L 9 U 2849/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3869/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2849/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik weitere Folge eines Arbeitsunfalles der Klägerin ist und ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die 1950 geborene Klägerin befand sich am 11.02.2014 auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle. Nach dem Einsteigen in den Bus und mit Anfahren des Busses stürzte die Klägerin auf den Rücken, wobei sie sich eine LWK-1-Fraktur zuzog (Durchgangsarztbericht des Priv.-Doz. Dr. M. vom 12.02.2014). Die LWK-1-Fraktur wurde im Rahmen eines stationären Aufenthaltes der Klägerin vom 11.02.2014 bis 15.02.2014 im Klinikum P. konservativ behandelt. Bei der Aufnahme war die HWS frei beweglich, es bestand ein deutlicher Klopfschmerz über der unteren BWS/oberen LWS, ohne ausstrahlende Schmerzen, ohne sensomotorisches Defizit in den Beinen und ohne Blasen-Mastdarmstörung. Die Klägerin wurde nach einer rückläufigen Symptomatik in die ambulante Weiterbehandlung entlassen (Bericht vom 15.02.2014). Eine radiologische Kontrolle am 19.02.2014 ergab für den LWK-1 eine Wirbelkörpersinterung um ca. 1/3 der Wirbelkörperhöhe. Die Klägerin habe kein neurologisches Defizit, jedoch über Schmerzen im Bereich des thorakolumbalen Übergangs geklagt. Das Gangbild sei etwas gehemmt gewesen, aber mit einem Kraftgrad 5/5. Man habe eine Kyphoplastie empfohlen, eine operative Versorgung habe die Klägerin aber abgelehnt. Im Rahmen einer Nachuntersuchung am 09.04.2014 im Klinikum P. wurden im Bereich der LWS keine Klopfschmerzen festgestellt, die Klägerin habe über eine langsame, aber konstante Besserung der Beschwerden berichtet. Die Schmerzmitteleinnahme habe reduziert werden können. Die Beweglichkeit habe sich noch deutlich eingeschränkt gezeigt und die CT-Untersuchung eine progrediente Konsolidierung ohne Nachsinterung. Neurologisch hätten sich keine Anzeichen für eine Spinalkanalstenose und keine Anzeichen für eine periphere neurologische Problematik ergeben (Bericht des Klinikums P. vom 10.04.2014). Am 23.04.2014 stellte sich die Klägerin erneut im Klinikum P. vor, wo sie über Lumbalgien sowie über Schmerzen bei der Mobilisation klagte. Die Motorik habe sich bei der Untersuchung unverändert zu den Voruntersuchungen gezeigt, mit eingeschränktem Zehen-/Spitzengang rechts sowie mit einer Kraftminderung 4/5 für die Hüftbeugung rechts. Der Hackengang sei weiterhin möglich gewesen. Eine empfohlene operative Versorgung habe die Klägerin auch weiterhin abgelehnt. Diagnostiziert wurde nunmehr eine LWK-1-Fraktur mit 30%iger Spinalkanalstenose und eine diskrete Kraftminderung für die Wurzel L2 rechts (Bericht des Klinikums P. vom 30.04.2014). Diese Diagnose wurde unverändert auch aufgrund der Untersuchung am 07.05.2014 gestellt, wobei die CT-Kontrolle der konservativ therapierten LWK-1-Fraktur eine zunehmende Konsolidierung bei gleichbleibender Kompression ergab (Bericht vom 14.05.2014). Vom 02.07.2014 bis 27.07.2014 befand sich die Klägerin für eine intensive krankengymnastische, ergotherapeutische und balneophysikalische Behandlung mit dem Ziel einer weiteren Mobilisierung, Muskelkräftigung und Verbesserung der Koordination in stationärer Behandlung der Fachklinik F. Im Entlassungsbericht vom 27.07.2014 fanden sich bezogen auf die Angabe der Klägerin