L 9 U 3049/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 3185/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3049/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Anerkennung eines Ereignisses vom 18.01.1993 als Arbeitsunfall streitig.

Der 1941 geborene Kläger stellte sich am 22.05.2003 bei dem Facharzt für Chirurgie T. vor. Dieser führte in dem H-Arzt- und Nachschaubericht vom 22.05.2003 gegenüber der Beklagten aus, der Kläger habe angegeben, am 18.01.1993 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Kontrolleur bei der Firma E. Sicherheits- und Dichtungstechnik einen Arbeitsunfall erlitten zu haben. Er habe im Geschäft aus einem Regal ein großes Gehäuse herunternehmen wollen und dabei plötzlich einen Schmerz im rechten Arm verspürt. Er sei damals von verschiedenen Ärzten behandelt worden. Bei der klinischen Untersuchung haben sich eine deutliche Muskelatrophie des rechten Oberarmes und deutliche Zeichen eines Abrisses der langen Bizepssehne proximal gezeigt. Auf Nachfrage der Beklagten führte der Kläger am 15.06.2003 aus, der Arbeitsunfall habe sich am 18.01.1993 zugetragen. Er habe eine Zylinderbuchse (ca. 15 kg) aus dem Regal (über Kopf) heben wollen. Dabei habe er einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter verspürt. Er habe die Arbeit nicht fortsetzen können, sich im Betrieb abgemeldet und den Orthopäden Dr. L. aufgesucht. Die Beklagte zog bei der A. – L. das über den Kläger geführte Vorerkrankungsverzeichnis, in dem u. a. eine Arbeitsunfähigkeitszeit wegen einer Periarthritis coxae vom 03.01.1995 bis zum 25.03.1995 vermerkt ist, bei. Darüber hinaus führte sie aus, hinsichtlich eines sich am 18.01.1993 zugetragenen Arbeitsunfalls lägen ihr weder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch ein sonstiger Schriftwechsel hierüber vor. Der Orthopäde Dr. L. gab in seiner Auskunft vom 15.07.2003 an, er habe den Kläger erstmals am 07.06.1988 behandelt. Ende der 1980er Jahre seien beim Kläger Schmerzen im Bereich der rechten Schulter aufgetreten, nachdem dieser eine Büchse von einem Regal heruntergeholt habe. Ein eigentlicher Unfall sei ihm nicht bekannt. Seit Mitte der 1990er Jahre bestehe der Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur mit Impingementsyndrom der rechten Schulter. Er legte darüber hinaus den Arztbrief des Prof. Dr. H., Chefarzt der Orthopädischen Abteilung des Kreiskrankenhauses R., vom 06.09.1995 vor, in dem als Diagnosen der Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur mit Impingementsyndrom rechts angegeben wurde. Der Kläger habe vor sieben Jahren beim Herunterholen einer Büchse von einem Regal ein plötzliches Stechen in der rechten Schulter verspürt und seither ständig Schmerzen und Bewegungsprobleme. Die E. GmbH E. Sicherheits- und Dichtungstechnik teilte unter dem 17.07.2003 mit, ein sich in ihrem Betrieb zugetragener Arbeitsunfall sei nicht bekannt. Daraufhin führte der Kläger aus, das Herunterholen einer schweren Zylinderbuchse stelle ein Unfallereignis dar. Er habe sich am 18.01.1993 ordnungsgemäß bei seinem Vorgesetzten abgemeldet, da er die Arbeit nicht mehr habe fortsetzen können, und sofort einen Orthopäden aufgesucht. Er habe von dort keinen "gelben Zettel" mitbekommen und sei noch am gleichen Tag, wenn auch unter erheblichen Schmerzen, bei der Arbeit erschienen. Er legte eine Bescheinigung des Orthopäden Dr. L. über eine Behandlung am 18.01.1993 und den Arztbrief des Radiologen Dr. B. vom 25.05.2001 vor. Danach sei durch die MRT-Untersuchung des rechten Schultergelenks vom 25.05.2001 der klinische Verdacht bestätigt worden und es habe sich eine komplette Ruptur der Supraspinatussehne mit Retraktion des Muskels und Ruptur der langen Bizepssehne sowie ein Konsekutiv-Hochstand im glenohumeralen Gelenk gezeigt. Außerdem habe eine aktivierte AC-Gelenkarthrose nachgewiesen werden können. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der durch den Kläger als Zeugen benannte frühere Kollege des Klägers V. N. unter dem 09.06.2004 mit, ein Vorarbeiter habe ihn am 18.01.1993 darüber informiert, dass er den Kläger vertreten müsse, da dieser wegen eines Unfalls dringend zu einem Arzt gehen müsse. Den Unfall selbst habe er nicht gesehen. Die Beklagte zog über den Orthopäden Dr. L. u. a. dessen Arztbriefe vom 10.06.1986 (die Schmerzen an der rechten Schulter seien bei dem Kunststoffformen-Polier auf eine überlastungsbedingte Peritendinose zurückzuführen), vom 14.08.1989 (Röntgenbefund rechte Schulter vom 29.06.1988: subperiostale Sklerosierung am Tuberus majus, sonst o.B.), vom 25.01.1993 (wie schon 1988 bestehe beim Kläger eine überlastungsbedingte Periarthropathie der rechten Schulter, röntgenologisch erkenne man eine leichte Periostose am Tuberus majus, die Gelenkkonturen der Schulter seien unauffällig) und vom 05.01.1995 (rezidivierende Schulterperiarthropathie und Periostose, diesmal nach Überanstrengungsreaktion) bei. Auf nochmaliges Nachfragen der Beklagten teilte der Orthopäde Dr. L. mit Schreiben vom 20.09.2004 mit, der Kläger habe sich am 18.01.1993 wegen Schulterschmerzen rechts bei ihm vorgestellt. Ein eigentliches Unfallereignis sei zu diesem Zeitpunkt nicht angegeben worden. Beschrieben worden sei eine seit 1988 längere Anamnese von Schulterschmerzen im Sinne einer überlastungsbedingten Schulterperiarthropathie. In der Karteikarte seien am 18.01.1993 keine Unfallangaben erwähnt.

