L 1 JVEG 99/19

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 99/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf richterliche Festsetzung der Vergütung für das Gutachten von Dr. D. vom 22. Januar 2019 wird abgelehnt. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Mit Beweisanordnung vom 10. Juni 2018 beauftragte die Berichterstatterin des 12. Senats im Verfahren L 12 R 368/17 den Chefarzt der Klinik für Psychiatrie Dr. D. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Unter dem 3. Juli 2018 ergänzte sie die Beweisanordnung dahingehend, dass eine testpsychologische Begutachtung durch Dipl.-Psych. B. erfolgen solle. Dr. D. erstattete am 28. November 2018 sein Gutachten.

Mit am 18. Dezember 2018 beim Thüringer Landessozialgericht eingegangener "Rechnungserstellung im Auftrag von Herrn Dr. med. S. D." vom 17. Dezember 2018 machte die Erinnerungsführerin, eine ärztliche Verrechnungsstelle, für das Gutachtens einen Betrag i.H.v. 2.887,17 Euro geltend. In ihrer Verfügung vom 19. Dezember 2018 teilte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der Erinnerungsführerin mit, der volle Rechnungsbetrag könne nicht entschädigt werden. Entschädigt werde nur ein Betrag i.H.v. 2.204,58 Euro. Das Gutachten sei nach § 9 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) der Honorargruppe M 2 zuzuordnen.

Dagegen hat die Erinnerungsführerin am 22. Januar 2019 Erinnerung eingelegt. Nach Rücksprache mit dem Sachverständigen Dr. D. werde ein Antrag auf gerichtliche Festsetzung gestellt. Unter Nennung der erhobenen Diagnosen hat sie besondere differentialdiagnostische Schwierigkeiten und einen hohen Schwierigkeitsgrad vorgetragen. Sie und die Auseinandersetzung mit mehreren Vorgutachten rechtfertigten die Vergütung nach der Honorargruppe M 3. Am 14. Juli 2019 ist beim Thüringer Landessozialgericht eine nicht unterzeichnete "Generalabtretungserklärung für alle Gutachten" des Dr. D. vom 9. Mai 2019 eingegangen.

Mit Verfügung vom 24. Juni 2019 hat der Berichterstatter die Erinnerungsführerin darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Sachverständigenentschädigung nach dem JVEG dem beauftragten Sachverständigen und damit Dr. D. zustehe. Eine Abtretung komme nur unter Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht in Betracht. Insoweit bedürfe die Weitergabe von Behandlungsdaten an privatärztliche Verrechnungsstellen einer Einwilligung der begutachteten Klägerin. Liege diese nicht vor, führe dies nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zur Nichtigkeit der Abtretung.

Die Erinnerungsführerin hat daraufhin geltend gemacht, dass zwischen Sachverständigem und Klägerin kein Behandlungsverhältnis entstehe. Es handele sich nicht um ein Arzt-Patientenverhältnis, und es entstünden demgemäß auch keine Behandlungsdaten. Auch andere der ärztlichen Schweigepflicht unterliegende Daten würden nicht weitergegeben. Die Abtretung der Forderung sei im Rahmen einer andauernden Geschäftsbeziehung mit dem Sachverständigen erfolgt. Mit der Rechnungsstellung würden keine der Schweigepflicht unterliegenden Behandlungs- oder Gesundheitsdaten weitergegeben.

Die Erinnerungsführerin beantragt,

die Vergütung für das Gutachten vom 28. November 2018 auf 2.887,17 Euro festzusetzen.

Die Erinnerungsgegnerin ist der Auffassung, dass eine Honorierung des Gutachtens nach Honorargruppe M 3 nicht gerechtfertigt ist.

Der Berichterstatter hat das Verfahren mit Beschluss vom 12. August 2019 wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen.

II.

Der Antrag auf richterliche Festsetzung ist als unzulässig abzulehnen. Die Erinnerungsführerin ist nicht antragsbefugt.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse dies beantragt oder - wofür hier kein An-lass besteht - das Gericht sie für angemessen hält. Berechtigter ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz i.V.m. Satz 1 Nr. 1 JVEG, wer als Sachverständiger beauftragt worden ist.

Die Erinnerungsführerin ist nicht als Sachverständige beauftragt worden. Der Gutachtensauftrag richtete sich an Dr. D. und er erstattete das Gutachten. Damit ist dieser Berechtigter und nicht die Erinnerungsführerin.

