L 6 V 1912/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 V 897/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 1912/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9a/9 V 8/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen des objektiven und subjektiven Befehlsnotstandesbei Anwendung des § 1a BVG
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. April 2001 aufgehoben.Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte die dem Kläger gewährte Beschä-digtenversorgung gem. § 1 a Bundesversorgungsgesetz (BVG) entziehen kann.

Der 1922 in S./P. geborene Kläger, der sich nach seinen Angaben nach der Musterung durch die Wehrmacht zur Kavallerie freiwillig zur Waffen-SS meldete und dort im Juni 1941 eintrat, zog sich nach den Unterlagen der Deutschen Dienststelle am 08.01.1942 Erfrierungen an beiden Füßen zu und am 12.01.1943 eine Granatssplitterverletzung am linken Unterarm. Seinen Angaben zufolge geriet er am 12.05.1945 in russische Kriegs-gefangenschaft, aus der er am 19.10.1945 den Polen übergeben wurde. Er musste im Bergwerk unter Tage arbeiten und erkrankte im Januar 1948 an rechtsseitiger Rippen-fellentzündung. Am 21.04.1950 wurde er aus polnischem Gewahrsam kommend in das Lager F. entlassen. Bis August 1952 war er dann als Hilfsarbeiter bei einer Tiefbaufirma beschäftigt.

Wegen "rechtsseitiger Rippenfellschwarte. Teilverlust am rechten Großzehenendglied. Narbe nach Granatsplitterverletzung am linken Ellenbogen. Allgemeiner Schwächezu-stand nach Kriegsgefangenschaft" bewilligte die Landesversicherungsanstalt Schles-wig-Holstein dem Kläger mit Bescheid vom 18.11.1950 eine Kriegsbeschädigtenrente ab 01.11.1950 in Höhe einer 30 %igen Erwerbsminderung. Mit Bescheid des Versor-gungsamtes Flensburg vom 20.02.1951 erfolgte die Umerkennung nach dem BVG. Mit dem Neufeststellungsbescheid vom 30.11.1953 wurden Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vom Hundert (v. H.) sowie Aus-gleichsrente ab 01.07.1953 gewährt. Mit Neufeststellungsbescheid vom 17.02.1959 wurde die MdE wegen "Geschlossene Lungentuberkulose rechts. Erfrierungsfolgen an der rechten Großzehe. Belanglose Narbe an der rechten Ellenbeuge" auf 80 v. H. her-abgesetzt. Im Juni 1960 nahm der Kläger, der noch bis Juni 1961 auch eine Invaliden-rente bezog (seit 03.07.1953), eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Aus-gleichsrente wurde noch bis 31.08.1962 gewährt. Eine weitere Herabsetzung der MdE auf 60 v. H. erfolgte mit Bescheid vom 20.09.1962 ab 01.11.1962. Seit 01.08.1983 be-zieht der Kläger von der Landesversicherungsanstalt Baden flexibles Altersruhegeld (Bescheid vom 14.09.1983).

Aufgrund einer anonymen Anzeige aus dem Jahre 1960, in der behauptet wurde, der Kläger habe sich gerühmt, einem Erschießungskommando im Osten angehört zu ha-ben, wurde gegen ihn bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Lud-wigsburg ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet, das zu einem anderen Ermittlungsver-fahren bei der Staatsanwaltschaft Coburg abgegeben wurde. Im Rahmen der Vorermitt-lung wurde der Kläger am 08.08.1961 von der Sonderkommission - Zentrale Stelle - des Landeskriminalamts Baden-Württemberg auf der Polizeidienststelle in A. vernommen. Er gab damals an, vermutlich Ende August/Anfang September 1941 sei seine SS-Einheit auf dem Marsch an die russische Front durch den zuletzt russisch besetzten Teil Polens gekommen. In einer kleineren Stadt sei eine Marschpause eingelegt worden. In der Frühe des darauf folgenden Tages hätte auch seine Einheit befehlsgemäß sämtli-che Bewohner aus den Häusern geholt und auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Anschließend hätte seine Kompanie den Befehl erhalten, zu einer näher bezeichneten Stelle etwa 2 km außerhalb der Stadt abzurücken und dort weitere Befehle abzuwarten. Nachdem die zusammengetriebene Zivilbevölkerung eingetroffen sei, sei von dieser zunächst eine Gruppe von Männern exekutiert worden. Anschließend sei eine Gruppe von Frauen mit Kindern erschossen worden. Dabei hätten sich verschiedene Schützen verweigert und absichtlich beiseite geschossen. Auch sei unter verheirateten SS-Angehörigen Unruhe aufgekommen. Es sei dann auch eine gewisse Unruhe und Miss-stimmung aufgekommen. Wegen des schlechten Schießens seien auch die Unterführer unzufrieden gewesen. Eine bereitgestellte weitere Gruppe von Frauen und Kindern sei nicht mehr erschossen worden, da ein höherer Wehrmachtsoffizier eingeschritten sei. Die Akte wurde 1972 weggelegt. Von der Zentralen Stelle wurde 1967 ein weiteres Vorermittlungsverfahren gegen den Kläger eingeleitet, das an die Staatsanwaltschaft Hannover abgebeben wurde. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurde der Kläger am 28.02.1979 erneut auf dem Kriminalkommissariat F. vernommen. Dabei gab er u. a. an, ihm sei nicht ein Fall be-kannt geworden, wonach es während seiner Zugehörigkeit zur 1. SS-Infanterie-Brigade und anschließend zur 1. SS-Panzer-Grenadier-Division "Horst Wessel" an der Ostfront zu Erschießungen von gefangenen Russen oder Dorfbewohnern gekommen sei. Die Staatsanwaltschaft Hannover stellte das Verfahren im Jahre 1991 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Der Kläger ist für die von ihm eingeräumten Erschie-ßungen nicht belangt worden.

Nach Inkrafttreten des § 1 a BVG zum 21.01.1998 leitete das VA auch im Falle des Klägers eine entsprechende Überprüfung ein. Es befragte die Zentrale Stelle (Auskunft vom 04.10.1999) und zog von dieser die Vernehmungsprotokolle vom 08.08.1961 und 28.02.1979 bei sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Coburg, aus denen sich jedoch keine neuen Erkenntnisse ergaben. Der Kläger wurde am 22.11.1999 angehört. Er gab an, er hätte 1941 keine Möglichkeit gehabt, sich gegen die Anordnungen seiner damali-gen Vorgesetzten zu wehren. Im Alter von 19 Jahren sei er nicht in der Lage gewesen, sich gegen Befehle zu wehren und habe auch nicht einschätzen können, dass es sich um offenbar ungesetzliche Befehle gehandelt habe. Das VA entzog mit dem Entziehungsbescheid vom 01.12.1999 die gesamten dem Klä-ger zu diesem Zeitpunkt gewahrten Versorgungsleistungen (Grundrente nach einer MdE um 60 v.H. und Heilbehandlung) mit der Begründung, der Kläger habe an der Er-schießung von Zivilpersonen teilgenommen und dabei auch nicht versucht, sich dem offenbar illegalen Befehl zu widersetzen wie offenbar einige andere Einheitsangehörige. Er habe vielmehr befehlsmäßig ausgeführt, was ihm dort aufgegeben worden sei. Ent-scheidend hierbei sei insbesondere, dass er durch sein Verhalten dazu beigetragen habe, eine illegale Erschießung von Zivilpersonen (Männer, Frauen und Kindern), die zuvor auf dem Marktplatz einer kleinen Stadt zusammengetrieben worden seien, durch-zuführen. Dieses Verhalten während des Zweiten Weltkrieges stelle einen Ausschluss-tatbestand im Sinne des § 1 a Abs. 1 iVm Abs. 2 BVG dar. Er habe sich damit aktiv an der Erschießung unschuldiger Zivilpersonen im September 1941 beteiligt, was einen während der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit darstelle. Dabei sei auch ins-besondere maßgebend, dass offenbar weitere SS-Angehörige sich an diesem Tage geweigert hätten, den offenbar illegalen Schießbefehl auszuführen. Es werde davon ausgegangen, dass ihm - dem Kläger - die Illegalität dieser Erschießungsaktion (Er-schießen von Frauen und Kindern) bekannt gewesen sein müsse und dass er sich über etwaige Bedenken hinweggesetzt habe, sich somit zum Handlanger des Unrechtssys-tems gemacht und damit vor den Augen des heutigen Gesetzgebers als "Helfershelfer" seinen Beitrag zur Verwirklichung des Völkermords geleistet habe. Auch die Tatsache, dass er nicht verurteilt worden sei, ändere an dieser rechtlichen Bewertung nichts, da diese Taten zum damaligen Zeitpunkt strafrechtlich wegen eingetretener Verjährung nicht mehr hätten verfolgt werden können. Angesichts der Schwere des damals began-genen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit sei das Vertrauen auf eine fortwährende Gewährung der Leistung nicht schutzwürdig. Die bisher zustehenden Versorgungsleistungen müssten daher insgesamt gem. § 1 a BVG mit Wirkung zum 01.01.2000 entzogen werden, das sei mit Ablauf des Monats der Be-kanntgabe dieses Bescheides (§ 60 Abs. 4 Satz 1 BVG).

Zur Begründung des Widerspruchs wurde ausgeführt, er - der Kläger - habe bei Be-fehlsverweigerung mindestens mit Festungshaft oder aber mit standrechtlicher Erschie-ßung rechnen müssen. Auf Kinder sei nicht geschossen worden. Es hätten sich andere Einheitsangehörige nicht konkret den Befehlen widersetzt. Die Angehörigen des Er-schießungskommandos seien derart bestürzt und unsicher gewesen, dass beim Schie-ßen auf Wehrlose, insbesondere bei der zweiten Erschießung, die Schützen insgesamt ausgesprochen schlecht getroffen hätten. Mit den zum Schießen Kommandierten sei letztlich ein grausames Spiel getrieben worden. Er sei mit 19 Jahren fast noch ein Kind gewesen, er sei einer der allerjüngsten gewesen, und habe damals nicht die Kraft ge-habt, sein eigenes Leben durch Befehlsverweigerung aufs Spiel zu setzen. Als er sich zur SS gemeldet habe, hätten ihm die heutigen Erkenntnisse über die SS noch nicht vorgelegen. Er habe damals noch nicht gewusst, in welche Organisation er sich begeben habe, die gesamten Erkenntnisse, die heute aufgrund der Geschichtsfor-schung über Struktur und Tätigkeit der Waffen-SS vorlägen, seien damals nicht bekannt gewesen. Er habe nicht zur Kavallerie gewollt, weil er auf dem Land aufgewachsen sei und mit den Pferden sein ganzes vorheriges Leben zu tun gehabt habe. Er habe diese Arbeit nicht gemocht und sich deshalb, als ihm die Möglichkeit geboten worden sei, zur Infanterie zu gehen, gemeldet. Durch seine Kriegsteilnahme sei er sein ganzes Leben lang benachteiligt gewesen. Er sei in polnischer Kriegsgefangenschaft an Rippfellentzündung erkrankt, die sich zu ei-ner schweren Lungenkrankheit ausgeweitet habe. Er habe 5 Jahre lang in polnischer Kriegsgefangenschaft verbracht und sei einer der Letzten gewesen, die aus dem Krieg zurückgekehrt seien. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft habe er an der schweren Krankheit gelitten, die ihn über 10 Jahre nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft daran gehindert habe, einer Arbeit nachzugehen. Erst im Jahre 1961 habe er dann arbeiten gehen können, er sei damals 39 Jahre alt gewesen und habe die besten Jahre seines Lebens hinter sich gehabt. Er habe es dann trotz seiner schwersten Behinderungen noch geschafft, eine Anwartschaft auf eine kleine Altersren-te zu verdienen, von der er heute zusammen mit der Versorgungsrente leben müsse. Angesichts der Tatsache, dass er sein ganzes Leben lang für seine Teilnahme im Krieg habe büßen müssen, sei sein Vertrauen auf eine fortwährende Gewährung der Leistun-gen auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße überwiegend schutzbe-dürftig. Sein äußerst bescheidener Lebensabend, er sei zwischenzeitlich 78 Jahre alt, solle nun noch dadurch beeinträchtigt werden, dass man ihm sein ohnehin bescheide-nes Auskommen durch Entziehen der Versorgungsrente noch kürze und ihn bis zum Ende seines Lebens in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten bringen werde. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17.03.2000). Zur Begründung hieß es, durch die Teilnahme an Erschießungen von Zi-vilpersonen außerhalb eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen worden. Zum Kernbestand dieser Grundsätze gehörten u. a. das Recht auf Leben und auf Freiheit. Die Tatsache, dass unter der Herrschaft des Nationalsozialismus solche Verstöße erlaubt gewesen seien, hindere nicht, diese als menschenrechtswidrig einzustufen. Der Vorwurf des Gesetzge-bers bestehe gerade darin, dass den Tätern bei zumutbarer Anspannung des Gewis-sens die Unrechtmäßigkeit ihrer Handlungen hätte offenkundig werden müssen. Dieser Vorwurf sei trotz des damaligen jugendlichen Alters zu machen. Die Berufung auf einen sogenannten Befehlsnotstand sei nicht möglich, weil nicht nachgewiesen sei, dass er - der Kläger - im Falle der Befehlsverweigerung unmittelbar um sein Leben hätte fürchten müssen. Die Androhung einer standrechtlichen Erschießung sei nicht erfolgt, es habe sich im Gegenteil so verhalten, dass die Erschießung ohne Konsequenzen für das Er-schießungskommando abgebrochen worden sei, als die Schützen nicht mehr genau trafen. Angesichts der Schwere der begangenen Verstöße sei auch unter Berücksichti-gung der Auswirkungen seines Kriegseinsatzes auf sein tägliches Leben sein Vertrauen auf die fortwährende Gewährung von Versorgungsleistungen nicht überwiegend schutzwürdig. Mit dem noch verbleibenden Einkommen sei die Existenzgrundlage gesi-chert.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 06.04.2000 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Das SG hob durch Urteil vom 11.04.2001 die angefochtenen Beschei-de auf und verurteilte den Beklagten, dem Kläger über den 31.12.1999 hinaus Versor-gung zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, zwar habe der Kläger während der Herrschaft des Nationalsozialismus einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit begangen, dies führe aber nicht zum Verlust seiner Versorgungsrente. Die Entziehung der Versorgungsbezüge habe Strafcharakter. Sie könne nicht allein mit der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes eines Verbrechens begründet werden. Die die Versagung der Versorgung rechtfertigende Tat müsse auch rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sein, wobei jedoch eine rechtskräftige Verurteilung nicht gefordert werde. Die Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit der Tatbestandsverwirkli-chung sei nicht erwiesen. Als Rechtfertigungsgrund komme hier ein Befehlsnotstand in Betracht. Er habe die Erschießung der Zivilpersonen nicht aus eigenem Antrieb und aus eigenem Vorsatz vollzogen, sondern auf Befehl ausgeführt. Er sei im Tatzeitpunkt erst 2 Monate bei der Waffen-SS gewesen und nach dieser kurzen Zeit zum ersten Mal vor diese harte Probe gestellt worden, ohne jemals in seinem Leben eine Erfahrung ge-sammelt zu haben, wie man ohne Verstoß gegen das Gesetz und ohne Gefährdung des eigenen Lebens eine derartige Situation meistern könne. Er sei damals auch erst 19 Jahre alt gewesen und habe sich in einem Alter befunden, in dem man noch der Ent-scheidung der Älteren Beachtung schenke und eigene Bedenken zurückstelle. Er habe sich in einer Notsituation im Krieg befunden und nur wenig Zeit gehabt, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, denn beim Abrücken von dem bewachsenen Erdhügel habe er noch nichts von dem späteren Befehl zur Exekution gehört. Als er den Befehl zum Erschießen der wehrlosen Opfer erhalten habe, habe er festgestellt, dass keiner seiner Kameraden den Befehl verweigert habe. Diese Gruppendynamik habe ihn zusätzlich unter Druck gesetzt, den Befehl auszuführen. Es hätten für ihn auch keine rasch erkennbaren Möglichkeiten bestanden, sich dem Befehl zu entziehen. Das ab-sichtliche Vorbeischießen am Opfer hätte aufgrund des Umstandes, dass er nicht wuss-te, ob ein Kamerad, der auf das selbe Opfer zu schießen hatte, ebenfalls vorbeizielen würde, zu seiner Entdeckung geführt, falls das Opfer am Leben geblieben wäre und festgestanden hätte, wer dieses Überleben verursacht hätte. Er habe bei Befehlsver-weigerung um sein Leben fürchten müssen. Er habe in der gegebenen Situation auf-grund der illegalen Erschießung wehrloser Zivilisten damit rechnen müssen, dass ihm gegenüber mit der selben illegalen Härte vorgegangen worden wäre, wenn er den Be-fehl verweigert hätte. Im übrigen habe er aufgrund seiner Teilnahme als Soldat am Krieg, bei der er seine Gesundheit in der Gefangenschaft eingebüßt habe, als Aufopfe-rungsanspruch ein Recht auf Versorgung. Ihm dieses Recht 60 Jahre nach der Tat zu entziehen, erscheine im Hinblick auf die obigen Ausführungen und auf sein geringes Einkommen als unbillig.

Der Beklagte hat gegen dieses Urteil am 30.04.2001 Berufung eingelegt mit der Be-gründung, ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlich-keit setze auf der subjektiven Tatseite ein zurechenbares vorwerfbares - mithin schuld-haftes - Verhalten voraus. Dabei handle es sich nicht um den strafrechtlichen Verschul-densbegriff, der einen konkreten, auf eine nach damaligen Gesetzen strafbare Hand-lung bezogenen Vorsatz erfordern würde. Es genüge vielmehr eine vorwerfbare Ver-antwortlichkeit, die daraus resultiere, dass der Betreffende wissentlich und willentlich an der Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit mitgewirkt habe. Ihm müssten Tatsachen bekannt gewesen sein, aus denen sich die Unmensch-lichkeit oder Rechtsstaatswidrigkeit seines Verhaltens ergeben hätten, und ihm müsse die Unmenschlichkeit der Rechtsstaatswidrigkeit als solche bewusst gewesen sein, wo-bei es ausreiche, dass sie ihm bei zumutbarer Anspannung seines Gewissens hätte bewusst sein müssen. Der Betroffene könne sich regelmäßig nicht auf "Befehlsnot-stand" berufen, wenn er bei zumutbarer Gewissensanspannung die Schändlichkeit sei-nes Verhaltens hätte erkennen können. Dies sei z. B. bei dem Befehl zur heimlichen Ermordung eines Kriegsgefangenen der Fall. Wer einen Befehl zur Unmenschlichkeit in "blindem" Gehorsam befolgt habe, müsse sich den Vorwurf machen lassen, dass er sein Gewissen nicht geprüft habe. Ein selbstverständlicher Anwendungsfall des Aus-schlussgrunds des Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts-staatlichkeit sei die Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen. Auch die Beteili-gung an allgemeinen Kriegsverbrechen werde erfasst. Lege man diese Ausführungen zugrunde, könne sich der Kläger vorliegend nicht auf einen Befehlsnotstand berufen. Denn er hätte bei zumutbarer Gewissensanspannung die Schändlichkeit seines Verhal-tens erkennen können. Seine Kameraden hätten dies gezeigt, denn bei der zweiten Exekution sei offensichtlich bewusst daneben geschossen worden, was dann letztlich zum Abbruch der Exekution geführt habe. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei dies geschehen, ohne dass es zu einer "ausgesprochenen" Befehlsverweigerung ge-kommen sei. Gerade diese "stumme" Befehlsverweigerung durch die Kameraden des Klägers beweise, dass es für die Soldaten erkennbar gewesen sei und hätte sein müs-sen, dass es sich um eine illegale Aktion gehandelt habe, zumal auch Frauen und Kin-der zur Erschießung geführt worden seien. Dies hätte sich auch dem Kläger aufdrängen müssen. Sein jugendliches Alter könne insoweit nicht exkulpieren. Demnach sei vorlie-gend auch der subjektive Tatbestand im Sinne eines vorwerfbaren - mithin schuldhaf-ten - Verhaltens erfüllt. Aus der Tatsache, dass die Einheit des Klägers nur noch wenige Tage an dem betref-fenden Ort verblieben und anschließend in Richtung Front abgerückt sei, sei zu schlie-ßen, dass deren Verhalten anlässlich des Erschießungskommandos keine Sanktionen wegen einer Befehlsverweigerung nach sich gezogen hätte, was nachdrücklich die Un-rechtmäßigkeit der Tat dokumentiere. Angesichts der Schwere des Verstoßes sei es gerechtfertigt, die Versorgungsbezüge des Klägers in voller Höhe zu entziehen. Das Vertrauen des Klägers auf eine fortwährende Gewährung der Versorgungsbezüge für die Zukunft sei demgegenüber nicht überwiegend schutzwürdig. Der Hinweis des SG auf § 1 a Abs. 3 BVG gehe fehl, da entgegen der Ansicht der Kammer mit dieser Vor-schrift nur und ausschließlich eine Übergangsregelung getroffen worden sei und nicht etwa eine allgemeine Unbilligkeitsregelung.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.04.2001 aufzuhe-ben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er verweist hierzu auf die angefochtene Entscheidung. Das Vorbringen des Beklagten, die Kameraden des Klägers hätten bei der zweiten Exekution offensichtlich bewusst daneben geschossen, sei eine nicht belegte Behauptung. Es sei darauf hinzuweisen, dass junge Männer, die, wie er, auf dem Höhepunkt der nationalsozialistischen Gewalt-herrschaft Wehrdienst leisteten, sei es bei der Wehrmacht, sei es bei einer SS-Kompanie, weder geschult gewesen seien in Fragen, welche Grundprinzipien einem Rechtsstaat zugrunde lägen, noch zu irgendeinem Zeitpunkt darüber aufgeklärt worden seien, was im Falle eines Krieges, der zum Tatzeitpunkt auf seinem Höhepunkt gewe-sen sei, Recht und Unrecht sei. Er - der Kläger - sei beim Beginn der nationalsozialisti-schen Gewaltherrschaft 1933 gerade einmal 11 Jahre alt gewesen. Das Alter der Wehrpflicht habe er erst während des Krieges erreicht. Er habe also in seiner Entwick-lung als Jugendlicher niemals die Gelegenheit gehabt, sich in der Schule mit allgemei-nen Rechtsstaatsprinzipien auseinander zu setzen. Die Auffassung, § 1 a Abs. 3 BVG sei nur eine Übergangsregelung und nicht eine allgemeine Unbilligkeitsregelung, könne nicht gefolgt werden. Wäre dies der Fall, so müsste diese Regelung wenigstens auch den Zeitpunkt des Übergangs regeln.

