S 23 U 394/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 394/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 167/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 02.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2015 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Parteien ist, ob über die von der Beklagten als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannten Gesundheitsstörungen hinaus weitere Gesundheitsstörungen anzuerkennen sind und ob die Klägerin in der Folge Anspruch auf weitere Leistungen nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) hat.

Die 1955 geborene Klägerin wurde ausweislich der Unfallanzeige ihres Arbeitgebers vom 12. Februar 2014 am 29. Januar 2014 von einem Schüler "am Handgelenk gepackt und festgehalten". Sie habe sich mit Hilfe einer Kollegin wieder befreien können und sich dabei das rechte Handgelenk verdreht. Die Klägerin arbeitete nach dem Ereignis weiter und stellte sich erstmals am 12. Februar 2014 beim Durchgangsarzt vor. Dieser erhob als Befund eine Beweglichkeit des rechten Handgelenks von 80-0-70 (Dorsalextension/Palmarflexion), an beiden Handgelenken keine äußerlichen Verletzungs- oder Entzündungszeichen, kein Erguss und stellte die Diagnose "Handgelenksdistorsion beidseits". Die Klägerin sei arbeitsfähig. In einem MRT-Befund zum rechten Handgelenk vom 14. März 2014 sind ein Reizerguss und deutlicher "Reizzustand Ulnocarpalgelenk/Radioulnargelenk mit Zerrung/Anriss des Discus triangularis", eine mögliche Schädigung des SL-Bandes und Ganglien dokumentiert. Am 26. März 2014 stellte sich die Klägerin wegen Schmerzen im rechten Handgelenk bei Rotationsbewegungen erneut beim Durchgangsarzt vor. Es wurde eine Beweglichkeit (Extension/Flexion) von 30-0-50 erhoben und weiterhin keine Arbeitsunfähigkeit attestiert, aber eine Indikation zur operativen Versorgung gestellt.

Am 3. April 2014 wurde bei der Klägerin eine Handgelenksarthroskopie durchgeführt. Dabei wurde eine degenerative Diskusläsion, eine LT-Band-Ruptur und eine narbig überbrückte SL-Band-Ruptur, Chondromalazie 2. Grades in mehreren Bereichen des Handgelenks sowie eine dorsale Synovialitis festgestellt. Die voraussichtliche Behandlungsdauer betrage zwei Wochen, Arbeitsunfähigkeit wurde zunächst ebenfalls für zwei Wochen bescheinigt. Im weiteren Verlauf wurde Arbeitsfähigkeit ab 7. Juni 2014 festgestellt.

Nach Auswertung der medizinischen Unterlagen teilte die Beklagte den behandelnden Ärzten der Klägerin mit, dass ihre Leistungspflicht nicht mehr vorliege. Mit Bescheid vom 2. Juli 2014 wurde das Ereignis vom 29. Januar 2014 als Arbeitsunfall anerkannt, ein Anspruch auf Rente jedoch abgelehnt. Die unfallbedingte Zerrung beider Handgelenke sei folgenlos ausgeheilt, diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit habe nicht vorgelegen. Entsprechende Behandlungsbedürftigkeit werde für höchstens vier Wochen anerkannt. Die darüber hinaus bestehenden Beschwerden am rechten Handgelenk seien auf einen Verschleißschaden zurückzuführen.

Auf den Widerspruch der Klägerin holte der Beklagte nochmals eine beratungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage von Prof. Dr. C. ein. Dieser teilte mit, dass die Diskusschädigung nicht Unfallfolge sei, da anderenfalls ein Knochenödem und/oder Schäden der diskusumfassenden Bänder hätten vorliegen müssen. Schon allein aufgrund der Ganglien sei eine Erklärung für die verschleißbedingte Veränderung des rechten Handgelenks gegeben. Für eine Ruptur von SL- und LT-Band müsste von einem anderen Unfallmechanismus ausgegangen werden. Zudem hätten bei solchen Rupturen entsprechende Weichteilverletzungen mit dazugehörigem Hämatom bestehen müssen.

Ergänzend wurde von der Beklagten eine ausführliche Stellungnahme der Ärzte eingeholt, von denen die Arthroskopie durchgeführt worden war. Dr. D./Dr. E. bestätigten im Wesentlichen die Ausführungen von Prof. Dr. C. und wiesen darauf hin, die erhobenen Befunde seien insgesamt vereinbar mit einer degenerativen Diskusläsion. Das geschilderte Verdrehtrauma sei aus dortiger Sicht nicht geeignet gewesen, den Binnenschaden des rechten Handgelenks hervorzurufen. Sollten durch das Verdrehtrauma tatsächlich Bänder abgerissen worden sein, wäre dies über viele Monate mit einem Knochenödem vergesellschaftet gewesen. Ein solches Knochenödem sei in der Kernspinuntersuchung vom März 2014 jedoch ausgeschlossen worden.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2014 zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Gericht nach Einholung von Befundberichten Prof. Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser kam nach ambulanter Untersuchung der Klägerin im November 2015 zu dem Ergebnis, es sei eher davon auszugehen, dass die LT-Band-Ruptur nicht unfallbedingt sei. Im MRT sei jedoch ein Erguss nachgewiesen. Der Unfall habe aus seiner Sicht zu einer vorübergehenden Verschlimmerung, wenngleich nicht richtunggebenden Verschlechterung schon vorbestehender Veränderungen im Handgelenk der Klägerin geführt. Eine solche Verschlimmerung klinge nach seiner Erfahrung innerhalb von ein bis zwei Jahren ab. Die Bewegungsmaße der rechten Hand wurden gegenüber links leicht verringert gemessen, bei Flexion/Extension 70-0-60.

