L 1 SF 434/19 E

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SF 434/19 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Nachforderungen von nicht oder zu gering erhobener Pauschgebühren sind nach § 189 SGG zulässig, unterliegen jedoch den Bestimmungen des GKG insbesondere zu Nachforderungen nach § 20 GKG und der Verjährung nach § 5 GKG.
Die Erinnerung gegen die Feststellung der Pauschgebühr unter der Nummer 1 des Gebührenverzeichnisses des Thüringer Landessozialgerichts vom 5. März 2019 für das Verfahren L 10 AL 1313/15 B ER mit der Postenkennung 0548191886331 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von nachgeforderten Pauschgebühren nach § 184 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zugrunde liegt eine Entscheidung des 10. Senats des Thüringer Landessozialgerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (L 10 AL 1313/15 B ER). Mit Beschluss vom 19. Januar 2016 hatte der 10. Senat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 27. August 2015 zurückgewiesen.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) forderte von der Erinnerungsgegnerin mit dem Gebührenverzeichnis vom 8. Februar 2018 für Januar bis Dezember 2016 (zugestellt lt. Empfangsbekenntnis am 16. Februar 2018) unter der laufenden Nr. 6 (L 10 AL 1313/15 B ER) die halbe Pauschgebühr in Höhe von 112,50 Euro; die Sache sei ohne Urteil/Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG erledigt worden. Unter dem 5. März 2019 stellte der UdG für das Verfahren L 10 AL 1313/15 B ER eine weitere Pauschgebühr in Höhe von 112,50 Euro fest (zugestellt lt. Empfangsbekenntnis am 12. März 2019). Nachdem das Thüringer Landessozialgericht mit Beschluss vom 9. November 2018 (L 1 SF 1194/18 E, nach juris) entschieden habe, dass bei einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit Beschluss keine Ermäßigung der Pauschgebühr nach § 186 SGG gelte, sei eine Pauschgebühr in Höhe von 225,00 Euro entstanden. Da bisher lediglich 112,50 Euro angefordert worden seien, seien weitere 112,50 Euro nachzufordern.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Erinnerung hat die Erinnerungsführerin vorgetragen, entgegen der Entscheidung des Thüringer Landessozialgerichts sei für das Verfahren L 10 AL 1313/15 B ER eine ermäßigte Pauschgebühr nach § 186 SGG festzusetzen. Der Gesetzestext, wonach nur bei Urteilen die volle Gebühr anfalle, sei eindeutig. Unabhängig davon stehe einer Nachforderung entgegen, dass es mit dem Auszug aus dem Verzeichnis der Streitsachengebühren aus dem Jahr 2016 mit der Gebühr von 112,50 Euro zu einer abschließenden, kostenrechtlichen Erledigung der Sache gekommen sei. Eine rückwirkende Nachforderung sei nicht oder jedenfalls nur unter den Einschränkungen des § 20 des Gerichtskostengesetzes (GKG) möglich. Im Übrigen werde die Einrede der Verjährung erhoben.

Die Erinnerungsführerin beantragt,

die Feststellung der Pauschgebühr unter der Nummer 1 des Gebührenverzeichnisses des Thüringer Landessozialgerichts vom 5. März 2019 für das Verfahren L 10 AL 1313/15 B ER mit der Postenkennung 0548191886331 aufzuheben.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Erinnerung zurückzuweisen.

Der Nachforderung der hälftigen Pauschgebühr stehe § 20 GKG nicht entgegen. Die einschlägigen Vorschriften über Erinnerungen gegen den Ansatz von Gerichtskosten enthalte für Pauschgebührenfälle § 189 SGG; dass GKG sei insoweit nicht anwendbar (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 GKG i.V.m. § 197a SGG). Für eine analogen Anwendung des § 20 GKG fehle eine planwidrige Regelungslücke. Das SGG enthalte eigenständige Regelungen zum Kostenschuldner und zur Gebührenhöhe (§ 184 SGG), zur Fälligkeit (§ 185 SGG), zur Gebührenermäßigung (§ 186 SGG), zur Erhebung (§ 189 SGG) bzw. zur Nichterhebung wegen unrichtiger Sachbehandlung (§ 190 SGG). Im Übrigen habe der Gesetzgeber des § 189 SGG aus der Vorgängervorschrift des § 6 der Gebührenordnung für das Reichsversicherungsamt die Normierung der Endgültigkeit der Festsetzung ("endgültige Feststellung") nicht übernommen, so dass eine nachträgliche Festsetzung uneingeschränkt möglich sei.

Der UdG hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Thüringer Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Erinnerung ist nach § 189 Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig. Danach kann gegen die Feststellung der Gebührenschuld durch Mitteilung das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

Die Erinnerung ist jedoch unbegründet.