über eine Beinschwäche keine neurologischen Ausfallerscheinungen. Die Beinschwäche sei minimal und ursächlich auf die Schmerzen zurückzuführen. Eine vorgesehene Kraftmessung des rechten Beines habe aufgrund der Schmerzangaben der Klägerin nicht durchgeführt werden können. Während der Arztuntersuchungen sei die Einzelkraftprüfung der Beine jedoch beidseits kräftig mit 5/5 möglich gewesen. Die angegebenen Beschwerden seien mit den Befunden nicht wirklich in Einklang zu bringen gewesen und man vermute eine mangelnde Compliance der Klägerin. Im neurologischen Bericht des H. Klinikums P. (Rechtsnachfolger des Klinikums P.) vom 15.08.2014 (Dr. O.) wurde eine schmerzbedingte Schwäche des gesamten rechten Beines proximal und distal beschrieben. Bewegungsaufforderungen wie Dorsalextension oder Flexion des Fußes hätten nicht adäquat durchgeführt werden können. Der Zehen- und Hackenstand sei jedoch gut möglich gewesen. Die Hüftflexion sei im Stehen nur bis etwa 40 Grad möglich gewesen, dann habe sie starke Schmerzen angegeben. Das Lasègue’sche Zeichen sei sowohl bei gebeugtem als auch gestrecktem Bein positiv gewesen, was gegen einen Nervendehnungsschmerz spreche. Die etwas verzögerten Tibialis-SEP’s seien Ausfluss des vorbestehenden Diabetes mellitus. Die Angaben der Klägerin und die untersuchbaren Befunde seien nicht kongruent.

Eine am 29.09.2014 begonnene Arbeits- und Belastungserprobung brach die Klägerin am 15.10.2014 wegen starker lumbaler Schmerzen mit Ausstrahlung in das rechte Bein ab (Bericht des H. Klinikums P. vom 22.10.2014).

Nach einer erneuten neurologischen Untersuchung der Klägerin am 18.12.2014 stellte der Neurologe Oberarzt Dr. O. in seinem Bericht vom 30.12.2014 eine sekundäre Wirbelkörpersinterung mit konsekutiver 20%iger Spinalkanalstenose und einen diffusen, teils ischialgieformen Schmerz der LWS rechtsbetont mit nicht radikulärer Schmerzausstrahlung fest. Seit der letzten Untersuchung im August habe sich keine Besserung der Schmerzsymptomatik, die eindeutig im Vordergrund stehe, ergeben. Weder klinisch noch elektrophysiologisch hätten sichere radikuläre Läsionen festgestellt werden können, die leichte Verzögerung der Tibialis-SEP seien durch den Diabetes mellitus gut erklärt. Die geklagten Beschwerden mit Angabe einer Verschlechterung in den letzten Monaten stehe im Kontrast zur Angabe der sehr guten Physiotherapie und den Erfolgen, die die Klägerin dort mache und ihrem unbedingten Arbeitswunsch.

Am 11.03.2015 stellte sich die Klägerin in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (B.) T. vor, die im Bericht vom 13.03.2015 eine knöchern in Fehlstellung konsolidierte LWK-1-Berstungsfraktur 02/14 mit einem nachfolgend in den Spinalkanal hineinragenden Hinterkantenfragment sowie eine unklare Schmerzsymptomatik und eine Schwäche des rechten Beines diagnostizierte. Als unfallunabhängige Diagnosen wurde ein vorbestehendes L4/5-Syndrom und eine Bandscheibenprotrusion angegeben und eine facettengelenksnahe Infiltration L4/5 sowie L5/S1 mit Lokalanästhetikum durchgeführt. Im Rahmen der Verlaufskontrolle berichtete die B. T. unter dem 26.03.2015, nach facettengelenksnaher Infiltration L4/5 sowie L5/S1 mit nachfolgender deutlicher Schmerzreduktion sei mit hoher Wahrscheinlich davon auszugehen, dass die Schmerzsymptomatik von den arthrotisch veränderten Wirbelgelenken L4/5 und L5/S1 verursacht sei.

