L 7 U 2955/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 4990/99
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 U 2955/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Versammlungsältester der Zeugen Jehovas der anlässlich der Errichtung eines Königreichsaales 8 Stunden beim Transport von Baumaterial mithilft, wird hierbei aufgrund allgemeiner Vereins-übung tätig und steht nicht unter Versicherungsschutz gem. § 2 Abs. 2 SGB VII. (Revision eingelegt).
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Mai 2001 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu er-statten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenleis-tungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Die 1952 geborene Klägerin ist die Witwe des ebenfalls 1952 geborenen und am 05.09.1998 an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorbenen K. L. (L.). L. war im Zeit-punkt seines Todes Angehöriger der Zeugen Jehovas. Er gehörte der örtlichen Ver-sammlung S.-U., einem nichtrechtsfähigen Verein, an. Kraft seines Amtes als Ältester (= geistlicher Leiter) gehörte er wie die anderen 11 Ältesten auch dem gleichnamigen rechtsfähigen Verein Versammlung S.-U. e. V. an. Im Hinblick auf seine Tätigkeit als Schriftführer gehörte er dem Dienstkomitee der Ältestenschaft an und war gleichzeitig Mitglied des Vorstandes des rechtsfähigen Vereins. Dessen Aufgabe ist es, die Ent-scheidungen der Ältestenschaft des nichtrechtsfähigen Vereins umzusetzen, indem der Vorstand des rechtsfähigen Vereins nur die Entscheidungen der Ältestenschaft - als für den eingetragenen Verein verbindlich - beschließt. Mit dieser Konstruktion soll dem nichtrechtsfähigen Verein die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht werden. Nach der im Todeszeitpunkt geltenden Satzung des Vereins "Jehovas Zeugen, Versammlung S.-U. e. V." vom 02.09.1979 war/ist unter anderem Vereinszweck, Vortragsräume, Vor-tragssäle, Gebäude oder Lokale, die geeignet sind, den Zwecken des Vereins zu die-nen, zu errichten, zu erwerben, zu mieten oder sonstwie zu beschaffen und alle zur Er-füllung dieser Aufgaben erforderlichen Rechtsgeschäfte abzuschließen und auszufüh-ren (§ 2 Ziff. 4. der Satzung). Die örtliche Versammlung ist die unterste Gliederung der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland, e. V., mit der die Mitglieder der Religionsgemeinschaft verbunden sind (vgl. etwa § 3 Abs. 3 des "Statuts der Religi-onsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland, e. V." in der Fassung vom 14.08.1999). Zweck der Religionsgemeinschaft ist u. a. die Beschaffung, Unterhaltung und Verwendung von gottesdienstlichen Zusammenkunftsstätten wie z. B. Königreichs- und Kongresssäle (§ 2 Abs. 3 d aaO).

Anfang 1997 beschloss die Ältestenschaft der Versammlung S.-U. zusammen mit den Ältestenschaften von 6 örtlich benachbarten Versammlungen gemeinsam die Errichtung eines Königreichssaals in S.-W ... Die Federführung hierfür wurde von der Versammlung S.-U. übernommen, die hierfür ein Baukomitee bildete, auch zur Erstellung eines Bau-organisationsplans und weiter von Terminplänen mit Aufgabenteilung. Die Gesamtkos-ten des Bauvorhabens beliefen sich auf ca. 1 Million DM. 90% der anfallenden Arbeiten wurden in Eigenleistung durch Versammlungsmitglieder erbracht. Im Rahmen einer "Besprechung Bodenplatte 13.07.1998" wurde für den 05.09.1998 die Abholung eines Lkws um 07:30 Uhr in S. eingeplant. L., der an der Besprechung teilge-nommen und sich zur Mitwirkung an dem Vorhaben gemeldet hatte, wurde hierfür als Beifahrer eingeteilt. Auf der Fahrt ereignete sich ohne Fremdverschulden ein Unfall, bei dem L. tödlich verunglückte.

