S 10 KR 344/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 344/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 180/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 6/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 09. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2010 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 300,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erhebung der Insolvenzumlagen U1 und U2 für einen von der Klägerin im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung angestellten Hausmeister, die im konkreten Fall rund 30 EUR im Jahr ausmacht.

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die einzelne Wohnungen eines Hauses in der A-Straße in A-Stadt verwaltet und sich dazu der Firma "C. GmbH", bedient.

Nachdem die Klägerin über die Hausverwaltung den Dauerbeitragsnachweis vorgelegt hatte, beanstandete die Beklagte mit Schreiben vom 16.03.2009, dass darin keine Umlagesätze nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz für das Umlageverfahren U1 und U2 zur Insolvenzgeldumlage entrichtet wurden und bat um den Nachweis für die Befreiung davon.

Da die Klägerin zwar einräumte, dass sie nicht zu den in den Befreiungstatbeständen enthaltenen Gruppierungen zähle, jedoch angesichts der Tatsache, dass die WEG nicht insolvenzfähig sei, eine Rechtfertigung für die Erhebung der Umlage nicht sah, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 09. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2010 die Verpflichtung zur Umlage für den von der WEG beschäftigten Hausmeister fest.

Hiergegen richtet sich die am 05. Oktober 2010 beim hiesigen Gericht erhobene Klage, mit der die Klägerin im wesentlichen geltend macht, dass sie als Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) im Rahmen der gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber Dritten und den Wohnungseigentümern gesetzlich legitimiert sei, eigene Rechte zu erwerben und Verpflichtungen einzugehen und dabei die gemeinschaftsbezogenen Rechte wie die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnehme, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. Dazu gehöre auch die Pflicht, die der WEG zugehörige Eigentümer von unbegründeter Inanspruchnahme Dritter freizustellen. Die Feststellung der Beklagten, die WEG zur Insolvenz-Umlage heranzuziehen sei rechtswidrig, weil die WEG selbst gar nicht insolvenzfähig sei. Im Übrigen verkenne die Beklagte bei der Heranziehung der Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalens vom 26.11.2004 (L 4 U 76/03) dass die WEG weder in ihrer Funktion noch nach ihren Grundsätzen mit denen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts vergleichbar sei, selbst wenn sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein teilrechtsfähiges Gebilde darstelle. Schließlich verrichte der von der WEG angestellte Hausmeister, der nur kleinere Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten innerhalb des Hauses, die anfallenden Reinigungsarbeiten und die Pflege der Außenanlage übernommen habe, seine Dienste nicht für die WEG als solche, sondern allein und ausschließlich für die dem Verband zugehörigen privaten Eigentümer. Der Verband nehme insoweit nur Kraft Gesetzes die Rechte der einzelnen Eigentümer war. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass die WEG kein Unternehmer im Sinne des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII sei, da ihr der Wert der im und mit dem Unternehmen verrichteten Arbeit nicht unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereiche, also gar kein Unternehmerrisiko trage. Die Mittel zum Bestreiten bestehender Verbindlichkeiten sowie das Kapital zur Bewirtschaftung bringe nicht die WEG auf, sondern deren einzelne Mitglieder. Dementsprechend sei sie auch im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften nicht den Risiken einer Zahlungsunfähigkeit ausgesetzt. Zumindest müsse in analoger Anwendung der Befreiungsregelungen für private Haushalte die WEG von der Heranziehung zu Beiträgen zur Insolvenzumlage befreit sein, da deren Mitglieder alle Privathaushalte seien. Letztendlich handele die WEG bei der Verpflichtung eines Hausmeisters nicht unternehmerisch, sondern lediglich in Ausübung der ihr nach dem Gesetz zugewiesenen Entscheidungskompetenz für jedes einzelne ihr zugehörige Mitglied, bei dem es sich wiederum unzweifelhaft um private Haushalte im Sinne des Befreiungstatbestandes des § 358 Abs. 1 Satz u. 2 SGB III handele.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 09. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2010 aufzuheben, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie vertritt dagegen die Auffassung, dass sie verpflichtet sei, die Insolvenzumlagen U1 und U2 gegen die Klägerin festzusetzen und einzuziehen, da auf sie kein Ausnahmetatbestand zuträfe. Im Einzelnen trägt sie vor, dass die Klägerin zu Unrecht bei der Übermittlung des Dauerbeitragsnachweises ab dem 01.01.2009 keine Insolvenzumlage nach U1 und U2 nach dem Aufwendungsausgleichgesetz in Höhe von insgesamt 0,67 vom Hundert überwiesen habe. Sie unterliege nämlich als Unternehmerin dieser Verpflichtung und sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines privaten Haushaltes davon befreit. Denn als solche kämen nur natürliche Personen in Betracht, um die es sich bei der Klägerin jedoch nicht handele. Ein Privathaushalt liege nämlich nur vor, wenn die Tätigkeit des Beschäftigten allein für den einzelnen Arbeitgeber auf dessen selbst verwendetem Grundstück bzw. dessen selbst verwendeten Räumen ausgeübt werde. Die fehlende Insolvenzfähigkeit der Klägerin spiele dabei keine Rolle. Zudem sei die Klägerin als juristische Person des Privatrechts keine juristische Person des Öffentlichen Rechts, weshalb auch der Hinweis auf die Regelung des § 11 Abs. 3 WoEiG nicht zielführend sei.

Bezüglich des weiteren Sachvortrags der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die beide auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012 waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtgesetz zulässig, weil durch die Anfechtung des Bescheides vom 09. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2010 die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung der Insolvenzumlagen (U1 und U2) beseitigt wird. Die Klägerin ist auch klagebefugt, weil sie zum einen Adressat der mit der Klage angegriffenen Bescheide ist und zum anderen gemäß § 10 Abs. 6 des Wohnungseigentumsgesetztes (WEG) im Rahmen der gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums sowohl gegenüber den Eigentümern selbst wie gegenüber Dritten befugt ist, Rechte zu erwerben, Pflichten einzugehen und die gemeinschaftsbezogenen Rechte und Pflichten wahrzunehmen, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. Da die Beklagte geltend macht, dass die Klägerin zur Zahlung einer Insolvenzumlage verpflichtet sei, macht die Klägerin insoweit gemeinschaftliche Rechte ihrer Mitglieder, nämlich der einzelnen Wohnungseigentümer geltend, indem sie sich dagegen verwahrt.

Die Klage ist auch begründet, weil die Entscheidung der Beklagten in rechtwidriger Weise in die Rechte der Klägerin eingreift. Denn diese ist nicht verpflichtet, eine Insolvenzumlage - egal ob U1 oder U2 - zu entrichten. Dies scheitert allerdings nicht daran, dass die Beklagte nicht berechtigt wäre die Insolvenzumlage geltend zu machen. Denn mit dem Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber die Aufgaben des Einzugs der Insolvenzgeldumlage für Entgeltabrechnungszeiträume ab dem 01.01.2009 auf die Einzugsstellen übertragen, die im Falle des von der WEG geringfügig beschäftigten Hausmeisters die "Minijobzentrale" der Beklagten ist. Jedoch steht dieser gegen die Klägerin kein Anspruch auf Erhebung der Insolvenzzulage zu, weil dieser nicht zum Kreis der verpflichteten Unternehmen bzw. sonstigen Arbeitgebern gehört.

Zwar bestimmt § 358 Abs.1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) dass die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes durch eine monatliche Umlage von den Arbeitgebern aufgebracht werden, wobei der Bund, die Länder, die Gemeinden sowie Körperschaften des öffentlichen Rechts, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren nicht zulässig ist, und solche juristischen Personen des öffentlichen Rechtes, bei denen der Bund, ein Land oder eine Gemeinde kraft Gesetzes die Zahlungsfähigkeit sichert sowie private Haushalte nicht in die Umlage einbezogen werden (§ 358 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Die Umlage bemisst sich dabei nach einem Prozentsatz des Arbeitsentgelte, wofür das Arbeitsentgelt anzusetzen ist, nach dem die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Auszubildenden bemessen werden (§ 358 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB III). Zu den durch Umlage zu deckenden Aufwendungen gehören das Insolvenzgeld einschließlich des von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten Gesamtsozialversicherungsbeitrages, die Verwaltungskosten und die Kosten für den Einzug der Umlage und der Prüfung der Arbeitgeber (§ 358 Abs. 3 SGB III). Dabei ist die Umlage zusammen mit den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen (§ 359 Abs. 1 Satz 1 SGB III), die diese einschließlich der Zinsen und Säumniszuschläge arbeitstäglich an die Bundesagentur für Arbeit weiterzuleiten hat (§ 359 Abs. 2 SGB III). Da für die Erhebung die für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag geltenden Regeln entsprechend anzuwenden sind (§ 359 Abs. 1 Satz 2 SGB III), hat der Arbeitgeber (auch) die Insolvenzumlage an die Einzugsstelle zu entrichten (§ 28 e Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV iVm. § 249 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V).

Selbst wenn man mit der Beklagten davon ausginge, dass die WEG als Arbeitgeberin des bei der Klägerin angestellten Hausmeisters anzusehen ist, unterliegt sie schon deshalb nicht der Insolvenzumlage, weil die WEG selbst gar nicht insolvenzfähig ist (§ 11 Abs. 3 WEigG). Sie ist zwar teilweise Trägerin von Rechten und Pflichten, die ihr von Gesetzeswegen als gemeinschaftsbezogene Pflichten und Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer, die selbst Mitglieder der WEG sind, übertragen wurden, besitzt aber nur eine Teilrechtsfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 02.06.2005 - V ZB 32/05) und verfügt insbesondere über kein eigenes Vermögen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, die WEG schon deshalb nicht als Unternehmerin anzusehen ist, weil das wirtschaftliche Ergebnis, d.h., der Wert der im und mit dem Unternehmen verrichteten Arbeit nicht ihrem Vor- oder Nachteil zugute kommt und sie andererseits auch nicht das Unternehmerrisiko (z. Bsp. Folgen von Betriebsstörungen, Zahlungsunfähigkeit von Kunden, des Kapitalverlustes) zu tragen hat. Dementsprechend bringt nicht sie die zur Bestreitung bestehender Verbindlichkeiten notwendigen Mittel auf, sondern die einzelnen Mitglieder. All dies scheint es bereits zu rechtfertigen entsprechend den, ebenfalls nicht insolvenzfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, dem Bund, der Länder, der Gemeinden – sie nicht in die Erhebung der Insolvenz-Umlage einzubeziehen (§ 358 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Im Übrigen erscheint es - entgegen dem gemeinsamen Rundschreiben des AOK-Bundesverbandes - nicht schlüssig, den Befreiungstatbestand für private Hauhalte (§ 358 Abs. 1 Satz 2, letzter Halbsatz SGB III) allein auf natürliche Personen zu erstrecken, wenn - wie hier quasi von Gesetzeswegen - einzelne Privathaushalte zwangsweise zu Zusammenschlüssen vereint werden, die jeder für sich allein als Privathaushalt im Sinne des § 358 Abs. 1 Satz 2, letzter Halbsatz SGB III zu qualifizieren ist. Zumindest ist vorliegend deshalb davon auszugehen, dass die Klägerin als "Zwangs"-Gemeinschaft besonderer Art in Vertretung der einzelnen Privathaushalte, ebenfalls von der im Gesetz bewusst gewählten Privilegierung der Ausnahmevorschrift profitieren muss.

Schließlich überzeugt der von der Beklagten für ihre Rechtsauffassung herangezogene Bezug auf das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalens vom 6.11.2004 (l 4 U 76/03) nicht, weil darin um die Stellung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gestritten wird, die aber mit einer Wohnungseigentümer-Gemeinschaft insbesondere deshalb nicht vergleichbar ist, weil die GbR zum einen volle -eigene- Trägerschaft von Rechten besitzt und zum anderen auch der Insolvenzfähigkeit unterliegt.

Da zum einen der WEG von Gesetzes wegen keine eigene Insolvenzfähigkeit zugewiesen ist und zum anderen ihr der Ausnahmetatbestand für private Haushalte zukommt, ist sie nicht zu den Beiträgen zur Insolvenzumlage heranzuziehen.

Der eine solche Insolvenz-Umlage-Verpflichtung aussprechende Bescheid der Beklagten vom 09. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2010 war deshalb auf die Klage hin als rechtswidrig aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei ein vollständiges Obsiegen vorliegt. Der Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, stellt sich - wie dies auch in der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012 herausgestellt hat - lediglich als Hilfsantrag dar, über den angesichts des vollständigen Obsiegens im Hauptantrag nicht mehr zu entscheiden war.

Die Kammer hat die Berufung, die eigentlich im Hinblick auf den Jahresbetrag in Höhe von rund 30,00 EUR ausgeschlossen wäre (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 SGG), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ausdrücklich zugelassen (§ 144 Abs. 2 Ziffer 1 SGG).

Der Streitwert war auf 300,00 EUR festzusetzen, was angesichts der Bedeutung der Rechtssache für die Beteiligten bezüglich der Erhebung von Beiträgen zur Insolvenzumlage über einen nicht absehbaren Zeitraum hinaus, angemessen ist. Der Betrag ergibt sich aus dem Ansatz von ca. 30,00 EUR auf einen Zehn-Jahres-Zeitraum und entspricht auch dem Antrag der Klägerin vom 01.03.2011.
Rechtskraft
Aus
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