L 15 SO 245/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 195 SO 2948/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 245/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 3/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Unter Wohnsitz im Sinne des § 47 SGB I ist nicht die Wohnung, sondern die kleinste politische Einheit, in der Regel die Gemeinde, zu verstehen. Insoweit weicht der sozialrechtliche Begriff des Wohnsitzes nicht von dem des § 7 BGB ab. Ein Anspruch auf Übermittlung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung direkt an die Wohnung kommt daher in der Regel nicht in Betracht. Nur in Ausnahmefällen, bei krankheitsbedingter schwerer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit, kann ein solcher Anspruch gegeben sein.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zahlung seiner Sozialhilfeleistungen (Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - GruSi -) per Verrechnungsscheck, Zahlungsanweisung zur Verrechnung oder Postanweisung direkt an seine Wohnung.

Der 1937 geborene, also jetzt 82 Jahre alte Kläger wohnt in der Hstr., B, Nähe U-Bahnhof B. Er bezieht von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg eine Altersrente. Weiter bezieht er seit Jahren ergänzend GruSi. Seit dem Jahr 2009 war für ihn ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 und ab dem 28. Januar 2016 ist ein GdB von 60 sowie das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt.

Mit Eingang bei dem Beklagten am 31. Januar 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf Übersendung seiner Sozialleistungen per Scheck. Er sei mal wieder gefallen und nicht gut zu Fuß. Hierauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 6. Februar 2013, eine Scheckzahlung sei aus Kostengründen nicht möglich. Diese koste für die ersten 50 Euro 6,50 Euro und für weitere angefangene 50 Euro jeweils 0,65 Euro. Nachdem der Kläger auf die Regelung des § 47 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hingewiesen hatte, die ihm ein Wahlrecht gebe, teilte ihm der Beklagte mit Schreiben vom 18. Februar 2013 erneut mit, dass dies nicht in Betracht komme. Mit Wohnsitz im Sinne der genannten Vorschrift sei nur der Wohnort, nicht die Wohnung gemeint. Mit Schreiben vom 26. Februar 2013 begehrte der Kläger die Zahlung der GruSi an seine Wohnadresse, und zwar per Postanweisung. Hierauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 1. März 2013, die Zahlung der GruSi per Postanweisung sei nicht möglich. Der Bezirk habe sich schon vor ein paar Jahren entschieden, keine Postbarauszahlungen mehr anzubieten. Die buchungstechnischen Möglichkeiten seien auch nicht mehr gegeben. Der Kläger solle prüfen, ob er nicht doch ein Konto einrichten wolle.

Am 6. März 2013 teilte der Kläger mit, dass er die Zahlung per Scheck begehre. Die Kosten übernehme er "natürlich". Seine Rente werde ihm auch auf diese Weise überwiesen. Mit Bescheid vom 8. März 2013 lehnte der Beklagte die Auszahlung der GruSi per Postanweisung ab. Die Behörde werde der Vorschrift des § 47 SGB I gerecht, wenn sie anbiete, entweder Geld auf ein Konto zu überweisen oder eine Barauszahlung in den Räumen der Behörde vorzunehmen. Nach gängiger Rechtsprechung bestünde kein Anspruch auf Überbringung der Leistung in die Wohnung des Empfängers.

Zur Begründung seines am 26. März 2013 bei dem Beklagten eingegangenen Widerspruches trug der Kläger vor, er könne kein Pfändungsschutzkonto in Anspruch nehmen, die Kosten hierfür seien auch im Regelsatz nicht enthalten.

Es findet sich in den Akten des Beklagten der Bericht einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes des Beklagten vom 9. April 2013. Sie habe im März und April 2013 dreimal versucht, den Kläger in seiner Wohnung aufzusuchen. Dies sei jedoch nicht geglückt. Nachbarn hätten mitgeteilt, dass der Kläger häufig unterwegs sei, ohne Hilfsmittel gehe und sich mit Einkäufen versorge. Der Kläger wohne im 3. Obergeschoss ohne Fahrstuhl.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe einen Antrag auf (kostenfreie) Auszahlung der GruSi per Postanweisung oder persönlich an seine Wohnung gestellt. Gemäß § 47 SGB I könne eine Übermittlung an die Wohnung nicht verlangt werden. Der Sozialhilfeträger werde seiner Bringschuld gerecht, wenn der Empfänger das Geld im Rathaus abholen könne. Es bestünde kein Anspruch auf Auszahlung der Leistungen per Postanweisung oder persönlich per Scheck. Der Kläger sei lediglich behindert mit einem GdB von 30 ohne die Merkzeichen G oder aG [außergewöhnliche Gehbehinderung], eine Gehbehinderung liege aber nicht vor. Der Kläger könne sich ein Konto einrichten lassen.