Der Senat hat von der Staatsanwaltschaft Coburg die Akten 5 Js 660/64 beigezogen und von der Staatsanwaltschaft Hannover die Auskunft vom 16.10.2001 eingeholt, von der Deutschen Dienststelle und vom Bundesarchiv die Auskünfte vom 30.04. und 13.06./02.10.2002 sowie vom Bundesarchiv/Militärarchiv die Auskunft vom 13.09.2002. Ferner ist eine Auskunft eingeholt worden vom Zentral-Militärarchiv Prag (Schreiben vom 18.11.2002). Vom Institut für Zeitgeschichte in München ist die gutachterliche Stel-lungnahme vom 15.10.2002 eingeholt worden. Ferner hat der Senat von Dr. B., F., das Gutachten vom 16.02.2003 eingeholt. Darin heißt es, bisher sei kein Fall bekannt ge-worden, der belegen könnte, dass eine Weigerung, "weltanschaulich" begründete Tö-tungsbefehle auszuführen, Nachteile für Leib oder Leben - etwa standrechtliche Exeku-tion, Kriegsgerichtsverfahren, Einweisung in ein Konzentrationslager oder ähnlich schwerwiegende Bestrafungen - nach sich gezogen hätte. Erschießungskommandos seien weniger nach Kriterien der weltanschaulichen Zuverlässigkeit als vielmehr willkür-lich aus Freiwilligen, nicht zuletzt nach der psychischen Eignung der Soldaten, zusam-men gestellt worden. Ferner sind zu den Akten genommen worden ein Artikel von Dr. B., Aktionen nach Kriegsbrauch (Wehrmacht und 1. SS-Infanteriebrigade 1941) aus Zeitschrift für Ge-schichtswissenschaft 48 (2000, Heft 9, S. 775 - 778) sowie Auszüge aus dem Buch "Unsere Ehre heißt Treue", Kriegstagebuch des Kommandostabes Reichsführer-SS, Tätigkeitsberichte der 1. und 2. SS-Infanteriebrigade, der 1. SS-Kavallerie-Brigade und von Sonderkommandos der SS, Wien, Zürich, Frankfurt 1965.

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung am 13.11.2003 angehört worden.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten des Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig. Berufungs-ausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die angefoch-tenen Bescheide aufgehoben. Diese sind rechtlich nicht zu beanstanden.

§ 1 a BVG, eingeführt durch das Gesetz vom 14.01.1998 (BGBl. I S. 66) und am 28.01.1998 in Kraft getreten, bestimmt: (1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, während der Herrschaft des Nationalsozialismus ge-gen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat und er nach dem 13. November 1997 einen Antrag auf Leistungen gestellt hat. Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob ein Berechtigter durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, können sich insbesonde-re aus einer freiwilligen Mitgliedschaft des Berechtigten in der SS ergeben. (2) Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Abs. 1 vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf eine fortwährende Gewährung der Leistungen im Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend schutzbe-dürftig ist. (3) Soweit in den Fällen des Abs. 2 die sofortige Entziehung oder Minderung der Leistungen zu unbilligen Härten führt, soll die Entziehung oder Minderung nach einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen.

Nach dieser Vorschrift, die als lex specialis den Bestimmungen der §§ 45, 48 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) vorgeht, war der Beklagte berechtigt, dem Kläger die Versorgung für die Zeit ab 01.01.2000 zu entziehen. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür liegen vor. Nach Auffassung des Senats ist § 1 a BVG auch verfassungsgemäß.

