S 8 AS 154/19 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AS 154/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 246/19 BER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch

(SGB II). Begehrt wird die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II beginnend ab Februar 2018 von dem Antragsgegner. Hilfsweise wird beantragt die Zahlung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) oder dem Beigeladenen.

Die Antragsteller leben nach ihren eigenen Angaben seit dem 22. August 2018 in der Bundesrepublik Deutschland. Die Antragsteller stammen aus Tschechien und unterfallen somit dem FreizügG/EU. Zunächst wohnten die Antragsteller mit dem inzwischen verstorbenen Ehemann der Antragstellerin zu 1) und dem Vater der Antragsteller zu 2( bis 4) in F. Zum 1. Januar 2019 sin die Antragsteller alle zusammen nach W. gezogen. Grund des Umzugs war, dass die gesamte Familie bereits in N. in einer Wohnung zusammen mit der erwachsenen Tochter der Antragstellerin zu 1) und deren Familie gelebt hatte. Die Tochter und deren Familie sind dann nach W. gezogen, so dass die Antragsteller keine Wohnung mehr zu Verfügung hatten und mit umziehen mussten.

Die Antragsteller haben Leistunden nach dem SGB II ab 22. August 2018 beantragt und bis einschließlich 31. Dezember 2018 beim ehemals zuständigen Träger Kreis N. in H. auch bezogen. In der Zeit vom 22. August 2018 bis 31. Dezember 2018 war die Antragstellerin zu 1) als Küchenhilfe bei der Firma K. angestellt.

Die Antragsteller beantragten mit Wirkung zum 1. Januar 2019 bei dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 1. Februar 2019 abgelehnt. Mit Schreiben vom 8. Februar 2019 wurde gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch erhoben. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2019 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Mit Datum vom 22. Februar 2019 wurde gegen den Widerspruchsbescheid beim Sozialgericht Dessau-Roßlau Klage (S 8 AS 167/19) erhoben.

Die Antragsteller wohnen derzeit bei der erwachsenen Tochter und deren Ehemann sowie deren drei Kindern gemeinsam in einer Wohnung. Eine eigene Wohnung können die Antragsteller aufgrund fehlender finanzieller Mittel derzeit nicht anmieten. Sie haben jedoch eine Wohnung in Aussicht von der W. GmbH. Die Antragsteller verfügen über keine finanziellen Rücklagen.

Mit Schreiben vom 12. Februar 2019 wurde der Antragsgegner vor Erlass des Widerspruchsbescheides aufgefordert, den Antrag an die zuständige Behörde, den Landkreis W. weiterzuleiten, sofern der Antragsgegner davon ausgehen würde, nicht zuständig zu sein.

Die Antragsteller beantragen,

den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig, beginnend ab Februar 2018 bis zur bestandkräftigen Entscheidung über das Klageverfahren der Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid vom 1. Februar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2019 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen und auszuzahlen.

Hilfsweise wird beantragt,

den Beigeladenen zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig, beginnend ab Februar 2018 bis zur bestandkräftigen Entscheidung über das Klageverfahren der Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid vom 1. Februar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2019 Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu bewilligen und auszuzahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Beigeladene beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner trägt vor, dass die Antragsteller von den Leistungen nach dem SGB II gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen sind. Die Antragsteller verfügen aktuell über kein Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Die Antragstellerin zu 1) geht keiner Arbeitnehmertätigkeit nach und auch keiner selbständigen Tätigkeit, wonach sich ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 FreizügG/EU ableiten würde. Die Antragstellerin zu 1) hat in der Zeit vom 22. August 2018 bis 31. Dezember 2018 bei der Firma K. in H. eine Beschäftigung als Küchenhelferin ausgeübt, hierbei betrug ihre wöchentliche Arbeitszeit durchschnittlich 25 Stunden. Laut der Bundesagentur für Arbeit liegt ab dem 1. Januar 2019 keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit vor, so dass der Arbeitnehmerstatus gem. § 2 Abs. 2 FreizügG/EU nicht nachwirkt.

Für einen zeitlich grundsätzlich unbefristeten Erhalt des Arbeitnehmer-/ Selbständigen-Status ist eine Beschäftigung von mindestens 12 Monaten Voraussetzung. Die ausgeübte Beschäftigung betrug lediglich 4 volle Monate.

Der Beigeladene trägt vor, dass Unionsbürgern, die die Freizügigkeit gem. §§ 2 Abs. 2 Nr. 1a, 3 Abs. 1 FreizügG/EU genießen, für die Dauer der Arbeitssuche kein Anspruch auf Sozialhilfe zusteht. Die Antragstellerin und ihre Familienangehörigen sind aktuell in Deutschland nicht gemeldet. Sie sind vom LKA zur Fahndung ausgeschrieben, zur Feststellung der Aufenthaltsbestimmung. Der aufenthaltsrechtliche Status der Antragsteller wurde bislang nicht nachgewiesen. Zudem besteht für den Kläger zu 4) die Schulpflicht. Es steht fest, dass dieser in W. die Schule nicht besucht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte.

II.

Der Antrag und der Hilfsantrag der Antragsteller haben keinen Erfolg.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung zur Regelegung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelegung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß 86b Abs. 2 Satz SGG i.V.m. mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden.

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsache nicht die volle richterlicher Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Hauptsacheverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 12. Aufl. 2012, § 86b RN16b). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu entscheiden.

Die vorstehenden Ausführungen gelten uneingeschränkt, soweit es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren um eine vorläufige Leistungsgewährung geht, die ggf. im Hauptsacheverfahren noch rückgängig gemacht werden kann. Indes sind an den Erlass der hier begehrten einstweiligen Anordnung strengere Maßstäbe anzulegen. Denn die hier begehrte (grundsätzlich) "vorläufige Zusicherung" ist für einen Leistungsberechtigten nur dann von Nutzen, wenn sie für die Beteiligten auf Dauer Bindungswirkung entfaltet. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn sie nicht nur vorläufig, sondern endgültig erteilt wird (vgl. LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 6. November 2012, Az.: L 25 AS 2712/12 B PKH, juris RN 4). Für eine derartige endgültige Vorwegnahme der Hauptsache, für die § 86b Abs. 2 SGG seinem Wortlaut nach grundsätzlich keine geeignete Grundlage darstellt, ist unter Berücksichtigung des in Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes nur dann Raum, wenn zwingende Gründe eine solche Entscheidung gebieten.

Im zu entscheiden Fall besteht kein Anordnungsanspruch. Sowohl der Antragsgegner als auch der Beigeladene haben in ihren Stellungnahmen ausführlich dargelegt, dass ein Anspruch auf die beantragten Leistungen nach dem SGB II bzw. dem SGB XII nicht besteht.

Die Antragsteller sind von den Leistungen nach dem SGB II gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen sind. Die Antragsteller verfügen aktuell über kein Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Die Antragstellerin zu 1) geht keiner Arbeitnehmertätigkeit nach und auch keiner selbständigen Tätigkeit, wonach sich ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 FreizügG/EU ableiten würde. Die Antragstellerin zu 1) hat in der Zeit vom 22. August 2018 bis 31. Dezember 2018 bei der Firma K. in H. eine Beschäftigung als Küchenhelferin ausgeübt, ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug durchschnittlich 25 Stunden. Laut der Bundesagentur für Arbeit liegt indes ab dem 1. Januar 2019 keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit vor, so dass der Arbeitnehmerstatus gem. § 2 Abs. 2 FreizügG/EU nicht nachwirkt. Für einen zeitlich grundsätzlich unbefristeten Erhalt des Arbeitnehmer-/ Selbständigen-Status ist eine Beschäftigung von mindestens 12 Monaten Voraussetzung. Die ausgeübte Beschäftigung betrug lediglich 4 volle Monate. Mithin ergibt sich kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II:

Ein Anspruch auf die begehrten Leistungen besteht auch nicht gegenüber dem Beigeladenen. Unionsbürgern, die die Freizügigkeit gem. §§ 2 Abs. 2 Nr. 1a, 3 Abs. 1 FreizügG/EU genießen, steht für die Dauer der Arbeitssuche kein Anspruch auf Sozialhilfe zusteht. Die Antragstellerin und ihre Familienangehörigen sind aktuell in Deutschland nicht gemeldet. Sie sind vom LKA zur Fahndung ausgeschrieben, zur Feststellung der Aufenthaltsbestimmung. Der aufenthaltsrechtliche Status der Antragsteller wurde bislang nicht nachgewiesen. Zudem besteht für den Kläger zu 4) die Schulpflicht. Es steht fest, dass dieser in W. die Schule nicht besucht.

Aus den dargelegten Gründen waren die Anträge der Antragsteller abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved