S 10 SF 74/17 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 10 SF 74/17 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zu den Voraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr.
2. Im Fall der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG stellt der Erlass des vom Kläger begehrten Verwaltungsakts durch den Beklagten kein (konkludentes) Anerkenntnis dar.
Die Erinnerung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von dem Erinnerungsgegner an den Erinnerungsführer zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren S 1 SB 235/16 vor dem Sozialgericht Marburg. Im Streit steht die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung im Hinblick auf die Entstehung einer (fiktiven) Terminsgebühr.

In dem genannten Ausgangsverfahren erhob der Erinnerungsführer im Dezember 2016 Untätigkeitsklage gegen den Erinnerungsgegner, weil dieser seinerzeit noch nicht über einen Widerspruch des Erinnerungsführers vom 27. Juli 2016 gegen einen Bescheid des Erinnerungsgegners vom 27. Juni 2016 entschieden hatte. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2017 übersandte der damalige Beklagte dem Gericht seine Verwaltungsvorgänge und wies darauf hin, dass zwischenzeitlich ein Abhilfebescheid ergangen sei. Im Hinblick auf diesen Bescheid vom 12. Januar 2017 erklärte der damalige Kläger das Verfahren für erledigt und stellte Kostenantrag. Dem trat der damalige Beklagte entgegen. Mit Beschluss vom 17. Juli 2017 wurde der Beklagte des Ausgangsverfahrens verpflichtet, dem damaligen Kläger 50 % seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Am nächsten Tag bezifferte der Kläger des Ausgangsverfahrens seine erstattungsfähigen Kosten für das Klageverfahren. Dabei machte er folgende Positionen geltend:
- Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG = 150,00 EUR,
- Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG = 140,00 EUR,
- Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG = 20,00 EUR,
Zwischensumme: 310,00 EUR,
- 19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG = 58,90 EUR,
Endsumme: 368,90 EUR, davon 50 % = 184,45 EUR.

Daraufhin beantragte der damalige Beklagte die Kostenfestsetzung für das Ausgangsverfahren. Die von ihm geforderte Terminsgebühr sei nicht entstanden. Der Erlass des mit einer Untätigkeitsklage begehrten Bescheids stehe einem Anerkenntnis nicht gleich.

Am 7. September 2017 erließ die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Kostenfestsetzungsbeschluss für das Ausgangsverfahren. Dabei wich sie von der Kostenforderung des Erinnerungsführers ab und setzte – der Ansicht des Erinnerungsgegners folgend – insgesamt einen von dem damaligen Beklagten an den damaligen Kläger zu erstattenden Betrag in Höhe von 101,15 EUR fest. Die geltend gemachte Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG sei nicht entstanden. Dies lasse sich schon der Kostengrundentscheidung entnehmen. Danach sei der verzögerte Erlass des Widerspruchsbescheids nicht allein dem Beklagten zuzurechnen. Dieser Umstand erkläre auch die vorgenommene Kostenquotelung.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss für das Ausgangsverfahren vom 7. September 2017 hat der Kläger am selben Tag Erinnerung eingelegt. Ob die Terminsgebühr entstanden sei, lasse sich nicht der Kostengrundentscheidung entnehmen.

Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß,
den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Marburg vom 7. September 2017 dahingehend abzuändern, dass der Beklagte dem Kläger als außergerichtliche Kosten für das Klageverfahren S 1 SB 235/16 vor dem Sozialgericht Marburg insgesamt 184,45 EUR zu erstatten hat.

Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss für rechtmäßig.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands und insbesondere wegen des Vorbringens der Beteiligten zur Begründung ihrer Anträge wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Darüber hinaus wird die beigezogene Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens vor dem Sozialgericht Marburg (Aktenzeichen: S 1 SB 235/16) in Bezug genommen. Beide Akten lagen der Entscheidungsfindung zugrunde.

II.

Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Marburg vom 7. September 2017 ist gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingegangen.

Die Erinnerung ist aber nicht begründet. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist bei ihrer Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass für die anwaltliche Vertretung in dem Klageverfahren S 1 SB 235/16 keine Terminsgebühr entstanden ist.

Erstattungsfähig sind gemäß § 193 Abs. 2 SGG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Zu den letztgenannten zählt die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts (§ 193 Abs. 3 SGG). Diese bemisst sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Bei dem Ausgangsverfahren handelte es sich um ein Klageverfahren mit einem kostenprivilegierten Beteiligten im Sinne von § 183 S. 1 SGG, so dass die Anwendung des GKG gemäß § 197a Abs. 1 S. 1 SGG ausscheidet.

Welche Arten von Gebühren anfallen, bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 S. 1 RVG). Für die Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten gilt deren Teil 3. Daneben kommen noch die Allgemeinen Gebühren des Teils 1 zum Ansatz (vgl. Vorbemerkung 1). Die Maßstäbe zur Bestimmung der angemessenen Höhe einer einzelnen Gebühr lassen sich der Regelung des § 14 RVG entnehmen. Bei der Bestimmung der konkreten Gebühr sind nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG alle Umstände des Einzelfalls, vor allem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen. Bei den hier einschlägigen Betragsrahmengebühren ist außerdem das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG). Die anwaltliche Bestimmung der Höhe einer angefallenen Gebühr ist für den Erinnerungsgegner grundsätzlich verbindlich ist, wenn sie nicht unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG).

Die zwischen den Beteiligten im vorliegenden Fall allein streitige Terminsgebühr setzt nach der Vorbemerkung 3 VV RVG grundsätzlich die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen oder außergerichtlichen Terminen voraus. Daran fehlt es hier. Gemäß Nr. 3106 VV RVG entsteht sie jedoch auch, wenn
1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird,
2. nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann oder
3. das Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

Für das Klageverfahren S 1 SB 235/16 kommt insofern ausschließlich die Nr. 3 in Betracht, auf die sich der Erinnerungsführer auch stützt. Deren Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt, weil das Ausgangsverfahren nicht nach angenommenem Anerkenntnis geendet hat. Gemäß § 101 Abs. 2 SGG erledigt das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache. Dies setzt eine dementsprechende Prozesserklärung des Beklagten voraus. Dieser muss schriftlich gegenüber dem Gericht erklären, dass der streitgegenständliche prozessuale Anspruch des Klägers besteht (siehe zum Ganzen B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 101 Rn. 20 f.). Eine solche Prozesshandlung lässt sich der Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. In dem Klageverfahren S 1 SB 235/16 hat sich der Beklagte zur Hauptsache in keiner Weise eingelassen. Er hat dem Gericht lediglich seine Verwaltungsvorgänge übersandt und darauf hingewiesen, dass zwischenzeitlich ein Abhilfebescheid ergangen sei.

Im Fall der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG stellt der Erlass des vom Kläger begehrten Verwaltungsakts durch den Beklagten kein (konkludentes) Anerkenntnis dar (ebenso mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen T. Lange, NZS 2017, 893 ff.). Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 1 Satz 3 SGG. Die dort vorgesehene Erledigungserklärung des Klägers wäre andernfalls nicht sachgerecht. Diesem Verständnis hat sich mittlerweile auch das BSG angeschlossen (Urteil vom 10. Oktober 2017 – B 12 KR 3/16 R – Rn. 18 mit zahlreichen Nachweisen). Die Gegenansicht könnte dazu führen, den grundlegenden verfahrensrechtlichen Unterschied zwischen einem außergerichtlichen erledigenden Ereignis in materiell-rechtlicher Hinsicht und einer Prozesshandlung zu verwischen.

Vor diesem Hintergrund folgt die Kammer nicht (mehr) der Rechtsprechung des Kostensenats des Hessischen LSG (ebenso bereits SG Frankfurt am Main, Beschluss vom 17. April 2018 – S 7 SF 300/15 E). Dieser hat in der Vergangenheit mehrfach angenommen, dass im Fall einer Untätigkeitsklage eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG entsteht, wenn der Leistungsträger den begehrten Bescheid erlässt, der Rechtsstreit daraufhin für erledigt erklärt wird und zuvor bei Klageerhebung die Frist des § 88 SGG abgelaufen und kein zureichender Grund für eine verspätete Entscheidung des Leistungsträgers vorhanden war (so etwa im Beschluss vom 13. Januar 2014 L 2 AS 250/13 B; bestätigt mit Beschluss vom 28. November 2016 – L 2 AS 184/16 B). Diese Rechtsprechung ist aus den oben genannten Gründen abzulehnen. Die Kammer geht davon aus, dass der Kostensenat sie ebenfalls aufgeben wird, nachdem sie vom BSG in der oben zitierten Entscheidung ausdrücklich abgelehnt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Bei dem Erinnerungsverfahren handelt es sich nicht um einen Annex zu dem abgeschlossenen Verfahren der ersten Instanz, sondern gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 5 RVG um eine besondere Angelegenheit i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 1 RVG. Für die Erinnerung fällt eine Gebühr nach Nr. 3501 VV RVG an (B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 197 Rn. 10). Das bedeutet, dass analog § 193 SGG eine eigenständige Kostenentscheidung für das Erinnerungsverfahren zu treffen ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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