Mit der am 15. November 2013 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren, die Zahlung der GruSi per Scheck oder durch Zahlungsanweisung zur Verrechnung durch die Postbank oder die Landeszentralbank, weiterverfolgt. Der Beklagte werde seiner Bringschuld nicht gerecht. Bei der Übermittlung der Leistungen habe der Beklagte § 33 SGB I zu beachten, denn das Übermittlungsrisiko trage der Leistungsträger. Danach seien bei der Ausgestaltung von Rechten und Pflichten die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten, sein Bedarf, seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Wünschen des Berechtigten solle entsprochen werden, soweit sie angemessen seien. Demzufolge sei für die Frage, wie der Beklagte die Leistungen an ihn zu übermitteln habe, eine Einzelfallabwägung vorzunehmen. Er habe bereits vorgetragen, dass er an gesundheitlichen Einschränkungen leide, die eine Abholung der Leistungen bei Barauszahlung beim Beklagten unzumutbar erscheinen ließen. Er leide an chronischen, starken Kopfschmerzen (Migräne), die ihn teilweise über mehrere Woche begleiteten, einer Gangstörung bei Gleichgewichtsstörungen (vaskuläre Enzephalopathie), Schwindel, Fallneigung, Funktionsstörungen bzw. Gelenksfunktionsstörungen bei Schmerzen in der Halswirbelsäule, Funktionsbehinderungen bzw. Schmerzen in den Schultergelenken, schmerzhafter Fehlstellung des Fußes, beidseitiger Schwerhörigkeit, Ohrgeräuschen, beidseitiger Sehbehinderung (grüner Star), arterieller Hypertonie, Linksherzhyperthrophie und einer Aortenektasie. Er hat hierfür verschiedene Atteste bzw. ärztliche Berichte, Überweisungsscheine und Heilmittelverordnungen angekündigt, die jedoch tatsächlich nicht vorgelegt worden sind. Er sei auf den rechtzeitigen Erhalt der Leistung angewiesen, damit er sein Existenzminimum decken könne. Er verfüge nicht über einen Vertrauten, der für ihn die Barauszahlung entgegennehmen würde. Auf der anderen Seite sei nicht dargetan, welchem Aufwand der Beklagte tatsächlich ausgesetzt sei, wenn er, wie die Rentenversicherung es praktiziere, einen Scheck ausstellen und an ihn senden müsse. Es werde bestritten, dass dies einen unangemessenen Mehraufwand bedeute.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger GruSi für die Zeit von Februar 2013 bis Januar 2014. Der Kläger hat die GruSi für diesen Zeitraum tatsächlich erhalten. Er hat sich auch eine Nachzahlung am 23. Januar 2014 in bar beim Beklagten auszahlen lassen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. August 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Aus § 47 Abs. 1 SGB I ergebe sich zunächst, dass die Überweisung der Rentenzahlung auf das Konto des Berechtigten bei einem Geldinstitut im Inland der Normalfall sei und eine Barauszahlung der Sozialhilfeleistungen die Ausnahme darstelle. Nachrangig, auf Verlangen des Empfängers, sehe die Vorschrift die Übermittlung an den Wohnsitz vor. Wie sich aus § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I i. V. m. § 7 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergebe, meine "Wohnsitz" dabei nicht die Wohnung des Leistungsempfängers, sondern den Ort, an dem er eine Wohnung innehabe. Zwar setze der Wohnsitz das Vorhandensein einer Wohnung voraus, es sei aber nicht mit dieser identisch. "Übermitteln" erfasse auch das Bereitstellen des Geldes z.B. bei einer Verwaltungsstelle (Zahlstelle) am Wohnsitz des Berechtigten. Ein Geldzustelldienst könne nicht beansprucht werden (Hinweis auf das Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 16. April 2013, Az. L 11 R 190/12, dokumentiert in juris). Indem der Beklagte dem Kläger die GruSi im Sozialamt des Bezirks von Berlin auszahle, übermittle er das Geld also im Sinne der Vorschrift an den Wohnsitz des Klägers. Etwas anderes, etwa die Übermittlung an die Wohnung selbst oder das Übersenden eines Verrechnungsschecks, könne der Kläger nach dieser Vorschrift grundsätzlich nicht verlangen. Dennoch erscheine es nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall wegen besonderer Umstände entsprechend § 33 Satz 2 SGB I eine andere Auszahlungsmodalität nach dem Wunsch des Leistungsempfängers vorgenommen werden könne. § 33 SGB I regele für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im einzelnen bestimmt sei, dass bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen seien, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstünden. Dabei solle den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen seien.

