S 43 AS 737/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
43
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 43 AS 737/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Sozialgericht Magdeburg erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird dem Bundessozialgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende.

Die Klägerin mit Wohnsitz in ... G. erhob am 16. Februar 2015 bei dem Sozialgericht Braunschweig Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 4. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2015. Mit Verfügung vom 19. Februar 2015 wies der Kammervorsitzende die Beteiligten darauf hin, dass eine Verweisung an das örtlich zuständige Sozialgericht Stendal in Betracht komme. Er räumte Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ein. Das gerichtliche Schreiben ging bei dem Bevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 2. März 2015 ein. Mit Beschluss vom 11. März 2015 erklärte sich das Sozialgericht Braunschweig für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Sozialgericht Magdeburg.

Das Sozialgericht Magdeburg hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es Zweifel an der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses habe und beabsichtige, den Rechtsstreit dem Bundessozialgericht (BSG) zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorzulegen. Es hat ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen gegeben. Sie haben sich nicht geäußert.

II.

Der Rechtsstreit ist dem BSG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorzulegen.

Nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

So liegt es hier. Das Sozialgericht Braunschweig hat sich mit Beschluss vom 11. März 2015 für örtlich unzuständig erklärt. Diese Entscheidung ist gemäß § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar. Auch das Sozialgericht Magdeburg erklärt sich mit dem vorliegenden Beschluss für örtlich unzuständig. Das gemeinsame nächsthöhere Gericht ist das Bundessozialgericht.

Das Sozialgericht Braunschweig ist gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG örtlich zuständig, weil die Klägerin in dessen Gerichtsbezirk ihren Wohnsitz hat (1). Das Sozialgericht Magdeburg kann sich für örtlich unzuständig erklären, weil der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 11. März 2015 ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet (2).

1. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Klägerin zur Zeit der Klageerhebung ihren Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort hat; steht sie in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann sie auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen. Einen Wohnsitz haben natürliche Personen dort, wo sie ihre Wohnung unter solchen Umständen innehaben, die darauf schließen lassen, dass sie diese beibehalten und nutzen werden (vgl. § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil).

Nach dieser allgemeinen Zuständigkeitsregelung bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz der Klägerin. Diesen hat sie ausweislich der Klageschrift in ... G. Es ist nicht ersichtlich, dass sie unter dieser Adresse nicht ihre Wohnung innehat. Es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Magdeburg hat. Für die Kreisstadt G. ist das Sozialgericht Braunschweig gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 2 Niedersächsisches Justizgesetz örtlich zuständig.

2. Dem Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Braunschweig kommt hier keine Bindungswirkung zu. Zwar ist gemäß § 98 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, bindend. Nach der Rechtsprechung des BSG entfällt jedoch die Bindungswirkung, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichem Verhalten beruht. Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt (BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 – B 12 SF 5/12 S –, Rn. 6 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung, zitiert nach juris).

Das ist hier der Fall. Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Braunschweig ist schon entgegen § 98 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet. Zudem wird im Tenor keine Rechtsgrundlage genannt, auf der die Entscheidung beruhen sollte. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, auf welche rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen die Entscheidung gestützt ist. Sie sind in der Gerichtsakte nicht dokumentiert. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ergibt sich nach den Zuständigkeitsregelungen des Sozialgerichtsgesetzes die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Magdeburg.

Außerdem erging der Beschluss unter Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Das Sozialgericht Braunschweig hat vor Ablauf der selbst gesetzten zweiwöchigen Stellungnahmefrist entschieden. Die gerichtliche Verfügung ging dem Bevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses erst am 2. März 2015 zu. Der Beschluss erging bereits am 11. März 2015. Aus Art. 103 Abs. 1 GG erwächst dem Gericht jedoch die Pflicht, vor Erlass seiner Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten das rechtliche Gehör tatsächlich gewährt wurde. Bemisst sich – wie hier – die den Beteiligten zur Äußerung gesetzten Frist nach dem Zugang der richterlichen Verfügung, ist der Zeitpunkt des Zugangs festzustellen und zu berücksichtigen. Nur dadurch wird gewährleistet, dass die Äußerungsfrist zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs effektiv ausgeschöpft werden kann. Ergeht die Entscheidung vor Ablauf der Frist, verletzt dies Art. 103 Abs. 1 GG (Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 19. Dezember 2013 – 1 BvR 859/13 –, Rn. 9 ff, zitiert nach juris).

Es ist nicht auszuschließen, dass die Verweisung an das Sozialgericht Magdeburg und damit der Entzug des für die Klägerin zuständigen Gerichts zumindest auch auf einer Verletzung dieses Verfassungsrechts beruht. Die Klägerin kann keine Anhörungsrüge gemäß § 178 a SGG erheben, da der Verweisungsbeschluss keine Endentscheidung im Sinne des § 178 a Abs. 1 Satz 2 SGG ist. Auch aus diesem Grund, kann diesem keine Bindungswirkung zukommen.

Nach alledem verstößt die Entscheidung gegen zwingendes Verfahrensrecht. Sie ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und beruht damit auf sachfremden Erwägungen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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