Mit Bescheid vom 02.07.2015 stellte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld mit Ablauf des 10.08.2015 und mit der Begründung ein, dass nach den vorliegenden Unterlagen mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit nicht mehr zu rechnen und Leistungen zur Teilhabe im Arbeitsleben derzeit nicht zu erbringen seien.

Eine weitere Behandlung mit facettengelenksnahen Infiltrationen fand in der B. T. statt (vgl. Bericht vom 30.06.2015, 07.07.2015, 24.07.2015, 22.07.2015 und 19.11.2015).

Die Beklagte holte eine Stellungnahme bei ihrem Beratungsarzt Dr. F. vom 11.03.2016 ein, der ausführte, die Klägerin leide unfallbedingt an den Folgen einer LWK-1-Fraktur. Diese sei unter keilförmiger Deformierung ausgeheilt mit 20%iger Spinalkanalstenose durch ein nach dorsal verlagertes Fragment. Dieser Befund rechtfertige eine MdE zwischen 10 und 15 v. H. Dabei seien neurologische Ausfälle nicht berücksichtigt. Er empfahl deswegen eine neurologische Mitbeurteilung. Diese Untersuchung veranlasste die Beklagte bei Dr. S., K., welche am 22.04.2016 stattfand. Die Klägerin klagte hierbei über einen anhaltenden dumpfen und stechenden Schmerz über der Lendenwirbelsäule, der ins rechte Bein bis nach unten in die Fußsohle ausstrahle. Der Schmerz nehme bei längerem Sitzen, beim Stehen und beim Gehen massiv zu. Im Liegen in optimaler Position gehe es besser, in der Nacht sei sie zeitweilig beschwerdefrei. Dr. S. berichtete über während der Untersuchung aufgefallene somatisch nicht erklärbare Inkonsistenzen. So habe das Bein zeitweilig gar nicht bewegt werden können und sei förmlich am Boden geklebt, es sei dann aber während der Bewegungen relativ flüssig und harmonisch gewesen. Auch der Fersengang habe nur kurz durchgeführt werden können, andererseits sei aber die Fußhebung dann während der Untersuchung im Liegen vorübergehend gar nicht mehr möglich gewesen. Man müsse davon ausgehen, dass bei der Klägerin aufgrund der Wirbelkörpersinterung und der konsekutiv veränderten Statik der LWS lokale Beschwerden über der LWS bestünden und vermutlich auch sekundär unfallbedingte pseudoradikulär ausstrahlende Beschwerden ins rechte Bein bei vorbestehenden Spondylarthrosen, vor allem LWK 4/5 und präsakral. Belege dafür, dass darüber hinaus eine neurologische Störung vorhanden sei, etwa im Sinne einer Claudicatio spinalis oder einer radikulär zuzuordnenden Symptomatik, hätten sich nicht gefunden. Überlagert werde das Bild durch demonstrative und aggravierende Schilderungen und Verhaltensweisen, die über das "normale Maß" von Verdeutlichungstendenzen, wie man es im Rahmen berufsgenossenschaftlicher Untersuchungen und Begutachtungen regelhaft sehe, hinausgingen.

