S 38 KA 5001/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5001/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
I. Zur Herausgabe von Unterlagen, die Behandlung betreffend, ist der Vertragszahnarzt im Rahmen seiner allgemeinen und besonderen Mitwirkungspflicht (vgl. allgemeine Mitwirkungspflicht des Vertragszahnarztes, aber auch § 295 Abs. 1a SGB V, § 8 Gesamtvertrag-Zahnärzte) auch nach der Beendigung seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit verpflichtet. Es handelt sich um eine im Zusammenhang mit seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit stehende nachwirkende Pflicht.

II. Auch wenn die Beschaffung von Unterlagen durch den ehemaligen Vertragszahnarzt erschwert sein sollte, erwächst daraus keine Pflicht der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung oder von Ausschüssen, sich ihrerseits um die Beschaffung der Unterlagen zu kümmern.

III. Als Korrelat zu den nachwirkenden Pflichten eines ehemaligen Vertragszahnarztes besteht auch das nachwirkende Recht des ehemaligen Vertragszahnarztes auf Nachbesserung bzw. auf Neuanfertigung. Dieses Recht auf Nachbesserung oder Neuanfertigung kann auch von einem anderen Vertragszahnarzt in Vertretung des ursprünglichen Behandlers oder durch den Behandler selbst wahrgenommen werden. Der Vertragszahnarzt wird sich nach der Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit zweckmäßigerweise für eine kurze Übergangszeit so organisieren müssen, dass Möglichkeiten zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung bestehen, möchte er sein Nachbesserungsrecht wahrnehmen und wegen Mängeln nicht in Regress genommen zu werden.

IV. Der Vertragszahnarzt kann sich nur dann darauf berufen, er habe keine Gelegenheit zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung gehabt, wenn er den Patienten vorher nachhaltig zur Nachbesserung/Neuanfertigung aufgefordert und ihm zu verstehen gegeben hat, dass hierfür keine Kosten anfallen.
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage war der Bescheid der Beklagten aus der Sitzung vom 09.11.2016. Darin wurde eine Rückerstattung der Behandlungskosten in Höhe von 1.594,20 EUR bei dem Patienten C. gefordert. Vorausgegangen war ein Heil- und Kostenplan vom 13.02.2014 über einen teleskopgetragenen Zahnersatz im Unterkiefer. Die Eingliederung der Prothetik fand laut Karteikarteneintrag am 11.03.2014 statt.

Der Gutachter Dr. F. wurde mit einem Gutachten beauftragt. Dieser kam in seinem Gutachten vom 08.10.2015 zu dem Ergebnis, der Randschluss der Unterkiefer-Innen-teleskope sei mangelhaft. Eine Nachbesserung sei nicht möglich, weshalb eine vollständige Neuanfertigung erforderlich sei. Schließlich befasste sich die Widerspruchsstelle der Beklagten mit der Angelegenheit. Nachdem keine Röntgenaufnahmen und Karteikarten von der Klägerin zur Verfügung gestellt wurden, bezog sich die Widerspruchsstelle auf das eingeholte Gutachten, das sie als aussagekräftig ansah.

Dagegen ließ die Klägerin Klage zum Sozialgericht München einlegen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen für einen Mängelanspruch lägen nicht vor. Denn es gebe keine Pflichtverletzung, die schuldhaft von der Klägerin herbeigeführt worden sei. Bei der Einprobe und dem Einsetzen seien im Übrigen ein Zahntechniker und eine Zahnarzthelferin anwesend gewesen. Diese hätten sich vom fachgerechten Sitz der Teleskopversorgung überzeugen können. Eine Mängelrüge könne nur dann durchgreifen, wenn die Mangelhaftigkeit bereits bei Eingliederung vorgelegen habe. Ein nachträglicher Eintritt von Mängeln könne multiple Ursachen haben. Im angefochtenen Bescheid fehle außerdem die Feststellung, dass der als fehlerhaft bemängelte Zustand auf einem schuldhaft vertragswidrigen Verhalten der Klägerin beruhe. Außerdem handle es sich nicht um ein Mängelgutachten, sondern um ein Planungsgutachten, betreffend eine Versorgung durch den Nachbehandler.

Die Beklagte wies darauf hin, die Mangelhaftigkeit der prothetischen Versorgung sei sowohl von dem Gutachter, als auch von den drei Zahnärzten der Widerspruchsstelle festgestellt worden. Die Mangelfreiheit sei von der Klägerin nachzuweisen. Eine weitere Aufklärung aufgrund der nicht vorgelegten Dokumentation sei nicht möglich gewesen.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte geltend (Schriftsatz vom 23.11.2017), eine Nachbesserung sei deshalb nicht möglich gewesen, weil der Patient nicht mitgewirkt habe. Die Klägerin sei nicht mehr vertragszahnärztlich tätig. Damit entfalle aber nicht das Nachbesserungsrecht. Außerdem sei darauf hinzuweisen, dass beim Patienten im Oktober 2017 ein Zungengrundtumor festgestellt worden sei. Der gutachterlich beanstandete Zahnersatz habe nicht mehr verwendet werden können. Der Patient sei jetzt mit einem Langzeitprovisorium versorgt. In der mündlichen Verhandlung am 04.06.2019 übergab der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine "Praxisüberlassung und Vertretungsvereinbarung" vom 01.04.2015 zwischen der Klägerin und der Zahnarztpraxis A. mit folgendem Wortlaut:

"Nach Verkauf Ihrer Praxis zum 31.03.2015 bat mich Frau Dr. Z., ihr die Möglichkeit von Nachbesserungen einzuräumen ferner im Verhinderungsfall für Sie die Vertretung zu übernehmen und in ihrem Namen die Versorgung von Patienten in meiner Praxis zu übernehmen. Die Versorgung bezieht sich auch auf gutachterlich geforderte Nachbesserungen."

Ferner wurde klägerseits ein Schreiben der Zahnarztpraxis Dr. A. vom 20.05.2019, gerichtet an die Klägerin übergeben, wonach u.a. folgendes ausgeführt wurde:

"In diesem Schreiben darf ich Ihnen eine Zusammenfassung des Behandlungsablaufs zu einem Ihrer Patienten, mit dem sie wegen Nachbesserungen zu mir in die Praxis gekommen sind, geben. Patient D. befindet sich seit 06.10.2016 durchgehend bei mir in Behandlung. Als Maßnahmen wurden eine Unterfütterung der Unterkiefer-Prothese, zusätzlich im Unterkiefer eine Parodontal-Therapie durchgeführt. Der Patient hat die im Gutachten genannten Mängel selber nicht nachvollziehen können und empfand es nicht als unzumutbar die vorhandene Versorgung ohne Änderung weiter zu verwenden. Die geforderten Nachbesserungen hätten bei mir, wie vereinbart in der Praxis durchgeführt werden können, nur verzichtete der Patient auf eine Nachbesserung der bestehenden Prothese bzw. Versorgung ..."

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 02.01.2017.

Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 04.06.2019 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung ist zu Recht erfolgt. Vorauszusetzen für den Schadenersatz ist eine schuldhafte Pflichtverletzung durch den Behandler.

Für die fachkundig mit zwei Zahnärzten besetzte Kammer steht fest, dass die von der Klägerin eingegliederte Prothetik mangelhaft ist. Konkret zu beanstanden ist der Randschluss der Unterkiefer-Innenteleskope, nämlich bei Zähnen 36, 33, 43, 44, 45, 46 und 47. Nach der überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellung des Gutachters Dr. F. bestehen Mängel in der technischen Ausführung. Eine Nachbesserung ist nicht möglich. Vielmehr ist eine vollständige Neuanfertigung des eingegliederten Zahnersatzes notwendig.

Die Einlassungen der Klägerseite, sowohl der Zahntechniker, als auch die Zahnarzthelferin seien bei der Einprobe und beim Einsetzen anwesend gewesen und hätten sich vom fachgerechten Sitz der Prothetik überzeugen können, sind unbehelflich. Denn Beobachtungen Dritter ohne die entsprechende Fachkunde sind nicht geeignet, eine gutachterliche Beurteilung zu widerlegen.

Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass sich die Widerspruchsstelle in ihrer Entscheidung auf das von Dr. F. erstellte Gutachten stützte. Weitere Ermittlungen waren weder durch den Gutachter, noch durch die Widerspruchsstelle möglich, zumal trotz mehrfacher Aufforderung die Klägerin keine Planungsröntgenaufnahmen und Karteikarten zur Verfügung stellte. Zur Herausgabe von Unterlagen, die Behandlung betreffend, wäre die Klägerin verpflichtet gewesen (vgl. allgemeine Mitwirkungspflicht des Vertragszahnarztes, aber auch § 295 Abs. 1a SGB V, § 8 Gesamtvertrag-Zahnärzte). Dies gilt auch für die Zeit nach der Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit. Denn zu den nachwirkenden Pflichten eines Vertragszahnarztes gehört auch, dass dieser nach seinem Ausscheiden aus der vertragszahnärztlichen Tätigkeit Unterlagen zur Verfügung stellt, die Vorgänge während seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit betreffen; so auch Vorgänge im Zusammenhang mit Prothetikmängelrügen (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2013, Az. B 6 KA 17/12 R). Es mag zwar sein, dass ein ausgeschiedener Arzt/Zahnarzt keinen oder einen erschwerten Zugang zu Unterlagen hat, wenn sich diese beim Praxisnachfolger befinden. An der nachwirkenden primären Pflicht des ehemaligen Vertragsarztes/Vertragszahn-arztes, auf Anforderung Unterlagen zur Verfügung zu stellen, ändert dies aber nichts. Auch wenn die Beschaffung von Unterlagen durch den ehemaligen Vertragsarzt/Vertrags-zahnarzt erschwert sein sollte, erwächst daraus keine Pflicht der Beklagten, sich ihrerseits um die Beschaffung der Unterlagen zu kümmern. Abgesehen davon fehlt hierfür die rechtliche Grundlage.