Hier erscheine eine Ausnahme jedoch nicht angezeigt. Die Wünsche des Klägers erschienen nicht angemessen im Sinne des § 33 Satz 2 SGB I, da besondere Umstände, die die Situation des Klägers von der anderer Leistungsempfänger wesentlich unterscheide, nicht dargetan worden seien. Zunächst habe der Kläger bereits nicht ausreichend dargelegt, weshalb es ihm nicht möglich sei, ein Konto zu eröffnen. Ihm sei die Möglichkeit der Öffnung eines Pfändungsschutzkontos aufgezeigt worden. Dass hierbei von Seiten der Bank Gebühren für die Eröffnung bzw. das Führen des Kontos erhoben würden, rechtfertige nicht die Auszahlung der Leistungen per Scheck oder Postanweisung. Auch wenn die tatsächlichen Kontoeröffnungs- und Führungskosten den im Regelsatz hierfür enthaltenen Betrag um 1,95 Euro monatlich übersteigen sollten, so reiche dieser Vortrag nicht aus, um darzulegen, dass die Kontoführung dem Kläger aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sei. Den Beziehern von GruSi werde grundsätzlich auch zugemutet, Umschichtungen zwischen den einzelnen im Regelsatz vorgesehenen Abteilungen vorzunehmen. Da der Kläger nach seinem Vortrag sehr zurückgezogen lebe, wenig Sozialleben habe und nicht an kulturellen Veranstaltungen teilnehme, erscheine es zumutbar, die höheren Kosten von 1,95 Euro z.B. aus dem hierfür vorgesehenen Anteil des Regelsatzes in Höhe von 39,96 Euro zu bestreiten.

Ferner seien auch keine gesundheitlichen Probleme dargetan worden, die eine Auszahlung der Leistungen im Sozialamt des Beklagten völlig unzumutbar erscheinen ließen. Der Kläger habe lediglich einen GdB von 30. Die Merkzeichen "G" oder "aG" seien nicht eingetragen. Eine schwerwiegende Gehbehinderung gehe auch aus den eingereichten ärztlichen Attesten nicht eindeutig hervor. Es sei darüber hinaus anzumerken, dass die Leistungen der GruSi nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) an Personen gewährt würden, die aufgrund von Behinderung oder Krankheit dauerhaft voll erwerbsgemindert seien oder die eine bestimmte Altersgrenze erreicht hätten. Es handele sich also per se um einen Personenkreis, der aufgrund des Alters oder gesundheitlicher Probleme unter körperlichen Beeinträchtigungen leide. Dennoch habe der Gesetzgeber für diesen Personenkreis keine besondere Vorschrift vorgesehen, die die Auszahlung der Leistungen an der Wohnung der Empfänger vorsehe. Hierfür bedürfte es also von dem Durchschnitt der Leistungsempfänger besonders stark abweichender Umstände, die hier nicht dargetan worden seien.