In einer beratungsärztlichen Stellungnahme führte der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. aus, nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen habe kein von außen wirkendes Ereignis vorgelegen, der Vorschaden sei unstrittig und selbst bei Annahme eines Unfallereignisses bestünde weder ein verletzungskonformer Verlauf noch ein entsprechender Erstbefund.

Mit Bescheid vom 28.04.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen mit der Begründung ab, trotz Ausschöpfung aller erreichbaren Beweismittel sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass der Kläger am 18.01.1993 während einer betrieblichen Tätigkeit die rechte Schulter verletzt und somit einen Arbeitsunfall erlitten habe. Ferner sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerden, die sich am 18.01.1993 nach dem Herunterholen der Zylinderbuchse wieder bemerkbar gemacht hätten, auf vorbestehende degenerative Veränderungen in der rechten Schulter zurückzuführen seien. Der am 22.05.2003 festgestellte Abriss der langen Bizepssehne könne ebenfalls nicht auf das Ereignis vom 18.01.1993 zurückgeführt werden, sondern sei auf vorbestehende degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter zurückzuführen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2005 zurück; das vom Kläger geschilderte Herunterholen einer Zylinderbuchse von einem Regal ohne Hinweis auf sonstige unvorhergesehene Einwirkungen stelle einen willentlich gesteuerten Vorgang dar, der nach Art und Schwere weder geeignet gewesen sei, die lange Bizepssehne zum Zerreißen zu bringen, noch einen strukturellen Schaden an tieferen Schulterstrukturen zu bewirken.

Die hiergegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene und unter dem Az. S 10 U 3755/05 geführte Klage nahm der Kläger in einem Erörterungstermin am 11.04.2006 zurück.

Am 29.12.2009 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 28.04.2005 und führte aus, es seien nun neue Erkenntnisse aufgetreten. Er bezog sich auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofs in Österreich vom 25.11.2008 (1000bS 134/08s), einen Auszug aus der Dissertation "Die Rotatorenmanschettenruptur - eine Berufskrankheit?" aus September 2008 und den Arztbrief des Universitätsklinikums F. vom 07.11.2008, in dem als Diagnosen eine alte Rotatorenmanschetten-Massenruptur mit Cuffarthropathie rechts und eine alte proximale Bizepssehnenruptur rechts angegeben werden. Der Kläger habe über seit 20 Jahren bestehende Beschwerden berichtet, beginnend mit einem schmerzhaften Trauma, als der Kläger etwas aus einem Regal habe nehmen wollen. Mit Bescheid vom 18.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2010 lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 28.04.2005 ab. Der Kläger habe keine Tatsachen vorgetragen, die für die Entscheidung erheblich seien bzw. bei der Erteilung des Verwaltungsaktes nicht schon berücksichtigt worden seien. Maßgeblich bleibe, dass der beschriebene Vorgang nicht bewiesen sei. Ungeachtet des beweislos gebliebenen Unfallhergangs vom 18.01.1993 sei der vom Kläger geschilderte Geschehensablauf auch hinsichtlich der hierbei einwirkenden biodynamischen Kräfte weder im Sinne der Verursachung noch der richtungsgebenden Verschlimmerung geeignet, zu einer unfallbedingten Schädigung von Körperstrukturen, insbesondere des Sehnengeflechts im Bereich der rechten Schulter, zu führen.

Hiergegen erhob der Kläger am 27.08.2010 erneut Klage beim SG (S 11 U 4393/10) und trug ergänzend vor, sein Arbeitskollege habe zwar nichts gesehen, habe aber einspringen müssen, weil es zu einer unfallbedingten Verletzung gekommen sei.

Das SG veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Dr. S., der in seinem Gutachten vom 24.11.2011 ausführte, bei dem Ereignis vom 18.01.1993 sei es zu keiner Gewalteinwirkung auf das rechte Schultergelenk gekommen, mit der sich eine Anerkennung als Arbeitsunfall begründen ließe. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass die bei dem Ereignis vom 18.01.1993 eingetretenen Läsionen am rechten Schultergelenk und deren Folgen durch anlagebedingte degenerative Veränderungen verursacht worden seien und es sich bei dem angeschuldigten Ereignis um eine Gelegenheitsursache handle. Die Krankheitsanlage sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit so stark und so leicht ansprechbar gewesen, dass jedes alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit den Gesundheitsschaden und dessen Folgen hätte verursachen können. Der Kläger brachte Einwände gegen das Gutachten vor und legte u. a. den Arztbrief des Dr. B. vom 08.07.2004 vor, in dem ausgeführt wird, die beschriebenen Knochenaktivierungen seien nicht als Quelle der sauren Phosphatase anzunehmen, sondern sprächen für degenerative Veränderungen. Prof. Dr. S. hielt in seinen ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen vom 11.02.2012, 10.03.2012 und 02.04.2012 an seiner Beurteilung fest.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.06.2012 wies das SG die Klage mit der Begründung ab, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Gesundheitsstörungen des Klägers um Folgen eines Arbeitsunfalles handle. Die hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 6 U 2874/12), zu deren Begründung der Kläger u. a. ein Attest von Dr. S. vom 24.10.2012 vorlegte, in dem dieser ausführte, der Kläger habe ihm gegenüber von einem Arbeitsunfall am 11.08.1989 berichtet, wurde mit Urteil vom 16.01.2013 zurückgewiesen. Der Senat vertrat die Auffassung, dass das am 18.01.1993 eingetretene Ereignis zwar als Unfallereignis angesehen werden könne, die Anerkennung eines Arbeitsunfalls aber dennoch nicht möglich sei, weil es am Nachweis eines an diesem Tag eingetretenen Gesundheitserstschadens fehle. Bloße Schmerzen seien insoweit nicht ausreichend. Es fehle an einem objektivierbaren Schaden. Der behandelnde Orthopäde Dr. L. habe eine Periarthropathie seit Ende der 1980er Jahre und erneut am 18.01.1993 diagnostiziert. Außerdem habe der Kläger nach dem Aufsuchen des Orthopäden weitergearbeitet. Darauf, dass ein Kausalzusammenhang der erst 2001 durch MRT gesicherten Sehnenruptur bzw. der erst durch den Chirurgen T. 2003 beschriebenen Gesundheitsstörungen mit den Beschwerden vom 18.01.1993 fehle, komme es nicht mehr an. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde durch das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 27.05.2013 (B 2 U 35/13 B) als unzulässig verworfen.