Mit Bescheid vom 07.06.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalles vom 11.02.2014 mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalles hinaus bzw. seit Ende des Verletztengeldanspruches nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert. Als Folgen des Unfalls anerkannte sie "zusätzliche Belastungsbeschwerden nach einem in Fehlstellung knöchern verheilten Bruch des 1. Lendenwirbelkörpers mit Einengung des Spinalkanals in Höhe des 1. Lendenwirbelkörpers" und führte aus, dass unabhängig vom Arbeitsunfall eine Einengung des Wirbelkanals im Bereich des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers (neuroforaminale Enge) bei Bandscheibenvorwölbung im Bereich des 2. bis 5. Lendenwirbelkörpers, verschleißbedingte Veränderungen der Wirbelbogengelenke (Spondylarthrose) im Bereich des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers sowie am Übergang des 5. Lendenwirbelkörpers zum Kreuzbein, Knochenanbauten (Spondylophyten) an der Lendenwirbelsäule, ein verschleißbedingter unvollständiger Riss des Obergrätenmuskels (Supraspinatussehne) rechte Schulter, erhöhte Depressivität und gesteigerte psychovegetative Erregbarkeit, eine Stoffwechselerkrankung mit dadurch bedingter Erhöhung der Blutzuckerwerte (Diabetes mellitus Typ 2) und ein Bluthochdruck (Hypertonie) bestünden.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2016 zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, dass die neurologischen Untersuchungen keinerlei Nachweis einer traumatischen Nervenschädigung oder eines neuropathischen Schmerzsyndroms ergeben hätten. Ferner hätten sich auch keine objektivierbaren neurologischen Störungen finden lassen.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.11.2006 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, mit der sie geltend gemacht hat, dass als weitere Folge des Arbeitsunfalles eine pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik im rechten Bein anzuerkennen und eine Unfallrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren sei. Insoweit hat sie auf die Ausführungen des Dr. S. verwiesen, der zwar ausgeführt habe, dass sich klinisch-neurologisch oder elektrophysiologisch keine Hinweise auf eine radikuläre Schädigung ergeben hätten, jedoch pseudeoradikulär ausstrahlende Beschwerden am rechten Bein als unfallbedingt anzusehen seien. Insoweit hat sie zusätzlich den Bericht des HELIOS Klinikums P. vom 13.07.2016 herangezogen, wo die Diagnose pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik "bei Spondylarthrose L 4/5 sowie L5/S1 und entsprechend neuroforaminale Engen rechts" ebenfalls gestellt worden sei.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen einer sachverständigen Zeugenaussage von Priv.-Doz. Dr. M., H. Klinikum P., welche dieser zusammen mit Dr. S. abgegeben hat. Beide gaben an, dass sich die Klägerin anlässlich des Unfallereignisses eine LWK-1-Kompressionsfraktur zugezogen habe. Die nachfolgende Sinterung mit Verlagerung des dorsalen Hinterkantenfragmentes in Richtung Spinalkanal sei unfallbedingt. Die degenerativen Veränderungen der gesamten Lendenwirbelsäule sowie insbesondere die neuroforaminale Enge in Höhe LWK 4/5 rechts seien unfallunabhängig. Die von der Klägerin vorgebrachte Beschwerdesymptomatik sei teilweise schwer einzuordnen, insbesondere da die neurologisch erhobenen Befunde teilweise nicht kongruent mit den subjektiven Angaben der Klägerin seien.

Die Bevollmächtigten beantragten daraufhin, Dr. M., P., gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständigen zu hören.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2017 abgewiesen. Unter Darlegung der entsprechenden Rechtsgrundlagen hat das SG die Auffassung vertreten, dass eine pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik im rechten Bein nicht als weitere Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen sei. Hierbei stütze sich die Kammer auf die im Urkundenbeweis verwertbaren Befundberichte des Dr. O. vom 15.08. und 30.12.2014 sowie den Zwischenbericht der B. T. vom 26.03.2015, die Zwischenberichte des H.