Schließlich sei anzumerken, dass auch die Übersendung eines Verrechnungsschecks bzw. die Postanweisung nicht dazu führten, dass der Kläger die Wohnung zur Entgegennahme seiner Leistungen nicht verlassen müsste. Vielmehr sei es auch hier erforderlich, zum Einlösen des Schecks eine Bank aufzusuchen bzw. das Geld bei der Postfiliale abzuholen. Warum es dem Kläger aber möglich sei, die Post bzw. eine Bank aufzusuchen, nicht aber bei dem Beklagten zur Entgegennahme der Leistungen vorzusprechen, sei nicht dargetan worden.

Gegen den am 15. August 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. September 2016 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Er verweist darauf, dass ihm seit dem 28. Januar 2016 das Merkzeichen "G" zuerkannt sei. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich aus § 47 SGB I. Die Leistungen müssten auf seinen Wunsch an seine Wohnanschrift übermittelt werden. Wohnsitz sei immer die persönliche Adresse und nicht etwa die Stadt oder Gemeinde, in der eine natürliche Person wohne.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 8. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2013 aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung monatlich per Verrechnungsscheck, Zahlungsanweisung zur Verrechnung oder per Postanweisung an ihn zu übermitteln.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.

Das Verfahren hat zwischenzeitlich geruht, da der Ausgang des beim Bundessozialgericht (BSG) anhängigen Verfahrens B 8 SO 6/16 R, das einen ähnlich gelagerten Sachverhalt aufwies, abgewartet werden sollte. Dieses Verfahren endete mit einem Anerkenntnisurteil nach Anerkenntnis des dortigen Sozialhilfeträgers.

In einem Erörterungstermin vor dem Landessozialgericht am 12. Dezember 2018 hat die Vertreterin des Beklagten mitgeteilt, dass bei ihrer Behörde die technischen Möglichkeiten, einen Verrechnungsscheck zu schicken, nicht mehr gegeben seien. Dies hat der Beklagte in einem Schriftsatz vom 4. Februar 2019 bestätigt.

Auch ein Post- oder Barscheck müsse bei einer Bank eingelöst werden. Insofern erschließe sich nicht, weshalb es dem Kläger nicht möglich sein solle, die Kontoverbindung einer Person seines Vertrauens zu benennen, um seine Leistung pünktlich und regelmäßig zu erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und die übrigen Akteninhalt verwiesen.

Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 8. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2013 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat einen keinen Anspruch auf Zahlung seiner Grundsicherungsleistungen per Scheck, Zahlungsanweisung zur Verrechnung oder per Postanweisung.

Zutreffende Klageart ist die Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Beklagte hat dem Kläger einen Bescheid dahingehend erteilt, dass er die Auszahlung der GruSi per Postanweisung ablehnt. Allerdings handelt es sich bei der Überweisung bzw. Übermittlung der Geldleistung um Realhandlungen, nicht um Verwaltungsakte (Pflüger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Stand: 26. Juli 2019, § 47 SGB I, Rn. 48; Klose in Jahn, Kommentar zum SGB I, Stand 31. Juli 2018, § 47 Rn. 16). In der Ablehnung eines Realaktes liegt aber dann eine Regelung und damit ein Verwaltungsakt, wenn die Ablehnung auf der Grundlage einer Sachentscheidung erfolgt. Dies ist hier der Fall, der Beklagte hat es abgelehnt, die Leistungen der GruSi direkt in die Wohnung des Klägers zu zahlen. Damit hat er eine eigene Regelung getroffen. Das Begehren des Klägers musste daher richtigerweise dahin gehen, den entgegenstehenden Verwaltungsakt aufzuheben. Im Übrigen ist die Feststellungsklage gemäß § 55 SGG hier die richtige Klageart. § 55 Abs. 1 SGG lautet: Mit der Klage kann begehrt werden

1. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, 2. ( ), wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

Mit der Leistungsklage, die üblicherweise zur Durchsetzung von Realakten dient, und die gegenüber der Feststellungsklage subsidiär ist, wird dem Kläger hier nicht geholfen sein, da sie sich jeweils nur auf einen fälligen Anspruch auf Leistungen der GruSi beziehen kann, er also gegebenenfalls monatlich erneut einen Rechtsstreit führen müsste (vgl. zum gegebenen Feststellungsinteresse in einem solchen Fall Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 55 Rn. 19b). Ein Feststellungsinteresse kann insbesondere bei einer Wiederholungsgefahr gegeben sein (vgl. Keller, a.a.O. § 55 Rn. 15 b). Da der Kläger die Auszahlung an seiner Haustür monatlich begehrt, ist eine Wiederholungsgefahr gegeben.

Da die besonderen Teile des Sozialgesetzbuches, hier die Regelungen des SGB XII, keine anderen Regelungen bzgl. der Zahlungsweise der Leistungen enthalten, findet § 47 SGB I in der Fassung des Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-NOG) vom 19. Oktober 2013, BGBl. I Seite 3836, als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch Anwendung. Dessen Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats aber nicht erfüllt. Die genannte Vorschrift lautet:

Soweit die besonderen Teile dieses Gesetzbuchs keine Regelung enthalten, sollen Geldleistungen kostenfrei auf ein Konto des Empfängers bei einem Geldinstitut, für das die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. L 94 vom 30.3.2012, S. 22) gilt, überwiesen oder, wenn der Empfänger es verlangt, kostenfrei an seinen Wohnsitz innerhalb des Geltungsbereiches dieser Verordnung übermittelt werden.

Es ist nicht § 47 SGB I in der Fassung des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I Seite 3015, gültig vom 1. Januar 1976 bis zum 24. Oktober 2013 (also auch zu dem Zeitpunkt, in dem der hier angefochtene Verwaltungsakt erging), der ohnehin einen im Wesentlichen gleichen Regelungsgehalt hatte, anwendbar, da es sich um eine Feststellungsklage handelt, die nur für die Zukunft wirken kann, weil eine Auszahlung für die bereits gezahlten Grundsicherungsleistungen nicht mehr erfolgen kann.

Der Begriff "Wohnsitz" im Sinne des § 47 Abs. 1 SGB I ist dahingehend zu verstehen, dass damit nicht die Wohnung, sondern die kleinste politische Einheit gemeint ist. Hier wäre dies der Bezirk des Landes B, in dem der Kläger wohnt, also der Bezirk B gegebenenfalls auch, wenn man einen Bezirk des Landes B nicht als politische Einheit sieht, das gesamte Gebiet des Landes B. Die Frage, was unter "Wohnsitz" zu verstehen ist, ist allerdings umstritten. Mit der Auslegung des Begriffes "Wohnsitz" steht und fällt die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Übermittlung seiner GruSi-Leistungen direkt an seine Wohnung.

Der Begriff des Wohnsitzes ist in § 30 Abs. 3 SGB I geregelt. Diese Vorschrift lautet:

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Nach der wohl herrschenden Meinung entspricht der Begriff des "Wohnsitzes" im Sinne des § 30 Abs. 3 SGB I demjenigen des § 7 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - (so Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Rheinland-Pfalz vom 19. März 2015, Az. L 5 SO 229/14, juris Rn.;LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2013, Aktenzeichen L 11 R 190/12, juris Rn. 32; Pflüger, a.a.O., § 47 Rn. 32; Hänlein in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum SGB I, 4. Aufl. 2015, § 47 Rn. 3; Bigge in Eichenhofer/von Koppenfels-Spieß/Wenner, Kommentar zum SGB I, 2. Aufl. 2018, § 47 Rn. 6; so wohl im Ergebnis auch Lilge in Lilge, Kommentar zum SGB I, 4. Auflage § 47 Rn. 33). § 7 BGB lautet:

(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Ort seinen Wohnsitz.

(2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen.

(3) Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.

Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB ist der Ort, an dem sich der räumliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse einer Person befindet. Dabei ist der Wohnsitz nicht die Wohnung, sondern die kleinste politische Einheit (in der Regel ist dies die Gemeinde), in der die Wohnung liegt. Das ergibt sich aus der Verwendung des Begriffes "Ort" in § 7 Abs. 1 BGB. Ist die Gemeinde in mehrere Bezirke unterteilt, ist entscheidend, in welchem dieser Teile die Wohnung gelegen ist. Sollten sich die Gemeindegrenzen verändern, so ändert sich folglich der Wohnsitz entsprechend (Martinek in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl., Stand: 14. Januar 2020, § 7 BGB, Rn. 5).

Die Vertreter der gegenteiligen Auffassung, nämlich dass mit "Wohnsitz" im Sinne des § 30 Abs. 3 SGB I und damit auch im Sinne des § 47 Abs. 1 SGB I die Wohnung und nicht nur der Ort, also die Gemeinde gemeint ist, berufen sich darauf, dass der entscheidende Unterschied zur Niederlassung nach § 7 BGB darin bestünde, dass der Sozialleistungsberechtigte einen Wohnsitz nur dort begründen könne, wo er über eine Wohnung verfüge (vgl. Mrozynski, Kommentar zum SGB I, 5. Aufl. 2014, § 47 Rn. 10 und 10 a). Die gegenteilige Auffassung sei auch unpraktikabel. Die politische Gemeinde sei keine ausreichende Postanschrift. Wenn ein Leistungsberechtigter seinen Wohnsitz z.B. in Berlin oder München habe, dann müsste dorthin, und nicht an die Wohnung, überwiesen werden. Es könnte also auf dem üblichen postalischen Wege überhaupt nicht ausgezahlt werden. Weiter wird vorgetragen, dass mit der Pflicht zur Übermittlung an den Wohnsitz ursprünglich die schlichte Auszahlung des Geldbetrages durch einen Boten gemeint gewesen sei, z.B. ursprünglich die Auszahlung der Renten durch den Rentendienst der Deutschen Bundespost. Allein die Bereitstellung des Geldbetrages am Wohnsitz (bei Post, Bank oder Verwaltungsstelle zur Auszahlung) sei nicht ausreichend, denn der Berechtigte sei nicht zur Abholung der Geldleistung verpflichtet (vgl. Klose in Jahn, Kommentar zum SGB I, Stand 31. Juli 2018, § 47 Rn. 27). Heinze in Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 1. Aufl. 1979, § 47 Rn. 5, argumentiert mit der Geschichte der Vorschrift. "Übermittlung am Wohnsitz des Empfängers" bedeute die Auszahlung durch Postanweisung, da § 47 SGB I insgesamt dem antiquierten Anstehen nach Sozialleistungen am Postschalter ebenso ein Ende habe bereiten wollen, wie der antiquierten Barauszahlung beispielsweise durch die Gemeindekasse oder die Zahlstelle des Leistungsträgers. Dass die Formulierung "an seinen Wohnsitz übermittelt" praktisch lediglich die postalische Anweisung des Geldes an den Empfänger als zulässig erscheinen lasse, folge bereits daraus, dass § 30 Abs. 3 SGB I anstelle des bürgerlich-rechtlichen Wohnsitz-Begriffes den steuerrechtlichen Begriff zur Bestimmung des Wohnsitzes aufgenommen und damit die Wohnung des Leistungsempfängers, nicht aber die politische Gemeinde, in der die Wohnung liege, zum ausschlaggebenden Kriterium neben dem gewöhnlichen Aufenthaltsort erhoben habe.

Diese Argumentation ist jedoch nicht stichhaltig. Zutreffend ist zwar, dass in § 30 Abs. 3 SGB I der steuerrechtliche Begriff des Wohnsitzes übernommen wurde. § 8 Abgabenordnung (AO) lautet:

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Zutreffend ist auch, dass das Steuerrecht und ihm folgend das Sozialrecht einen eigenen, vom bürgerlichen Recht abweichenden Wohnsitzbegriff entwickelt hat. Der steuerliche Wohnsitzbegriff des § 8 AO unterscheidet sich von dem der §§ 7 und 8 BGB allerdings (nur) dadurch, dass er nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen des Steuerpflichtigen, sondern auf die tatsächliche Gestaltung abstellt und insgesamt an äußerliche Merkmale anknüpft. Subjektive Momente sind unbeachtlich (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, Stand Oktober 2019, § 8 Rn. 2). Im Übrigen weicht die Definition des Wohnsitzes jedoch nicht von der des BGB ab. Auch hier ist der geographische Ort gemeint, an dem sich die Wohnung befindet (BFH, Urteil vom 24. Juli 1996, Az. I R 74/95, juris Rn. 16 = BFHE 181, 410; Drüen, a.a.O., § 8 AO, Rn. 1a).