Sie ist auch nicht durch eine Abtretung des Vergütungsanspruchs Berechtigte geworden. Der Senat muss in diesem Verfahren nicht entscheiden, inwieweit die Abtretung eines Vergütungsanspruchs eines Sachverständigen nach dem JVEG überhaupt zulässig ist. Die in Rechtsprechung und Literatur vertretene Auffassung, dass eine solche Abtretung grundsätzlich möglich sei, ist aus Sicht des Senats nicht hinreichend geklärt. Soweit die Abtretung des Vergütungsanspruchs als zulässig angesehen und damit auch die Möglichkeit des Abtretungsempfängers, einen Antrag auf richterliche Festsetzung zu stellen, bejaht wird (vgl. u.a. LSG Ba-den-Württemberg, Beschluss vom 8. Januar 2019 - L 10 KO 4348/18; Bayerisches Landesso-zialgericht, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – L 15 SF 348/09; Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke., Kommentar zum JVEG, 27. Auflage 2018, § 2 Rn. 6), ist dem uneingeschränkt nur im Ausgangspunkt zuzustimmen. Tatsächlich wird die Abtretbarkeit des Anspruchs auf Sachverständigenvergütung und Entschädigung für ehrenamtliche Richter und Zeugen im JVEG nicht thematisiert. Ob die besondere Stellung der Sachverständigen als Gehilfe des Gerichts und der weiteren Personenkreise, deren Vergütung das JVEG nach § 1 regelt, einer Abtretung von Ansprüchen nach dem JVEG Grenzen setzt bzw. Modifikationen der entsprechend heranzuziehenden Regelungen des BGB erforderlich macht, kann im vorlie-genden Fall dahinstehen. Dr. D. hat seinen Vergütungsanspruch nicht wirksam an die Erinnerungsführerin abgetreten. Es kann offenbleiben, ob die "Generalabtretungserklärung" vom 9. Mai 2019 schon wegen der fehlenden Unterschrift von Dr. D. unwirksam ist. Auf den Abtretungsvertrag finden die allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte Anwendung und danach ist dieser grundsätzlich formfrei möglich. Allerdings erhält ein Berechtigter nach § 2 JVEG eine Vergütung nicht von Amts wegen, sondern nur aufgrund einer "Geltendmachung", also eines Verlangens, im weiteren Sinn eines Antrags, der durchaus formlos sein kann. Aus der Gesetzesformulierung "der Anspruch erlischt", lässt sich schließen, dass er nach Grund und Höhe innerhalb der Drei-Monats-Frist vollständig beziffert werden muss (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 18. Juni 2007 – L 6 B 77/07 SF, zitiert nach Juris). Ohne zumindest die wirksame Anzeige einer Abtretung nach § 410 Abs. 2 BGB gegenüber der festsetzenden Stelle dürfte die Bearbeitung des Antrages praktisch nicht möglich sein.

