L 7 AS 2006/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 32 AS 5167/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 2006/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.11.2018 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 15.10.2018 bis zum 30.04.2019 unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 3 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Der Antragstellerin wird für beide Rechtszüge Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q, I, beigeordnet.

Gründe:

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die am 00.00.1997 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Ihre Eltern sind der am 00.00.1974 geborene J H und die am 00.00.1975 geborene B Z. Die Antragstellerin ist die Mutter des am 00.00.2017 geborenen Kindes E J. Die Antragstellerin erkrankte gemäß dem in Übersetzung vorliegenden Bericht eines bulgarischen Krankenhauses im Jahr 2014 in Bulgarien an einem intrazerebralen Hämatom in der rechten Gehirnhälfte und an einem Aneurysma der Arteria communicans rechts.

Die Antragstellerin reiste 2016 mit ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Eltern der Antragstellerin schlossen am 29.10.2016 einen Mietvertrag über die Wohnung S-Str. 00 in I, die sie dann gemeinsam mit der Antragstellerin bewohnten. Die Stadt E bewilligte der Antragstellerin vom 19.06.2017 bis zum 18.06.2018 Elterngeld iHv 300 EUR monatlich.

Am 12.04.2018 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner für sich und ihren Sohn Leistungen. Sie gab an, sie könne aufgrund ihrer Erkrankung momentan nicht arbeiten. Sie habe etwas gespartes Geld gehabt und erhalte im Übrigen Geld von ihren Eltern, bei denen sie auch wohne. Zum Umfang der Unterstützungsleistung von ihren Eltern gab die Antragstellerin am 22.05.2018 an, sie erhalte von diesen eine unentgeltliche Unterkunft.

Aufgrund einer Tätigkeit des Vaters der Antragstellerin bei der Fa. J GmbH in L bis zum 15.06.2018 bzw. aufgrund einer Tätigkeit ihrer Mutter bei der Fa. H mbH seit dem 24.07.2018 nimmt der Antragsgegner einen Arbeitnehmerstatus der Eltern der Antragstellerin an und bewilligt diesen Leistungen. Mit vorläufigem Bescheid vom 01.08.2018 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen vom 01.04.2018 bis zum 23.05.2018 (Vollendung des 21. Lebensjahres) iHv 444,32 EUR für April 2018 und iHv 327,32 EUR für Mai 2018 sowie Leistungen für den Sohn der Antragstellerin. Mit weiterem Bescheid vom 01.08.2018 lehnte der Antragsgegner die Leistungen für die Zeit ab dem 24.05.2018 ab. Die Antragstellerin sei gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sie nur ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche habe. Die Antragstellerin erhob am 28.08.2018 Widerspruch gegen diesen Bescheid. Ebenfalls am 28.08.2018 beantragte die Antragstellerin bei der Stadt I Leistungen nach dem SGB XII.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2018 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin zurück. Da die Antragstellerin nunmehr über 21 Jahre alt sei, könne sie ihr Freizügigkeitsrecht nicht mehr gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU von ihren Eltern ableiten. Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben (SG Dortmund S 32 AS 5129/18)

Mit Verfügung vom 27.09.2018 wies die Stadt I die Antragstellerin, ihren Sohn und ihre Eltern für die Zeit ab dem 27.09.2018 wegen Unbewohnbarkeit der bisherigen Wohnung zur Beseitigung von Obdachlosigkeit in die Wohnung M-Str. 00 in I ein.

Mit Bescheid vom 11.10.2018 lehnte die Stadt I den Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII ab. Die Antragstellerin gehöre zum Personenkreis des SGB II, weil sie dem Grunde nach erwerbsfähig sei. Sie sei zudem gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen, weil ihr nur ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche zustehe.

Am 11.10.2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dortmund Klage gegen den Bescheid vom 01.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2018 erhoben (S 32 AS 5129/18).

Am 15.10.2018 haben die Antragstellerin und ihr Sohn beim Sozialgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Gestalt des Regelbedarfs zu zahlen. Sie könne ihr Aufenthaltsrecht gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU auch als über 21-jährige von ihren Eltern ableiten, weil sie von diesen Unterhalt erhalte. Der Bevollmächtige der Antragstellerin hat ausgeführt, diese wirke bei den Besprechungen passiv und mache "den Eindruck eines zurückgebliebenen Kindes". Da die Antragstellerin seit dem 01.05.2018 nicht mehr krankenversichert sei, könnten keine Untersuchungen bzw. Behandlungen ihrer Erkrankung erfolgen. Der Antragsgegner hat über die bisherige Argumentation hinaus ausgeführt, die Antragstellerin sei nicht erwerbsfähig und dem Personenkreis des SGB XII zuzuordnen.

Mit Beschluss vom 19.11.2018 hat das Sozialgericht das Verfahren abgetrennt, soweit es den Sohn der Antragstellerin betraf, und die Anträge der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Antragstellerin sei vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst. Insbesondere könne sie kein Aufenthaltsrecht von ihren Eltern ableiten, denn nach der Vollendung des 21. Lebensjahres komme dies nur bei einer weitgehend bedarfsdeckenden Unterhaltsgewährung in Betracht. Eine solche erfolge nicht, wie das vorliegende Eilverfahren zeige.

Am 29.11.2018 hat die Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss erhoben. Der Unterhalt müsse nur einen Teil des Bedarfs abdecken. Sie lebe bei ihren Eltern und werde dort vollumfänglich versorgt. Neben der Verköstigung und dem Wohnen erhalte die Antragstellerin auch Hilfe bei weiteren Verrichtungen und werde gepflegt. Ihr sei es nicht möglich, nach Bulgarien zurückzukehren und dort allein oder mit ihrem Sohn zu leben.

Am 07.01.2019 hat die Antragstellerin auf Aufforderung des Senats Kontoauszüge und eine eidesstattliche Versicherung übersandt, wonach sie nicht über Vermögen verfüge.

Mit Bescheid vom 08.01.2019 hat die Stadt I dem Sohn der Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2019 hat die Stadt I einen Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 11.10.2018 zurückgewiesen. Die Antragstellerin sei gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen, könne aber einen Antrag nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII geltend machen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Verpflichtung des Antragsgegners zu einer vorläufigen Zahlung der Regelleistung an die Antragstellerin abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 30.08.2018 - L 7 AS 1268/18 B ER, vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) glaubhaft gemacht. Sie erfüllt die auf das Lebensalter bezogenen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin gemäß §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ist jedenfalls in dem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Maße glaubhaft gemacht, indem die Antragstellerin ihren Vortrag, von ihren im Bezug von Leistungen nach dem SGB II stehenden Eltern unterstützt zu werden und sonst nicht über Einkommen oder Vermögen zu verfügen, durch eidesstattliche Versicherungen bekräftigt hat.

Eine möglicherweise fehlende Erwerbsfähigkeit in medizinischer Hinsicht gemäß §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II steht einer Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II nicht entgegen. Auch in diesem Fall wäre aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Feststellungsverfahrens nach § 44 a Abs. 4 SGB II gemäß § 44 a Abs. 1 Satz 7 SGB II jedenfalls eine vorläufige Leistungserbringung durch den Antragsgegner geboten.

Die Antragstellerin unterfällt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, weil sich ihr Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Der Antragstellerin steht ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU iVm § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU zu. Familienangehörige sind gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU auch nach Vollendung des 21. Lebensjahrs die Verwandten in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen oder ihrer Ehegatten, denen diese Personen oder ihr Ehegatte Unterhalt gewähren. Die Freizügigkeit der Familienangehörigen dient zum einen dem Zweck, die Ausübung der Freizügigkeit durch die Unionsbürger zu erleichtern und zum anderen der Herstellung der Familieneinheit (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 3 FreizügG Rn. 14). Das Gesetz fordert im Lichte des in Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK verankerten Schutzes der Familie keine ausreichende Unterhaltsgewährung. Vielmehr genügt auch ein nicht bedarfsdeckender Unterhalt. Anders als im Falle des § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU, der für Familienangehörige nicht erwerbstätiger Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU gilt, ist eine bedarfsdeckende Unterhaltsgewährung gerade nicht Voraussetzung für das Freizügigkeitsrecht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 22.03.2018 - L 7 AS 1512/17, Beschlüsse vom 02.06.2016 - L 7 AS 955/16 B ER, vom 28.05.2015 - L 7 AS 372/15 B ER und vom 15.04.2015 - L 7 AS 428/15 B ER; zustimmend Bayerisches LSG Beschluss vom 19.11.2018 - L 11 AS 912/18 BER; in diesem Sinne auch BVerwG Urteil vom 20.10.1993 - 11 C 1/93).

Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Leistungen an die in Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern lebende Antragstellerin erfolgt in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Bei summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin sowohl mit ihren Eltern als auch mit ihrem Kind eine generationenübergreifende Bedarfsgemeinschaft bildet (so tendenziell BSG Urteil vom 17.07.2014 - B 14 AS 54/13 R; zustimmend Leopold, in JurisPK SGB II § 7 Rn. 209). Damit ist die Antragstellerin Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft iSd § 20 Abs. 2 Satz 2 SGB II. Die der Antragstellerin von ihren Eltern gewährten Zuwendungen sind nicht als Einkommen iSv § 11 Abs. 1 SGB II anzurechnen. Schon aufgrund der Regelung des § 9 Abs. 3 SGB II ist das Einkommen der Eltern nicht bei der Antragstellerin anzurechnen, die ihren einjährigen Sohn betreut. Außerdem erfolgen die Zuwendungen im Rahmen der Binnenverteilung einer insgesamt hilfebedürftigen Bedarfsgemeinschaft aus den Grundsicherungsleistungen der Eltern. Da das SGB II von einer bedarfsgerechten Verteilung der einer Bedarfsgemeinschaft insgesamt zustehenden Leistungen an die einzelnen Mitglieder unabhängig von ihrer tatsächlichen Verwendung ausgeht, hätten sie auch bei der gebotenen sofortigen Berücksichtigung der Antragstellerin im Bewilligungsbescheid ihrer Eltern nicht in Ansatz gebracht werden dürfen. Den sich aus der Binnenverteilung in einer Bedarfsgemeinschaft ergebenden Einsparpotentialen wird durch die Begrenzung der Leistungen der Antragstellerin auf die Höhe der Regelbedarfsstufe 3 in hinreichendem Maße Rechnung getragen. Kosten der Unterkunft macht die Antragstellerin nicht geltend.

Auch wenn man - entgegen der hier vertretenen Auffassung - einen Anordnungsanspruch als nicht gegeben ansieht, wären Leistungen im Wege der Folgenabwägung zuzusprechen. In diesem Falle käme ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII in Betracht, weshalb es dem Antragsgegner zumutbar wäre, als erstangegangener Leistungsträger gem. § 43 SGB I in Vorleistung zu treten (hierzu ausführlich Beschluss des Senats vom 27.10.2016 - L 7 AS 920/16 B ER mwN) und einen Erstattungsanspruch bei dem Sozialhilfeträger, der im Hauptsacheverfahren beizuladen wäre (§ 75 Abs. 2 SGG), nach § 102 Abs. 1 SGB X geltend zu machen.

§ 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII bestimmt: "Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist." Der Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII setzt nicht voraus, dass ein Ausreisewille feststellbar ist. Zwar knüpft die Vorschrift an die Regelung über die Überbrückungsleistungen (§ 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII) an und soll ausdrücklich eine Anspruchsgrundlage darstellen, "die lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände eingreift, um im Einzelfall für einen begrenzten Zeitraum unzumutbare Härten zu vermeiden, nicht um eine Regelung, mit der ein dauerhafter Leistungsbezug ermöglicht wird" (BT-Drs. 18/10211, S. 16). Es lässt sich aber nicht feststellen, dass der Gesetzgeber Unionsbürger gerade dann leistungslos lassen wollte, wenn die Verweisung (nur) auf Überbrückungsleistungen sich auch für einen längeren Zeitraum als unzumutbare Härte darstellt, mithin die den Leistungsausschluss begründende Rückkehroption sich gerade nicht ohne Weiteres verwirklichen lässt. Das Erfordernis "zeitlich befristete Bedarfslage" ist nicht mit "kurzfristig" gleichzusetzen. Vielmehr ist eine zeitliche befristete Bedarfslage bereits dann anzunehmen, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der bedarfsbegründende Zustand kein Dauerzustand, sondern voraussichtlich vorübergehend ist (Beschlüsse des Senats vom 16.01.2019 - L 7 AS 1085/18 B und vom 28.03.2018 - L 7 AS 115/18 B ER; in diesem Sinne auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.06.2017 - L 15 SO 104/17 B). Härtegesichtspunkte sind vorliegend sehr naheliegend, da die gesundheitlich eingeschränkte Antragstellerin ein Kleinkind allein erzieht, ihre Herkunftsfamilie sich in Deutschland befindet und sie unterstützt, weshalb eine Rückkehr der Antragstellerin mit ihrem Kind nach Bulgarien auch unter Beachtung von Kindeswohlgesichtspunkten jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt unzumutbar sein dürfte.

Der Zeitraum der Verpflichtung des Antragsgegners orientiert sich an § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II, wobei der Senat den Abschlussmonat aus Gründen der Zweckmäßigkeit zum Monatsende aufgerundet hat.

Aus gerichtsbekannt gegebenem Anlass ist der Antragsgegner abschließend darauf hinzuweisen, dass er die Antragstellerin gem. § 203a SGB V bei der zuständigen Krankenkasse anzumelden hat und sich seine Verpflichtung zur Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen der Antragstellerin auch ohne ausdrückliche Tenorierung aus §§ 5 Abs. 1 Nr. 2a, 251 Abs. 4 Satz 1 SGB V ergibt (so zutreffend auch SG Berlin Urteil vom 31.03.2017 - S 37 AS 4687/16 WA).

Auch die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht ist begründet. Die Rechtverfolgung hatte von Beginn an hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO). Aus diesem Grund steht der Antragstellerin auch für das Verfahren vor dem Senat Prozesskostenhilfe zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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