Auf Antrag der Klägerin wurde im weiteren Verlauf ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom Arzt für physikalische und rehabilitative Medizin G. eingeholt. Dieser untersuchte die Klägerin im April 2016 und erhob im Vergleich zu Prof. Dr. F. etwas stärker reduzierte Bewegungsmaße des rechten gegenüber dem linken Handgelenk. Der Unfall habe zu einer vorübergehenden Erstmanifestation eines vorbestehenden Leidens geführt. Ein Primärschaden (Verdrehtrauma/Zerrung) sei durch die Ergussbildung nachgewiesen. Ursache für die Verschlimmerung sei der Erguss, der sich wegen des vorbestehenden Verschleißschadens und der komplexen Quetschung/Distorsion langsamer zurückgebildet habe als üblich.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2015 dahingehend abzuändern, dass als Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. Januar 2014 die von Herrn G. in seinem Gutachten vom 30. Mai 2016 auf Seite 28 und 29 genannten Gesundheitsstörungen anerkannt werden. Darüber hinaus wird beantragt, der Klägerin entsprechende Leistungen nach dem SGB VII zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Es liege kein Beweis dafür vor, dass der Erguss, der zudem durch die Diskusschädigung erklärbar sei, nicht bereits vor dem Unfallgeschehen vorgelegen habe. Der Vollbeweis für einen entsprechenden Erstschaden sei demnach nicht erbracht. Für die Erstmanifestation eines Verschleißschadens sei der Unfall lediglich Gelegenheitsursache. Jedenfalls scheide bei einem derart fortgeschrittenen Verschleißschaden wie bei der Klägerin ohne Nachweis einer Verletzung eine wesentliche Mitursache aus.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zwar zulässig, aber nicht begründet, da die Beklagte zu Recht die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 29. Januar 2014 und Gewährung entsprechender Leistungen nach dem SGB VII abgelehnt hat.

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 29/07 R).

Unter Anwendung dieser Grundsätze musste die Klage abgewiesen werden, da ein Gesundheitserstschaden, der ursächlich für die noch bestehenden Beschwerden der Klägerin sein könnte, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann.

Zwar wurde von der Beklagten eine Zerrung als Gesundheitserstschaden anerkannt. Die Zerrung als solche - hier besteht auch keine Differenz hinsichtlich der medizinischen Einschätzung - war jedoch nach wenigen Wochen ausgeheilt. Ein darüber hinausgehender Gesundheitserstschaden, der nicht bereits vor dem Unfallereignis vorlag oder ggf. später unabhängig vom Unfallereignis entstand, kann nicht im Vollbeweis festgestellt werden.

Der Diskusschaden sowie die sonstigen Knorpelschäden sind nach dem insofern einheitlichen Ergebnis der gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten sowie der im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Stellungnahmen, die als Urkundsbeweis im Klageverfahren verwendet werden können, degenerativer Natur. Unabhängig davon, ob sie vor dem Ereignis "stumm" waren, d.h. keine Beschwerden verursachten, waren sie bereits vorbestehend.

Eine Bandruptur als Erstschaden konnte das Gericht nicht mit ab Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als erwiesen annehmen. Wie Prof. Dr. C. überzeugend ausgeführt hat, hätte bei einer (frischen) Bandruptur bei der ersten ärztlichen Untersuchung auch eine entsprechende Weichteilverletzung mit Hämatom sichtbar sein müssen. Dies war jedoch nicht der Fall. Dr. D./Dr. E. bestätigen die Einschätzung, dass ein Verdrehtrauma kein geeignetes Unfallereignis zur Verursachung von Bänderrissen ist. Auch Prof. Dr. F. geht davon aus, dass die Bandsituation nicht unfallbedingt sei.