In der mündlichen Verhandlung am 04.06.2019 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Gericht Originalkarteikarten ausgehändigt, von denen Kopien gefertigt wurden, die zum einen der Vertreterin der Beklagten ausgehändigt, zum anderen zur Klageakte genommen wurden. Es stellt sich die Frage, ob diese Eintragungen zu berücksichtigen sind, oder, ob die Klägerin damit ausgeschlossen ist. Für einen Ausschluss würde sprechen, dass die Mitwirkung der Klägerin und Vorlage der geforderten Unterlagen verspätet erfolgten und der Gutachter sowie die Zahnärzte der Widerspruchsstelle keine Möglichkeit hatten, Einsicht zu nehmen und diese im Rahmen ihrer Entscheidung mit zu berücksichtigen. Darauf kommt es aber letztendlich nicht an. Denn nach Durchsicht der Einträge in der Karteikarte, soweit sie überhaupt leserlich und nachvollziehbar sind, ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte, die im Sinne der Klägerseite entscheidungserheblich zu berücksichtigen wären.

Entgegen der Auffassung der Klägerseite kommt es auch nicht darauf an, ob der Mangel bereits zum Zeitpunkt der Eingliederung offensichtlich bestand. Denn der Vertragszahnarzt übernimmt für die Versorgung mit Zahnersatz eine zweijährige Gewähr (§ 137 Abs. 4 SGB V a.F.). Selbstverständlich hat der Vertragszahnarzt nur für solche Mängel die Gewähr zu übernehmen, die von ihm zu vertreten sind. Im streitgegenständlichen Verfahren gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mangel auf Ursachen beruht, die nicht der Sphäre der Klägerin zuzurechnen sind.

Es ist daher von der Mangelhaftigkeit der prothetischen Versorgung, angefertigt durch die Klägerin, die sie zu vertreten hat, auszugehen. Ferner steht für die fachkundig mit zwei Zahnärzten besetzte Kammer fest, dass eine Nachbesserung nicht möglich ist, sondern vielmehr eine Neuanfertigung veranlasst ist.

Das Recht des Vertragszahnarztes auf Nachbesserung schließt auch das Recht des Vertragszahnarztes auf Neuanfertigung mit ein. Als Korrelat zu den nachwirkenden Pflichten eines ehemaligen Vertragszahnarztes besteht auch das nachwirkende Recht des ehemaligen Vertragszahnarztes auf Nachbesserung bzw. auf Neuanfertigung. Dieses Recht auf Nachbesserung oder Neuanfertigung kann auch von einem anderen Vertragszahnarzt in Vertretung des ursprünglichen Behandlers oder durch den Behandler selbst wahrgenommen werden. Der Vertragszahnarzt wird sich nach der Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit zweckmäßigerweise für eine kurze Übergangszeit so organisieren müssen, dass Möglichkeiten zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung bestehen, möchte er sein Nachbesserungsrecht wahrnehmen und wegen Mängeln nicht in Regress genommen zu werden.

Wie sich aus der "Praxisüberlassung und Vertretungsvereinbarung" vom 01.04.2015 zwischen der Klägerin und der Zahnarztpraxis A. und dem Schreiben der Zahnarztpraxis Dr. A. vom 20.05.2019 ergibt, hat die Klägerin solche Vorkehrungen getroffen, um im Falle, dass nach Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit Mängel zu beseitigen sind, diese entweder durch sie selbst oder durch die Zahnarztpraxis Dr. A. behoben werden. Aus dem Schreiben der Zahnarztpraxis Dr. A. vom 20.05.2019 geht im konkreten auch hervor, dass sich der Patient C. dort einfand. Dr. A. führte aus:

"Der Patient hat die im Gutachten genannten Mängel selber nicht nachvollziehen können und empfand es nicht als unzumutbar die vorhandene Versorgung ohne Änderung weiter zu verwenden. Die geforderten Nachbesserungen hätten bei mir, wie vereinbart, in der Praxis durchgeführt werden können, nur verzichtete der Patient auf eine Nachbesserung der bestehenden Prothese bzw. Versorgung."

Somit kam es zu keiner Nachbesserung bzw. Neuanfertigung. Grundsätzlich ist ein Rückerstattungsanspruch von Behandlungskosten ausgeschlossen, wenn der Behandler von seinem Nachbesserungsrecht/Neuanfertigungsrecht aus Gründen, die nicht ihm zuzurechnen sind, nicht Gebrauch machen kann. Dies setzt aber nach Auffassung der Kammer voraus, dass der Behandler den Patienten nachhaltig zur Nachbesserung/Neuanfertigung aufgefordert und ihm zu verstehen gegeben hat, dass hierfür keine Kosten anfallen. Aus dem Vortrag der Beteiligten, auch aus den Einträgen in der Karteikarte geht nicht hervor, dass eine solche Aufforderung stattfand.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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