Mit Schreiben vom 21.12.2016 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und beantragte die Überprüfung aufgrund von Fehlern der Verwaltung. Das Gutachten von Prof. Dr. S. sei fehlerhaft, weil die Beklagte ein falsches Datum angegeben habe. Die Behauptung degenerativer Veränderungen sei fehlerhaft. Die Bewegungseinschränkung entspreche einer MdE um 20 v. H. Das LSG Baden-Württemberg habe das Schreiben seines Anwalts und das Gutachten nicht zur Kenntnis genommen. Dr. L. sei schuld daran, dass er eine unbrauchbare Schulter habe.

Mit Bescheid vom 06.04.2017 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 28.04.2005 ab. Ein Nachweis eines Gesundheitserstschadens liege nicht vor. Dass im Gutachten des Dr. S. eine Bewegungseinschränkung im Untersuchungszeitpunkt geschildert werde, belege nicht, dass diese aufgrund des Ereignisses vom 18.01.1993 bestehe. Entgegen der Darstellung des Klägers gingen der Gutachter und das LSG Baden-Württemberg nicht von einem Unfallereignis am 22.05.2003 aus. Ein Ereignis vom 11.08.1989 sei für die Beurteilung dieses Vorgangs nicht relevant; zum damaligen Zeitpunkt sei der Kläger als selbstständiger Unternehmer tätig gewesen, ohne eine freiwillige Unternehmerversicherung abgeschlossen zu haben.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, eine Röntgenaufnahme vom 18.01.1993 belege, dass der Humeruskopf aus dem Sitz sei, was belege, dass der Arm ausgekugelt oder ein Sehnenriss vorhanden gewesen sein müsse. Dies hätte Dr. L. am 18.01.1993 sehen müssen. Dieser habe eine falsche Aussage gemacht, die nicht mit den Röntgenaufnahmen in Einklang stehe, wenn er seine Erkrankung auf 1988 zurückdatiere. Ferner hat er ein Schreiben des Betriebsleiters der Firma E. GmbH A. K. vom 29.01.2013 vorgelegt. Danach habe der Kläger ihn am 18.01.1993 gegen 10:00 Uhr in seinem Büro aufgesucht und mitgeteilt, dass er sich an der rechten Schulter verletzt habe. Er habe über Schmerzen geklagt und einen Arzt aufgesucht. Beim Arztbesuch sei die Schulter geröntgt worden; es sei jedoch keine Verletzung, lediglich eine Verrenkung oder so ähnlich, jedenfalls nichts Schlimmes, festgestellt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei Auswertung des Vorbringens des Klägers einschließlich der Anlagen lasse sich keine andere Beurteilung des Sachverhalts erreichen. Weder der geschilderte Hergang noch die aktuell bestehenden Gesundheitseinschränkungen würden angezweifelt. Allerdings sei ein Gesundheitserstschaden, der rechtlich wesentlich durch das Ereignis hervorgerufen worden sei, nicht feststellbar, wie das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 16.01.2013 zutreffend ausgeführt habe. Ein auf Röntgenaufnahmen nachweisbarer Hochstand der Schulter belege einen am 18.01.1993 eingetretenen Gesundheitserstschaden nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 18.08.2017 Klage beim SG erhoben und sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Über die bereits aktenkundigen medizinischen Unterlagen hinaus hat er einen Bericht des Facharztes für Diagnostische Radiologie L. vom 26.09.2017 über eine CT-Arthrographie der rechten Schulter vom 26.09.2017 und einen Bericht des Priv.-Doz. Dr. G. vom 17.09.2014 vorgelegt. Durch die Röntgenaufnahmen vom 18.01.1993 werde seiner Auffassung nach bewiesen, dass am 18.01.1993 etwas geschehen sei.

Mit Urteil vom 20.06.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig, die Beklagte habe zu Recht die Rücknahme des Bescheids vom 28.04.2005 abgelehnt. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids vom 28.04.2005 lägen nicht vor. Ein bereits am 18.01.1993 eingetretener Gesundheitserstschaden aufgrund des Hebevorgangs, dessen Eignung als Auslöser eines Sehnenrisses äußerst fraglich sei, lasse sich nicht belegen.