Hier ist die Abtretungserklärung schon wegen Verstoßes gegen die ärztliche Schweigepflicht i.V.m. § 203 Nr. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) nach § 134 BGB nichtig. Der Abtretung steht das gesetzliche Verbot der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 134 BGB i.V.m. § 203 Abs. 1 StGB entgegen, weil keine Einwilligung der Klägerin des Verfahrens L 12 R 368/17 vorliegt. Insoweit kann nichts anderes gelten wie bei der Abtretung an eine privatärztliche Verrechnungsstelle (vgl. dazu BSG, Urteil vom 27. Juni 2018 - B 6 KA 38/17 R, zitiert nach Juris unter Hinweis auf BGHZ 162, 187 ff.). Entgegen den Auffassungen von Dr. D. und der Erinnerungsführerin unterliegt ein medizinischer Sachverständiger bei der Erstellung eines Gutachtens grundsätzlich der ärztlichen Schweigepflicht. Sie gilt umfassend für alle nicht allgemein bekannten Tatsachen, die dem Berufsträger in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut oder sonst bekannt werden. Diese auch gegenüber einem Sachverständigen bestehende Schweigepflicht wird nur insofern modifiziert, als der medizinische Sachverständige gegenüber der Stelle, die ihm den Gutachtenauftrag erteilt hat (Gericht), grundsätzlich keiner Schweigepflicht unterliegt (vgl. dazu ausführlich Kaltenstein, Verwendung von bei Gelegenheit der Begutachtung erhobenen Befunden aus rechtlicher Sicht MedSach, 2001, S. 60/61 m.w.N.; Bieresborn, Datenschutz bei sozialrichterlicher Tätigkeit SGB 2010, S. 501/506; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Auflage 2017, § 118, Rn. 11 e; Ulsenheimer in Lauf u.a. Handbuch des Arztrechts , 5. Auflage 2019, § 145 Rn. 47). Das Zustandekommen eines Behandlungsvertrages ist keine Voraussetzung für das Eintreten der ärztlichen Schweigepflicht. Es reicht aus, dass die Kenntnisse im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit erworben werden (vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Auflage 2018, Rn. 865). Darunter fällt auch die Tätigkeit als Sachverständiger. Auch zwischen einem Begutachteten und dem Sachverständigen entsteht ein Vertrauensverhältnis, welches die Erwartung rechtfertigt, dass der Sachverständige seine Erkenntnisse nur dem Gericht im Rahmen seines Auftrages mitteilt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1992 - 3 StR 367/92 = BGHSt 38, 369/370). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand (Anamnese, Diagnose, therapeutische Betreuung), die seelische Verfassung und den Charakter des ärztlich Betreuten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 2 BvR 2049/13, zitiert nach Juris). Entsprechend zählen Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 4 Nr. 15 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu den besonders geschützten Daten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Die Schweigepflicht des Sachverständigen besteht daher gegenüber Dritten, d.h. hier auch gegenüber der Erinnerungsführerin als ärztlicher Verrechnungsstelle. Er ist berechtigt und sogar verpflichtet, seinem Auftraggeber alle von ihm im Zusammenhang mit dem Gutachtenauftrag über den Probanden festgestellten Tatsachen mitzuteilen. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist Rechtsgrund hierfür zwar nicht, dass der Proband nach gesetzlichen Vorschriften, wie z. B. bei einer Blutentnahme §§ 81 ff. der Strafprozessordnung zur Duldung der ärztlichen Untersuchung verpflichtet ist, wohl aber, dass er mit der Begutachtung einverstanden ist. Hintergrund hierfür ist, dass er sich der Begutachtung in Kenntnis seiner Mitwirkungspflicht bzw. Mitwirkungslast unterzieht und durch sein Erscheinen zur Untersuchung den begutachtenden Arzt zumindest stillschweigend gegenüber dem Auftraggeber von der Schweigepflicht über alle Tatsachen, die der Sachverständige im Rahmen der Erledigung des Gutachtensauftrags ermittelt, entbindet. Dem zu Begutachtenden ist bekannt, dass die gutachterliche Untersuchung den Zweck hat, dem Gericht die erforderlichen Informationen zur Entscheidung bestimmter Fragen zu vermitteln. Er bleibt aber jederzeit Herr über seine gesundheitlichen Daten und hat z.B. die Möglichkeit, der Weitergabe bestimmter Befunde oder Angaben ausdrücklich zu widersprechen, woraus sich für den Sachverständigen das Problem ergeben kann, dass er nicht zur sachgerechten Erstattung des Gutachtens in der Lage ist. Festzuhalten ist, dass der Fortfall der ärztlichen Schweigepflicht des Sachverständigen allein auf die Tatsachen beschränkt ist, die er im Rahmen des ihm aufgetragenen Gutachtens erfährt und welche zur Beantwortung der Fragestellung des jeweiligen Auftraggebers erforderlich sind. Keinesfalls ist er ohne schriftliche Einwilligung des Begutachteten berechtigt, die Unterlagen an Dritte oder, wie hier, an eine ärztliche Verrechnungsstelle zwecks Erstellung der Abrechnung weiterzuleiten.

Entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin wurden hier der Schweigepflicht unterliegende Gesundheitsdaten weitergegeben. Dies folgt bereits aus dem Schriftsatz vom 17. Januar 2019, wo sie hinsichtlich der begutachteten Klägerin des Verfahrens L 12 R 368/17 erhobene Diagnosen, wie z.B. eine rezidivierende depressive Störung, anführt. Dies sind unzweifelhaft Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DSGVO und damit Sachverhalte, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin des Verfahrens L 12 R 368/17 durch ihr Erscheinen zur Begutachtung konkludent der Weitergabe an eine Verrechnungsstelle zustimmte. Damit brauchte sie zum einen nicht zu rechnen. Zum anderen verlangt die zivilrechtliche Rechtsprechung für eine wirksame Einwilligung, dass der Einwilligende eine im Wesentlichen zutreffende Vorstellung davon hat, worin er einwilligt und er die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken vermag. Dazu gehört jedenfalls die Kenntnis, welcher Abrechnungsstelle die Forderung abgetreten wird, sowie, dass dem Zessionar zur Durchsetzung der Forderung die notwendigen Kenntnisse in Form der Behandlungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - III ZR 325/12, zitiert nach Juris). Es sind auch keine in besonderen Gesetzesbestimmungen, sei es des Sozialrechts oder allgemeiner Art, niedergelegten Pflichten des Sachverständigen ersichtlich, die unmittelbar als Offenbarungsbefugnis ohne Einverständniserklärung des Begutachteten wirken (vgl. zu den Besonderheiten der Abtretung von vertragsärztlichen Honoraransprüchen unter Berücksichtigung der Besonderheit, dass im vertragsärztlichen Vergütungssystem zwangsläufig bestimmte Patientendaten weitergegeben werden müssen BSG, Urteil vom 27. Juni 2018 - B 6 KA 38/17 R, zitiert nach Juris).

Mit dieser Entscheidung ist keine Entscheidung über den Vergütungsanspruch für das Gut-achten von Dr. D. verbunden und die Kostenfestsetzung der Kostenbeamtin bleibt hiervon zunächst unberührt, obwohl vieles dafür spricht, dass bereits diese den Antrag der Erinnerungsführerin als unzulässig hätte zurückweisen müssen.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 2 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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