S 17 AY 10/18 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
17
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 17 AY 10/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 AY 2/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 11. April 2018 wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig weiterhin Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren.

Der Antragsteller ist eritreischer Staatsangehöriger und beantragte zunächst die Anerkennung als Asylberechtigter in Italien. Am 21. August 2015 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde dem Antragsgegner am 27. August 2015 zugewiesen; seither erhält der Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG (Bescheid vom 27. August 2015). Es beantragte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anerkennung als Asylberechtigter.

Am 15. Dezember 2015 wurde ihm in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Der Antrag auf Gewährung von Asyl in Deutschland wurde mit Bescheid vom 11. Mai 2016 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage wurde durch Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts H. vom 6. April 2017 abgewiesen. Die Entscheidung ist seit dem 29. April 2017 rechtskräftig.

Die Abschiebungsandrohung ist seit dem 29. April 2017 vollziehbar. Am 30 Juni 2017 wurde die Abschiebung nach Italien durch die zuständige Ausländerbehörde des Landkreises W. angeordnet. Der Termin wurde storniert, da die Staatsanwaltschaft D. wegen eines anhängigen Strafverfahrens keine Freigabe für die Abschiebung erteilte. Das Amtsgerichts Z. verurteilte den Antragsteller wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe vom 2 ½ Jahren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 6. Dezember 2017 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Änderung der laufenden Leistungen nach dem AsylbLG an und wies darauf hin, dass er bereits Schutz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erhält, so dass nach § 1 a Abs. 4 AsylbLG nur abgesenkte Leistungen zu gewähren seien.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2018 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 27. August 2015 zum 28. Februar 2018 auf und bewilligte für (ab) dem Monat März 2018 dem Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG nur noch eingeschränkt. Der Antragsteller erhielt nunmehr monatliche Leistungen in Höhe von 165,84 EUR. Kosten der Unterkunft und Heizung sowie für Wohnen und Energie wurden als Sachleistung bewilligt. Die Leistungseinschränkung wurde bis zum 31. August 2018 befristet. Die Anspruchseinschränkung beruhe auf § 1a Abs. 4 AsylbLG, da dem Antragsteller bereits Schutz durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewährt werde.

Hiergegen erhob der Antragsteller am 7. März 2018 Widerspruch, über den bisher noch nicht entschieden wurde.

Mit seinem Antrag vom 11. April 2018 auf einstweiligen Rechtsschutz hat sich der Antragsteller an das Sozialgericht Dessau-Roßlau gewandt. Die Leistungskürzung sei rechtswidrig darauf gestützt worden, dass er aus von ihm zu vertretenden Gründen, die Abschiebung verzögere. Es könne ihm nicht vorgeworfen werden, durch sein Verhalten die Ausreise verhindert oder verzögert zu haben. Er habe nicht die alleinige Ursache für die Verzögerung gesetzt. Vielmehr obliege es der Staatsanwaltschaft D. durch ihre Zustimmung den Vollzug der Abschiebung zu ermöglichen. Die unterbliebene Ausreise beruhe nicht auf Gründen, die er zu vertreten habe. § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass auch "Vertretenmüssen" im Sinne des § 1a Abs. 2 S. 2 AsylbLG Voraussetzung einer zulässigen Leistungskürzung sei. Die Rückkehr nach Italien sei zudem unzumutbar.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig und sofort Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem AsylbLG in gesetzlich vorgesehener Höhe zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner hält seinen Bescheid vom 19. Februar 2018 für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie dem weiteren Vortrag der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.

II.

Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft und zulässig, jedoch unbegründet.