Gegen das ihm am 19.07.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.08.2018, einem Montag, Berufung beim SG eingelegt. Der Kläger hat zur Begründung an seinem bisherigen Vorbringen festgehalten, dieses wiederholt und vertieft. Die Röntgenaufnahmen vom 18.01.1993 zeigten eine Ruptur. Aus dem Bericht des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. B. vom 28.04.2017 gehe hervor, dass inzwischen ein ausgeprägter Hochstand des Humeruskopfes vorliege. Zum Vergleich liege eine Voruntersuchung vom 18.01.1993 vor, wo sich ein noch deutlich weniger ausgeprägter Hochstand des Humeruskopfes zeige.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Juni 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2017 zu verurteilen, ihren Bescheid vom 28. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. August 2005 zurückzunehmen und das Ereignis vom 18. Januar 1993 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung und den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 31.10.2018 auf die beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss hingewiesen worden; ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 06.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2017 ist rechtmäßig.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 28.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2005 und Feststellung eines Ereignisses vom 1818.01.1993 als Arbeitsunfall.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme eines bestandskräftigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes ist § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zur Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 28.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2005 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat. Vielmehr hat sie zu Recht die Feststellung des Ereignisses vom 18.01.1993 als Arbeitsunfall abgelehnt, da es an einem Vollbeweis dafür fehlt, dass der Kläger einen berufsbedingten Gesundheitserstschaden erlitten hat.

Rechtsgrundlage für die Feststellung eines Arbeitsunfalls sind §§ 7, 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach sind Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung unter anderem Arbeitsunfälle. Dies sind Unfälle von Versicherten infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (BSG, Urteil vom 30.04.1985 - 2 RU 43/84 -, Juris). Dagegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (sog. haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen der Einwirkung und der Erkrankung (sog. haftungsausfüllende Kausalität), eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R -, Juris). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann anzunehmen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlicher Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSG, Urteil vom 18.01.2011, a.a.O.). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zulasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte ableitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen somit zulasten des jeweiligen Klägers (BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 -, Juris).

Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits(erst)schaden sowie für die Kausalität zwischen Gesundheits(erst)schaden und weiteren (andauernden) Gesundheitsschäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R -, Juris), die auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (Conditio sine qua non). Als rechtserheblich werden aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 17.02.2009, a.a.O.) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (siehe BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, Juris). Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solche, einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung, unter anderem die konkurrierenden Ursachen (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O.).

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob der Kläger am 18.01.1993 den von ihm geschilderten Unfall erlitten hat. Der 6. Senat des LSG Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 16.01.2013 (L 6 U 2874/12) hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger im Rahmen der dort durchgeführten mündlichen Verhandlung glaubhaft dargestellt hat, am 18.01.1993 beim Herausnehmen (über Kopf) eines ca. 17 bis 20 kg schweren Gegenstandes aus einem Regal einen Schulterschmerz verspürt zu haben. Obwohl es für diesen Vorgang keine Zeugen gibt, ein sich am 18.01.1993 zugetragener Arbeitsunfall weder dem Arbeitgeber noch der zuständigen Krankenkasse gemeldet worden ist und der am Unfalltag aufgesuchte Orthopäde Dr. L. mitgeteilt hat, der Kläger habe am Unfalltag kein eigentliches Unfallereignis angegeben, hat sich der 6. Senat aufgrund der glaubhaften Schilderung des Klägers vom Vorliegen eines Unfallereignisses überzeugt. Der Senat kann letztlich dahinstehen lassen, ob sich am 18.01.1993 ein Unfall, wie er vom Kläger dargestellt worden war, zugetragen hat. Denn es fehlt jedenfalls am Nachweis eines am 18.01.1993 eingetretenen Gesundheitserstschadens. Gesundheitsschäden sind als sog. echte Schäden alle regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustände entsprechend dem allgemeinen Krankheitsbegriff der Sozialversicherung. Zwar sind Umfang und Dauer unerheblich; minimale Regelwidrigkeiten ohne Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit begründen aber in der Regel keine Ansprüche, sind also praktisch bedeutungslos (Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 101. EL September 2018, § 8 SGB VII, Rdnr. 20). Der vom Kläger beschriebene einschießende Schmerz in der rechten Schulter stellt noch keinen Gesundheitserstschaden dar; er könnte allenfalls als erstes Zeichen eines im weiteren Verlauf objektivierten Gesundheitserstschadens gewertet werden. An einer solchen Objektivierung fehlt es allerdings. Aufgrund des Akteninhalts und trotz der Angaben des Klägers konnte sich auch der erkennende Senat, wie bereits der 6. Senat, nicht davon überzeugen, dass es am 18.01.1993 im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Klägers tatsächlich zu einem Gesundheitserstschaden gekommen ist. Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger sich am 18.01.1993 bei Dr. L. in Behandlung befunden hat. Allerdings hat Dr. L. angegeben, der Kläger habe ihm gegenüber kein Unfallereignis erwähnt. Gegen einen am 18.01.1993 eingetretenen Gesundheitserstschaden spricht außerdem, dass der Kläger nach den Angaben des Orthopäden Dr. L. bereits seit Ende der 1980er Jahre an Schmerzen in der rechten Schulter im Sinne einer überlastungsbedingten Periarthropathie gelitten hat. Dementsprechend hat Dr. L. in seinen Eintragungen auf der Patientenkarte am 18.01.1993 keinen neuen Gesundheitsschaden, sondern wieder die Überlastungsperiarthropathie vermerkt. Im Arztbrief vom 25.01.1993 und damit im unmittelbaren Zusammenhang mit dem angeschuldigten Ereignis führt Dr. L. aus, wie schon 1988 bestehe beim Kläger eine überlastungsbedingte Periarthropathie der rechten Schulter, röntgenologisch erkenne man eine leichte Periostose am Tuberus majus, die Gelenkskonturen der Schulter seien unauffällig. Hieraus ergibt sich kein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines unfallbedingten Erstschadens. Im Übrigen spricht gegen einen unfallbedingten Erstschaden, dass der Kläger nach dem Aufsuchen des Dr. L. nach seinen eigenen Angaben weitergearbeitet hat. Im Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers ist in der Zeit unmittelbar nach dem 18.01.1993 keine Arbeitsunfähigkeit vermerkt.

Nach Auskunft von Dr. L. besteht der Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur mit Impingementsyndrom der rechten Schulter erst seit Mitte der 1990er Jahre. Dies lässt sich auch mit dem Arztbrief des Prof. Dr. H. vom 06.09.1995, in dem als Diagnose eine Rotatorenmanschettenruptur mit Impingementsyndrom rechts angegeben wurde, belegen. Ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 18.01.1993 lässt sich nicht herstellen, insbesondere auch deswegen, weil der Kläger gegenüber Prof. Dr. H. angegeben hatte, vor sieben Jahren, also 1988, beim Herunterholen einer Buchse vom Regal ein Stechen in der rechten Schulter verspürt zu haben.

Soweit im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. S. im Jahr 2011 eine Kraftminderung des rechten Arms und eine ausgeprägte, endgradige schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks bei Riss der langen Bizepssehne und eine durch Voruntersuchungen diagnostizierte Rotatorenmanschettenruptur mit Riss der Supraspinatus- und Subscapularissehne sowie eine Arthrose im Gleno-humeral- und AC-Gelenk festgestellt worden ist, kann nicht nachgewiesen werden, dass eine dieser Gesundheitsstörungen oder eine Gesundheitsstörung, aus der sich diese späteren Folgen entwickelten, am 18.01.1993 aufgrund des Hebevorgangs bei der Arbeit eingetreten ist. Die aufgrund der erst 10 Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis erfolgten Unfallmeldung bestehenden Beweisschwierigkeiten gehen zu Lasten des Klägers.

Da es somit am Nachweis eines am 18.01.1993 eingetretenen Gesundheitserstschadens fehlt, stellt der erlittene Unfall keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII dar.

Die Beklagte hat damit mit Bescheid vom 28.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2005 die Feststellung eines Arbeitsunfalls und mit Bescheid vom 06.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2017 eine Rücknahme dieses Bescheides zu Recht abgelehnt.

Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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