Der Ermächtigungstatbestand des § 1 a BVG ist, soweit die hier zu prüfenden Voraus-setzungen des Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechts-staatlichkeit in Frage stehen, noch so hinreichend bestimmt, dass er in einer für die Be-troffenen voraussehbaren Weise von den Organen der vollziehenden und der recht-sprechenden Gewalt ausgelegt und angewandt werden kann. Die Formulierung "Ver-stoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit" findet sich nämlich in den sog. Unwürdigkeitsklauseln zahlreicher Entschädigungs- und Wieder-gutmachungsgesetze, wie z. B. in § 1 Abs. 4 Satz 2 des Heimkehrergesetzes, § 3 Nrn. 3 a und 3 b des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen, §§ 3 Abs. 2 Nr. 2 und 5 Nr. 1 b des Bundesver-triebenen- und Flüchtlingsgesetzes, § 359 Abs. 3 Nr. 2 Lastenausgleichsgesetz, § 2 Abs. 2 Häftlingshilfegesetz, § 16 Abs. 2 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz und § 5 Abs. 1 des Entschädigungsrentengesetzes (ERG). Die hierzu ergangene Rechtspre-chung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts, zu § 5 Abs. 1 ERG auch des Bundessozialgerichts kann auch bei der Auslegung des § 1 a BVG herangezogen wer-den. Sämtliche zitierten Ausschlussklauseln zählen Gründe auf, bei deren Vorliegen jemand für die Wiedergutmachungsleistung als entschädigungsunwürdig gilt und von der Leistungsgewährung ausgenommen wird. Der zugrunde liegende Rechtsgedanke ist der der Verwirkung (vgl. Hellmann, Die Auslegung von Ausschlussklauseln in Wie-dergutmachungsgesetzen, VIZ 1995, 201).

Die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit liegen eng beieinander. Eine Differenzierung wird vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nicht vorgenom-men (vgl. BVerwGE 34, 332, 340). Gemeint ist der Kernbestand an unabdingbaren Rechten der Einzelperson, die materiell niemals beseitigt oder beschränkt werden kön-nen und auch in Zeiten des Nationalsozialismus in Geltung waren (BVerwGE 19, 1, 5). Zur Bestimmung, was zu diesem Kern an unveräußerlichen Rechten gehört, greift das BVerwG auf internationale Menschenrechtsdokumente wie die Europäische Menschen-rechtskonvention oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 zurück (vgl. BVerwG in NJW 1958, 35). Dort wird z. B. das Recht auf Leben (Artikel 2 Europäische Menschenrechtskonvention) garantiert. Der "Verstoß" gegen die genann-ten Grundsätze setzt ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten vor-aus, das einem Beweis zugänglich ist, mit dem gegen die Inhalte der Grundsätze vor-gegangen oder Verstößen gegen sie - obwohl möglich und zumutbar - nicht entgegen-getreten wird (BSG SozR 3 - 8850 § 5 Nrn. 1, 2, 3).

In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat davon aus, dass der Kläger als Angehöriger der 1. SS-Infanterie-Brigade (mot.), die organisatorisch zum Kommandostab des Reichsfüh-rers- SS gehörte, im Spätsommer/Frühherbst 1941 an einer Erschießungsaktion in ei-ner kleinen Stadt im früher russisch besetzten Teil Polens teilgenommen hat, die sich gegen sämtliche Einwohner der Ortschaft (Männer, Frauen und Kinder) richtete, ohne dass es zuvor Kampfhandlungen gegeben hatte. Dass der Kläger dadurch geradezu idealtypisch gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit versto-ßen hat, ist offenkundig und bedarf keiner näheren Begründung. Die Tötung von nicht an Kriegshandlungen teilnehmenden Zivilisten, insbesondere von Frauen und Kindern, ist nach dem Völkerrecht seit langem verboten (vgl. Haager Landkriegsordnung von 1907 sowie Genfer Konvention von 1929). Zu erinnern ist ferner daran, dass die Grund-sätze der Menschlichkeit nach 1945 erstmals in der Satzung des Internationalen Militär-gerichtshofs in Nürnberg vom 08.08.1945 und später im Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20.12.1945 vorgetragen wurden. Artikel 2 des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 enthielt die Strafandrohung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zu denen unter anderem Mord, Ausrottung und unmenschliche Behandlung der Zivilbevölkerung gehörten. Auf-grund der Angaben des Klägers vom 08.08.1961 ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger nicht nur an der Erschießung von Männern, sondern auch von Frauen und Kindern teilgenommen hat. Soweit der Kläger erstmals zur Begründung seines Wider-spruchs angegeben hat, auf Kinder sei nicht geschossen worden, hält der Senat dies ebenso wenig für glaubhaft wie die erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemachte Behauptung, es sei ausschließlich auf Männer geschossen worden. Nicht nachvollziehbar ist auch der Vortrag in der mündlichen Verhandlung, seine Anga-ben seien durch Krankheit beeinflusst worden.

Der Kläger erfüllt auch die subjektiven Voraussetzungen des § 1 a BVG. Subjektiv setzt ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ein zu-rechenbares, vorwerfbares und damit schuldhaftes Verhalten voraus (BVerfGE 12, 264, 270). Dabei handelt es sich nicht um den strafrechtlichen Verschuldensbegriff, der ei-nen konkreten, auf eine nach damaligen Gesetzen strafbare Handlung bezogenen Vor-satz erfordern würde (BVerwGE 25, 128, 135). Denn der Rechtsausschluss nach § 1 a BVG stellt keine Strafe dar, sondern beruht auf dem Prinzip der Verwirkung. Für ein Verschulden nach dieser Vorschrift reicht es aus, dass dem (zurechnungsfähigen im Sinne von §§ 104 Nr. 2, 827 BGB) Betroffenen die Tatsachen bekannt waren, aus de-nen sich die Unmenschlichkeit oder Rechtsstaatswidrigkeit seines Verhaltens ergibt, und dass ihm die Unmenschlichkeit oder Rechtsstaatswidrigkeit seines Verhaltens ent-weder bewusst war oder bei der ihm zumutbaren Gewissensanspannung hätte bewusst sein müssen (BVerwGE 31, 337, 342). Nach der Überzeugung des Senats war sich der Kläger durchaus bewusst, dass durch die Erschießungsaktion gegen elementare, jeder Rechtsordnung vorgegebene Rechtsgrundsätze verstoßen wurde. Dies ist aus seinen Äußerungen zu schließen, er und seine Kameraden hätten alle gezittert und ihm habe 2 Wochen danach das Essen nicht mehr geschmeckt. Er habe die Sache schon vor der Erschießung satt gehabt, d. h. er sei damals unheimlich schockiert gewesen.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf einen sog. Befehlsnotstand. Obwohl die Anwen-dung des § 1 a BVG wie ausgeführt kein schuldhaftes Verhalten im strafrechtlichen Sinne voraussetzt und demnach die Umstände, die das Verhalten des Betroffenen ent-schuldigen können, nicht in dem eng umgrenzten Kreis der strafrechtlichen Schuldaus-schließungsgründe zu liegen brauchen, kommen letztere durchaus auch als Entschuldi-gungsgründe in Betracht. (vgl. BVerwGE 31, 137, 342). Denn ein früheres Verhalten ist nach § 1 a BVG nicht vorwerfbar, wenn seine heutige strafrechtliche Beurteilung das Vorliegen von Schuld ausschließen würde. Nicht vertretbar und nicht diskussionsfähig ist allerdings die Rechtsauffassung des SG, der Kläger habe sich in einem rechtferti-genden Befehlsnotstand befunden. Zwar ist in der strafrechtlichen Literatur umstritten, ob es einen "rechtswidrigen verbindlichen Befehl" geben kann und ob eine inhaltlich rechtswidrige, gleichwohl aber verbindliche Weisung für den Untergebenen ein beson-derer Rechtfertigungs- oder aber nur ein Entschuldigungsgrund ist (vgl. Schön-ke/Schröder/Lenckner, Strafgesetzbuch, 26. Auflage 2001, Vorbemerkungen 89 ff. zu §§ 32 ff.). Anders verhält es sich jedoch bei offensichtlich rechtswidrigen, insbesondere verbrecherischen Befehlen. Hier kommt nur ein entschuldigender Notstand in Betracht, wie er heute in § 35 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt ist. Auch dessen Voraus-setzungen sind jedoch nicht erfüllt. Schon 1967 kam Herbert Jäger in seiner Arbeit "Verbrechen unter totalitärer Herrschaft - Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkri-minalität", auf die das Institut für Zeitgeschichte in München den Senat hingewiesen hat, zu dem Ergebnis, bisher habe kein einziger Fall nachgewiesen werden können, in dem ein Befehlsempfänger wegen der Ablehnung oder Nichtausführung eines verbrecheri-schen Befehls Schaden an Leib oder Leben genommen hätte. Dies hat der Sachver-ständige Dr. B. in seinem Gutachten vom 16.02.2003 ausgehend vom heutigen Stand der Forschung in vollem Umfang bestätigt. Als möglicher Entschuldigungsgrund bleibt deshalb nur noch der sog. subjektive Befehlsnotstand oder Putativnotstand übrig. Dem Kläger ist einzuräumen, dass in der Rechtsprechung des BGH vereinzelt die Voraus-setzungen der Notstandsvorschriften in Fällen bejaht worden sind, in denen verbreche-rische Befehle auszuführen waren. So verhielt es sich beispielsweise in dem dem Urteil vom 14.01.1964 (NJW 1964, 730 f.) zugrundeliegenden Sachverhalt, der die Mitwirkung bei der Massenerschießung jüdischer Einwohner einer weißrussischen Stadt betraf. Andererseits hat der BGH betont, dass, wer sich auf Nötigungsnotstand berufe, nur ent-schuldigt sei, wenn er sich nach allen Kräften gewissenhaft bemüht habe, der Gefahr oder vermeintlichen Gefahr auf eine die Straftat vermeidende Weise zu entgehen, ohne einen Ausweg zu finden. Je schwerer die abgenötigte Straftat sei, umso strengere An-forderungen seien an diese Prüfung zu stellen. Der Genötigte oder vermeintlich Genö-tigte müsse alle seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten eingesetzt haben (BGHSt 18, 311 f.). Im vorliegenden Fall konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger sich nach allen seinen Kräften bemüht hat, das Unrechtsverhalten zu ver-meiden, ohne einen Ausweg zu finden. Er hat schon keine Überlegungen angestellt, wie er die Ausführung des Erschießungsbefehls umgehen konnte. Angesichts der Unge-heuerlichkeit des zugemuteten Befehls wäre von ihm zu erwarten gewesen, sich zu-mindest bei seinen militärischen Führern nach dem Sinn der Erschießungsaktion zu erkundigen. Er hätte auch Zeit für entsprechende Überlegungen gehabt. Schon beim Befehl am frühen Morgen, die Leute aus den Häusern zu treiben und ggfs. sich Wei-gernde sofort zu erschießen, musste ihm klar sein, dass hier etwas im Gange war, was mit regulärer Kriegsführung nichts zu tun hatte. Dass es sich hierbei um die Erschie-ßung von Zivilisten handelte, wusste der Kläger spätestens, als er - schon einige Zeit vorher - im Wald die ausgehobenen Gräben sah. Sonst hätte er nicht angegeben, sie hätten "die Sache schon vor der Erschießung satt gehabt".

