S 16 SB 82/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 16 SB 82/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 SB 54/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9a SB 9/07 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob beim Kläger im Rahmen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes ein Grad der Behindung (GdB) von 100 festzustellen ist. Hilfsweise macht der Kläger geltend, es bestehe weiterhin ein GdB von 80 und die Herabsetzung auf einen GdB von 50 sei rechtswidrig.

1990 war beim Kläger ein GdB von 20 (schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, funktionelle Herzbeschwerden mit anfallsweisem Herzjagen und Schwindel) festgestellt worden.

Auf Antrag des Klägers erfolgte dann 1996 zunächst die Feststellung eines GdB von 60 unter Berücksichtigung folgender Behinderungen: Funktionseinschränkung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20), Herzleistungsminderung, Rhythmusstörung (Einzel-GdB 10) und Teilverlust des Darms und der Bauchspeicheldrüse, Verlust der Gallenblase (Einzel-GdB 50). Im Widerspruchsverfahren wurde mit Abhilfebescheid vom 23.07.1997 ein GdB von 80 festgestellt. Berücksichtigt wurde nunmehr für den Teilverlust der Verdauungsorgane ein Einzel-GdB von 80. Im Bescheid vom 23.07.1997 ist ausgeführt, es sei eine Heilungsbewährung für diese Funktionsbeeinträchtigung abzuwarten, während dieser Zeit sei der GdB aufgrund der ungenauen Beurteilungsmöglichkeit höher zu bewerten, danach sei er unter Berücksichtigung der verblieben Funktionsbeeinträchtigungen neu zu bewerten. Eine Nachprüfung sei für September 2001 vorgesehen.

Hinsichtlich der Versagung des Merkzeichens "RF" - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht - erhob der Kläger Klage. Das Verfahren wurde vom Sozialgericht Detmold unter dem Az.: S 5 (5,18) SB 304/97 geführt. Im dortigen Verfahren wurden Gutachten von Dr. M und Dr. S aus einem weiteren Verfahren des Klägers gegen die Rentenversicherung beigezogen. Zudem wurde eine erneute Begutachtung des Klägers durch Dr. M veranlasst. Im anschließenden Berufungsverfahren wurden weitere Begutachtungen durch Priv.-Doz. Dr. Dr. T sowie Dr. C veranlasst. Die Fragestellung der veranlassten Begutachtungen bezog sich ausschließlich auf das Merkzeichen "RF".

Im Juli 2000 beantragte der Kläger die Feststellung eines GdB von 100. Mit Schreiben vom 19.09.2000 teilte das Versorgungsamt dem Kläger mit, dass die Bearbeitung des Antrags zurückgestellt werden müsse, da die Akten zu dem Berufungsverfahren übersandt worden seien. Nachdem der Kläger zunächst auch eine Entscheidung ohne Akten wünschte, teilte er letztlich mit Schreiben vom 20.08.2003 mit, dass das Berufungsverfahren beendet sei und nunmehr über seinen Antrag entschieden werden solle.

Nach Beiziehung und Auswertung ärztlicher Unterlagen lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 08.01.2004 die Feststellung eines höheren GdB ab. Mit Schreiben vom 03.02.2004 teilte es dem Kläger mit, dass nach Ablauf der Heilungsbewährung nunmehr der erhöht berücksichtigte GdB für die Behinderung "Teilverlust der Bauspeicheldrüse und des Zwölffingerdarms, Verlust der Gallenblase" nicht mehr zu berücksichtigen sei, da Rückfälle oder Hinweise auf ein Rezidiv nicht aufgetreten seien. Nunmehr seien die verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 50 zu bewerten. Es sei daher beabsichtigt, den Bescheid vom 23.07.1997 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und einen GdB von 50 festzustellen.

Mit Schreiben vom 14.01.2004 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 08.01.2004 Widerspruch ein und führte aus, schon mangels Begründung sei der Bescheid rechtswidrig. Mit Schreiben vom 03.02.2004 teilte der Kläger mit, er sei der Ansicht, die angekündigte Herabsetzung sei rechtswidrig. Die im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten seien zu berücksichtigen. Zudem sei der Schwerbehindertenausweis im März 2002 bis März 2007 verlängert worden, obwohl die Heilungsbewährung bereits abgelaufen sei. Die Verhältnisse hätten sich seit März 2002 auch nicht geändert, sondern hätten sich sogar verschlechtert. Der Voraussetzung zum Widerruf nach § 48 SGB X seien daher nicht erfüllt.

Mit Bescheid vom 19.02.2004 stellte das Versorgungsamt unter Aufhebung des Bescheides vom 23.07.1997 einen GdB von 50 fest. Nunmehr seien als Behinderungen zu berücksichtigen: Teilverlust der Bauchspeicheldrüse und des Darms, schlafbezogene Atemstörung, chronisch rückfällige Kopfschmerzen nach Verödung einer Fistel der harten Hirnhaut, Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, Herzrhythmusstörung, Hörminderung. Bei der Beeinträchtigung "Teilverlust der Bauchspeicheldrüse und des Dickdarms" sei die Heilungsbewährung abgelaufen, so dass der GdB nun unter Berücksichtigung der tatsächlichen vorliegenden Behinderungen bewertet worden sei. Der Bescheid werde gemäß § 86 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches (SGG) Gegenstand des anhängigen Vorverfahrens.

Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 19.02.2004 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, seine Ausführungen im Schreiben vom 12.02.2004 seien unbeachtet geblieben. Der ohne Rechtsmittelbelehrung ergangene Bescheid sei daher als rechtswidrig aufzuheben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2004 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide vom 08.01.2004 und 19.02.2004 als unbegründet zurück.

Mit der am 13.04.2004 erhobenen Klage begehrt der Kläger, die Bescheide vom 08.01.2004 und 19.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2004 aufzuheben. Es sei ein GdB von 100 festzustellen, hilfsweise weiterhin eine GdB von 80 zu belassen. Zur Begründung nimmt er Bezug auf seine Ausführungen im Vorverfahren. Der Hilfsantrag sei schon deshalb begründet, da nach operativer Entfernung eine Heilungsbewährung nicht eintreten könne, da die Organe nicht nachgewachsen seien. Zudem belegten die Gutachten aus dem vorangegangenen Klageverfahren die vermehrten Beschwerden. Zudem ist der Kläger der Ansicht, die Anhaltspunkte seien mangels demokratischer Legitimation nicht anwendbar. Auch könne der Bescheid vom 23.07.1997 nicht nach § 48 SGB X abgeändert werden, da die Feststellung eines Gesamt-GdB von 80 von vornherein falsch gewesen sei. Dies sei bereits in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von 13.09.2000 festgestellt worden. Die danach erfolgte Verlängerung des Schwerbehindertenausweises im März 2002 habe einen Vertrauensschutz geschaffen, und der GdB von 80 könne daher nicht mehr entzogen werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 08.01.2004 und 19.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2004 zu verurteilen, bei ihm ab Juli 2000 einen GdB von 100, hilfsweise weiterhin einen GdB von 80 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, die bestehenden Behinderungen seien zutreffend bewertet worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eine Sachverständigengutachtens von Dr. A nach Aktenlage und hat weitere Berichte von Dr. O und des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg - Kardiologie I, beigezogen. Der Kläger hat zudem einen radiologischen Bericht der Praxis E über eine Dünndarmdoppelkontrastuntersuchung überreicht

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte und der beigezogen Streitakten.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte in Abwesenheit des Klägers auf Grund mündlicher Verhandlung entscheiden, weil der Kläger zum Termin ordnungsgemäß geladen war und mit der Ladung darüber informiert worden war, dass auch bei seinem Fernbleiben entschieden werden könne. Ausweislich der Postzustellungsurkunde hat er die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 23.02.2006 erhalten und mit Schreiben vom 23.03.2006 ausdrücklich um Entscheidung ohne seine Anwesenheit gebeten.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide vom 08.01.2004 und 19.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2004 sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Nach § 69 Abs. 5 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung und entsprechende Veränderungen fest (§ 48 Abs. 4 i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X). Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Menschen sind behindert, wenn ihre körperlichen Funktionen, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Für den Grad der Behinderung gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend (§ 69 Abs. 1 S. 4 SGB IX). Zur Bewertung der einzelnen Gesundheitsstörungen (Einzeil-GdB) und des Gesamt-Grades der Behinderung (Gesamt-GdB) sind auch weiterhin die Anhaltspunkte (AHP) zugrunde zu legen. Dabei handelt es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, deren Beachtlichkeit im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sich nach ständiger Rechtsprechung daraus ergibt, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet ist, wenn die verschiedenen Behinderungen nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden. Hierfür stellen die AHP ein geeignetes, auf Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des GdB dar und stellen so eine gleichmäßige Beurteilung aller Behinderten sicher (vgl. zuletzt Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.09.2003, Az: B 9 SB 3/02 R m.w.N.). Die AHP wirken insofern normähnlich. Ihre generelle Richtigkeit kann deshalb durch Einzelfallgutachten nicht widerlegt werden. Sie sind allerdings - wie untergesetzliche Rechtsnormen - zu prüfen: auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetz und Verfassung, auf Berücksichtigung des gegenwärtigen Kenntnisstandes der sozialmedizinischen Wissenschaft sowie auf Lücken in Sonderfällen, die wegen der individuellen Verhältnisse gesondert zu beurteilen sind. Im Hinblick auf eine so bemessene richterliche Kontrolle hat es das Bundesverfassungsgericht (BverfG) nicht für angezeigt erachtet, gegen die Anwendung der AHP einzuschreiten (vgl BVerfG SozR 3-3780 § 3 Nr 6 S 12). Nach Auffassung der Kammer besteht nach wie vor auch kein Grund, von einer weiteren Heranziehung der AHP Abstand zu nehmen. Auch wenn die AHP immer noch nicht demokratisch legitimiert sind, sind sie dennoch ein geeigneter, durch ein Sachverständigengremium entwickelter angemessener Maßstab, um eine Gleichbehandlung aller Behinderter herzustellen. Selbst dann, wenn man ihnen nur den Rang einer internen Verwaltungsvorschrift einräumen würde, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die AHP nicht dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand entsprechen würden. Sie werden laufend dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand angepasst, wie auch die überarbeitete Fassung aus 2004 zeigt. Sie stellen daher immer noch den einzigen geeigneten Maßstab dar, eine angemessene Bewertung verschiedener Erkrankungen und Behinderungen zu erzielen und füllen den unbestimmten Rechtsbegriff des § 30 BVG somit sachgerecht aus.

Eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlechterung, die ab Juli 2000 einen höheren GdB als 80 rechtfertigen würden, ist nicht eingetreten. Insoweit hat die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass keine Behinderungen vorliegen, die ab Juli 2000 einen höheren GdB als 80 rechtfertigen könnten. Zu Recht ist daher mit Bescheid vom 08.01.2004 die Feststellung eines höheren GdB abgelehnt worden. Vielmehr ist eine wesentliche Änderung nach § 48 SGB X im Sinne einer Verbesserung eingetreten. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist u.a. nach Ablauf der Heilungsbewährung, d.h. nach Wegfall der mit einer Krebserkrankung verbundenen Behinderung nach einem rückfallfreien Ablauf von fünf Jahren bei im übrigen unverändertem Gesundheitszustand gegeben. Der Begriff "Heilungsbewährung" beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht, sondern umfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach den in den Anhaltspunkten zusammengefassten sozialmedizinischen Erfahrungen, bei Krebserkrankungen in den ersten Jahren nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern allein wegen der Krebserkrankung (hier angenommener Papillentumor) einen GdB von 80 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung nötigt andererseits dazu, den GdB herabzusetzen, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (BSG, Urteil vom 9. August 1995, Az.: 9 RVs 14/94; LSG Niedersachsen, Urteil vom 25. Februar 2000, Az.: L 9 SB 185/96). Somit steift der Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X dar, auch wenn - wie der Kläger ausführt - rein organisch eine Änderung nach der operativen Entfernung nicht eingetreten ist. Denn der hohe GdB im Rahmen der Heilungsbewährung knüpft eben nicht an den reinen Organverlust nach Entfernung eines Tumors an, sondern bewertet auch die sonstigen Begleitumstände einer Krebserkrankung. Der Anwendung des § 48 SGB X steht auch nicht entgegen, dass tatsächlich entgegen der Annahme im Bescheid 23.07.1997 ein bösartiger und damit im Rahmen der Heilungsbewährung anzunehmender hoher GdB gar nicht vorgelegen hat. Zutreffend hat der Beklagte den GdB von 80 mit Wirkung für die Zukunft durch Bescheid vom 19.02.2004 auf die Rechtsgrundlage des § 48 SGB X gestützt, herabgesetzt. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides ist zwar zunächst in § 45 SGB X geregelt. Dies betrifft Jedoch nur die Aufhebung des Bescheides aufgrund der die Rechtswidrigkeit begründenden Umstände. § 48 SGB X ist jedoch in der Anwendung nicht auf nur ursprünglich rechtmäßige Bescheide beschränkt. Er ist vielmehr auch auf ursprünglich rechtswidrige Bescheide anzuwenden, soweit hierdurch nicht die ursprüngliche Rechtswidrigkeit selbst rückgängig gemacht wird. Hier ist die Herabstufung jedoch nicht aufgrund der rechtswidrigen Annahme des Vorliegens einer Tumorerkrankung, sondern aufgrund des eingetretenen Ablaufs der Heilungsbewährung - die wie oben dargestellt, eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X darstellt - erfolgt. Es handelt sich damit nicht um die Korrektur der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 23.07.1997, sondern lediglich um die Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung. Lediglich die Korrektur der Rechtswidrigkeit selbst kann nur über § 45 SGB X erfolgen, ansonsten steht der Anwendung des § 48 SGB X auch auf rechtswidrige Bescheide nichts entgegen, denn der Betroffene kann durch einen rechtswidrigen Bescheid nicht besser gestellt werden, als dies bei unterstellter Rechtmäßigkeit des Bescheides der Fall wäre. Im vorliegenden Fall wäre der Kläger ansonsten besser gestellt, als wenn er tatsächlich unter einer bösartigen Tumorerkrankung der Bauchorgane gelitten hätte. Durch Ablauf der Heilungsbewährung bei der angenommen bösartigen Tumorerkrankung ist (wie oben ausgeführt) eine wesentliche Änderung eingetreten. Eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 SGB X steift eine gebundene Entscheidung dar (" ... ist ... aufzuheben ..."), so dass ein besonderer Vertrauensschutz nicht geltend gemacht werden kann. Der Kläger könnte sich insoweit auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, denn bereits im Bescheid vom 23.07.1997 war die "Heilungsbewährung" beschrieben und eine entsprechende Nachprüfung angekündigt worden. Im Übrigen kann der Kläger auch aus der Verlängerung des Schwerbehindertenausweises keinen Vertrauensschutz herleiten, denn die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises (was im Übrigen schlichtes Verwaltungshandeln darstellt) musste schon deshalb erfolgen, da im März 2002 noch keine den Bescheid vom 23.07.1997 aufhebende und erst recht nicht bestandskräftige Entziehung der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Herabstufung auf 50 erfolgt war. Auch aus dem Umstand, dass die fünfjährige Heilungsbewährung bereits im September 2001 abgelaufen war, folgt nicht, dass die erst im Februar 2004 erfolgte Aufhebung rechtswidrig wäre. Eine Frist, innerhalb derer die Behörde gebunden wäre, eine Aufhebung zuungunsten des Kläger zu veranlassen, ist in § 48 SGB X nicht vorgesehen. § 48 Abs. 4 i.Vm. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X betrifft nur die Aufhebung nach § 48 Abs. 2 SGB X, also mit Wirkung für die Vergangenheit. Auch der Umstand, dass bereits in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.09.2000 festgestellt wurde, dass die Annahme des hohen GdB aufgrund der