Nach § 184 Abs. 1 SGG haben Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören, für jede Streitsache eine Gebühr zu entrichten (Satz 1). Sie entsteht, sobald die Streitsache rechtshängig geworden ist; sie ist für jeden Rechtszug zu zahlen (Satz 2). § 184 Abs. 2 SGG bestimmt unter anderem, dass die Gebühr für das Verfahren vor den Landessozialgerichten auf 225,00 Euro festgesetzt wird. Nach § 185 SGG wird die Gebühr fällig, soweit die Streitsache durch Zurücknahme des Rechtsbehelfs, durch Vergleich, Anerkenntnis, Beschluss oder durch Urteil erledigt ist. Nach § 186 SGG ermäßigt sich die Gebühr auf die Hälfte, wenn eine Sache nicht durch Urteil erledigt wird (Satz 1); sie entfällt, wenn die Erledigung auf einer Rechtsänderung beruht (Satz 2).

Der Senat hat bereits entschieden, dass, wenn sich das zugrundeliegende Beschwerdeverfahren nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss erledigt hat, ein Fall des § 186 SGG gleichwohl nicht vorliegt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. November 2018 - L 1 SF 1194/18 E und vom 19. Dezember 2018 - L 1 SF 1289/18 E, beide nach juris). Insofern konnte der UdG rechtmäßig weitere 112,50 Euro Pauschgebühren nachfordern.

Der Nachforderung stehen weder die Regelung des § 20 GKG (hierzu unter 1.) noch die Verjährung nach § 5 GKG (hierzu unter 2.) entgegen. Auch sonstige Einwendungen greifen nicht durch (hierzu unter 3.).

1. Grundsätzlich gilt jedoch, dass bei einer Nachforderungen von Pauschgebühren, welche für sich eine (erneute) Feststellung der Pauschgebühr i.S.d. § 189 Abs. 1 Satz 2 SGG darstellt (vgl. Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 189 SGG, Rn. 24 m.w.N.), § 20 GKG analog anwendbar ist (für eine analoge Anwendung des GKG: Lange in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 189 SGG, Rn. 24; Krauß in Roos/Wahrendorf, 1. Aufl. 2014, SGG § 189 Rn. 11; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 189 Rn. 2; für eine - über § 202 SGG - entsprechende Anwendung des § 6 GKG a.F.: BSG, Beschluss vom 26. März 1960 - 4 RJ 150/58, Rn. 4, nach juris). Einer analogen Anwendung des § 20 GKG steht auch ein Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke nicht entgegen. Die §§ 184 ff. SGG enthalten für die vorliegende Konstellation einer unterbliebenen, rechtmäßigen Gebührennachforderung keine Regelungen. § 190 SGG betrifft vielmehr den Fall der Niederschlagung einer durch unrichtige Sachbehandlung entstandenen Gebühr und nicht - wie hier - durch unrichtige Sachbehandlung nicht erhobene Gebühr. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die hier vorliegende Konstellation bewusst nicht regeln wollte. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass mit Einführung des § 189 SGG entgegen § 6 der Gebührenordnung für das Reichsversicherungsamt die Normierung der Endgültigkeit der Festsetzung ("endgültige Feststellung") nicht ausdrücklich übernommen wurde. Zum einen wollte der Gesetzgeber mit § 189 SGG keine Änderungen schaffen, sondern vielmehr die bewährte Praxis zu § 6 der Gebührenordnung für das Reichsversicherungsamt vom 22. April 1924 (RGB1. I S. 419) übernehmen (vgl. BT-Drucks. I/4357, S. 33 zu § 136) und zum anderen ergibt sich nicht, dass eine Festsetzung (oder Nachforderung) gänzlich ohne jegliche Frist beabsichtigt sein soll. Dies würde eine klare Regelung fordern, weil anderenfalls dem schon die aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit folgenden allgemeinen Regelungen der Verjährung und Verwirkung entgegenstünden. § 20 GKG trägt dem allgemeinen Rechtsgedanken Rechnung, dass die Staatskasse berechtigt sein muss, entgegen den gesetzlichen Vorschriften zu niedrig festgesetzte Kosten innerhalb einer angemessenen Frist nachzufordern; diese Frist ist mit Rücksicht auf die regelmäßig erst zu einer derartigen Nachforderung führenden verwaltungsmäßigen Maßnahmen - das gesamte "Kostenprüfungsverfahren" - sinnvoll auf praktisch ein bis zwei Jahre bemessen (so zu § 6 GKG a.F.: BSG, Beschluss vom 26. März 1960 - 4 RJ 150/58, Rn. 4, nach juris). Der UdG ist daher als befugt anzusehen, bei irrigem Kostenansatz jene Kosten innerhalb der Frist nach § 20 GKG nachzufordern.

Nach § 20 Abs. 1 GKG dürfen Kosten wegen eines unrichtigen Ansatzes jedoch nur nachgefordert werden, wenn der berichtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen vor Ablauf des nächsten Kalenderjahres nach Absendung der den Rechtszug abschließenden Kostenrechnung (Schlusskostenrechnung), in Zwangsverwaltungsverfahren der Jahresrechnung, mitgeteilt worden ist. Dies gilt nicht, wenn die Nachforderung auf vorsätzlich oder grob fahrlässig falschen Angaben des Kostenschuldners beruht oder wenn der ursprüngliche Kostenansatz unter einem bestimmten Vorbehalt erfolgt ist. Vorliegend erfolgte die Kostennachforderung noch nicht außerhalb der Frist des § 20 Abs. 1 Satz 1 SGG und damit rechtmäßig. Nachdem die Erinnerungsgegnerin das am 8. Februar 2018 abgesandte Gebührenverzeichnis - die Schlusskostenrechnung - am 16. Februar 2018 empfangen hat, dürfen Kosten noch bis zum Ablauf des Jahres 2019 nachgefordert werden, wenn bis dahin der berechtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen mitgeteilt worden ist. Dies ist hier gegenüber der Erinnerungsführerin mit der Gebührenanforderung vom 5. März 2019 geschehen.

2. Die Nachforderung ist auch nicht nach § 5 GKG (analog) verjährt (zur Möglichkeit der analogen Anwendung des GKG vgl. bereits unter 1. sowie explizit zu § 5 GKG Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 10. März 2014 - L 6 SF 1846/13 E, Rn. 8, nach juris und Lange in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 189 SGG, Rn. 20 m.w.N.). Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG verjähren Ansprüche auf Zahlung von Kosten in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Verfahren durch rechtskräftige Entscheidung über die Kosten, durch Vergleich oder in sonstiger Weise beendet ist. Vorliegend endete das zugrunde liegende Gerichtsverfahren L 10 AL 1313/15 B ER mit Beschluss vom 19. Januar 2016 (der Erinnerungsführerin zugestellt am 29. Januar 2016). Damit tritt Verjährung erst mit Ablauf des Jahres 2020 ein.

3. Ohne dass vorliegend von der Erinnerungsführerin explizit darauf abgestellt wurde, weist der Senat darauf hin, dass der Gebührennachforderung weder ein Vertrauensschutz der Erinnerungsführerin (hierzu unter a.) noch eine Verwirkung (hierzu unter b.) entgegensteht.

a. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes setzt voraus, dass vom Empfängerhorizont gesehen ein besonderer Vertrauenstatbestand gesetzt wurde, der andere darauf tatsächlich vertraute und sich darauf einrichtete (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 10. März 2014 - L 6 SF 1846/13 E, Rn. 13, nach juris). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Freistaat einen Vertrauenstatbestand geschaffen und die Erinnerungsführerin darauf vertraut hat. Die Unkenntnis der Gebührenpflicht bzw. der Rechtsansicht in den Senatsbeschlüssen vom 9. November 2018 (L 1 SF 1194/18 E, nach juris) und vom 19. Dezember 2018 (L 1 SF 1289/18 E, nach juris) kann weder den Vertrauenstatbestand noch das Vertrauen der Erinnerungsführerin begründen (so schon Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 10. März 2014 - L 6 SF 1846/13 E, Rn. 13, nach juris).

b. Eine - von der Erinnerungsführerin ohnehin nicht eingewandte - Verwirkung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Insofern hat der vormalige Kostensenat des Thüringer Landessozialgericht mit Beschluss vom 10. März 2014 (L 6 SF 1846/13 E, Rn. 13, nach juris), dem sich der Senat anschließt, entschieden, die Verwirkung sei eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) und setze als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen habe und weitere besondere Umstände hinzutreten würden, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebiets das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen ließen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 67/09 R, nach juris; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 27. November 2012 - L 6 R 1045/12 B ER, nach juris). Solche die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraute, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Es würden strenge Anforderungen an das Verwirkungsverhalten gestellt.

Hieran gemessen wäre der Erinnerungsführerin im Ergebnis nur zuzugeben, sie habe bis zur Entscheidung des Senats (Beschlüsse vom 9. November 2018 - L 1 SF 1194/18 E und vom 19. Dezember 2018 - L 1 SF 1289/18 E, beide nach juris) von der Justizverwaltung keine Anforderung von vollen Pauschgebühren erhalten, sondern sei wegen der Entscheidung des Thüringer Landessozialgericht mit Beschluss vom 8. Mai 2000 (L 6 SF 477/99, nach juris) berechtigterweise davon ausgegangen, nur die ermäßigte Pauschale nach § 186 SGG zahlen zu müssen. Ebenso, wie ein "bloßes Nichtstun" als Verwirkungsverhalten nicht ausreicht (so Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 10. März 2014 - L 6 SF 1846/13 E, Rn. 14, nach juris), reicht auch die bloße Anforderung der ermäßigten Gebühr nicht für die Annahme eines Verwirkungsverhaltens aus. Zusätzlich erforderlich wäre ein konkretes Verhalten des Gläubigers, das bei dem Schuldner die berechtigte Erwartung erweckt hat, dass eine Forderung nicht bestehe oder nicht geltend gemacht werde (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 - B 12 R 16/09 R m.w.N., nach juris). Hierfür ist nichts ersichtlich. Die Erinnerungsführerin selbst beruft sich auf § 20 GKG und räumt damit grundsätzlich ein, dass Gebühren zu gering erhoben worden sein können und Nachforderungen möglich sind.

Diese Entscheidung ist nach §§ 189 Abs. 2 Satz 2, 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved