S 31 R 1667/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 R 1667/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Versichertenrente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin ist 1965 in der Türkei geboren. Sie übersiedelte 1983 nach Deutschland. Von 1999 bis 2001 ging sie hier einem Minijob als Reinigungskraft nach, ansonsten war die Klägerin nie berufstätig.

Die Klägerin hat vier Kinder und somit Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Aktuell lebt die Klägerin mit ihrer Familie von Arbeitslosengeld II.

Am 22.01.2014 beantragte die Klägerin auf Anregung der Arbeitsagentur B-Stadt Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Die Beklagte ließ die Klägerin auf neurologisch- psychiatrischem Fachgebiet begutachten von Dr. C., der in seinem Gutachten vom 05.08.2014 zu dem Ergebnis gelangte, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mit gewissen Einschränkungen, insbesondere hinsichtlich der psychischen Anforderungen, seien noch sechs Stunden am Tag möglich.

Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 14.08.2014 lehnte die Beklagte die Rentengewährung daraufhin ab.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren wurden Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt sowie ein orthopädisches Gutachten von Dr. D ... Auch Dr. D. stellte in ihrem Gutachten vom 24.05.2015 noch ein sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen fest. Der Widerspruch wurde daher mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2015 zurückgewiesen. Die Klägerin erhob Klage zum Sozialgericht München, eingegangen am 05.08.2015. Vorgetragen wurde, dass der Widerspruchsbescheid wegen eines Poststreiks erst am 07.07.2015 zugegangen sei, und dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, zu arbeiten. Sie habe einen GdB von 90 sowie das Merkzeichen "G".

Das Gericht holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und ließ gemäß § 106 SGG ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Dr. E. erstellen. Dr. E. stellte nach eingehender Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 20.02.2016 folgende Diagnosen:

- Chronisch rezidivierendes HWS- Syndrom ohne sensomotorische Ausfallerscheinungen bei Osteochondrose und Spondylose sowie Bandscheibenprotrusion C5/C6 ohne Bedrängung neurologischer Strukturen - Chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom ohne persistierendes sensomotorisches Defizit bei Bandscheibenprotrusion mit intraforaminaler Komponente rechts L4/L5 mit anfänglicher multisegmentaler Osteochondrose, Spondylose und Spondylarthrose, aktiviert L5/S1 (MR 09.2014) - Subacromiales Impingementsyndrom mit Supraspinatussehnenruptur rechts, Zustand nach 3-maliger Operation, anhaltende mittelgradige Funktionseinschränkungen und deutliche Schmerzsymptomatik, beginnendes subacromiales Impingementsyndrom links - Pangonarthrose rechts (MR 12.2014) mit deutlicher Bewegungs- und Belastungseinschränkung, prothetischer Ersatz zeitnah geplant, - Medial betonte Gonarthrose links 2014 bei Chondromalazie IV und Meniskusschäden (Arthroskopie 02.2015) - Heberden- Arthrosen der Langfinger beidseits rechtsbetont - Senkspreizfuß und Fersensporn beidseits - Osteoporose, anamnestisch - Rezidivierende depressive Störung mit Somatisierungstendenz und Anpassungsstörung - Migräne mit Aura - Schwerhörigkeit - Stressharninkontinenz - Hyperreagibles Bronchialsystem, sinubronchiales Syndrom - Adipositas permagna Das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin schätzt Dr. E. dahingehend ein, dass einfache, leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zuzumuten seien. Diese müssten aktuell wegen akuter Beschwerden am rechten Knie überwiegend sitzend stattfinden, nach der bereits geplanten Knie-OP wären auch Arbeiten im Gehen und im Stehen möglich. Überwiegend müsste die Tätigkeit in geschlossenen Räumen stattfinden. Unter diesen qualitativen Einschränkungen könnte die Klägerin noch sechs Stunden täglich arbeiten. Dabei würden grundsätzlich die üblichen Pausenzeiten ausreichen, lediglich bei länger anhaltender Tätigkeit in gleichbleibender Position wären zusätzliche Pausen alle zwei Stunden über 10 Minuten in Betracht zu ziehen. Die Klägerin könne nicht mehr als 3 kg heben, könne nicht auf Leitern und Gerüsten arbeiten und sollte nicht überkopf tätig werden. Zur Wegefähigkeit führt Dr. E. aus, dass wegen des rechten Kniegelenks aktuell eine Strecke von 500 Metern nur mit Pausen bzw. Hilfsmittel zurückgelegt werden könne. Nach der Operation sei eine uneingeschränkte Wegefähigkeit zu erwarten. Abschließend stellt Dr. E. fest, dass die vom Klägervertreter angeregten Begutachtungen auf radiologischem, physiotherapeutischen und gastroenterologischem Fachgebiet grundsätzlich entbehrlich seien, auch von einem HNO-ärztlichen, allgemeinärztlichen oder pneumologischen Gutachten sei keine weitere maßgebliche Aufklärung zu erwarten. Gegebenenfalls wäre zusammenfassend ein allgemeinärztliches Gutachten in Erwägung zu ziehen.

Am 05.02.2016, also nach Untersuchung durch Dr. E., ließ die Klägerin am rechten Knie eine Knie-TEP einsetzen. Vom 6. bis 25.05.2016 befand sie sich in ambulanter Anschlussheilbehandlung. Im Entlassungsbericht wurde eine Gehstrecke von 50 Metern angegeben. Auf Nachfrage des Gerichts wurde diese Angabe von Seiten der Reha- Klinik mit Schreiben vom 29.08.2016 dahingehend korrigiert, dass eine Gehstrecke von 500 Metern möglich sei. IRENA- Maßnahmen seien eingeleitet worden.

Das Gericht holte einen weiteren Befundbericht von der Neurologin und Psychiaterin Dr. H. ein, die am 22.08.2016 mitteilte, die Klägerin sei weiterhin monatlich zu supportiven Gesprächen und weiterer Krankschreibung bei ihr. In psychischer Hinsicht habe sich im Vergleich zum Befundbericht vom 15.09.2015 keine Änderung ergeben.

Der Klägervertreter nahm zur Beweisaufnahme dahingehend Stellung, dass die Klägerin wegeunfähig sei, die Reha- Klinik habe zu Recht eine Gehstrecke von 50 Metern angegeben. Ferner sei von einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen auszugehen. Die Klägerin spreche keinerlei Deutsch, weshalb eine geeignete Tätigkeit nicht ersichtlich sei. Schließlich benötige sie zusätzliche Pausen.

Die Klägerseite regt weitere Begutachtungen auf psychiatrischem und allgemeinärztlichem Fachgebiet an.

Das Gericht holte daraufhin ein neurologisch- psychiatrisches Gutachten von Dr. L. ein. Diese untersuchte die Klägerin am xx.xx.2017 unter Zuziehung einer Dolmetscherin für die türkische Sprache, K., nicht allgemein beeidigt. Sie führte dabei auch eine Fremdanamnese bei dem während der Untersuchung zunächst anwesenden und gut deutsch sprechenden Ehemann der Klägerin durch. Die Gutachterin stellte im Untersuchungsgespräch fest, dass einen psychiatrische Behandlung stattfindet, nicht jedoch eine Psychotherapie. Letzteres lehne die Klägerin ab. Die Klägerin trug im Rahmen der Untersuchung auch vor, sie könne einen stationären Krankenhausaufenthalt nicht ertragen, zu Hause gehe es ihr besser. Sie gehe generell nicht ohne ihren Mann aus dem Haus und kenne sich an ihrem Wohnort nicht aus. Die Mitarbeit bei der Untersuchung ließ zu wünschen übrig, es ergaben sich Indizien für Aggravation, etwa bei Prüfung der Motorik und der Gleichgewichtsfunktion. Dr. L. ließ außerdem ein Blutbild erstellen. Aus dem Ergebnis ist ersichtlich, dass die Klägerin die angegebene Medikation (Ibuprofen zur Schmerzbekämpfung und ein von der Psychiaterin verordnetes Antidepressivum) nicht ausreichend einnimmt, die Konzentration im Blut lag weit unterhalb dem therapeutisch wirksamen Bereich.

Dr. L. diagnostizierte Folgendes:

- Mittelgradige depressive Episode (ICD-10: F32.1) - Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10:F 45.41) - Akzentuierte Persönlichkeit mit ängstlichen und dependenten Zügen (ICD 10:Z73.1) - HWS-abhängige Beschwerden bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenprolaps, ohne neurologische Funktionsausfälle - LWS-abhängige Beschwerden bei degenerativen Veränderungen und diskretem Bandscheibenprolaps L4/L5, ohne neurologische Funktionsausfälle - Spannungskopfschmerz DD Migräne mit Aura (vordiagnostiziert).

Das berufliche Leistungsvermögen schätzt Dr. L. dahingehend ein, dass geistig einfache und körperlich leichte Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen, überwiegend in geschlossenen Räumen, mit den üblichen Unterbrechungen noch sechs Stunden täglich möglich wären. Dabei dürften keine besonderen Anforderungen an psychische und nervliche Belastbarkeit gestellt werden, kein besonderer Zeitdruck entstehen. Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschicht wären zu vermeiden, ebenso wie Heben und Tragen schwerer Lasten, Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten. Dr. L. sieht die Klägerin außerdem in der Lage, von der Wohnung zu öffentlichen Verkehrsmitteln sowie vom öffentlichen Verkehrsmittel zum Arbeitsplatz vor Beginn und am Ende der Arbeitszeit jeweils über 500 Metern zurückzulegen. Die Klägerin sei auch in der Lage, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen.

Dr. L. weist darauf hin, dass die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten hinsichtlich der psychischen Erkrankung in keiner Weise ausgeschöpft werden. Sie empfiehlt dringend die ambulante Durchführung einer Psychotherapie in der Muttersprache, eine stationäre psychosomatische Therapie sowie die zuverlässige und ausreichende Einnahme der verordneten Medikamente.

Die Klägerseite ist mit der Begutachtung durch Dr. L. nicht einverstanden. In formaler Hinsicht wird gerügt, dass die Gutachterin eine Fremdanamnese vorgenommen habe, ohne dass dies richterlich angeordnet war. Im Übrigen sei die Dolmetscherin nicht vereidigt worden. In der Sache fehle es an einem zusatzpsychologischen Gutachten, an Selbstbeurteilungsverfahren und an einem Persönlichkeitstest. Schließlich habe die Gutachterin den Befundbericht des behandelnden Psychiaters Dr. F. vom 09.04.2017 nicht beachtet, wonach eine schwere depressive Episode bestehe. Die Klägerin leide an Gedächtnisstörung, Zwangsgedanken und verminderter geistiger Flexibilität. Sie sei zu desorientiert, um öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, und nicht in der Lage, 500 Meter zu Fuß zurückzulegen. Es sei unklar, auf welcher Basis Dr. L. die Wegefähigkeit festgestellt habe. Im Übrigen liege diese Beurteilung außerhalb ihres Fachgebietes.

Das Gericht holte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. L. ein, die am 29.08.2017 erläuterte, Selbstbeurteilungsbögen, Persönlichkeitstests sowie testpsychologische Untersuchungen seien nicht validiert für Begutachtungszwecke. Insbesondere testpsychologische Untersuchungen setzten im Übrigen eine Anstrengungsbereitschaft voraus, die bei der Klägerin nicht gegeben sei. Den Befundbericht von Dr. F. habe die Gutachterin nicht übersehen, sondern schlichtweg seine Diagnose einer schweren depressiven Episode in der Untersuchungssituation nicht nachvollziehen können. Dr. L. weist auch daraufhin, dass nach 2015 niemand mehr eine schwere Depression diagnostiziert habe.

Die mangelnde Orientiertheit der Klägerin sei nicht Folge ihrer psychischen Erkrankung, etwa eines kognitiven Abbaus, sondern Zeichen mangelnder intellektueller Differenzierung und der dependenten Lebensweise der Klägerin, die ohne ihren Mann in keiner Weise am öffentlichen Leben teilnehme. Dass die Klägerin nicht selbst bemerkt habe, dass der Untersuchungstag ihr Geburtstag war, sei ebensowenig Folge der psychischen Erkrankung. Zwangsgedanken habe die Gutachterin nicht feststellen können, vielmehr Ratlosigkeit und Trauer wegen den Kontaktabbruchs zur Tochter, woraus sich allerdings keine Einschränkung des Leistungsvermögens ergebe. Der von ihr im psychischen Befund festgestellte geminderte Antrieb sei aufgrund der Angaben der Klägerin festgestellt worden und willentlich überwindbar. Wenn sie einerseits verminderte geistige Flexibilität festgestellt habe, andererseits aber eine normale geistige Beweglichkeit, so sei dies dahingehend zu verstehen, dass die geistige Beweglichkeit jedenfalls für einfache und überschaubare Arbeiten ausreiche. Was die Wegefähigkeit angeht, habe sie festgestellt, dass die Klägerin ohne Hilfsmittel zur Untersuchung gelangt sei. Hieraus und aus dem Verhalten während der Untersuchung sowie aus den Befunden der Akte ergebe sich, dass Zweifel an der Wegefähigkeit nicht angebracht seien. Dr. L. weist nochmals daraufhin, dass die Klägerin bestehende Behandlungsmöglichkeiten nicht in Anspruch nimmt.

Diese ergänzende Stellungnahme wurde den Beteiligten mit Schreiben vom 04.09.2017 übersandt. Der Klägervertreter erklärte in der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2017, er habe die Stellungnahme nicht erhalten. Ihm wurde daher durch Unterbrechung der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gegeben, davon Kenntnis zu nehmen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.06.2015 zu verurteilen, der Kläger aufgrund ihres Antrags vom 22.01.2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Versichertenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung aus § 43 SGB VI oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus § 240 SGB VI.

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI Versicherte, die außerstande sind, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach wie vor in der Lage ist, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die einfach und überschaubar sind, noch sechs Stunden täglich auszuüben. Aufgrund der unbestreitbaren chronischen Erkrankungen der Klägerin sind dabei zahlreiche Einschränkungen in qualitativer Hinsicht zu beachten. Weder darf die Klägerin, etwa durch Zeitdruck, in psychischer Hinsicht zu sehr gefordert werden, noch kann sie körperlich schwere Tätigkeiten verrichten, die etwa mit Tragen von Lasten, Zwangshaltungen oder Überkopfarbeiten einhergehen.

Dieses Leistungsbild ergibt sich aus den gemäß § 106 SGG eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dr. E. die Klägerin untersuchte, bevor noch die erforderliche Knie-TEP am rechten Knie durchgeführt worden war. Das bedeutet, dass Dr. E. die Klägerin in schlechterem Zustand untersucht hatte, als dies inzwischen der Fall ist. Selbst in diesem schlechteren Zustand war Dr. E. nicht davon ausgegangen, dass das Leistungsvermögen in quantitativer Hinsicht auf weniger als sechs Stunden limitiert war. Dabei verkennt er nicht, dass die Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet an chronischen Erkrankungen leidet und diese Erkrankungen ihre Bewegungsfähigkeit und körperliche Belastbarkeit einschränken. Diesen Einschränkungen kann allerdings durch die Eingrenzung auf allerleichteste Tätigkeiten begegnet werden. So ist nicht ersichtlich, warum die Klägerin nicht in der Lage sein sollte, einer Tätigkeit zum Bespiel an einer Nebenpforte nachzugehen. Dabei könnte sie überwiegend sitzen, zwischendrin durchaus auch aufstehen und umhergehen. Besondere nervliche Anforderungen würden nicht gestellt. Dass die Klägerin, die seit über 30 Jahren in Deutschland wohnt, nicht in der Lage ist, sich auf Deutsch zu verständigen, spielt für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit keine Rolle. Wollte man dies berücksichtigen, würde dies nämlich im Ergebnis eine Benachteiligung deutschsprachiger Versicherter bewirken.

Was die Begutachtung durch Dr. L. angeht, bestehen aus Sicht des Gerichts keine Zweifel an der Verwertbarkeit dieses Gutachtens aus formaljuristischen Gründen. Zwar wendet die Klägerseite zu Recht ein, dass die Dolmetscherin, die bei der Untersuchung zum Einsatz kam, nicht allgemein beeidigt ist. Es bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Dolmetscherin, die gerichtsbekanntermaßen seit vielen Jahren regelmäßig bei Verhandlungen des Sozialgerichts München dolmetscht, und hier in jedem Einzelfall über ihre Pflichten belehrt wird, nicht wüsste, was die Pflichten eines Dolmetschers sind. Ferner bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie falsch übersetzt hätte. Dies wird klägerseits auch nicht vorgetragen. Das Gutachten von Dr. L. ist daher nicht unverwertbar (vgl. hierzu auch BGH V ZB 59/16 vom 06.04.2017 und 1 StR 208/05 vom 27.07.2005).

Das Gericht teilt auch nicht die Auffassung des Klägervertreters, wonach die Fremdanamnese beim Ehemann ohne Anordnung des Gerichts nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Gerade im Rahmen einer psychiatrischen Begutachtung kommt eine Fremdanamnese bei Familienangehörigen in Betracht. Ob diese für den Erkenntnisgewinn förderlich oder hinderlich ist, kann in der jeweiligen Untersuchungssituation allein der Sachverständige beurteilen, der die betreffenden Personen vor sich hat. Das Gericht hingegen hat in der Regel in diesem Verfahrensstadiums noch keinerlei persönlichen Kontakt zur Klagepartei gehabt und kann über die Sinnhaftigkeit einer solchen Fremdanamnese daher nicht urteilen. Fremdanamnesen werden daher in der sozialgerichtlichen Praxis auch in der Regel nicht beanstandet (vgl. Freudenberg in juris pk, SGB VI, § 43). Soweit der Klägervertreter rügt, der Ehemann sei nicht darüber belehrt worden, dass er die Aussage hätte verweigern können, ist zum einen festzuhalten, dass der Ehemann auf ausdrücklichen Wunsch der Klägerin zunächst mitanwesend war, und dass es sich bei dem Untersuchungsgespräch nicht um eine Zeugenaussage im prozessrechtlichen Sinne handelth.

Das Gutachten von Dr. L. ist im Übrigen auch inhaltlich schlüssig und überzeugend begründet. Dr. L. verkennt nicht, dass bei der Klägerin eine psychische Erkrankung besteht. Dies entspricht auch dem Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bot. Aus den Einschränkungen, die die psychische Erkrankung für das berufliche Leistungsvermögens mit sich bringt, kann die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente herleiten, da sie die dringend gebotenen Behandlungsmöglichkeiten, die zur Verfügung stehen, nicht ansatzweise ausschöpft. So begibt sich die Klägerin, obwohl sie massive Einschränkungen durch ihre psychische Erkrankung beklagt, lediglich einmal pro Monat zu ihrer Psychiaterin zum supportiven Gespräch und zur Krankschreibung. Eine Psychotherapie, die in B-Stadt auch in der Muttersprache der Klägerin verfügbar wäre, lehnt die Klägerin rundheraus ab. Nachvollziehbare Gründe werden hierfür nicht vorgetragen. Vor dem Hintergrund eines seit Jahren bestehenden innerfamiliären Konflikts (Kontaktabbruch zur Tochter, die sich gegen den Willen der Eltern mit einem Deutschen liiert hat) wäre eine Psychotherapie jedoch dringend erforderlich. Der Gesundheitszustand der Klägerin könnte dadurch gebessert werden. Dass die Klägerin diese Möglichkeit nicht wahrnimmt, und - wie das Blutbild zeigt - nicht einmal die von der Psychiaterin verordneten Antidepressiva in ausreichender Menge einnimmt, wirft auch die Frage auf, ob der Leidensdruck, den die Klägerin schildert und auch in der mündlichen Verhandlung zeigt, tatsächlich in diesem Maße besteht. Ferner gibt es auch keinen nachvollziehbaren Grund für die Weigerung der Klägerin, die ärztlich angeratene psychosomatische stationäre Behandlung zu versuchen. Die Aussage, sie könne sich nicht in einem Krankenhaus aufhalten, zu Hause gehe es ihr besser, ist nicht nachvollziehbar, da die Klägerin einen Krankenhausaufenthalt bislang noch nicht versucht hat. Ein stationärer Aufenthalt könnte ein erster Schritt sein in Richtung eines Lebensmodells, das nicht allein auf Abhängigkeit zum Ehemann baut. Insofern vertut die Klägerin eine Chance, wenn sie dies nicht versucht. Eine Rentengewährung aus Gründen der psychischen Erkrankung jedenfalls scheidet bei dieser umfassenden Ablehnung möglicher Behandlungsmethoden aus, vgl. BayLSG vom 23.03.2012, Az.: L 19 R 35/08 und vom 20.10.2016, Az.: L 19 R 789/14).

Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass derzeit von einem sechsstündigen Leistungsvermögen der Klägerin für allerleichteste Tätigkeiten auszugehen ist, weshalb eine Erwerbsminderung nicht besteht.

Die Klägerin ist auch nicht wegeunfähig, da sie in der Lage ist, 500 Meter in angemessener Zeit, also maximal 20 Minuten, zurückzulegen. Wenn sie hierfür Pausen oder Hilfsmittel benötigt, steht dies der Wegefähigkeit nicht entgegen. Das Gericht hat bei berücksichtigt, dass die Knie-TEP noch nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat und die Klägerin nach wie vor nicht beschwerdefrei gehen kann. Ihr Zustand ist jedoch im Hinblick auf das Knie aktuell besser, als bei Untersuchung durch Dr. E ... Und auch nach den Feststellungen von Dr. E. ist Wegefähigkeit zu bejahen, da es dafür ausreicht, wenn die Gehstrecke von 500m mit Pausen und Hilfsmitteln bewältigt werden kann. Ferner ist auch anzumerken, dass die Tatsache, dass die Klägerin sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht auskennt, keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente begründen kann. Die Klägerin könnte dies durchaus lernen.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liegt nicht vor. Selbst wenn man dies bejahen wollte, würde die oben genannte Tätigkeit an einer Nebenpforte keine unzumutbaren Anforderungen stellen. Der Arbeitsmarkt wäre daher nicht verschlossen.

Nach allem besteht kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass die Klägerin wirtschaftlich keine Vorteile von der Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente hätte, da sie mit ihrem Ehemann und jüngstem Kind aktuell von Arbeitslosengeld II lebt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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