Mit Bescheid vom 20.10.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungs-leistungen aus Anlaß des Ereignisses vom 05.09.1998 ab. Zur Begründung hieß es, Vereinsmitglieder seien bei Tätigkeiten für ihren Verein nur dann in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert, wenn sie Arbeitsleistungen vollbrächten, die über die Mit-gliedschaftspflichten hinausgingen. Die am Unfalltag ausgeübte Tätigkeit habe der Ver-ein (Versammlung) von jedem seiner Mitglieder erwarten können. Die Tätigkeit sei Aus-fluss der Mitgliedschaft im Verein gewesen, die L. jederzeit hätte ablehnen können. In diesem Fall wäre ein anderes Mitglied tätig geworden. Die Tätigkeit sei somit nicht über die mitgliedschaftsrechtlichen Verpflichtungen hinausgegangen, sondern aus allgemei-ner Übung erfolgt.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, für die Mitwir-kung von L. an der Errichtung des Königsreichssaals habe keine mitgliedschaftliche Verpflichtung bestanden. Weder enthalte die Satzung des Vereins Jehovas Zeugen, Versammlung S.-U. e. V. eine solche Verpflichtung noch sei ein entsprechender Beschluss gefasst worden. Eine solche Verpflichtung gegenüber dem Verein existiere schon deshalb nicht, weil Jehovas Zeugen prinzipiell keine Tätigkeit gegenüber einem ihrer Vereine aufgrund einer Verpflichtung erwarteten, sondern die freiwillige Mitarbeit ein religiöses Prinzip für sie darstelle. Eine Klassifizierung als allgemeine Übung schei-de schon deshalb aus, weil die Errichtung eines Königsreichssaals schon von dem Um-fang des Projekts her so außergewöhnlich sei, daß es sich nicht mit üblichen regelmä-ßigen Tätigkeiten, wie z. B. der Reinigung einer Versammlungsstätte, gleichgesetzt werden könne. Daß L. das Amt des Schriftführers des bauenden Vereins inne gehabt habe, ändere nichts. Ein Organ eines Vereins sei lediglich dann unversichert, wenn es in seiner Eigenschaft als Vereinsorgan tätig gewesen sei. Werde es aber in einer Weise tätig, die es nicht aus der Reihe der anderen freiwilligen Helfern heraushebe und die völlig untypisch sei für das Amt, das innerhalb des Vereins ausgeübt werde, so sei es versichert wie alle anderen Helfer auch. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 22.07.1999 zurückgewiesen. L. sei zum Unfallzeitpunkt im Rahmen seiner mitgliedschaftlichen Verpflichtungen ge-genüber dem Verein Jehovas Zeugen, Versammlung S.-U. e. V. tätig geworden.

Gegen den ihren Angaben zufolge am 27.07.1999 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 26.08.1999 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Das SG vernahm im Erörterungstermin vom 22.11.2000 H. B., Vorsitzender des Vorstandes des Vereins "Jehovas Zeugen, Versammlung S.-U. e. V." uneidlich als Zeugen. Dieser gab u. a. an, alle am Bau beteiligten Versammlungen umfassten zusammen etwa 350-400 Leute. Sowohl Finanzierung wie auch Durchführung des Bauvorhabens erfolgten auf rein freiwilliger Basis. Es sei auf die Mitglieder, egal in welcher Funktion auch immer, keinerlei Druck ausgeübt worden. Es gehöre vielmehr zum Selbstverständnis, nach Kräften im Rahmen des Möglichen an diesem Vorhaben mitzuwirken und mitzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund verstehe sich auch, daß es, was die konkreten Arbeitseinsätze bei der Durchführung des Bauvorhabens angegangen sei, keine etwa geschriebene Arbeitsanweisung oder dergleichen gegeben habe. Es habe grundsätzlich keine Ver-pflichtung bestanden, etwa eine bestimmte Zahl von Arbeitsstunden zu erbringen und/oder hierfür ein finanzielles Entgelt zu entrichten. Die Klägerin legte noch ein Schreiben von "Jehovas Zeugen, Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e. V." vom 16.02.2001 vor (hierbei handelt es sich seit August 1999 um die geistliche aufsichtsführende Körperschaft für alle den örtlichen Gemeinden in Deutschland angehörenden Zeugen Jehovas; vor diesem Zeitpunkt war dies für die Westdeutsche Bundesrepublik die "Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesell-schaft der Zeugen Jehovas e. V."). Darin hieß es unter anderem, für die gesamte Reli-gionsgemeinschaft einschließlich ihrer Untergliederungen gälten die Prinzipien der Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit. Deshalb seien auch die Mitglieder eines Ver-sammlungsvereins, der eingetragen sei, allenfalls zur Mitwirkung bei der Beschlussfas-sung verpflichtet. Es folge daraus allerdings keinerlei Verpflichtung für die Mitglieder des Vereins, die Umsetzung der Beschlüsse - wie etwa den Bau eines Königreichssaals - durch das Entfalten von eigener Tätigkeit zu unterstützen. Gemäß biblischem Ver-ständnis solle jeder entsprechend seiner eigenen religiösen Hingabe über seine Mög-lichkeiten darüber empfinden, ob er dies wolle. Die Bibel lehre hierzu den von der Reli-gionsgemeinschaft vertretenen Grundsatz, daß Gott in der Lage sei, die Herzen von Menschen so zu bewegen, dass sie seinen Willen verwirklichten. Es sei deshalb nicht nötig, eine Tätigkeit zu erzwingen oder als rechtliche Verpflichtung - z. B. in einer Ver-einssatzung - festzulegen. Auch bei dem konkreten Bauvorhaben habe sich nur ein Teil der betroffenen Versammlungsmitglieder zur aktiven Mitarbeit entschieden. Die anderen Versammlungsmitglieder seien zu keinerlei Ersatzleistung verpflichtet oder aufgefordert worden, wie etwa der Leistung einer Ersatzzahlung. Daraus ergebe sich, daß L. zu kei-nerlei Tätigkeit in Verbindung mit der Errichtung des Königreichssaals verpflichtet ge-wesen sei, auch nicht in seiner Funktion als Mitglied des Vereinsvorstandes. Auch der Vereinszweck bezüglich des Errichtens." ... von Räumlichkeiten für die Anbetung" bein-halte in keiner Weise eine Verpflichtung für die Vereinsmitglieder zur Mitwirkung an ei-ner solchen Tätigkeit. Die ausdrückliche Erwähnung des Errichtens von Räumlichkeiten sei seit langer Zeit in der Vereinssatzung der Versammlungen enthalten, um eine sol-che bauliche Tätigkeit abzudecken, die von der Religionsgemeinschaft als freiwillige, unbezahlte, opferbereite, gottesdienstliche Betätigung der Glaubensangehörigen be-trachtet werde. Es sei zu vermuten, daß diese Aufzählung der Zwecke in Verbindung mit den Räumlichkeiten daher stamme, daß in den Jahren der Reorganisation in den Jahren nach der Nazidiktatur die Satzungen im wesentlichen an die in den USA ge-brauchten Satzungen der Religionsgemeinschaft angelehnt gewesen seien. In den spä-teren Jahren sei die Auflistung der Zwecke in Verbindung mit Räumlichkeiten in die je-weils gültige Verfassung übernommen worden, weil es keine Veranlassung zur Ände-rung gegeben habe. Dadurch sei im Hinblick auf die Gemeinnützigkeitsvorschriften do-kumentiert worden, daß auch das Errichten von Königreichssälen vom Satzungszweck gedeckt gewesen sei. Mit Mitgliederpflichten habe dies allerdings nie etwas zu tun ge-habt. Es habe im Gegenteil schon immer dem regionsgemeinschaftlichen verbindlichen Recht entsprochen, daß alle Tätigkeiten in der Religionsgemeinschaft auf absoluter Freiwilligkeit basierten.