Der Eilantrag ist statthaft als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt. Der Antragsteller kann sein Rechtsschutzziel - die (vorläufige) Gewährung höherer Leistungen - nicht mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 19. Februar 2018 gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erreichen. Ein Widerspruch gegen die Feststellung einer Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG hat zwar keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG). Aus der Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde sich aber nur dann die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Gewährung höherer Leistungen ergeben, wenn und soweit für den streitigen Zeitraum zuvor höhere Leistungen bewilligt worden waren. Mit dem Bescheid vom 19. Februar 2018 sind dem Antragsteller erstmals Leistungen für die Zeit von März bis August 2018 bewilligt worden. Der zuvor ergangene Bewilligungsbescheid vom 27. August 2015 war nur befristet bis zum 31. Dezember 2015. Der Bescheid vom 27. August 2015 stellt keinen Dauerverwaltungsakt dar. Leistungen nach dem AsylbLG sind keine rentenähnliche Dauerleistungen; dies erlaubt es der Verwaltung, die Voraussetzungen in regelmäßigen Abschnitten zu prüfen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R -). Demnach ist die Behörde grundsätzlich berechtigt, Leistungen nur für die nächstliegende Zeit zu bewilligen, wobei es entscheidend auf den Inhalt des betreffenden Verwaltungsakts ankommt. Für einen verständigen Erklärungsempfänger ist der objektive Regelungsgehalt dieses Bescheids zeitlich auf die Monate Dezember 2015 beschränkt. Die Bewilligungen für die Folgemonate erfolgte nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs. 2 SGB X auf andere Weise, jeweils konkludent durch Überweisungen.

Das Vorbringen des Antragstellers ist dahin auszulegen, dass er den statthaften Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gestellt hat (§ 86b Abs. 2 SGG).

Der Eilantrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) liegen nicht vor. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Bezogen auf den Anordnungsanspruch, also das Bestehen des materiell-rechtlichen Leistungsanspruchs, bedarf allein die Frage einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG einer näheren Prüfung. Der Antragssteller ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG als vollziehbar Ausreisepflichtiger leistungsberechtigt. Dies gilt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 2. Halbsatz ausdrücklich auch für Personen, soweit eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist.

Die Anspruchseinschränkung kann auf § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG gestützt werden. Nach dieser mit dem Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 eingefügten und zum 6. August 2016 in Kraft getretenen (BGBl I 2016, 1939) Regelung gilt § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 internationaler Schutz oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden ist, wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht. Der Zweck der Regelung besteht in der Begrenzung der Sekundärmigration insbesondere aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Deutschland (Deibel, ZfSH/SGB 2016, 520, 524; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 1a AsylbLG 2. Überarbeitung Rn. 97.1). Nach dem Gesetzentwurf vom 31. Mai 2016 dient sie der Vervollständigung der Regelung nach § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG (BT-Drucksache 18/8615, Seite 35), wonach eine Anspruchseinschränkung für bestimmte Fälle vorgesehen ist, in denen ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zu § 1a Abs. 4 AsylbLG in der ab dem 24. Oktober 2015 geltenden Fassung war gefordert worden, dass eine Leistungseinschränkung auch ("erst recht") bei Personen erfolgt, deren Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat durch Gewährung eines Schutzstatus bereits positiv abgeschlossen worden sind (BR-Drucksache 446/1/15, Seite 7). Der Antragsteller erhält Schutz in Italien, so dass die Voraussetzungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG vorliegen. Damit sind auch sog. Dublin-Fälle von der Leistungseinschränkung erfasst.

Für das Asylverfahren bestimmt § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (in der seit dem 6. August 2016 geltenden Fassung), dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Soweit in der Rechtsprechung eine teleologische Reduktion unter Berücksichtigung des dargestellten Normzwecks und des Regelungszusammenhangs von § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG für geboten gehalten wird (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. Februar 2018 – L 8 AY 23/17 B ER –, Rn. 18, juris), soll dies nur in Fällen zutreffen, in denen in Deutschland noch nicht rechtskräftig über den Asylantrag eines Antragstellers entschieden wurde. Das ist hier nicht der Fall, da das Asylverfahren des Antragstellers zwischenzeitlich rechtskräftig beendet ist.

Eine Einschränkung erfolgt nicht, sofern aus vom Antragsteller zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG knüpft allein an die Beantragung oder Gewährung von Schutz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union an. Zumal der Antragsteller bereits seit 2015 - wohl - zu Unrecht ungekürzte Leistungen bezieht, da er bereits ausreichenden Schutz von Italien erhält.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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