Nicht glaubhaft ist es ferner zur Überzeugung des Senats, wenn der Kläger angibt, er hätte vor der Erschießung niemand gekannt, mit dem er sich hätte beraten können. Er war nämlich im Zeitpunkt der Tat ca. 2 Monate bei der Waffen-SS. Dass sich in dieser Zeit unter den extremen Bedingungen der Vorbereitung auf den Kriegseinsatz ein be-sonderes Zusammengehörigkeitsgefühl bzw. eine besondere Kameradschaft unter den Rekruten entwickelt hat, liegt nahe. Dies wird bestätigt durch die Formulierung des Klä-gers "Wir hatten die Sache satt". Dies bedeutet, dass man sich untereinander mitgeteilt hat, was in einer so "heiklen" Angelegenheit nicht möglich gewesen wäre, wenn man nicht miteinander vertraut gewesen wäre.

Wie der Kläger bei seiner Vernehmung am 08.08.1961 selbst angegeben hat, waren bei der zweiten Gruppe mit Frauen und Kindern eine Reihe von Schützen nicht mehr bereit, den Erschießungsbefehl auszuführen. Sie schossen absichtlich daneben. Dies bestärkt den Senat in seiner Überzeugung, dass es der Kläger unterlassen hat, nach einem Ausweg zu suchen, um der Ausführung des von ihm als verbrecherisch erkannten Be-fehls zu entgehen.

Das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der ihm gewährten Grundrente nach dem BVG und auf die Gewährung von Heilbehandlung ist angesichts der Schwere des begangenen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlich-keit nicht überwiegend schutzbedürftig im Sinne des § 1 a Abs. 2 BVG. Diese Regelung soll eine Differenzierung nach der individuellen Schuld ermöglichen, was insbesondere bei der Gewichtung des Vertrauensschutzes von Hinterbliebenen bedeutsam sein kann (BT-Drucksache 13/8980, S. 9). Hier geht es jedoch um den Anspruch eines Täters und nicht eines Hinterbliebenen. Bei der vorzunehmenden Abwägung sprechen nach Auf-fassung des Senats folgende Umstände für ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der Weitergewährung seiner Versorgungsbezüge: Dem Kläger ist zunächst sein ju-gendliches Alter und seine Unerfahrenheit im Tatzeitpunkt sowie die vorausgegangene jahrelange Indoktrination mit nationalsozialistischem Gedankengut zugute zu halten. Auch ist zu berücksichtigen, dass er aufgrund der gesundheitlichen Auswirkungen der Schädigungsfolgen zunächst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnte und Invaliden-rente bezog. Erst am 10.06.1960 nahm er eine berufliche Tätigkeit auf. Es kann deshalb unterstellt werden, dass die fehlenden Beiträge über einen Zeitraum von 10 Jahren zu einer Minderung seiner Altersrente geführt haben, die sich jedoch durch die Berücksich-tigung einer Rentenbezugszeit weniger stark ausgewirkt hat. Derzeit erhält der Kläger eine monatliche "Nettorente" aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 954,41 EUR. Deshalb führt die Entziehung der Grundrente nach einer MdE um 60 v.H. von derzeit 272,00 EUR nicht dazu, dass die Einkünfte des Klägers auf oder sogar unter das Sozialhilfeniveau sinken (derzeit in Baden-Württemberg 292,00 EUR plus Zulagen). Nach Abwägung aller Umstände reichen nach Auffassung des Senats die für den Kläger sprechenden Gesichtspunkte nicht aus, um im Hinblick auf das von ihm begangene und jedenfalls teilweise eingeräumte Kriegsverbrechen (insbesondere die Erschießung auch von Frauen und Kindern) ein gegenüber den Belangen der Allgemeinheit und dem mit der Regelung des § 1 a BVG verfolgten Zweck (vgl. BT- Drucksache 13/8980 - Abschaf-fung der Besserstellung der Täter gegenüber den Opfern) überwiegendes Interesse des Klägers an der vollständigen oder teilweisen Fortgewährung der Rente zu begründen. Der Entzug des Anspruchs auf Heilbehandlung stellt keine besondere Härte dar, weil der Kläger ausweislich des von ihm vorgelegten Rentnerausweises zum 01.07.2003 Pflichtmitglied in der Krankenversicherung der Rentner ist und somit über einen Kran-kenversicherungsschutz verfügt. Der Beklagte war deshalb berechtigt, die dem Kläger gewährte Versorgung zu entziehen.

Schließlich ist im vorliegenden Fall auch nicht zu erkennen, dass gerade die sofortige Entziehung der Versorgungsleistungen zum 01.01.2000 zu einer unbilligen Härte führen würde, so dass die Voraussetzungen für eine Weitergewährung von Leistungen für eine Übergangszeit nach § 1 a Abs. 3 BVG nicht vorliegen, zumal der Kläger wegen der auf-schiebenden Wirkung der Klage die Versorgungsleistungen bis jetzt weiterbezogen hat.

Da der anwaltlich vertretene Kläger keine Argumente gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1 a BVG vorgetragen hat, erübrigt sich eine Erörterung dieser Streitfrage. Der Senat begnügt sich mit einem Hinweis auf die zutreffenden Argumente für die Verfas-sungsmäßigkeit der Vorschrift in der Entscheidung des SG Potsdam vom 07.06.2000 - S 9 V 77/97 (Breithaupt 2000, S. 837 ff.) und in den Abhandlungen von Frank, Behin-dertenrecht 2003, S. 1-14, und Heinz, ZfS 1999, 244 - 247.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat der Senat die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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