Mit Urteil vom 10.05.2001 hob das SG die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, den Unfall von L. als versicherten Arbeitsunfall anzuerkennen und "den Klägern" Entschädigungsleistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß die Tätigkeit von L. "wie" ein Bauhelfer nicht mehr als Ausdruck der Konkretisierung allgemeiner mitgliedschaftlicher Verpflichtung versicherungsfrei gewesen sei. Hauptzweck der Versammlung sei die Propagierung der von ihr vertrete-nen Glaubensrichtung. Diese ihrerseits sei geprägt durch ein überaus großes Maß an Freiwilligkeit. Im Rechtssinne einklagbare Verpflichtungen der einzelnen Vereinsmitglie-der, seien diese nun Funktionsträger oder bewegten sie sich auch im Rahmen der "üb-rigen Mitglieder", von Seiten des Vereins widersprächen gerade diesem Selbstver-ständnis. Die Errichtung eines Königreichssaals diene zwar mittelbar dem Vereins-zweck, stelle sich indessen jedoch nur als mehr oder minder notwendige Nebentätigkeit im Randbereich dar. Ein weltlicher Zwang zur Mithilfe habe zu keiner Zeit bestanden.

Gegen das am 27.06.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.07. 2001 Berufung eingelegt mit der Begründung, Satzungszweck sei die Errichtung von Königreichsälen. Insofern habe sich der Unfall bei einer Tätigkeit ereignet, die im Sinne der Satzung aus-geübt worden sei. Hierbei müsse berücksichtigt werden, daß es sich um eine Tätigkeit handle, die aus allgemeiner Übung heraus von den Vereinsmitgliedern durchgeführt werde. Dies ergebe sich aus den Angaben des Zeugen B., wonach alle 350-400 Mit-glieder an der Realisierung mitgewirkt hätten. Somit bestätige der Zeuge, daß die Tätig-keit Ausfluss allgemeiner Übung gewesen sei. Angezweifelt werde das Vorbringen, daß die Mitglieder der Zeugen Jehovas aus ihrer Überzeugung bzw. ihrem Selbstverständ-nis heraus grundsätzlich alle Tätigkeiten freiwillig ausübten. Beim Bau des Königreichs-saales habe eine Verpflichtung zur Mithilfe bestanden, auch wenn dies formell nicht ausgesprochen worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.05.2001 aufzuhe-ben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist hierzu auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Der Hinweis der Beklagten, die Ausführungen des Zeugen B., alle 350-400 Mitglieder hätten an der Ein-richtung mitgewirkt, könne nicht zur Begründung einer allgemeinen Übung dienen. Hier verschweige die Beklagte, daß der Zeuge die Aussage relativiert habe, indem er gesagt habe, sie hätten "im Rahmen ihrer Möglichkeiten" mitgeholfen. Im übrigen hätte es sich bei den 350-400 "Mitgliedern" nur um die Personenzahl gehandelt, die den Bau dann auch hätte nutzen sollen.

Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin die weitere Stellungnahme von "Jehovas Zeu-gen" vom 25.10.2002 vorgelegt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19.12.2002 aus-führliche Internetrecherchen zur Struktur der Zeugen Jehovas vorgelegt und auf den dort dargestellten Druck hingewiesen, der auf die einzelnen Mitglieder der Religionsge-meinschaft ausgeübt werde, z. B. durch Gemeinschaftsentzug.

Der Senat hat von Amts wegen von Prof. Dr. Z., Institut für Religionswissenschaft an der Freien Universität B., das Gutachten vom 24.03.2003 nebst Ergänzung vom 09.04.2003 eingeholt.

Hierzu hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.05.2003 ausgeführt, der Sachverständige bestätige ihren Vortrag, daß es für L. als Ältesten keine rechtliche Pflicht gegeben habe, an den Bauarbeiten für den Königreichssaal eigenhändig mitzuwirken. Auch werde bes-tätigt, daß es keine sakramentale oder heilsnotwendige Pflicht für den Verstorbenen dargestellt habe, an den Bauarbeiten mitzuwirken. Bestenfalls sei er aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied in einer Leitfunktion für die anderen Mitglieder gewesen. Wie er diese gestalte, hänge aber von seiner Persönlichkeit ab, er müsse somit eigen-verantwortlich handeln. Damit werde aber auch klar, daß eine allgemeine Übung, die die Ältesten - geschweige denn die einfachen Mitglieder der Zeugen Jehovas - zur ei-genhändigen Mitwirkung an den Bauarbeiten an einem Königreichssaal verpflichte, nicht bestehe. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12.06.2003 ausgeführt, der gerichtliche Sachver-ständige komme zu den von ihr vertretenen Einschätzungen. Beim Bau des König-reichssaals handle es sich um eine "herausragende Tätigkeit in Verbindung mit der wahren Anbetung", verbunden mit einem wichtigen Stellenwert. Damit stelle sich die Baumaßnahme als Tätigkeit im Rahmen des Vereinszweckes dar. Die Mithilfe bei einer Tätigkeit im Rahmen des Vereinszwecks sei für die Vereinsmitglieder zunächst Ausfluss ihrer mitgliedschaftlichen Verpflichtung und in der gesetzlichen Unfallversicherung un-versichert. Zur Prüfung, wann die mitgliedschaftsrechtliche Verpflichtung erfüllt sei, d. h. ab welchem Zeitpunkt sich ein Vereinsmitglied über den Umfang der Tätigkeit heraus-hebe, die der Verein von jedem seiner Mitglieder verlangen könne, sei auf die Erwar-tungshaltung seitens des Vereins abzustellen. Aus den Angaben der Versammlung U. vom 19.08.1997 ergebe sich, daß der Verein davon ausgegangen sei, daß das gesamte Bauvorhaben von freiwilligen Helfern unentgeltlich ausgeführt werde. Dieser Erwar-tungshaltung seien die Mitglieder in ihrer Mehrzahl nachgekommen. Von einem Ange-hörigen der Zeugen Jehovas werde erwartet, daß er sein ganzes Leben entsprechend den Grundsätzen des Glaubens dieser Gemeinschaft einrichte. Formelle Strafen gebe es zwar nicht, allerdings gehe auch der Sachverständige davon aus, daß mit sozialen Sanktionen wie Ausschluß oder Umgangsverbot reagiert werde. Dies decke sich mit ihrem Ermittlungsergebnis. Durch die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas übernehme das einzelne Mitglied erhebliche mitgliedschaftsrechtliche Verpflichtungen und habe die Gemeinschaft auch die Erwartung an die einzelnen Mit-glieder, daß diese ihrer Verpflichtung nachkämen. Was für ein einfaches Mitglied gelte, gelte erfahrungsgemäß noch viel stärker für herausgehobene Mitglieder der Religions-gemeinschaft, die z. B. das Amt eines Ältesten bekleideten. Es entspreche der allge-meinen Lebenserfahrung, daß von Vorstandsmitgliedern eine engagiertere Beteiligung an den Aktivitäten des Vereines erwartet werde als von einfachen Mitgliedern. Diese Erwartung sei in keinem Verein in der Satzung geregelt, entspreche aber den Erwar-tungen der Mitglieder an ihre Vorstände. Auf eine rechtliche Verpflichtung, die in der Regel nicht vorliege, komme es dabei nicht an.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungs-ausschließungsgründe gem. § 144 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Unfall von L. als versi-cherten Arbeitsunfall anzuerkennen und "den Klägern" Entschädigungsleistungen zu gewähren. L. stand bei der unfallbringenden Tätigkeit vom 05.09.1998 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Im Hinblick auf den Urteilstenor ("den Klägern") ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Gerichtsverfahren nur über die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden ist. Die streitbefangenen Bescheide sind nur an sie adres-siert und richten sich dem Inhalt nach nur an sie. Der Umstand, dass in ihnen immer nur vom "Ehemann" die Rede ist, schließt die Auslegung aus, die Bescheide seien zugleich an die Kinder von L. gerichtet gewesen, diese gesetzlich vertreten durch die Klägerin. Auch lässt sich den Ausführungen der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren nicht entnehmen, dass sie auch Ansprüche für die gemeinsamen Kinder geltend macht.

