L 11 KA 1431/18 KL

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 11 KA 1431/18 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage gegen das Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes vom 13. September 2018 wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert beträgt 5.000,00 Euro.

Tatbestand:

Die klagende und die beklagte , vertreten durch das , streiten um den Rechtscharakter und die Rechtmäßigkeit eines Rundschreibens die Beklagten.

Mit dem an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen gerichteten Rundschreiben vom 13. September 2018 teilte die Beklagte mit, dass oftmals den gesetzlichen Vorgaben des § 87 a SGB V nicht entsprochen worden sei und daher im Hinblick auf die bevorstehenden Vertragsverhandlungen für das Jahr 2019 um Beachtung "unserer Rechtshinweise" gebeten werden. Die Gesamtvertragspartner hätten regelmäßig die Einhaltung der gesetzlichen Frist nach § 87 a Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht beachtet. Insofern werde um Beachtung gebeten und darauf hingewiesen, dass etwaige Rechtsverstöße zukünftig nicht mehr toleriert würden. Sie hätten die ihnen durch § 87 a Abs. 4 Satz 4 SGB V eingeräumte Kompetenz bei der Ermittlung der mor-biditätsbedingten Veränderungsrate mehrfach deutlich überschritten, intransparente Regelungen abgeschlossen, die von der Regelungsgewichtung oder den vom Bewertungsausschuss empfohlenen Gewichtungsmaßstäben abgewichen seien. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts teilte die Beklagte seine Rechtsansicht dazu mit. Auch im Rahmen des § 87 a Abs. 2 Satz 3 SGB V (Förderungsmöglichkeiten) würden die gesetzlichen Grenzen zum Teil nicht beachtet. Auch hier beinhaltet das Rundschreiben Hinweise auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Inhaltliche und formelle Anforderungen an die Verträge wurden festgehalten. Abschließend beinhaltete das Rundschreiben die Bitte "unsere Rechtshinweise bei den anstehenden Vertragsverhandlungen zu berücksichtigen. Die unserer Aufsicht unterstehenden Krankenkassen ohne Gesamtvertragsabschlusskompetenz bitten wir, in ihrem Landesverband auf die Beachtung hinzuwirken".

Mit Klage vom 14. Dezember 2018 hat die Klägerin ausgeführt, dass Bundesversicherungsamt mache mit dem Rundschreiben konkrete Vorgaben für die Gesamtverträge und stütze sich dabei auf zwei Urteile des Bundessozialgerichts. Hiergegen sei eine Klage zulässig und begründet. Das Rundschreiben sei als Allgemeinverfügung zu qualifizieren. Auch ein höfliches in Briefform abgefasstes Schreiben könne einen Verwaltungsakt darstellen. Das Bundesversicherungsamt konkretisiere die gesetzlichen Anforderungen nach § 87 a SGB V und gäbe Handlungsanweisungen. Adressaten seien zwar die Krankenkassen, die Vorgaben verpflichteten jedoch unmittelbar auch die kassenärztlichen Vereinigungen als deren Vertragspartner. Das Schreiben sei ohne Rechtsgrundlage ergangen. Dem Bundesversicherungsamt stünden die in § 89 Abs. 1 SGB IV benannten Aufsichtsmittel zur Verfügung, um eine festgestellte Rechtsverletzung zu beheben. Es sei daher auf eine Rechtsaufsicht beschränkt. Vertragspartner hätten bei der Vereinbarung der Gesamtvergütung einen weiten Gestaltungsspielraum, den das Bundesversicherungsamt beachten müsse.

Die Klägerin beantragt,

das Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes vom 13. September 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Thüringische Landessozialgericht sei nicht zuständig. Zwischen der Klägerin und die Beklagten bestehe kein Aufsichtsverhältnis. Das Rundschreiben habe darüber hinaus keinen bindenden oder zwingenden Charakter; somit liege keine Aufsichtsmaßnahme vor, die in die Rechtssphäre des Trägers der Selbstverwaltung eingreife und auch kein Verwaltungsakt. Das beklagte Rundschreiben habe lediglich einen Informationscharakter und keinen Anordnungscharakter. Ziel des Rundschreibens sei die Kundgabe der aufsichtsbehördlichen Rechtsauffassung die Beklagten zu einem bestimmten Themenkomplex. Das ergebe sich auch aus den einleitenden Sätzen des Rundschreibens. Inhaltlich sei die in dem Rundschreiben geäußerte Rechtsauffassung zutreffend und rechtmäßig. Es handele sich auch nicht um eine Beratung nach § 89 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB IV, die müsse nämlich individuell sein. Aber selbst formlose Beratungen nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV stellten keine nach § 54 Abs. 3 SGG anfechtbare Anordnung dar.

TBS

Entscheidungsgründe:

Das Thüringer Landessozialgericht ist dem Grunde nach zuständig für die von der Klägerin erhobene Klage. Nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheiden die Landessozialgerichte im ersten Rechtszug über Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird. § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG setzt nicht voraus, dass neben der Aufsichtsbehörde weiterer Beteiligter eine Körperschaft, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte, ist. Vielmehr können sogar Versicherte zulässig gegen die Aufsichtsbehörde klagen. Der Rechtscharakter als Auf-sichtsangelegenheit wird nicht dadurch beeinflusst, wer den (behaupteten) Verwaltungsakt anficht. Andernfalls käme es zu unterschiedlicher instanzieller Zuständigkeit, wenn sowohl der Adressat der Aufsichtsmaßnahme als auch ein Dritter den Verwaltungsakt der Aufsichtsbehörde angreift. Voraussetzung allerdings ist das Vorliegen einer Maßnahme der Aufsichts-behörde. Eine solche in ihre Rechte eingreifende Maßnahme wird von der Klägerin behauptet.

Die Klage ist aber nicht zulässig.

§ 54 Abs. 3 SGG ist zwar entsprechend auf den Fall anzuwenden, dass sich eine Körperschaft gegen die Verfügung einer staatlichen Behörde wendet, die zwar nicht ihre Aufsichtsbehörde ist, aber im konkreten Fall eine Maßnahme getroffen hat, die ihr gegenüber wie eine Aufsichtsmaßnahme wirkt. Zwingende Voraussetzung für eine rechtliche Qualifizierung einer Maßnahme der Aufsichtsbehörde als "Anordnung" im Sinne des § 54 Abs. 3 SGG ist aber ein Eingriff in die Rechtssphäre eines Selbstverwaltungsträgers. Daran fehlt es, wenn -wie vorliegend- sich die Maßnahme in bloßen Hinweisen, Anregungen oder Empfehlungen für ein bestimmtes Verhalten des Sozialversicherungsträgers erschöpft, ohne ein solches selbst schon zwingend vorzuschreiben. Nach diesen Grundsätzen könnte auch eine bloße Beratung nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV von der Klägerin nicht mit der Aufsichtsklage angefochten werden, obwohl auch in diesem Fall die zuständige Aufsichtsbehörde auf die Versicherungsträger einwirkt, Rechtsverletzungen zu beheben, mithin mit den Kassenärztlichen Vereinigungen geschlossene Verträge aufzuheben. Auch in diesen Fällen verneint das BSG eine Klagebefugnis der Kassenärztlichen Vereinigung, weil ihr Rechtskreis nicht unmittelbar berührt ist. Vorliegend aber hat das Rundschreiben die Beklagten noch nicht einmal der Rechtscharakter einer Beratung. § 89 Abs. 1 Satz 1 fordert die individuelle Beratung eines Versicherungsträgers; dem genügt ein an "alle bundesunmittelbaren Krankenkassen" gerichtetes Schreiben nicht (BSG, Urteil vom 20. Juni 1990 -1 RR 4/89). Das kann im Ergebnis bedeuten, dass die Beklagte die weiteren Aufsichtsmittel nach § 89 Abs. 1 (Verpflichtung zur Behebung der Rechtsverletzung) nicht ergreifen darf, weil keine Beratung mit Fristsetzung erfolgt ist. Hieraus folgt aber nicht, dass die Beklagte daran gehindert wäre, ihre Rechtsauffassung in einem Rundschreiben darzulegen. Sie ist auch nicht daran gehindert, die ihrer Aufsicht unterliegenden Versicherungsträger auf mögliche Rechtsverstöße hinzuweisen und darauf, dass sie zukünftig diese nicht mehr toleriert, d.h. dann die ihr rechtlich eingeräumten Möglichkeiten nutzt.

Eine Beanstandung nach § 71 Abs. 4 Satz 2 SGB V, die die Klägerin ggf. berechtigen würde, dagegen Klage zu erheben, liegt ebenfalls nicht vor; ungeachtet der gewählten Form als Rundschreiben, werden vorliegend keine konkreten Vereinbarungen beanstandet, die Wirksamkeit der in der Vergangenheit geschlossenen Verträge wird nicht in Abrede gestellt.

Soweit die Klägerin aus der Tatsache, dass das Rundschreiben der Beklagten kein Aufsichtsmittel nach § 89 SGB IV ist, folgert, es dürfe in dieser Form nicht ergehen, folgt der Senat dem nicht. Der Aufsichtsbehörde ist es weitgehend freigestellt, wie sie im konkreten Fall auf angenommene Rechtsverstöße reagiert. Das im Rahmen der Rechtsaufsicht geltende Oppor-tunitätsprinzip ermöglicht es ihr, Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu der Frage anzustellen, ob sie nach Lage des konkreten Falles überhaupt einschreiten will, ob sie förmliche Maßnahmen ergreifen will oder eine nichtförmliche Maßnahme angezeigt ist. Es ermöglicht eine situationsgebundene Reaktion auf angenommene Rechtsverletzungen unterschiedlicher Schwere und Tragweite (Schirmer/Kater/Leube, Aufsicht in der Sozialversicherung, Ziffer 230, c).

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens nach § 197 a SGG i.V.m. § 154 abs. 1 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Regelstreitwert mangels anderer Anhaltspunkte.
Rechtskraft
Aus
Saved