-Klinikums vom 30.03.2016 und vom 13.07.2016 sowie den als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbaren neurologischen Befund des Dr. S. Dr. O. habe bereits im August 2014 überzeugend und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass er für die von der Klägerin geäußerten Schmerzen im rechten Bein keine Befunde habe objektivieren können, insbesondere, dass die Angaben der Klägerin hierzu auch nicht mit den untersuchbaren Befunden übereinstimmten. Auch bei der Untersuchung im Dezember 2014 habe Dr. O. weder klinisch noch elektrophysiologisch eine radikuläre Läsion am rechten Bein objektivieren können. Die bereits bei der Voruntersuchung festgestellte leichte Verzögerung der Tibialis-SEP’s habe Dr. O. nachvollziehbar als durch den unfallunabhängigen Diabetes mellitus erklärbar bezeichnet und erneut auf die Diskrepanz zwischen der geklagten Schmerzverstärkung und den gleichzeitig angegebenen sehr guten Ergebnissen der Physiotherapie und dem von ihr geäußerten unbedingten Arbeitswunsch hingewiesen. Dies stimme im Ergebnis mit den Darlegungen des Dr. S. überein. Denn auch er habe keine objektivierbaren motorischen Auffälligkeiten am rechten Bein bei Angabe einer dissoziierten sensiblen Störung im rechten unteren Quadranten feststellen können. Weiter hätten sich bei den von ihm durchgeführten elektrophysiologischen Untersuchungen normale sensible und motorische Nervenleitgeschwindigkeiten und regelrechte F-Wellenlatenzen am rechten Bein gefunden. Überdies sei der erhobene elektromyographische Befund hinsichtlich der Wurzeln L4, L5 und S1 rechts unauffällig gewesen. Schließlich habe Dr. S. zutreffend ein neuropathisches Schmerzsyndrom und eine sympathische Reflexdystrophie als Ursache der von der Klägerin geltend gemachten Beschwerden ausgeschlossen. Gegen eine wesentliche schmerzbedingte Schonung des rechten Beines habe überdies das Fehlen von Atrophien der Beinmuskulatur gesprochen. Wie Dr. O. habe auch Dr. S. auf demonstrative Tendenzen der Versicherten bis an den Rand der Simulation hingewiesen und dies durch entsprechende Verhaltensmuster der Klägerin für das Gericht überzeugend weiter ausgeführt. Bereits im Zwischenbericht vom 26.03.2015 hätten die Ärzte der BG-Klinik die pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit als unfallunabhängig wegen arthrotisch veränderter Wirbelgelenke in den Segmenten L4/5 und L5/S1 angesehen. Hierfür spreche zur Überzeugung der Kammer auch das Ergebnis der am 11.03.2015 in der BG-Klinik erfolgten Facettengelenks-Infiltration, in deren Folge die Klägerin gegenüber den Ärzten der BG-Klinik eine deutliche, wenn auch nicht überdauernde Besserung der Beschwerden angegeben habe. Auch die Ärzte des H.-Klinikums P. hätten die pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik der Klägerin nicht auf die knöchern konsolidierte LWK-1-Belastungsfraktur mit nachfolgender knöcherner Spinalkanalstenose zurückgeführt, sondern auf eine unfallunabhängige Spondylarthrose der Segmente L4/5 und L5/S1 mit entsprechenden neuroforaminalen Engen rechts. Anders sei auch nicht auf die Bekundungen des sachverständigen Zeugen Priv.-Doz. Dr. M. zu entscheiden. Denn auch er weise ausdrücklich auf die Diskrepanz der objektiv erhebbaren Befunde mit den subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin hin und auf ein Fehlen eines neurologischen Korrelats zu der angegebenen schmerzbedingten Schwäche des rechten Beines. Wegen den danach als Unfallfolgen allein zu berücksichtigenden zusätzlichen Belastungsbeschwerden nach Fehlstellung knöchern verheiltem Bruch des 1. Lendenwirbelkörpers mit Einengung des Spinalkanals habe die Klägerin ab dem Tag nach der Einstellung der Zahlung von Verletztengeld (ab dem 11.08.2015) auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn sie erfülle die Voraussetzungen nicht, weil wegen der Unfallfolgen ihre Erwerbsfähigkeit seither nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert sei. Für diese Überzeugung stütze sich die Kammer auf die Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. F., dessen Beurteilung der unfallbedingten MdE mit den unfallmedizinischen und unfallrechtlichen Bewertungsgrundsätzen übereinstimme. Danach rechtfertige ein stabil verheilter Wirbelbruch mit leichtem Achsenknick (= Fehlstatik) und gegebenenfalls Höhenminderung der angrenzenden Bandscheibe mit mäßiger segmentbezogener Funktionsstörung eine unfallbedingte MdE um 10 v. H. Eine MdE um 20 v. H. – wie geltend gemacht – setze demgegenüber einen statisch wirksamen Achsenknick mit einem Keilwirbel von mehr als 25 Grad, eine Höhenminderung der angrenzenden Bandscheiben mit deutlicher segmentbezogener Funktionsstörung oder einen verheilten Wirbelbruch mit verbliebener segmentaler Instabilität (muskulär teilkompliziert) oder eine Versteifung von zwei Segmenten der Lendenwirbelsäule einschließlich BWK 12 und LWK 1 voraus. Ein solches Ausmaß erreichten die anerkannten Unfallfolgen indes nach den aktenkundigen medizinischen Befunden ersichtlich nicht, wie sich insbesondere aus dem Zwischenbericht des H.-Klinikums P. vom 18.03.2016, dem während des stationären Aufenthalts der Klägerin im März 2016 dort erhobenen radiologischen Befund wie auch dem zuletzt in der BG-Klinik im Juli 2015 objektivierten radiologischen Befund im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule ergebe. Soweit der sachverständige Zeuge Priv.-Doz. Dr. M. von einer MdE um 20 v. H. ausgegangen sei, stimme diese Einschätzung nicht mit den unfallrechtlichen und unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätzen überein. Den Hilfsantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gem. § 109 SGG bei Priv.-Doz. Dr. M. sei nicht stattzugeben gewesen, weil die Klägerin die ihr mit Verfügung des Gerichts vom 20.03.2017 erteilten Auflagen innerhalb der ihr hierzu eingeräumten Frist bis 24.04.2017 nicht vollständig erfüllt habe.

Gegen den ihr am 27.06.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 20.07.2017 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben und zur Begründung geltend gemacht, die Ablehnung des Antrags gem. § 109 SGG stelle einen Verfahrensmangel dar. Das SG habe ohne Rechtsgrundlage erweiterte Anforderungen für die Einholung von Gutachten gem. § 109 SGG aufgestellt, indem es einen Nachweis durch geeignete Unterlagen gefordert habe, dass der als Sachverständige benannte Arzt bereit und in der Lage sei, das Gutachten innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Gutachtensauftrages zu erstellen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Juni 2017 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2016 abzuändern, die pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik im rechten Bein als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 11. Februar 2014 festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Unfallfolgen ab dem 11. August 2015 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigsten 20 v. H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der vorgelegten Akten, den Vortrag in erster Instanz und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides.

Der Senat hat von Amts wegen Beweis erhoben durch das Einholen eines Gutachtens beim Institut für neurologische Begutachtung, K. Dr. B. hat in diesem Gutachten vom 12.02.2019 ausgeführt, dass sich die Klägerin am 11.02.2014 bei dem Wegeunfall eine Fraktur des 1. Lendenwirbelkörpers zugezogen habe mit Deckplattenimpression und Sinterung des frakturierten Wirbelkörpers und Verlagerung der deckplattennahen Hinterkante nach dorsal mit daraus resultierender Spinalkanaleinengung. Zuletzt sei in den chirurgisch-orthopädischen Berichten von einer Konsolidierung der LWK-1-Fraktur in Fehlstellung die Rede gewesen. Es bestünden mit Latenz zu dem Unfall aufgetretene, chronische, haltungs- und belastungsabhängig verstärkte, vom Kreuz in die Außenseite des rechten Beines bis zur Fußaußenkante und die äußeren Zehen ausstrahlende Schmerzen, die am ehesten dem Schmerzdermatom S1 entsprechen. Kreuzschmerzen und die in das rechte Bein ausstrahlende Schmerzen, die sehr wahrscheinlich Ausdruck einer Nervenwurzelreizung S1 rechts seien, seien mit großer Wahrscheinlichkeit durch die degenerativen Veränderungen des Segmente L4/5 und L5/S1 bedingt (in Höhe L4/5 medial bzw. mediolateral rechts betonte Bandscheibenprotrusionen, degenerative Veränderungen der Facettengelenke in Höhe L4/S1, ausgeprägte Arthrose der kleinen Wirbelgelenke mit Einengung der Nervenwurzelaustrittszone S1 rechts) und somit unfallunabhängig. Inwieweit noch Kreuzschmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen (Beweglichkeitseinschränkung) auf die unfallbedingte LWK-1-Fraktur zurückzuführen seien, müsse chirurgisch/orthopädisch beurteilt werden. Dr. B. hat den von ihm angeforderten Bericht des Neurologen Dr. B. vom 05.02.2009 über die Auswertung von Röntgenbildern der LWS vom 11.02.2014, 13.02.2014 und 09.10.2014, von Computertomographien der LWS bzw. der BWS vom 11.02.2014, 12.03.2014, 09.04.2014, 07.05.2014, 28.08.2014 und 04.12.2014 sowie der MRT-Untersuchungen der Lendenwirbelsäule vom 05.08.2014 und vom 17.03.2016 beigefügt. Außerdem hat er den Bericht des Oberarztes der Abteilung Neurophysiologie Dr. H. vom 31.01.2009 über dessen neurophysiologische Untersuchung der Klägerin am 31.01.2019 vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Klägerin hat an dem von ihr gestellten Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe aufzuheben und das Verfahren an dieses zurückzuverweisen, nicht mehr festgehalten, nachdem der Senat selbst in der Sache ermittelt hat. Es kann daher offenbleiben, ob ein Verfahrensmangel (vgl. hierzu Roller, SGb 2018, 402 ff.), der zu einer Zurückverweisung berechtigt hätte, vorgelegen hat und ob ein Antragsrecht der Klägerin, gerichtet auf die Aufhebung und Zurückverweisung überhaupt besteht. Dies wäre zumindest dann nicht der Fall, wenn der Senat in solchen Fällen neben einem Sachantrag gehalten wäre, von Amts wegen die Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG zu prüfen und über eine solche zu entscheiden (im Sinne einer bloßen Anregung auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017 § 159 Rn 5). Nach den für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungen durch Einholung eines neurologischen Gutachtens von Amts wegen hätte es der Klägerin im Übrigen freigestanden, den Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG in der Berufungsinstanz zu wiederholen. Eine Zurückverweisung gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kommt unter dieser veränderten Prozesslage jedenfalls nicht (mehr) in Betracht.

Das SG hat den vorliegenden Sachverhalt unter Wiedergabe der einschlägigen Normen und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Kausalzusammenhang und der Bewertung der MdE ausführlich dargestellt und ist unter Berücksichtigung der Aktenlage sowie der Beweiserhebung zutreffend und überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin geltend gemachte pseudoradikuläre Schmerzsymptomatik im rechten Bein nicht als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 11.02.2014 anzuerkennen ist und auch die Voraussetzungen einer Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nicht vorliegen, weil die Unfallfolgen keine MdE um wenigstens 20 v. H. rechtfertigen. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich an und sieht um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und zu den Ermittlungen im Berufungsverfahren stellt der Senat fest, dass nach dem vom Senat eingeholten Gutachten feststeht, dass die von der Klägerin geltend gemachte in das rechte Bein ausstrahlende Schmerzsymptomatik dem Dermatom S1 zuzuordnen ist und damit von einem Bereich der Lendenwirbelsäule ausgeht, der von dem Unfall nicht betroffen wurde. Sind diese Beschwerden somit nicht Folge des Unfalles, gibt es nach Überzeugung des Senats auch keinen Zweifel daran, dass ein Rentenanspruch wegen der anerkannten Unfallfolgen nicht erfüllt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen der Klägerin auch im Berufungsverfahren.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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