Hinterbliebene haben gem. § 63 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) unter anderem Anspruch auf Sterbegeld und Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicher-ten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tä-tigkeit (versicherte Tätigkeit - § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII scheidet bereits deshalb aus, weil Anhaltspunkte für das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit und damit eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen L. und der örtlichen Versammlung S.-U. oder der Versammlung S.-U. e.V. nicht ersichtlich sind.

L. war im Unfallzeitpunkt auch nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII versichert. Hierun-ter fallen unter anderem Personen, die für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind. Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e. V. ist jedoch ebenso wenig wie ihre Untergliederungen, nämlich die örtlichen Ver-sammlungen, die Kreise, die Bezirke und das Bethel (vgl. § 3 des Statuts der Religions-gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e. V.) als Körperschaft des öffentli-chen Rechts anerkannt. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands betreibt sie zwar ihre Anerkennung; ein diesbezüglicher Rechtsstreit hat schon zu Entscheidungen des Bun-desverwaltungsgerichts (Urteile vom 26.06.1997 - 7 C 11/96 und vom 17.05.2001 - 7 C 1/01) und des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 19.12.2000 - 2 BVR 1500/97) geführt, ist jedoch noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Sollte die Glaubensgemein-schaft mit dem allein noch strittigen Antrag obsiegen, ihr die Rechtsstellung einer Kör-perschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, so könnte diese Statusentscheidung nur Auswirkungen für die Zukunft haben. Für die versicherungsrechtliche Beurteilung des vorliegenden Unfalles vom 05.09.1998 hätte sie keine Bedeutung.

Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sind nicht erfüllt. Danach sind Personen versichert, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Nach der stän-digen Rechtssprechung des BSG schließt die Mitgliedschaft in einem - rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen - Verein die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ebenso wie früher nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht von vornherein aus und damit auch nicht schlechthin eine versicherte Tätigkeit wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII bzw. des § 539 Abs. 2 in Verbin-dung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO. Die Anwendung dieser Vorschriften setzt aber voraus, dass das Vereinsmitglied wie ein in einem Arbeitsverhältnis Stehender tätig wird. Ist hierfür kein Raum, weil die Tätigkeit nicht aufgrund eines solchen Verhältnisses, sondern auf-grund von Mitgliedspflichten ausgeübt worden ist, so entfällt die Anwendung des § 2 Abs. 2 SGB VII. Es ist somit zu unterscheiden zwischen Arbeitsleistungen, die nur auf Mitgliedspflichten beruhen, und Arbeitsleistungen, die außerhalb dieses Rahmens ver-richtet werden.

Im vorliegenden Fall ist der Versicherungsschutz von L. ausgeschlossen, weil sich sei-ne Tätigkeit als Ausfluss seiner Mitgliedschaft in der Versammlung S.-U. bzw. dem gleichnamigen rechtsfähigen Verein darstellt. Denn maßgebend ist, dass er seine Tä-tigkeit aufgrund seiner Mitgliedspflichten im Rahmen des Vereinszweckes verrichtet hat. Hauptzweck des Vereins Jehovas Zeugen, Versammlung S-U e. V. ist es zwar ausweis-lich des § 2 Nr. 1 seiner Satzung in der Fassung vom 02.09.1979, "den Namen, das Wort und die Oberhoheit des allmächtigen Gottes Jehova zu bezeugen und das Evan-gelium vom Königreich Gottes unter Christus Jesus zu predigen". In engem Zusam-menhang damit steht jedoch die Aufgabe, "Versammlungsräume, Vortragssäle, Gebäu-de oder Lokale, die geeignet sind, den Zwecken des Vereins zu dienen, zu errichten, zu erwerben, zu mieten oder sonstwie zu beschaffen", wie dies in § 2 Abs. 4 der genann-ten Satzung als weiterer Vereinszweck genannt wird.

Die Mitgliedspflichten können sich aus der Satzung des Vereins, den Beschlüssen der zuständigen Vereinsorgane oder aufgrund allgemeiner Vereinsübung ergeben. Zu den auf allgemeiner Vereinsübung beruhenden Mitgliedspflichten zählen nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im allgemeinen Tätigkeiten, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet werden (BSGE 14, 1; 17, 211; BSG SozR 3 § 539 Nrn. 18 und 41). Die-se Tätigkeiten sind im Allgemeinen dadurch gekennzeichnet, dass sie nach Art und Um-fang nur wenig zeitlichen oder sachlichen Arbeitsaufwand erfordern. Nach der Recht-sprechung des BSG fielen in diesen Rahmen Arbeiten in einem Umfang von 3 bis 4 Stunden (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 123) oder von 7 Stunden (BSG Urteil vom 19.05.1983 - 2 RU 55/82). Nach der älteren Rechtsprechung des BSG wurden über diesen Rahmen hinausgehende umfangreichere Arbeitsleistungen (z. B. Bau eines Vereinsheims, vgl. BSGE 14,1, Errichtung eines Vereinshauses eines Kleingartenver-eins, BSG Urteil vom 24.01.1992 - 2 RU 3/91; Neubau eines Sportplatzgeländes und Vereinshauses, s. BSG Urteil vom 09.12.1993 - 2 RU 54/92) nicht mehr als geringfügig angesehen. In seiner neueren Rechtsprechung (vgl. SozR 3-2200 § 539 Nr. 41; Urteile vom 13.08.2002 - B 2 U 5/02 R sowie B 2 U 29/01 R; Urteil vom 10.10.2002 - B 2 U 14/02 R) wird die Grenze der Geringfügigkeit jedoch weiter gezogen. Es gilt der Grund-satz, dass die Geringfügigkeitsmarke je nach Verein verschieden sein kann. Wenn die Bereitschaft der Vereinsmitglieder, Arbeiten für den Verein zu verrichten, größer ist, wird auch die Grenze, von der an der Verein diese Arbeiten allgemein aufgrund einer sich so entwickelnden Vereinsübung von seinen Mitgliedern erwarten kann und die von den Mitgliedern entsprechend dieser Erwartung verrichtet werden, höher liegen. Allge-mein betrachtet ist die Grenze der Geringfügigkeit dort überschritten, wo sich eine Ar-beitsleistung von wirtschaftlichem Wert deutlich erkennbar von dem Maß an vergleich-barer Aktivität abhebt, das die Vereinsmitglieder üblicherweise aufwenden. Damit ergibt sich hinsichtlich des Maßstabes dafür, ob auch umfangreichere Tätigkeiten noch auf-grund allgemeiner Vereinsübung und damit aufgrund mitgliedschaftlicher Vereinszuge-hörigkeit erbracht werden können, keine eindeutige Grenzziehung. Hinzu kommt, dass der Maßstab für die allgemeine Vereinsübung, Mitglieder zu Arbeitsleistungen heranzu-ziehen, nicht notwendig für alle Mitglieder gleich ist. Hebt der Verein bestimmte Perso-nen dadurch aus dem Kreis seiner Mitglieder heraus, dass er ihnen ehrenamtliche Ver-einsfunktionen überträgt, so treffen diese Funktionäre auch qualitativ und quantitativ andere Mitgliedspflichten als "einfache Vereinsmitglieder". Daraus ergibt sich, dass hin-sichtlich der Vereinsübung allein wesentlich ist, ob der Verein erwarten kann, dass be-stimmte Aufgaben von geeigneten Mitgliedern wahrgenommen werden und geeignete Mitglieder regelmäßig der Erwartung des Vereins auch nachkommen (BSG SozR 3-2200 § 539 Nrn. 18 und 41).

Der Klägerin ist allerdings einzuräumen, dass eine Verpflichtung von L., sich am Bau des Königreichsaals durch die Übernahme einer Beifahrertätigkeit zur Heranschaffung von Baumaterial zu beteiligen, nicht aus der Satzung des Vereins, insbesondere nicht aus dessen § 2 abgeleitet werden kann. Darin wird ausschließlich geregelt, welche Zwecke der Verein verfolgt, nicht jedoch die Art und Weise, wie diese Zwecke erreicht werden sollen und insbesondere nicht, ob und gegebenenfalls welche Vereinsmitglieder hierbei in welchem Umfang tätig werden sollen. Ferner existieren keine Beschlüsse von Vereinsorganen, aus denen eine entsprechende Verpflichtung von L. abgeleitet werden könnte. Die Fassung eines derartigen Beschlusses kommt für die Zeugen Jehovas nicht in Betracht, weil ihre Glaubensgemeinschaft vom Prinzip der Freiwilligkeit geprägt wird, das die (rechts-)verbindliche Festsetzung von Verpflichtungen der einzelnen Mitglieder ausschließt. Hiervon hat sich der Senat unter anderem aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Schreiben von R. K., Mitglied des Präsidiums (Vorstandes) der Religions-gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e. V. vom 16.02.2001 und 25.10.2002 sowie aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. Z. vom 24.03.2003 mit der Ergänzung vom 09.04.2003 überzeugt.

L. ist jedoch aufgrund einer allgemeinen Vereinsübung tätig geworden. Nach der Über-zeugung des Senats hat die örtliche Versammlung S.-U., welcher L. angehörte, von ihren Mitgliedern erwartet, dass sie sich entsprechend ihren Kräften und Möglichkeiten an dem Bau eines Königreichssaals in S.-W. beteiligen. Nur so ist zu erklären, dass es überhaupt zu dem Beschluss der Ältestenschaften von 6 örtlich benachbarten Ver-sammlungen zur Errichtung eines Königreichssaals mit Gesamtkosten von ca. 1 Million kam. Diese Aufgabe war nämlich nur zu bewältigen, wenn das Bauvorhaben überwie-gend durch eigene Leistungen realisiert wurde. Treffend hat dies der Zeuge B. bei sei-ner Vernehmung am 22.11.2000 zum Ausdruck gebracht, indem er ausgeführt hat, von der Bausumme her habe es sich um geschätzte 90 % Eigenleistungen und nur 10 % Fremdleistungen gehandelt. Zum Leidwesen des Vereins habe man zu einem gewissen Teil bei der Durchführung des Bauvorhabens auch auf Fremdfirmen zurückgreifen müs-sen, wie z. B. beim Aufbringen des Heißasphalts und gewissen Tiefbauarbeiten. Be-sonders deutlich wird die Erwartungshaltung des Vereins aus der aktenkundigen "In-formation über unser gemeinsames Bauvorhaben: Königreichssaal - Neubau" vom 01.05.1998, die unter anderem an die Versammlungen S.-O. und S.-U. gerichtet ist. Darin heißt es wörtlich: "Die Bautermine sind nun festgelegt: Baubeginn mit der Bodenplatte 17.09. bis 10.10.1998 Bau der Königreichssäle: 19.04. bis 22.05.1999 Kannst Du in diesen Zeiten mithelfen? Bitte berücksichtige deshalb dies in deinen Pla-nungen. Nun werden die Vorbereitungen getroffen, alle "Baufachleute" und Brüder, die in einer Aufgabe mitwirken wollen, zu erfassen. Sicherlich kann jeder gemäß seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten bei den Bauaktionen in irgendeiner Art tatkräftig mitwir-ken. Denn es sollte doch unser gemeinsames Projekt sein". Dieser Aufruf war an die Mitglieder sämtlicher Versammlungen gerichtet, welche die Königreichsäle nach deren Fertigstellung nutzten sollten.

Gegen die Annahme einer entsprechenden Erwartung in Bezug auf die tätige Mithilfe der einzelnen Mitglieder sprechen auch nicht die von der Klägerin vorgelegten Schrei-ben des Präsidiumsmitglieds K. vom 16.02.2001 und vom 25.10.2002. Wenn dort zur Bedeutung des Prinzips der Freiwilligkeit ausgeführt wird, die Religionsgemeinschaft könne die Mitglieder um Hilfe und die Erbringung von Tätigkeiten bitten und sie könne im Vertrauen auf die Voraussage über Gottes Volk in Psalm 110, Vers 3 sogar darauf vertrauen, dass sich genügend Freiwillige für die Erledigung von Aufgaben finden wer-den, so findet damit diese Erwartungshaltung beredten Ausdruck. Sie wird zusätzlich bestätigt durch die Auskunft gem. § 192 SGB VII, welche die Versammlung S.-U. der Beklagten am 19.08.1997 erteilt hat. Darin wird nämlich ausgeführt, nahezu alle Arbei-ten würden von freiwilligen Helfern unentgeltlich ausgeführt. Gegen das Bestehen einer Erwartungshaltung spricht im übrigen nicht der Umstand, dass gegen Mitglieder, die nicht in diesem Sinne tätig wurden, keine Sanktionen im Sinne des § 10 Nr. 2 oder 3 des Statuts der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e. V. ver-hängt wurden, wie das Präsidiumsmitglied K. in seinem von der Klägerin vorgelegten Schreiben vom 25.10.2002 glaubhaft dargelegt hat. Soweit dort unter der Überschrift "Prinzip der Freiwilligkeit" ausgeführt wird, die Religionsgemeinschaft könne die Mitglie-der um Hilfe und die Erbringung von Tätigkeiten bitten und sie könne im Vertrauen auf die Voraussage über Gottes Wort in Psalm 110, Vers 3 sogar darauf vertrauen, dass sich genügend Freiwillige für die Erledigung von Aufgaben finden werden, bestätigt dies einmal mehr die Erwartung, welche die Religionsgemeinschaft gegenüber ihren Mitglie-dern hegt. Ob die Religionsgemeinschaft dabei tatsächlich lediglich darauf vertraut, Gott werde die Herzen der Mitglieder in der Weise bewegen, dass sie sich zur freiwilligen Mithilfe entschließen, oder ob hierbei ein informeller Druck und Mechanismen einer so-zialen Kontrolle eine Rolle spielen, wie die Beklagte meint, kann letztlich offen bleiben.

Die Versammlung S.-U. konnte die von L. am 05.09.1998 geleistete Mithilfe auch von ihm erwarten. Zwar gehört der Bau eines Königreichsaales nicht zu den im Vereins- bzw. Gemeindeleben regelmäßig vorkommenden Ereignissen wie z. B. die Abhaltung von Gottesdiensten oder sonstigen Veranstaltungen. Wegen des Prinzips der Freiwillig-keit und der religiösen Bedeutung einer regen Teilnahme am Gemeinde- bzw. Ver-sammlungsleben können die Zeugen Jehovas aber erwarten, dass sich ihre Mitglieder auch bei Großprojekten wie dem Bau eines Königreichssaals entsprechend ihren Kräf-ten und Möglichkeiten engagieren. Hierfür sprechen schon die Ausführungen in § 4 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Statuts der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e. V. Dort heißt es wörtlich: "Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit ei-nes jeden Zeugen Jehovas sind grundlegende Prinzipien der Religionsgemeinschaft. Alle Dienste werden aus religiös motivierter Freiwilligkeit geleistet in dem Bewusstsein, dass es sich dabei um heiligen Dienst zur Ehre und Verherrlichung Gottes handelt. Von Gott in den verschiedenen Diensten gebraucht zu werden, wird von jedem Zeugen Je-hovas als Auszeichnung betrachtet". Die darin zum Ausdruck kommende Erwartung geht viel weiter als beispielsweise bei Sportvereinen, die für die Mitglieder Bedeutung nur für die Freizeitgestaltung, aber nicht für ein bewusst gestaltetes Glaubensleben ha-ben, und auch weiter als bei den Großkirchen als vergleichsweise anonymen Organisationen.

Ob die Versammlung S.-U. von L. als ihrem Schriftführer und damit Ältesten sowie Mit-glied des Vorstands des gleichnamigen rechtsfähigen Vereins - etwa wegen einer er-hofften Vorbildfunktion - mehr an tätiger Mithilfe im Rahmen des Bauvorhabens erwar-ten konnte als von einem "einfachen" Mitglied der Versammlung, lässt der Senat offen. Denn jedenfalls war die Erwartung nicht geringer. Von einem "einfachen" Mitglied konn-te ein Arbeitseinsatz von ca. 8 Stunden als Beifahrer beim Transport von Baumaterial ohne weiteres erwartet werden. Diesen zeitlichen Umfang hätte die Arbeitsleistung von L. gehabt, wenn er nicht verunglückt wäre, wovon sich der Senat aufgrund der Angaben von H. B. im Fragebogen vom 03.10.1998 überzeugt hat.

Dass L. mit seiner Arbeitsleistung einer berechtigten Erwartung der Versammlung nachgekommen ist, wird schließlich dadurch bestätigt, dass bezogen auf die Bausum-me 90 v. H. der Bautätigkeiten durch Eigenleistungen erbracht wurden und nur 10 v. H. - etwa Aufbringen des Heißasphalts und gewisse Tiefbauarbeiten - durch Fremdleistun-gen, wie der Zeuge B. glaubhaft bekundet hat, und dass insgesamt 350 bis 400 freiwilli-ge Helfer im Einsatz waren, mögen diese auch nicht alle Mitglieder der 6 Versammlun-gen gewesen sein, denen der Königreichssaal nach seiner Fertigstellung zugute kom-men sollte.

Soweit das SG meint, Angehörige der Zeugen Jehovas wären bei Ablehnung des Ver-sicherungsschutzes schlechter gestellt als Mitglieder weltlicher Vereine, ist dies nicht nachvollziehbar. Auch diese stehen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallver-sicherung, wenn sie in Erfüllung von Vereinspflichten tätig werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat der Senat die Berufung zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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