanden. Weiterhin seien keine Kosten gegenständlich, die laufend, regelmäßig und wiederkehrend seien. Auch nach § 24 SGB II würde kein Leistungsanspruch bestehen. Die darlehensweise Leistungsgewährung laufe ins Leere, da die Klägerin die Fahrtkosten bereits gezahlt habe. Für die Berücksichtigung der Fahrkosten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung fehle es bereits an einem Einkommen, von dem die Kosten absetzungsfähig seien.

Die Klägerin hat am 26. Juli 2016 Klage bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben und ausgeführt, dass sie um Fahrkostenerstattung für den "Urlaub" in der Russischen Föderation vom 5. April bis 8. April 2016 bitte. Die Kostenerstattung sei über § 21 Abs. 1 und nach § 21 Abs. 6 SGB II vorzunehmen. Sie lebe getrennt von ihrer Familie, so dass die Übernahme der Fahrkosten notwendig sei. Die Heimfahrt sei "wegen eines Falls in ihrer Familie in der Russischen Föderation notwendig". Seit November 2010 sei sie von der Familie, die noch in der Russischen Föderation lebe, getrennt. In der öffentlichen Sitzung führte die Klägerin aus, dass sie einmal im Jahr wegen "ihrer Wohnung, den Steuern und wegen ihrer Kleidung" nach Russland fahre und damit sie ihre Familie treffen könne.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 19. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die 238,47 Euro für die Fahrkosten von D. nach Moskau und zurück zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass die pauschalierten Regelbedarfe neben den laufenden Bedarfen auch die in unregelmäßigen bzw. in großen Abständen anfallenden Bedarfe umfassen würden. Nach Auffassung des Beklagten können die Leistungsberechtigten frei über den Einsatz der für den Regelbedarf gedachten Leistungen entscheiden. Soweit sich die Klägerin für einen Urlaub in Russland entscheide, habe sie diese Kosten aus ihrem Regelsatz zu begleichen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

1.

Die Klägerin wendet sich mit der zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid vom 19. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016, § 54 Abs. 1, Abs. 4 in Verbindung mit § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Mit der Leistungsklage begehrt die Klägerin die Erstattung der Fahrkosten von 238,47 Euro. Die Klage wurde auch form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 ff. SGG).

2.

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 19. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten,

§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten für die Hin- und Rückfahrt von D. nach Moskau.

a)

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Leistungsberechtigt sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 20. Dezember 2011) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011), wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte erfüllt die Klägerin diese Voraussetzungen im streitgegenständlichen Leistungszeitraum.

Der maßgebliche Bedarf ist anhand der gesetzlich vorgesehenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 20 ff. SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011) zu bestimmen. Die Leistungen umfassen die Regelleistung (§ 20 SGB II), die Mehrbedarfe (§ 21 SGB II) und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). Die Regelleistung für alleinstehende oder alleinerziehende Personen beträgt im streitgegenständlichen Zeitraum 404,00 Euro monatlich. Die Höhe der anzusetzenden Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich aus den Bestimmungen des § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 SGB II (in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011) in Verbindung mit den Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen. Auf Basis der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09) erfolgte die Ermittlung und Festlegung der geltenden Regelbedarfe für das SGB II und SGB XII (maßgebliche gesetzliche Grundlage: § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII)). Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Der Gesetzgeber hat hiermit grundlegende Bedarfsgegenstände formuliert, die ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Durch die Wortwahl "insbesondere" bringt der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck, dass die Aufzählung dieser typischen Bedarfe nicht abschließend ist und auch andere Bedarfslagen, wie etwa Kosten für Gesundheit und Verkehr, vom Regelbedarf umfasst sind (vgl. Saitzek in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 20 Rn. 41). Es gilt die Regel, dass von den Regelbedarfen nach § 20 SGB II alle Bedarfslagen umfasst sind, die nicht im Rahmen der gesetzlichen Regelungen anderweitig geregelt worden sind. Anderweitige Regelungen sind Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II, Bedarfe nach § 24 Abs. 3 SGB II, die Mehrbedarfe gemäß § 21 SGB II, Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 sowie die Beiträge zur gesetzlichen und privaten Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. Saitzek in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 20 Rn. 41). Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt (§ 20 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten jedoch eigenverantwortlich. Dabei haben die Leistungsberechtigten das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen (§ 20 Abs. 1 Satz 4 SGB II). Da der Regelbedarf neben dem laufenden Bedarf alle einmaligen Bedarfe mit Ausnahme der in § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II aufgezählten Sonderbedarfe umfasst, sind die Leistungsberechtigten gehalten, einen Teil der bezogenen Grundsicherungsleistungen, die sog. Ansparleistungen zurück zu legen. Mithilfe des angesparten Geldes können sie die in unregelmäßigen oder in größeren Abständen anfallenden Bedarfe decken, etwa wenn ein defektes Haushaltsgerät ersetzt oder ein anderes langlebiges Gebrauchsgut angeschafft wird (vgl. Hannes in: Gagel, 66. Ergänzungslieferung 2017, § 20 Rn. 105).

Zu den von dem Regelbedarf umfassten Bedürfnissen zählen auch die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens, die dem Bedürfnis einer freien, selbstbestimmten und -gestalteten Lebensführung gelten (vgl. Hannes in: Gagel, SGB II, 66. Ergänzungslieferung 2017, § 20 Rn. 23). Hierzu gehören im vertretbaren Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Diese frei bestimmbaren Bedarfe stehen unter dem Vorbehalt des zur Sicherung des Existenzminimums Notwendigen (vgl. Saitzek in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 20 Rn. 51). Ein menschenwürdiges Existenzminimum ist dann gewahrt, wenn die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen besteht und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sichergestellt wird, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, Rn. 135 - zitiert nach juris). Eine Hin- und Rückfahrt von D. nach Moskau, mit dem Ziel, die in der Russischen Föderation verbliebenen Familienmitglieder zu besuchen und in der in Moskau befindlichen Wohnung der Klägerin nach dem Rechten zu schauen, kann dabei nach Auffassung der Kammer nicht als notwendig zur Sicherung des Existenzminimums angesehen werden, so dass diese Kosten nicht als vom Regelbedarf umfasst anzusehen sind. Es sind insbesondere keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin, ohne diese Fahrten nach Moskau, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen nicht pflegen kann.

b)

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II. Gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Es handelt sich hierbei um eine Härtefallregelung, die einer besondere Bedarfslage gerecht werden (vgl. Düring in: Gagel, SGB II, 51. Ergänzungslieferung 2013, § 21 Rn. 42 f.) und das menschenwürdigen Existenzminimums gewährleisten soll (vgl. S. Knieckrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 21 Rn. 10). Die Hin- und Rückfahrt von D. nach Moskau sieht die Kammer, wie vorstehend geschildert (Punkt I. 2. a)), nicht als notwendig zur Sicherung des Existenzminimums an, so dass sie auch nicht über § 21 Abs. 6 SGB II zu gewähren sind.

c)

Die Hin- und Rückfahrkosten sind auch nicht über § 24 Abs. 1 SGB II zu erstatten. Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit gemäß § 24 Abs. 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen. Es läuft bereits die in § 24 Abs. 1 SGB II geregelte darlehensweise Leistungsgewährung ins Leere, da die Klägerin die Fahrkosten bereits gezahlt hat und nunmehr Kostenerstattung beantragt.

d)

Die Fahrkosten sind auch nicht über § 16 SGB II und § 11b SGB II erstattungsfähig. Diese Kosten sind weder im Rahmen der Eingliederung in Arbeit (§ 16 SGB II) angefallen, noch im Rahmen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entstanden (§ 11b SGB II).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.

III.

Die Berufung ist nicht statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Zulassungsgründe für eine Berufung im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.
Rechtskraft
Aus
Saved