Heilungsbewährung unrichtig war, macht daher die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft erst im Februar 2004 nicht rechtswidrig. Auch die lange Verfahrensdauer nach Ablauf der Heilungsbewährung bis zu Aufhebung des Bescheides wäre nicht geeignet, einen Vertrauensschutz des Klägers zu begründen. Auch dem Kläger war bekannt, dass aufgrund des laufenden Berufungsverfahrens eine Entscheidung des Versorgungsamtes nicht früher erfolgen konnte. Auch die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung des Klägers ist mit Schreiben des Versorgungsamtes vom 03.02.2004 erfolgt. Die angefochtenen Bescheide sind auch nicht deshalb rechtswidrig, weil es ihnen - wie der Kläger vorträgt, an einer ausreichenden Begründung mangeln würde. Nach § 35 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit den wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Gründen, auf die er sich stützt, zu versehen. Sowohl der Bescheid vom 08.01.2004 und vom 18.02.2004 erfüllen diese Voraussetzungen, da sie zum Einen die rechtliche Grundlage nennen und auch die tatsächlichen Gründe (keine Verschlechterung nach den medizinischen Unterlagen erkennbar, die einen höheren GdB rechtfertigt, bzw. Verbesserung durch Ablauf der Heilungsbewährung) enthalten. Zutreffend wurde der Bescheid vom 19.02.2004 gem. § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemacht. Im Übrigen hätte eine fehlende Rechtsmittelbelehrung auch lediglich zur Folge, dass die Widerspruchsfrist gem. § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr betragen würde, der Bescheid im Übrigen wäre jedoch nicht rechtswidrig. Auch ist über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.02.2004 (der nach § 86 SGG gar nicht erforderlich war) auch im Widerspruchsbescheid vom 12.03.2004 entschieden worden, so dass ein abgeschlossenes Vorverfahren vorliegt. Auch materiell ist der Bescheid vom 19.02.2004 im Übrigen nicht rechtswidrig. Mit Ablauf der Heilungsbewährung ist eine wesentliche Änderung eingetreten, und die ab dem 19.02.2004 bestehenden Behinderungen sind zutreffend mit einem GdB von 50 bewertet worden. Behinderungen, die mit einem höheren GdB zu bewerten wären, liegen nicht vor. Im Februar 2004 lagen beim Kläger folgende Behinderungen vor: I. Funktionsstörung der Verdauungsorgane (Einzel-GdB 30), II. Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20), III. nächtliche Atemregulationsstörung (Einzel-GdB 20), IV. wiederkehrende Kopfschmerzen nach mehrfacher Verödung einer harten Hirnhautfistel (Einzel-GdB 20), V. Herzrhythmusstörungen, Herzleistungsminderung (Einzel-GdB 10), VI. Hörminderung (Einzel-GdB 10). Diese Behinderungen ergeben sich für die Kammer aus dem Gesamtergebnis der Ermittlungen und der Beweisaufnahme, insbesondere aus dem Sachverständigengutachten von Dr. A. Dieser hat die Vorgutachten und die weiteren in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen ausgewertet. Die Bewertung der im einzelnen vorliegenden Gesundheitsstörungen entspricht den AHP. Die Kammer hatte kein Gründe, an der Richtigkeit der Feststellungen zu zweifeln.

Den insgesamt bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen ist nach Auffassung der Kammer mit einem Gesamt-GdB von 50 Rechnung zu tragen. Behinderungen, die einen GdB von 80 oder 100 rechtfertigen, sind nicht erkennbar. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB dürfen die Einzel-GdB-Werte für die Auswirkungen der Beeinträchtigungen der einzelnen Funktionsstörungen und Behinderungen nicht addiert werden. Auch rein rechnerische Methoden dürfen zur Ermittlung des Gesamt-GdB nicht angewandt werden (Ziffer 19 Abs. 1 der AHP). Maßgeblich sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen (§ 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Hierbei ist zu beachten, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unanhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich die Behinderungen überschneiden und dass das Ausmaß einer Behinderung vielfach durch hinzutretende Gesundheitsstörungen nicht verstärkt wird. In der Regel ist von der Beeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderungen größer wird, ob also wegen weiterer Beeinträchtigungen der höchste Einzel-GdB angemessen durch Hinzufügen von 10, 20 oder mehr Punkten zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 AHP). Schließlich bestimmen die AHP in Nr 19 Abs 4, dass - von Ausnahmefällen abgesehen - zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen MdE-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Selbst bei Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ordnen die AHP Nr. 19 Abs. 4 an, dass es auch bei leichten Teilhabebeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein GdB von 50 zur Bewertung der vorliegenden Beeinträchtigungen angemessen und ausreichend. Ein GdB von 80 oder 100 ist nach den AHP erst dann gerechtfertigt, wenn die Gesamtbeeinträchtigungen bspw. so ausgeprägt wären wie die Beeinträchtigungen bei Hirnschäden mit schweren Auswirkungen, Parkinsonerkrankungen mit schwerer Störung der Bewegungsabläufe/Immobilität oder bei Lungenerkrankung oder Herzerkrankungen schwersten Grades mit bestehenden Einschränkungen bereits ohne körperliche Belastungen. Vergleichbar schwerwiegende Beeinträchtigungen sind beim Kläger jedoch nicht erkennbar. Aus den nach der Begutachtung angeforderten Befundberichten ergibt sich, dass zusätzlich noch ein Diabetes mellitus beim Kläger aufgetreten ist, der allein durch Diät behandelbar ist. Dies rechtfertigt nach Nr. 26.15 der AHP einen GdB von 10. Der Gesamt- GdB ändert sich hierdurch jedoch nicht. Die weiteren Behinderungen waren bereits bekannt und eine wesentliche Verschlechterung ergibt sich aus den weiteren Berichten nicht. Diese sind also im Gutachten von Dr. A bereits berücksichtigt.

Insgesamt konnte die Klage damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183,193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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