Auch die Argumentation, der Berechtigte, hier also der Kläger und Grundsicherungsempfänger, sei nicht zur Abholung der Geldleistung verpflichtet, überzeugt nicht. Unabhängig davon, ob man die Erfüllung der Zahlungsverbindlichkeit als sogenannte "qualifizierte Schickschuld" oder als "modifizierte Bringschuld" ansieht (vgl. zu diesem Meinungsstreit Bittner/Kolbe in Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2019, § 270 BGB Rn. 1ff), ist in beiden Fällen die Leistung jedenfalls gemäß § 270 Abs. 1 BGB dem Gläubiger, hier dem Kläger, an dessen Wohnsitz zu übermitteln. Wohnsitz ist jedoch, wie oben erläutert, die Gemeinde, in der der Gläubiger seine Wohnung innehat. Auch hieraus ergibt sich nicht, dass die Geldschuld direkt in die Wohnung des Klägers übermittelt werden muss.

Möglich ist nach ganz herrschender Meinung jedoch in Ausnahmefällen auch eine Übermittlung direkt in die Wohnung des Leistungsempfängers. Da § 47 Abs. 1 SGB I eine Sollvorschrift ist, kommt in atypischen Fällen unter Berücksichtigung des § 33 Satz 2 SGB I ausnahmsweise ein Anspruch auf Barauszahlung der Leistungen in der Wohnung in Betracht (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. März 2015, Az. L 5 SO 229/14, juris Rn. 14; Bigge, a.a.O., § 47 Rn. 6; Pflüger,a.a.O., § 47 Rn. 32). Die zuletzt genannte Vorschrift lautet:

Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind.

Im Falle des Klägers sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Für ihn sind zwar mittlerweile ein GdB von 60 und das Merkzeichen G festgestellt, dies allein reicht jedoch für die Feststellung besonderer Umstände nicht aus. Gemäß § 229 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die üblicherweise im Ortsverkehr zurückgelegte Strecke beträgt zwei Kilometer in ca. 30 Minuten (Vogl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., Stand: 15. Januar 2018, § 229 SGB IX, Rn. 15). Rechtsfolge der Zuerkennung des Merkzeichens G ist, dass der behinderte Mensch eine unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr wahrnehmen kann. Laut Internet-Auskunft der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) kann der Kläger von seiner Wohnung in der H in Berlin das Bezirksamt Berlin in der M barrierefrei in 35 Minuten erreichen. Dabei fallen Fußwege von max. 350 m zwischen den Umstiegen an (Fußweg von seiner Wohnung bis zur Tram 10 ca. 130 m, Fußweg von der Tramhaltestelle U-Bahnhof B Strasse bis zum Aufzug ca. 225 m, vom Aufzug zum Bahnsteig der U 8 ca. 70 m, am U-Bahnhof O Straße Fußweg bis zum Aufzug ca. 45 m, dann erneut 95 m und vom Aufzug Fußweg ca. 75 m zum Bahnsteig der U 9. Vom U-Bahnhof Lzum Aufzug ca. 45 m und dann inklusive Treppe Fußweg zum Standort Mdes Beklagten insgesamt 280 m). Der Senat hat keine Zweifel, dass der Kläger diese Strecke bewältigen kann und auch regelmäßig bewältigt hat, da er tatsächlich seine GruSi-Leistungen in der Dienststelle des Beklagten abgeholt hat. Auch müsste er, worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat, auch dann eine Strecke, entweder zur Post oder zur Bank, bewältigen, wenn er einen Scheck zur Verrechnung erhalten würde.

Die von dem Kläger geltend gemachten Erkrankungen sind nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Diese stehen einer Bewältigung von Wegstrecken auch tatsächlich nicht im Wege, wie sich bereits daraus ergibt, dass der Kläger im dritten Stock ohne Fahrstuhl wohnt und häufig außer Hauses ist, wie sich aus den Angaben seiner Nachbarn in der Vergangenheit ergibt. Der Senat sah sich daher nicht gehalten, medizinische Ermittlungen durchzuführen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, da höchstrichterlich nicht ausreichend geklärt erscheint, wie der Begriff des Wohnsitzes in § 47 SGB I zu verstehen ist, d. h., es ist grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved