L 9 U 489/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 2133/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 489/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente auf Grundlage eines Stützrententatbestandes nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 v.H. aufgrund eines Arbeitsunfalls am 12.11.2012 hat.

Der 1982 geborene Kläger war Vertragshandballspieler. Er bezieht insgesamt vier Verletztenrenten nach einer MdE um jeweils 10 v.H. von der Beklagten aufgrund von Versicherungsfällen vom 04.04.2004, 06.05.2006, 30.03.2008 und 17.04.2010.

In der Saison 2012/2013 war der Kläger Vertragshandballspieler beim Turnverein G. 1890 e.V. G. Während des Trainings am 12.11.2012 gegen 19:45 Uhr rammte ein Mitspieler mit dem Kopf gegen die Nase des Klägers, der sich dabei eine Nasenbeinfraktur und eine Platzwunde auf dem Nasenrücken zuzog und in der Hals-, Nasen- und Ohren-(HNO-)Klinik des Universitätsklinikums H. am selben Abend erstversorgt wurde (HNO-Arztbericht vom 12.11.2012).

Mit Schreiben vom 07.07.2014 bat der Kläger aufgrund gesundheitlicher Probleme um eine Begutachtung seiner Nase. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. M., der in seinem Gutachten vom 16.09.2014 als Unfallfolgen eine subjektiv empfundene Nasenatmungsbehinderung und eine Beeinträchtigung des ästhetischen Erscheinungsbildes des Gesichts durch eine Höckerschiefnase angab. Als vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen gab er verschiedene Allergien, Gräserallergien, Milcheiweißunverträglichkeit und eine Asthmaerkrankung an. Bei der durchgeführten Rhinomanometrie seien normale Werte ermittelt worden. Als Maßnahme zur Wiederherstellung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit schlug er eine Septo-Rhinoplastik vor. Die MdE schätzte er mit 10 v.H. ein.

Mit Bescheid vom 04.12.2014 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Rente für den Versicherungsfall vom 12.11.2012 ab. Der Unfall habe zu einer Höckerschiefnase nach Nasenbeinfraktur geführt. Unabhängig von dem Versicherungsfall bestünden verschiedene Allergien, Gräserallergien und eine Asthmaerkrankung. Bei der Einschätzung der MdE auf hno-ärztlichem Fachgebiet seien die funktionellen Einschränkungen der Nasenatmung entscheidend, wobei die Ergebnisse der sog. aktiven anterioren Rhinomanometrie von besonderer Bedeutung seien. Bei der Begutachtung durch Dr. M. habe der festgestellte Volumenstrom einer normalen Nasenatmung entsprochen, so dass keine messbare MdE vorliege. Gegen die Annahme einer messbaren MdE spreche darüber hinaus, dass der Kläger nach dem Unfallereignis bis laufend ohne erkennbare Einschränkungen Handball auf hohem Niveau spiele und keine operative Revision im Sinne einer Nasenbeinreposition durchgeführt worden sei.

Zur Begründung seines hiergegen am 01.01.2015 eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, die Beklagte ziehe sich allein auf die Argumentation der Standardliteratur zurück und berücksichtige die Feststellungen des Gutachters nicht hinreichend. Dr. M. habe eine MdE um 10 v.H. festgestellt und darauf hingewiesen, dass eine Besserung unwahrscheinlich sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2015 zurück. Als Unfallfolge bestehe lediglich eine Höckerbildung im Bereich des Nasenrückens mit Abweichung nach links. In der Begutachtungsliteratur werde selbst bei einem einseitigen Nasengangverschluss von einer MdE von 10 v.H. ausgegangen und eine messbare MdE erst bei einer beidseitigen Nasenatmungsbehinderung angenommen.

Gegen den bei ihm am 22.06.2015 eingegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 21.07.2015 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zur Klagebegründung hat er im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. M. verwiesen und ergänzend vorgetragen, er leide unter einer Berufsbeeinträchtigung sowie einer mittelgradigen Beeinträchtigung der Nasenatmung. Seit dem Unfallereignis schnarche er zusehends und empfinde am Morgen jeweils eine unangenehme Belastung seiner Nase. Beim Sport habe er nach der Lippen-Nasen-Gerüstfraktur seine Atmung auf vermehrte Mundatmung umstellen müssen, was zu einer deutlich gereizten Uvula führe. Durch die Umstellung auf die Mundatmung sei es ihm weiterhin möglich, auf hohem Niveau Handball zu spielen und die eingeschränkte Nasenatmung zu kompensieren. Ein weiterer Aspekt sei, dass sich Handballspieler zumeist im anaeroben Bereich bewegten und die aeroben Phasen deutlich geringer ausfielen als bei reinen Ausdauersportlern. Am 15.08.2015 habe er sich im Rahmen eines Handballspiels eine weitere Nasenbeinfraktur zugezogen. Seither seien auch der Geruchs- und der Geschmackssinn beeinträchtigt; unter der Deformierung seiner Nase leide er sehr. Der Kläger hat den Operationsbericht über die am 21.08.2015 durch die HNO-Klinik des Universitätsklinikums H. ambulant durchgeführte Nasenbeinreposition vorgelegt.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das SG das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers vom 01.12.2015 beigezogen, die behandelnde HNO-Ärztin Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört und bei dem Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. Z. ein Gutachten eingeholt. Dr. K. hat in ihren Aussagen vom 22.09.2015 und 13.05.2016 angegeben, der Kläger sei bei ihr am 07.08.2013 aufgrund einer Schiefnase mit Septumdeviation nach rechts und einer Nasenmuschelhyperplasie in Behandlung gewesen.

Dr. Z. hat in seinem Gutachten vom 04.01.2017 als Diagnosen eine geringe Deformität der äußeren Nase/Schiefnase, eine Septumdeviation mit geringer nasal-respiratorischer Insuffizienz und eine geringe Hyposmie angegeben. Hinsichtlich der Hyposmie bestünden subjektiv keine Einschränkungen. Auch nach dem zweiten Unfallereignis im Jahr 2015 sei lediglich eine gering eingeschränkte Nasenatmung feststellbar, die für sich allein genommen noch keine MdE um 10 v.H. begründen würde. Daneben ergebe sich als mögliche Folge auch eine leichte Beeinträchtigung des Riechvermögens und es sei auch ein kosmetisch-ästhetischer Aspekt zu würdigen. Die Bewertung des zweiten Unfallereignisses aus dem Jahr 2015 sei bezüglich der Folgen nicht sicher vom ersten Ereignis im Jahr 2012 abzugrenzen. Eine Akzentuierung der Nasenscheidewandverbiegung erscheine möglich, wenn jetzt auch insgesamt noch keine höhergradige Behinderung der Nasenatmung rhinomanometrisch zu verifizieren sei. Die kosmetische Veränderung der äußeren Nase sei anamnestisch und nach Aktenlage bereits auf das erste Nasentrauma im Jahr 2012 zurückzuführen. Zusammenfassend sei eine MdE von 10 v.H. schon alleine durch die Nasendeformität begründet.

Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, auf den dem Gutachten beigefügten Fotoaufnahmen sei keine geringe bzw. wenig störende Entstellung durch Veränderungen im Gesichtsbereich erkennbar, wie sie nach der vom Gutachter zitierten Literatur für eine MdE von 10 v.H. erforderlich wäre.

Dr. Z. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 21.06.2017 ausgeführt, er habe in seinem Gutachten die leichte Einschränkung des Riechvermögens als mögliche Folge des Unfalls bezeichnet, weil der notwendige Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Zusammenhang nicht gegeben sei. Anderes gelte für die Nasendeformität, welche sicher unfallbedingt sei. Weder die Riechstörung noch die Beeinträchtigung der Nasenatmung habe er allerdings in seinem Gutachten als ausschlaggebend für die Schätzung der MdE mit 10 v.H. angeführt. Allein die Höckerbildung im Bereich des Nasenrückens mit Abweichung nach links sei bereits mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten.

Mit Urteil vom 12.12.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die begehrte Rentengewährung seien nicht erfüllt. Die leichte Beeinträchtigung des Riechvermögens stelle keine Unfallfolge dar. Dr. Z. habe zwar ausgeführt, dass der vorliegende Schädigungsvorgang prinzipiell geeignet sei, auch eine höhergradige Riechstörung zu verursachen, habe jedoch auch darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um eine mögliche Folge des Traumas handle und eine Feststellung des Kausalzusammenhangs nicht in dem Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit möglich sei. Die geringe Einschränkung der Nasenatmung sei zwar Unfallfolge, für die Schätzung der MdE aber nicht relevant. Unabhängig davon, ob der von der Beklagten zugrunde gelegte Normwert von 500 ml/s Strömungsvolumen (nach Addition beider Nasenlöcher) oder der von Dr. Z. zugrunde gelegte Wert von 600 ml/s maßgebend sei, ergebe sich keine messbare MdE. Lediglich der vor dem Abschwellen gemessene Wert liege ganz knapp unterhalb des Grenzwertes von 600 ml/s, wobei eine derartig geringfügige Unterschreitung des Normalwerts keine messbare MdE begründen könne. Zudem habe Dr. M. ausgeführt, dass beim Kläger unfallunabhängig verschiedene Allergien (u.a. Gräser) vorliegen, die eine Schwellung der Atemwege verursachen könnten, was möglicherweise die nach dem Abschwellen deutlich verbesserten Werte erklären könnte. Auch die Beeinträchtigung der ästhetischen Erscheinung durch die Höckerschiefnase begründe keine MdE um mindestens 10 v.H. Die Kammer habe sich in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugen können, dass im Zusammenhang mit der Nase des Klägers von einer Entstellung gesprochen werden könne. Die leichte Deformierung der Nase sei allenfalls bei genauem Hinsehen erkennbar und dürfte einem unbefangenen Betrachter nicht auffallen. Eine Entstellung von einer solchen Erheblichkeit, dass sie sich auf das Verhalten anderer Menschen auswirke, sei nicht zu erkennen gewesen. Zusätzlich sei zu beachten, dass sich durch den im Jahr 2015 erlittenen weiteren Nasenbeinbruch der Zustand möglicherweise weiter verschlechtert habe, so dass der ausschließlich auf den strittigen Arbeitsunfall zurückzuführende Zustand vor dem weiteren Unfallereignis schwer festzustellen sei, aber wohl nicht schlechter als der aktuelle Zustand nach dem weiteren schädigenden Ereignis sei. Bei einer anderen Interpretation wären die in der unfallmedizinischen Fachliteratur genannten Erfahrungswerte in sich nicht schlüssig. Beispielsweise werde dort ein Lippendefekt mit Speichelfluss oder der Verlust einer Ohrmuschel ebenfalls mit 10 v.H. bewertet. Das Erscheinungsbild der Nase des Klägers erreiche einen damit vergleichbaren Schweregrad in keiner Weise.

Gegen das ihm am 05.01.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.02.2018 Berufung eingelegt, zur Begründung auf die Einschätzung der Gutachter Dr. Z. und Dr. M. verwiesen und ergänzend vorgetragen, entgegen der Einschätzung des SG liege aufgrund des merklichen Nasenhöckers sehr wohl eine Entstellung vor, da die Nase seit dem streitgegenständlichen Unfall von der Norm der ästhetischen Vorstellungen abweiche. Es sei zu erwarten gewesen, dass sich das Gericht durch einen kurzen Abstand ein Bild machen würde, wozu es jedoch nicht gekommen sei. Soweit das SG einen Vergleich zu einem Speichelfluss bei einem Lippendefekt ziehe, müsse auch die Beeinträchtigung der Nasenfunktionalität berücksichtigt werden. Es bestehe ein ständiges Schnupfen, was optisch merklich beeinträchtigend sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Dezember 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 4. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2015 zu verurteilen, ihm aufgrund des Arbeitsunfalls vom 12. November 2012 eine Stützrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung ihres Widerspruchsbescheids und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Der Senat hat bei der Beklagten die zu dem Versicherungsfall vom 15.08.2015 geführte Verwaltungsakte beigezogen. Eine Entschädigung aufgrund dieses Unfallereignisses erfolgt nicht.

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Kläger sowie von ihm vorgelegte und zu den Akten genommene Fotos in Augenschein genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte statthafte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 04.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.06.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zutreffend hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden festgestellt, dass bezüglich des konkludent anerkannten Arbeitsunfalls vom 12.11.2012 keine Unfallfolgen mehr bestehen, die eine MdE in rentenberechtigendem Maße nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), auch nicht bei Vorliegen eines Stützrententatbestandes, rechtfertigen.

Die Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.11.2012 bedingen keine MdE von mindestens 10 v.H.

Ist bei Versicherten die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Stützrententatbestand). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die MdE richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R -, Juris): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG, Urteile vom 05.09.2006 - B 2 U 25/05 R -, vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R -, Juris). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, Urteile vom 14.11.1984 - 9b RU 38/84 -, vom 30.06.1998 - B 2 U 41/97 R -, Juris). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG, Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R -, Juris). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R -, Juris). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind (BSG, Urteile vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 -, vom 26.11.1987 - 2 RU 22/87 -, vom 30.06.1998 - B 2 U 41/97 R -, vom 18.03.2003 - B 2 U 31/02 R - vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 -, Juris). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteile vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 -, vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R -, und vom 18.03.2003 - B 2 U 31/02 R-, Juris).

Unabhängig davon, dass die Folgen der Arbeitsunfälle vom 12.11.2012 und vom 15.08.2015, bei denen der Kläger jeweils eine Nasenbeinfraktur erlitten hat, wie Dr. Z. zutreffend ausführt, nicht eindeutig voneinander abzugrenzen sind, rechtfertigen die bei dem Kläger noch vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Nase nicht die Feststellung einer MdE von 10 v.H.

In der unfallmedizinischen Fachliteratur werden die Folgen von Nasenverletzungen nach dem Ausmaß der funktionellen Einschränkungen und einer möglichen Entstellung bewertet (Feldmann, Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012, Seite 380). Beim Kläger bestehen eine Septumdeviation mit geringer nasal-respiratorischer Insuffizienz, eine geringe Hyposmie sowie eine geringe Deformität der äußeren Nase/Schiefnase. Diese Gesundheitsstörungen bedingen weder für sich genommen, noch insgesamt eine MdE von 10 v.H.

Hinsichtlich der bei dem Kläger vorliegenden geringen Hyposmie, also einer leichten Beeinträchtigung des Riechvermögens, ist nach den Ausführungen von Dr. Z., denen sich das SG mit überzeugender Argumentation angeschlossen hat, bereits nicht hinreichend wahrscheinlich, dass es sich um eine Unfallfolge handelt. Unabhängig davon rechtfertigt die Hyposmie im Falle des Klägers keine MdE um 10 v.H. Nach der unfallmedizinischen Fachliteratur (Plum in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand 06/18, US 500, S. 25 f., Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., S. 211) ist bei einer Anosmie (völliger Verlust des Riechvermögens) eine MdE von 15 v.H. und bei einer Hyposmie (teilweiser Ausfall des Riechvermögens) eine MdE von 10 v.H. anzunehmen. Ein teilweiser Ausfall des Riechvermögens ist nach Schönberger/Mehrtens/Valentin anzunehmen bei einem SDI-Wert (Schwelle + Diskrimination + Identifikation) L ( 20 und ) 15. Bei der durch Dr. Z. durchgeführten Riechtestung konnte der Kläger von 12 dargebotenen Aromen 7 korrekt benennen und hat angegeben, subjektiv nicht beeinträchtigt zu sein. Die Beeinträchtigung des Riechvermögens ist so geringfügig, dass sie ihm selbst nicht aufgefallen ist. Dies legt zu einen nahe, dass, wie das SG zutreffend dargelegt hat, eine Verschlechterung des Riechvermögens durch das Unfallereignis nicht eingetreten ist. Die festzustellende geringfügige Hypsomie rechtfertigt jedenfalls aber keine MdE um 10 v.H. Der unfallmedizinischen Fachliteratur ist zur Überzeugung des Senats zu entnehmen, dass nicht jede Hyposmie eine MdE von 10 v.H. bedingt. So wird zum Teil erst bei einem Verlust der Geruchs- oder Geschmacksempfindung (Plum in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, a.a.O., Seite 33) eine MdE von 10 v.H. angenommen, zum Teil ausgeführt, dass eine einseitige Anosmie einer geringfügigen Hypsomie entspricht, was mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten sei (Feldmann, Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012, Seite 409). Der Senat schließt sich insoweit den Gutachtern Dr. M. und Dr. Z. an, die ebenfalls trotz der festgestellten Hyposmie keine MdE von 10 v.H. annehmen.

Die durch Dr. Z. beschriebene geringe Einschränkung der Nasenatmung ist nach dessen insoweit überzeugenden Ausführungen Folge bereits des streitgegenständlichen Unfallereignisses. Für die Höhe der MdE ist die Einschränkung jedoch nicht relevant. Bei einer Verengung der Nasengänge mit Atembehinderung ist eine MdE von 10 bis 20 v.H. anzunehmen (Plum in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, a.a.O.). Beim Kläger besteht nach der durch Dr. Z. durchgeführten Endoskopie eine deutliche Septumdeviation nach rechts und ein sehr enger Nasengang. Dies führt aber nicht zu einer relevanten Einschränkung der Nasenatmung. Dr. Z. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass wegen des nasalen Zyklus bei nicht abgeschwollenen Nasenschleimhäuten die Angabe eines Normbereichs nur für die Gesamtnase sinnvoll ist. Dieser ist relativ variabel und beträgt bei Erwachsenen inspiratorisch ca. 600 ml/s bis 1000 ml/s und bei Männern geringfügig mehr als bei Frauen. Dies deckt sich mit den Angaben in der Fachliteratur, wonach bei einem Wert von über 900 ml/s von einer unbehinderten Nasenatmung und bei einem Wert von weniger als 500 ml/s von einer hochgradigen Atembehinderung auszugehen ist (Strutz, Mann (Hrsg.), Praxis der HNO-Heilkunde, 3. Aufl., 2017, Seite 76, Tabelle 3.1). Dr. M. hat bei der Inspiration rechts einen Wert von 352 ml/s und links von 267 ml/s, bei der Exspiration rechts 308 ml/s und links 250 ml/s, gemessen, Dr. Z. rechts einen Wert von 270 ml/s und links von 324 ml/s und nach dem Abschwellen von 369 ml/s und 387 ml/s gemessen. Die exspiratorischen Werte lagen bei 466 ml/s rechts und 485 ml/s links. Lediglich der durch Dr. Z. vor dem Abschwellen gemessene Wert liegt ganz knapp unterhalb des von ihm angenommenen Grenzwertes von 600 ml/s. Nachdem Dr. M. die von ihm gemessenen Werte ausdrücklich als normal bezeichnet hat und auch Dr. Z. nicht von einer relevanten Einschränkung der Nasenatmung ausgegangen ist, ist auch der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass eine MdE von 10 v.H. aufgrund der Verengung der Nasengänge nicht zu begründen ist.

Schließlich liegt bei dem Kläger auch keine Entstellung des ästhetischen Erscheinungsbildes vor, die eine MdE von 10 v.H. rechtfertigen würde. Nach der unfallmedizinischen Fachliteratur (Plum in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, a.a.O., S. 33) rechtfertigt ein völliger Verlust der Nase (ohne Korrektur) eine MdE von 40 v.H., ein Teilverlust der Nase eine MdE von 10 bis 20 v.H. und eine stark entstellende Sattelnase eine MdE von 20 bis 30 v.H. Ein Teilverlust der Nase, der eine MdE um 10 v.H. begründen würde, liegt beim Kläger unstreitig nicht vor. Stellt man – wie das SG – auf die zur MdE-Bewertung von Entstellungen entwickelten Grundsätze ab, kommt ebenfalls keine MdE von 10 v.H. in Betracht. In der unfallmedizinischen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 275 ff., Plum in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, a.a.O., Seite 20a) ist für eine Gesichtsentstellung, die kosmetisch nur wenig störend ist, eine MdE von 10 v.H., für eine kosmetisch störende Gesichtsentstellung ohne Korrektur und Epithese eine MdE von 20 v.H. und für eine abstoßende Gesichtsentstellung ohne Korrektur und Epithese eine MdE von 30 bis 50 v.H. vorgesehen. Die bei dem Kläger bestehende Veränderung der Nase, die Dr. Z. zutreffend mit einer leichten äußeren Schiefnase nach links und einer umschriebenen geringen Eindellung beschreibt, stellt zur Überzeugung des Senats bereits keine Entstellung dar. Entstellung wird als Abweichen von der Norm unserer ästhetischen Vorstellungen definiert. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass Betroffene ständig viele Blicke auf sich ziehen, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werden und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen drohen, sodass deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (BSG, Urteile vom 08.03.2016 - B 1 KR 35/15 R -, Juris, m.w.N.). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R -, Juris, m.w.N.). Im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die MdE danach zu bewerten ist, inwieweit der Verletzte mit der ihm verbliebenen Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsfeld Verwendung finden und mit gesunden Personen in Wettbewerb treten kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 275) und infolge seiner Entstellung evtl. bei der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten beeinträchtigt ist (Feldmann, Brusis, a.a.O., Seite 379). Sowohl nach den aktenkundigen Fotos als auch nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung durch Augenschein gewinnen konnte, liegt keine ungewöhnliche Deformierung der Nase, keine Entstellung und kein Anhaltspunkt dafür vor, dass der Kläger aufgrund der allenfalls geringgradigen ästhetischen Beeinträchtigung seiner Nase nicht auf dem allgemeinen Arbeitsfeld Verwendung finden und mit gesunden Personen konkurrieren könnte. Der Senat verkennt nicht, dass, wie sich aus dem Vergleich der Bilder vor und nach dem streitgegenständlichen Ereignis ergibt, durch den Unfall eine deutliche Veränderung der Nase eingetreten ist. Auch hat der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass er sich in seinem Erscheinungsbild subjektiv beeinträchtigt fühlt. Die Voraussetzungen für eine Entstellung im Sinne der zitierten Rechtsprechung liegt nicht vor. Die Auffälligkeit der Nase macht sich zur Überzeugung des Senats nicht schon bei einer flüchtigen Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar und führt nicht regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen. Ein Vergleich zu den in der unfallmedizinischen Fachliteratur aufgestellten Beispielen zur MdE-Bewertung von ästhetischen Veränderungen der Nase (MdE von 10 v.H. für Teilverlust der Nase und von 20 v.H. für eine stark entstellende Sattelnase) und von Gesichtsentstellungen (MdE von 10 v.H. für Lippendefekt mit Speichelfluss oder Verlust einer Ohrmuschel) zeigt für den Senat, dass die leichten ästhetischen Veränderungen des Klägers keine MdE rechtfertigen. Dies gilt auch in der Zusammenschau der vorliegenden Unfallfolgen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenfolge beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren unterlegen ist.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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