S 21 KR 123/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 21 KR 123/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 56/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form ärztlich verordneten Anziehens von Kompressionsstrümpfen hat.

Die Klägerin lebt in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen und erhält von dem Sozialhilfeträger Eingliederungshilfe. Der mit der Einrichtung geschlossene Wohn- und Betreuungsvertrag sieht unter anderem vor, dass der Träger der Einrichtung die Anleitung bei medizinisch-pflegerischer Versorgung auf ärztliche Anordnung übernimmt, des Weiteren allgemeine pflegerische Leistungen, die den organisatorischen Möglichkeiten der Einrichtung entsprechen. Behandlungspflege ist ausdrücklich "nicht Bestandteil der Arbeit".

Die Hausärztin stellte zwei Verordnungen über "Kompressionsstrümpfe anziehen 1 x tgl." aus, nämlich am 20.01.2016 für den Zeitraum 02.02.2016 bis 02.02.2017 und am 25.01.2016 für den Zeitraum 01. bis 29.02.2016. Die Klägerin beantragte bei der Beklagte die Genehmigung der verordneten häuslichen Krankenpflege; der Pflegedienst reichte die Vordrucke bei der Beklagten ein. Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 02.02.2016 und vom 09.02.2016 eine Kostenübernahme für die verordneten Leistungen ab. Nach aktueller Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – so die Beklagte - seien für einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege nicht die Krankenkassen zuständig, sondern die Einrichtungen der Behindertenhilfe. Dabei handele es sich in der Regel um Leistungen, für die es keiner besonderen Sachkunde oder Fertigkeiten bedürfe. Demnach übernehme die Einrichtung die Leistungen und trage die Kosten. Eine Kostenübernahme durch die Beklagte sei aus diesem Grund nicht möglich. Eine Kostenübernahme könne nicht erfolgen. Die Klägerin legte durch ihren Betreuer Widerspruch ein und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.02.2015 mit dem Aktenzeichen B 3 KR 11/14 R. Die Beklagte zog den Wohn- und Betreuungsvertrag und den Bewilligungsbescheid zur Eingliederungshilfe bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2016 wies sie den Widerspruch zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.

Zur Begründung der am 01.06.2016 erhobenen Klage trägt die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte vor, zur Durchführung der verordneten Maßnahmen seien medizinische Fachkenntnisse erforderlich, über die die in der Einrichtung beschäftigten Kräfte nicht verfügten. Sie legt hierzu eine Stellungnahme der verordnenden Ärztin vom 09.06.2016 und ein an den Betreuer gerichtetes Schreiben des Trägers der Einrichtung vom 31.03.2016 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt:

Die Bescheide der Beklagten vom 02.02.2016 und 09.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2016 werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die häusliche Krankenpflege in Form von Kosten für das Anziehen von Kompressionsstrümpfen nach dem SGB XI in Verbindung mit der Hilfsmittelverordnung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die Urteile des Bundessozialgerichts vom 25.02.2015 und vom 22.04.2015.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf das Anziehen von Kompressionsstrümpfen durch einen Pflegedienst oder auf eine Erstattung verauslagter Kosten. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Rechte und Pflichten der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung sind in dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelt. Die Leistungen werden nach § 2 Abs. 1 SGB V grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen erbracht. Eine Kostenerstattung ist nach § 13 Abs. 1 SGB V nur möglich, wenn das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch dies ausdrücklich vorsehen. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen möglich, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Voraussetzung ist hier allerdings nicht erfüllt. Die Beklagte hat die Genehmigung der beantragten häuslichen Krankenpflege zu Recht abgelehnt.

Die häusliche Krankenpflege ist in § 37 SGB V geregelt. Absatz 2 der Vorschrift regelt die sogenannte Behandlungssicherungspflege. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.

Eine Einrichtung der Eingliederungshilfe kann nach den grundlegenden Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.02.2015 (B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R) und vom 22.04.2015 (B 3 KR 16/14 R) ein "sonstiger geeigneter Ort" sein, wenn die Einrichtung die Leistung der häuslichen Krankenpflege nicht selbst schuldet. In den drei genannten Urteilen kommt das BSG allerdings zu dem Ergebnis, dass Einrichtungen der Eingliederungshilfe sogenannte einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege als gesetzlichen Bestandteil der Eingliederungshilfe schulden, ohne dass es auf vertragliche Regelungen ankommt. Das Urteil mit dem Aktenzeichen B 3 KR 10/14 R betraf die Gabe von Medikamenten, das Verfahren B 3 KR 11/14 R betraf die Medikamentengabe und die Blutdruckmessung, das Verfahren B 3 KR 16/14 R betraf die Blutzuckermessung. Nach den Ausführungen des BSG handelt es sich bei allen diesen Maßnahmen um sogenannte einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege, die grundsätzlich von jedem Erwachsenen durchgeführt werden können. Diese sind – so das BSG – von einer Einrichtung der Eingliederungshilfe als Hilfe zur Führung eines gesunden Lebens zu erbringen. Als weitere Beispiele nennt das BSG das Anziehen von Thrombosestrümpfen, das An- und Ablegen einfach zu handhabender Stützverbände, das Einreiben mit Salben (soweit es sich nicht um schwierige Wundversorgung handelt), die Verabreichung von Bädern uÄ. Nicht zu den "einfachsten" Maßnahmen gehört laut BSG eine Insulininjektion. Bei einer solchen Maßnahme ist zu prüfen, ob ein vertraglicher Anspruch zur Erbringung dieser Leistung gegen die Einrichtung besteht. Ist dies nicht der Fall, so ist die Krankenkasse leistungspflichtig (B 3 KR 16/14 R, Randnr. 35 ff. bei Juris).

Auch bei dem Anziehen von Kompressionsstrümpfen handelt es sich um eine einfachste Maßnahme der Behandlungspflege, die grundsätzlich von jedem Erwachsenen erbracht werden kann. Soweit vorgetragen wird, es seien Kompressionsstrümpfe der Klasse II verordnet, gilt nichts anderes. Zu beachten ist, dass nach der Nr. 31 der Anlage zu der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Erbringung von häuslicher Krankenpflege überhaupt erst Kompressionsstrümpfe ab der Klasse II aufwärts verordnungsfähig sind. Da die Ausführungen des Bundessozialgerichts verordnungsfähige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege betreffen, sind nach Auffassung der Kammer mit dem Terminus "Thrombosestrümpfe" Kompressionsstrümpfe der Klassen II aufwärts gemeint. Im Übrigen handelt es sich um eine beispielhafte Aufzählung, die nicht abschließend ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, besteht folglich ein gesetzlicher Anspruch gegen die Einrichtung. Die Erbringung dieser Leistung durch die beklagte Krankenkasse ist nicht "erforderlich" im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Daher besteht kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte.

Aus den dargelegten Gründen war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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