Der von Prof. Dr. F. und Herrn G. als Erstschaden angenommene Erguss konnte ebenfalls nicht im Vollbeweis nachgewiesen werden. Zwar ist dem MRT-Bericht vom 14. März 2014 zu entnehmen, dass bei der Klägerin u.a. ein Reizerguss vorlag. Das Gericht konnte dennoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Erguss als Gesundheitserstschaden ausgehen. Denn die MRT-Untersuchung erfolgte erst ca. sechs Wochen nach dem Unfallereignis. Angesichts der massiven degenerativen Vorschäden der Klägerin erscheint es nicht fernliegend, dass der Erguss - wie auch der Reizzustand im Übrigen - nicht in Zusammenhang mit dem Unfallereignis, sondern bereits zuvor oder deutlich danach auftrat. Hierfür spricht, dass die Klägerin - so auch in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt - zunächst offenbar noch erträgliche Schmerzen hatte und deshalb ca. zwei Wochen nach dem Unfallereignis erstmals zum Arzt ging. Dieser konnte jedoch keine äußerlichen Verletzungszeichen feststellen. Die Bewegungsmaße waren nur wenig eingeschränkt, die Klägerin weiterhin arbeitsfähig. Ein im Unfallzusammenhang neu entstandener Erguss hätte dagegen relativ schnell zu entsprechenden Änderungen bzgl. der Beschwerden und Beweglichkeit führen müssen. Ebenso wenig ist erwiesen, dass durch den Unfall eine Schadensanlage für einen Erguss geschaffen worden wäre, der sich einige Wochen später realisiert hätte.

Trotz dessen ausgewiesener Expertise konnte das Gericht damit im Ergebnis der von Prof. Dr. F. geäußerten Einschätzung nicht folgen, dass wegen des Unfallereignisses eine weitere Behandlungsbedürftigkeit und zeitweise rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit entstanden sei. Prof. Dr. F. geht davon aus, dass durch den Unfall eine vorübergehende, nicht richtungweisende Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens vorursacht wurde, für deren Abklingen ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren anzusetzen sei. Dieser Einschätzung legt Prof. Dr. F. jedoch eine (unfallbedingte) Ergussbildung zugrunde, die aber gerade nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit als in hinreichendem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall vorliegend festgestellt werden konnte. Zum Zeitpunkt des Entstehens und zur konkreten Veranlassung des Reizergusses wird keine Aussage getroffen.

Gegen die Annahme von Prof. Dr. F., es sei durch den Unfall eine im Laufe von ein bis zwei Jahren abheilende Verschlimmerung vorbestehender Beschwerden eingetreten, spricht auch, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Herrn G., d.h. mehr als zwei Jahre nach dem Unfallgeschehen, eine weitergehende Einschränkung der Beweglichkeit dokumentiert wurde. Dies trägt nicht dazu bei, Zweifel des Gerichts an der Annahme eines Ergusses als Erstschaden auszuräumen.

Nicht folgen konnte das Gericht auch dem Gutachter G., der von einer unfallbedingten vorübergehenden Erstmanifestation eines vorbestehenden Leidens ausgeht. Denn auch er geht von einer Ergussbildung als Primärschaden und Ursache für die Verschlimmerung aus. Er weist zwar darauf hin, dass die Klägerin schlecht die fehlende Existenz eines Ergusses vor dem Unfallereignis nachweisen könne. Allerdings geht er ebenfalls nicht näher auf die Frage ein, inwieweit sonstige Ursachen und insbesondere die bei der Klägerin bestehenden degenerativen Veränderungen zur Bildung des im MRT beschriebenen Reizergusses geführt haben könnten.

Bei der Beweiswürdigung hat das Gericht nicht verkannt, dass Prof. Dr. F. und Herr G. ihre Gutachten nach Untersuchung der Klägerin erstellt haben und die Stellungnahmen von Prof. Dr. C. "nur" nach Aktenlage erfolgt sind. Die Beurteilung nach Aktenlage führt bei der hier entscheidungsrelevanten Frage, ob die Ergussbildung Gesundheitserstschaden ist, nicht zu einem geringeren Gewicht der medizinischen Bewertung. Denn bei den ambulanten Untersuchungen in 2015 bzw. 2016 war der Abstand zum Unfallgeschehen schon relativ groß. Zur Vergangenheit konnte von den Gutachtern ebenfalls nur auf die Aktenlage zurückgegriffen werden. Am zeitnahsten bzgl. der Gutachten/medizinischen Stellungnahmen wurde die Klägerin von Dr. D./Dr. E. untersucht, die die erhobenen Befunde der degenerativen Diskusläsion zugeordnet haben.

Die Einholung weiterer Sachverständigengutachten ist nach Auffassung des Gerichts nicht erforderlich, da der Sachverhalt weitest möglich aufgeklärt ist. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich und werden auch von der Klägerin nicht geltend gemacht, dass die bereits anerkannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Zerrungen) einer längeren als der bereits anerkannten Heilbehandlungsdauer bedurft hätten. Die wegen und nach der Arthroskopie bestehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ist ebenfalls nicht durch die anerkannten Gesundheitsstörungen bedingt, sondern durch die vorbestehenden Verschleißerscheinungen. Dasselbe gilt für eine etwaige vorübergehende Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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