S 32 AS 1937/17

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 32 AS 1937/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L AS 863/17 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Fahrkosten für die Hin- und Rückfahrt von D. nach Moskau im Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. April 2015.

Die Klägerin steht bei dem Beklagten in Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Am 23. April 2015 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Erstattung der Kosten für die Hin- und Rückfahrt von D. nach Moskau. Die Klägerin führte aus, dass sie "wegen der Extradition des Bürger-Passes nach Moskau fahren müsse". Mit Bescheid vom 5. Mai 2015 lehnte der Beklagte die Erstattung der Fahrkosten ab.

Die Klägerin hat am 2. Juni 2015 Klage bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben und ausgeführt, dass sie um Erstattung der Kosten in Höhe von 372,40 Euro bitte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2015 hat der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt, dass die Klage auch als Widerspruch gewertet worden sei. Die Klägerin habe jedoch keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten. Die Übernahme von Fahrkosten für Familienheimfahrten zu privaten Zwecken oder auch für die Beantragung eines Passes im Heimatland sei weder gesetzlich geregelt noch vorgesehen. Insbesondere seien die Kosten nicht im Rahmen einer Eingliederung in Arbeit oder anlässlich einer Arbeitsaufnahme entstanden (§§ 16 ff. SGB II). Es würde sich nach Auffassung des Beklagten auch nicht um laufende, regelmäßig wiederkehrende Kosten handeln (§ 21 SGB II). Auch nach § 24 SGB II bestehe kein Leistungsanspruch. Dabei könne dahinstehen, ob diese Kosten bereits vom Regelbedarf umfasst seien. Jedenfalls könne die Klägerin hieraus lediglich ein Darlehen erlangen und eben keinen Zuschuss. Da sie die Kosten bereits gezahlt habe, würde nach Auffassung des Beklagten selbst ein Darlehen an der Notwendigkeit scheitern. Die Kosten seien auch nicht im Rahmen der doppelten Haushaltsführung absetzbar, da es bereits an dem dafür erforderlichen Erwerbseinkommen fehle.

Mit Schriftsatz vom 11. November 2015 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie "Beschwerde" gegen den Widerspruchsbescheid erhebe. Die "Heimfahrt sei wegen des Bürgerausweises ein Bedarf, da wegen des Pass-Regimes der Russischen Föderation eine Notwendigkeit bestehe". Die Klägerin trägt weiter vor, dass sie mit 45 Jahren ihren Pass in der Russischen Föderation umzutauschen habe. Sie habe deswegen Urlaub bei dem Beklagten beantragt und diesen auch genehmigt bekommen. Der Beklagte habe daher auch die Kosten für die Reise zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 5. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die Fahrkosten in Höhe von 372,40 Euro für die Fahrt von D. nach Moskau und zurück vom 1. April bis 16. April 2015 zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

1.

Die Klägerin begehrte mit der eingangs erhobenen Klage (S 32 AS 1199/15) die Erstattung der Fahrkosten von 372,40 Euro, die der Beklagte mit Bescheid vom 5. Mai 2015 abgelehnt hat. Der Beklagte hat die am 2. Juni 2015 erhobene Klage zulässigerweise als Widerspruch gemäß § 83 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewertet (vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 84 Rn. 2). Nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2015 im laufenden Klageverfahren hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie auch weiterhin die Erstattung der Fahrkosten begehrt. Die (statistisch neu erfasste) Klage (S 32 AS 1937/17) richtet sich nunmehr auf Aufhebung des Bescheides vom 5. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2015 und auf Erstattung der Fahrkosten von 372,40 Euro (kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 4 in Verbindung mit § 56 SGG).

2.

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 5. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom

12. Oktober 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten,

§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten für die Hin- und Rückfahrt von D. nach Moskau im Zeitraum vom 1. April bis 16. April 2015.

a)

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Leistungsberechtigt sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 20. Dezember 2011) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011), wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte erfüllt die Klägerin diese Voraussetzungen im streitgegenständlichen Leistungszeitraum.

Der maßgebliche Bedarf ist anhand der gesetzlich vorgesehenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 20 ff. SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011) zu bestimmen. Die Leistungen umfassen die Regelleistung (§ 20 SGB II), die Mehrbedarfe (§ 21 SGB II) und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). Die Regelleistung für alleinstehende oder alleinerziehende Personen beträgt im streitgegenständlichen Zeitraum 399,00 Euro monatlich. Die Höhe der anzusetzenden Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich aus den Bestimmungen des § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 SGB II (in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011) in Verbindung mit den Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen. Auf Basis der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09) erfolgte die Ermittlung und Festlegung der geltenden Regelbedarfe für das SGB II und SGB XII (maßgebliche gesetzliche Grundlage: § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII)). Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Der Gesetzgeber hat hiermit grundlegende Bedarfsgegenstände formuliert, die ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Durch die Wortwahl "insbesondere" bringt der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck, dass die Aufzählung dieser typischen Bedarfe nicht abschließend ist und auch andere Bedarfslagen, wie etwa Kosten für Gesundheit und Verkehr, vom Regelbedarf umfasst sind (vgl. Saitzek in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 20 Rn. 41). Der Bedarf für Fahrkosten zur Beantragung eines Passes des jeweiligen Heimatstaates ist jedoch nicht als ein vom Regelbedarf umfasster Bedarf anzusehen, da eine solche Terminswahrnehmung nicht als Grundbedürfnis anzusehen ist, welches zum soziokulturellen Existenzminimum gehört.

b)

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II. Gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Es handelt sich hierbei um eine Härtefallregelung, die einer besondere Bedarfslage gerecht werden (vgl. Düring in: Gagel, SGB II, 51. Ergänzungslieferung 2013, § 21 Rn. 42 f.) und das menschenwürdigen Existenzminimums gewährleisten soll (vgl. S. Knieckrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 21 Rn. 10). Der Absatz 6 wurde mit dem Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 27. Mai 2010 (BGBl. 2010, Teil I, S. 671 f.) in den § 21 SGB II eingefügt. Die Gesetzesänderung ist zum 3. Juni 2010 in Kraft getreten. Ein solcher besonderer Bedarf ist stets anzunehmen, wenn ein Bedarf entweder nicht von der Regelleistung abgedeckt wird oder er zwar seiner Art nach berücksichtigt wird, in Sondersituationen aber ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf auftritt (vgl. Düring in: Gagel, SGB II, 51. Ergänzungslieferung 2013, § 21 Rn. 43). Die Kammer sieht die Fahrkosten in Höhe von 372,40 Euro schon nicht als besonderen unabweisbaren Bedarf an. Die Kammer schließt insbesondere aus der Länge des Aufenthalts in Moskau, dass sich die Klägerin nicht nur wegen der Beantragung dieses Passes in Moskau aufgehalten hat. Die Klägerin war über einen Zeitraum von knapp zwei Wochen in Moskau. Darüber hinaus ordnet die Kammer diesen Bedarf der Klägerin nicht als besonderen Bedarf ein, der über die Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II zu finanzieren wäre. In der Russischen Föderation gibt es zwei verschiedene Pässe, den Pass für russische Staatsbürger (sog. interner Pass) und den Pass für russische Staatsbürger, die außerhalb der Russischen Föderation die Identität zu bezeugen haben (sog. internationaler Pass). Nach den eigenen Ausführungen der Klägerin benötigt sie den internationalen Pass, um in die Russische Föderation reisen zu können und den internen Pass benötigt sie für die "Geschäfte" vor Ort, d.h. für die in der Russischen Föderation. Diesen internen Pass hat die Klägerin im April 2015 verlängert, d.h. es geht nicht um den internationalen Pass, mit dem es ihr ermöglicht wird, den Kontakt zu ihrer wohl noch in der Russischen Föderation lebenden Familie aufrechtzuerhalten, sondern lediglich um den Pass, den die Klägerin benötigt, wenn sie sich in der Russischen Föderation aufhält. Die Klägerin lebt bereits seit mehreren Jahren in Deutschland, so dass die besondere Bedarfslage für einen internen Pass der Russischen Föderation nicht gesehen wird.

c)

Die Hin- und Rückfahrkosten sind auch nicht über § 24 Abs. 1 SGB II zu erstatten. Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit gemäß § 24 Abs. 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen. Es läuft bereits die in § 24 Abs. 1 SGB II geregelte darlehensweise Leistungsgewährung ins Leere, da die Klägerin die Fahrkosten bereits gezahlt hat und nunmehr Kostenerstattung beantragt.

d)

Die Fahrkosten sind auch nicht über § 16 SGB II und § 11b SGB II erstattungsfähig. Diese Kosten sind weder im Rahmen der Eingliederung in Arbeit (§ 16 SGB II) angefallen, noch im Rahmen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entstanden (§ 11b SGB II).

e)

Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte der Klägerin die Fahrt nach Moskau vom 1. April bis 16. April 2015 genehmigt hat. Gemäß § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 20. Dezember 2011) erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nach diesem Buch außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Mit dem Aufenthalt in der Russischen Föderation vom 1. April bis 16. April 2015 hat sich die Klägern unzweifelhaft außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten, so dass die Klägerin - wenn sie ohne Zustimmung verreist wäre - für diese Zeit von dem Bezug von Leistungen ausgeschlossen wäre. Eine solche Zustimmungserklärung im Sinne des § 7 Abs. 4a SGB II führt jedoch nicht zur Finanzierung der Ortsabwesenheit, d.h. der Übernahme der in diesem Zusammenhang entstandenen Reisekosten.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.

III.

Die Berufung ist nicht statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Zulassungsgründe für eine Berufung im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.
Rechtskraft
Aus
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