S 6 BA 7/18 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 6 BA 7/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Es wird festgestellt, dass der gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2018 erhobene Widerspruch aufschiebende Wirkung hat.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreites.

Der Streitwert wird auf 15.533,54 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in der Sache über eine Beitragsnachforderung in Höhe von 62.134,17 EUR für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 30. November 2016 unter dem Gesichtspunkt einer Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. in allen Zweigen der Sozialversicherung.

Bei dem Antragsteller (im Folgenden: Ast.) handelt es sich um einen Einzelunternehmer, den Inhaber der Firma R. S. Fertigbaumontage S ...

Die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ag.) führte bei dem Ast. eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 30. November 2016 nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) durch. Aufgrund der vom Hauptzollamt M. übersandten Unterlagen und den Angaben des Beigeladenen zu 1. im Fragebogen vom 23. September 2016 sowie im Gespräch vom 7. Februar 2017, gelangte die Ag. zu der Auffassung, dass die Merkmale, die für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 1. mit dem Ast. sprechen, überwiegen. Somit bestünde eine Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Beiträge und Umlagen würden nach § 28e Abs. 1 SGB IV für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2013 nachgefordert. Die Gesamtsumme der nachgeforderten Beiträge in Höhe von 62.134,17 EUR ergebe sich wie folgt: 2013 12.977,97 EUR, 2014 13.399,79 EUR, 2015 17.593,73 EUR, 2016 18.162,68 EUR.

Zur Begründung seines am 15. März 2018 eingelegten Widerspruchs, mit dem er gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides beantragte, verwies der Ast. auf Fehler bei der Statusfeststellung für den Beigeladenen zu 1. und eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens durch die Vollziehung der Beitragsnachforderung. Es liege kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 1. vor, da es dem Beigeladenen zu 1. offen stand, auch andere Aufträge anzunehmen, er habe die Arbeitszeit selbst regeln können, trage ein eigenes Unternehmerrisiko, sei für die Baustelle selbst verantwortlich gewesen und habe eigene Preiskalkulationen durchgeführt und Rechnungen gelegt. Er keinen Urlaubanspruch gehabt und es seien keine Absprachen bezüglich einer Abwesenheit nötig gewesen. Der Beigeladene zu 1. habe sich ordnungsgemäß angemeldet und trage eine eigene Gewährleistungspflicht und sorge für seine Krankenversicherung und Altersvorsorge selbst. Zudem seien die Beitragsforderungen verjährt. Der Ast. legte ein Schreiben seines Steuerberaters S. vom 6. März 2018 vor. Dieser führte aus, der sofortige Einzug der Forderung würde die Firma an den Rand der Existenz bringen; zumal der Antragsteller aufgrund einer Erkrankung bis Ende des Jahres in der Firma nicht tätig sein könne und deswegen einen Vorarbeiter habe einstellen müssen.

Eine Entscheidung über den Widerspruch liegt bisher nicht vor.

Der Ast. hat am 12. April 2018 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid 14. Februar 2018 beantragt. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, derzeit acht Arbeitnehmer zu beschäftigen. Durch die sofortige Zahlung wäre die Existenz des Unternehmens gefährdet und die Arbeitnehmer würden ihren Arbeitsplatz verlieren. Diese Härte sei nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gedeckt. Zwischenzeitlich habe die Beigeladene zu 2. die Konten den Ast. gepfändet und er habe zum 10. des Monates (Mai) 12.108,74 EUR Nettolöhne, 2.520,39 EUR Lohnsteuer, 2.410 EUR Gewerbesteuervorauszahlung und 4.000 EUR Einkommenssteuervorauszahlung zu zahlen.

Der Ast. beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Ag. vom 14. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2015 anzuordnen.

Die Ag. beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend. Sie meint, der Widerspruch habe gem. § 86 a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) keine aufschiebende Wirkung. Die Statusfeststellung für den Beigeladenen zu 1. sei nicht zu beanstanden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Ag. Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen sind.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Ag. hat die Voraussetzungen der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Ast. gegen den Bescheid der Ag. vom 14. Februar 2018 zu Unrecht verneint.

Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei einer Entscheidung über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. In den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 4 SGG durch Beschluss die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. In entsprechender Anwendung der Regelung in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG liegen die Voraussetzungen der Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Bereichsspezifisch wird in § 7a Abs. 7 Satz 1 SGB IV geregelt, dass Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen, dass eine Beschäftigung vorliegt, aufschiebende Wirkung haben. Dabei ist die Umdeutung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 2 SGG in einen solchen auf Feststellung der kraft Gesetzes nach § 86b Abs. 1 SGG eintretenden aufschiebenden Wirkung zulässig (vgl. Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. November 2016 - L 1 R 153/16 B ER -, LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - L 3 R 126/16 B ER, juris m.w.N.).

Die Regelung in § 7a Abs. 7 SGB IV findet auch im Rahmen von Betriebsprüfungen Anwendung, soweit Beitragsforderungen allein aus einer streitigen Statusfeststellung resultieren und eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der aufschiebenden Wirkung nicht erkennbar ist (vgl. hierzu auch den Beschluss des 3. Senats des LSG Sachsen-Anhalt vom 21. November 2017 - L 3 R 199/17 B ER - und vom 1. September 2016 - L 3 R 307/16 B ER -, vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. November 2016, a.a.O.; Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 21. Dezember 2016, a.a.O.; Thüringer LSG, Beschluss vom 3. Juni 2015 - L 12 R 539/15 B ER -, juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6. Januar 2014 - L 2 R 409/13 BER -, juris). Der streitgegenständliche Bescheid enthält zwar eine Beitragsnacherhebung, aber als Voraussetzung wird hierfür der Status des beigeladenen zu 1. als versicherungspflichtig Beschäftigte festgestellt. Der vorläufige Rechtsschutz nach § 7a Abs. 7 SGB IV kann nicht dadurch entfallen, dass daneben auch Beiträge nachgefordert werden. Gegenüber § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG ist § 7a SGB IV lex specialis (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. März 2013 - L 1 R 454/12 B ER -, Rn. 15, juris). Die Regelung in § 7a Abs. 7 SGB IV soll eine Privilegierung solcher Vertragsparteien bewirken, die zeitnah eine Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status ihrer Zusammenarbeit herbeiführen. Dies schließt nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung des verfassungsrechtrechtlich anerkannten Vertrauensschutzes insbesondere solche Vertragsparteien von dieser Privilegierung nicht aus, die keinen Anlass hatten, eine Statusklärung herbeizuführen. Im vorliegenden Fall steht die Einordnung eines nach Auffassung der Ag. in Bezug auf die Vertragsregelungen seit dem Jahr 2013 unveränderten Vertragsverhältnisses im Streit. Es ist auch nicht zielführend, im Rahmen der summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundlegende Feststellungen zu Anhaltspunkten für oder gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu treffen, die nur im Hauptsacheverfahren im Rahmen einer Gesamtwürdigung abschließend bewertet werden können.

Das Begehren des Ast. neben der Feststellung der aufschiebenden Wirkung ist auch als Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung auszulegen. § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG erfasst als unselbständiger Folgenbeseitigungsanspruch auch die Rückgängigmachung bereits erfolgter Vollziehungshandlungen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 86b, Rn. 10 m. w. N.), hier die von der Beigeladenen zu 2. veranlasste Pfändung. Bei der Entscheidung, ob eine bereits erfolgte Vollziehung aufzuheben ist und Leistungen für die Vergangenheit auszuzahlen sind, ist das öffentliche Interesse an dem Fortbestand des Vollzuges gegen das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen der eigenständigen Abwägung ist die Aufhebung der Vollziehung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG anzuordnen. Der Widerspruch hat hier, wie ausgeführt, grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Somit entspricht die Aussetzung der Vollziehung der Grundentscheidung des Gesetzgebers, vor Vollziehung der Beitragsforderung die Statusfeststellung abzuwarten.

Somit ist die Beigeladene zu 2. verpflichtet, die Kontopfändung freizugeben und bereits eingezogene Beiträge zurückzuerstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 3 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Als Grundlage der Festsetzung hat die Kammer ein Viertel der Beitragsforderung, für welche eine aufschiebende Wirkung noch weiterverfolgt worden ist, angesetzt (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. November 2017 – L 3 R 199/17 B ER –, Rn. 31, juris).
Rechtskraft
Aus
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