L 5 KR 137/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 RJ 160/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 137/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 36/01 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
NBZ d. Beigel. durch Beschluss vom 04.06.2002 als unzulässig verworfen.
Die Berufungen gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.07.2001 werden als unzulässig verworfen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Gegenstand des Verfahrens ist die Versicherungs- und Beitragspflicht von Rundfunkgebührenbeauftragten.

Die Beklagte hat nach einer Betriebsprüfung bei der klagenden Rundfunkanstalt mit Bescheid vom 12.12.1997 und Widerspruchsbescheid vom 30.07.1998 festgestellt, dass die von der Klägerin eingesetzten Rundfunkgebührenbeauftragten, die sie als Selbständige angesehen hat, versicherungspflichtige Beschäftigte seien; für den Zeitraum vom 01.01.1993 bis 30.06.1997 sind Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von rund 9,5 Millionen DM festgesetzt worden. Die Feststellungen der Beklagten betreffen ca. 130 Personen, darunter die Berufungskläger. Das Sozialgericht hat im Klageverfahren die von der Entscheidung betroffenen Sozialversicherungsträger und Einzugsstellen, nicht jedoch die betroffenen Gebührenbeauftragten beigeladen. Die jetzigen Berufungsführer hatten mit Schreiben vom 10.03.2001 ihre Beiladung beantragt.

Nach Beweiserhebung hat das Sozialgericht mit Urteil vom 27.03.2000 den Bescheid der Beklagten aufgehoben, weil entgegen deren Auffassung die Gebührenbeauftragten nicht abhängig beschäftigt gewesen seien. Die Urteile sind den am Verfahren Beteiligten zwischen dem 20.04. und 25.04.2001 zugestellt worden; keiner der Beteiligten hat Rechtsmittel eingelegt.

Die Berufungsführer haben am 25.05.2001 "Beschwerde" bzw. Berufung beim Sozialgericht eingelegt, da ihr Antrag auf Beiladung nicht beschieden worden sei. Auf die Mitteilung der Kammervorsitzenden, dass sie nicht Beteiligte des Verfahrens seien und daher nicht Berufung einlegen könnten, haben sie am 06. bzw. 07.06.2001 "Beschwerde" gegen den "Bescheid" des Sozialgerichts beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen eingelegt (Az.: L 4 AR 1/01). Dieses Verfahren haben sie im Erörterungstermin am 30.07.2001 für erledigt erklärt, nachdem sie die Erklärung abgegeben hatten, sie wollten noch nachträglich zu dem Verfahren beigeladen werden.

Mit Beschluss vom 24.08.2001 hat das Sozialgericht "aufgrund der rechtlichen Hinweise des LSG NRW vom 30.07.2001" die Berufungsführer gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen und insoweit das Rubrum des Urteils vom 27.03.2001 "ergänzt bzw. berichtigt".

Der Beschluss ist den Berufungsklägern mit dem Hinweis zugestellt worden, dass sie nunmehr die Möglichkeit hätten, Berufung einzulegen. Beide haben am 18.09.2001 Berufung gegen das Urteil vom 27.03.2001 eingelegt.

Mit Schreiben vom 02.10.2001 hat der Senat die Berufungsklägern und die übrigen Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Beiladung nach Rechtskraft des Urteils nicht möglich sei und somit die von den Berufungsführern eingelegten Berufungen mangels Erlangung des Status eines Beteiligten des Verfahrens unzulässig seien. Beide haben die Auffassung vertreten, da ihr Beiladungsantrag nicht beschieden worden sei, könne die angefochtene Entscheidung nicht rechtskräftig geworden sein, so dass das Sozialgericht sie noch habe nachträglich beiladen können.

II.

Gemäß § 158 SGG kann der Senat die unzulässige Berufung durch Beschluss verwerfen; diese Vorschrift greift in allen Fällen der Unzulässigkeit der Berufung ein (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl., § 158 Rdn. 4).

Die Berufungen sind unzulässig, weil die Berufungsführer gegen das Urteil kein Rechtsmittel einlegen können. Rechtsmittelberechtigt sind nur der Beteiligte der Vorinstanz, dazu zählen Kläger, Beklagte und Beigeladene (§ 69 SGG). Die Stellung von Verfahrensbeteiligten haben die Berufungsführer im ersten Rechtszug tatsächlich nicht erlangt. Zwar kann bei einem Streit über das Bestehen der Versicherungspflicht die Entscheidung gegenüber Arbeitgeber und Versicherten nur einheitlich ergehen, so dass jeweils der andere notwendig beizuladen ist (§ 75 Abs. 2 SGG, vgl. Meyer-Ladewig, § 75 Rdn. 10a). Tatsächlich sind die Berufungsführer aber nicht beigeladen worden. Es kann auch derjenige keine Berufung einlegen, dessen Beiladung unter Verletzung des § 75 Abs. 2 SGG unterblieben ist (vgl. Zeihe, SGG, § 75 Rdn. 5b; s.a. OVG Münster NWVBL. 1991, 241).

Die Berufungskläger haben den Status eines Beteiligten auch nicht durch den Beschluss vom 24.08.2001 erlangt. Eine Beiladung ist nur so lange möglich, als das Verfahren noch anhängig ist (vgl. Meyer-Ladewig, § 75 Rdn. 5a; Zeihe, § 75 Rdn. 4b; so ausdrücklich § 65 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); s.a. VGH Mannheim NVwZ 1986, 141). Wird der - konstitutive - Beiladungsbeschluss erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eines Urteils zugestellt, ist er unwirksam und damit die Beiladung gegenstandslos, auch wenn die Beiladung schon während des Verfahrens beantragt worden war (Meyer-Ladewig, § 75 Rdn. 5c; Zeihe, § 75 Rdn. 5c).

So liegt es hier. Das Urteil ist den im ersten Rechtszug Beteiligten zwischen dem 20.04. und 25.04.2001 zugestellt worden; keiner von ihnen hat ein Rechtsmittel eingelegt. Ob es am 25.05.2001 noch möglich gewesen wäre, die Berufungsführer beizuladen, als sie "Beschwerde" einlegten (was vorausgesetzt hätte, dass noch am gleichen Tag die Zustellung hätte bewirkt werden können), kann dahinstehen. Bereits zum Zeitpunkt der beim Landessozialgericht erhobenen "Beschwerde" war das Urteil (formell) rechtskräftig und somit eine Beiladung nicht mehr möglich.

Eine andere rechtliche Beurteilung ist auch nicht zur Wahrung von Rechten der Berufungsführer geboten. Zwar machen sie zu Recht geltend, sie hätten nicht die Möglichkeit gehabt, als Betroffene auf das Verfahren inhaltlich Einfluss zu nehmen. Im Unterlassen einer notwendigen Beiladung liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) zu Lasten des übergangenen Dritten. Dessen Rechtsposition wird aber dadurch gewahrt, dass das Urteil ihm gegenüber keine (materielle) Rechtskraft erlangt, da diese Wirkung nur gegenüber den am Verfahren Beteiligten eintritt (§ 141 Abs. 1 SGG). Ein unter Verstoß gegen § 75 Abs. 2 SGG ergangenes Urteil erwächst daher nicht in materielle Rechtskraft und bleibt jedenfalls gegenüber dem nicht beigeladenen Dritten wirkungslos (allg. Meinung, vgl. BSGE 51, 89, 91; BVerwGE 16, 23, 25; 104, 182, 184; OVG Münster a.a.O.; Meyer-Ladewig, § 75 Rdnr. 13f; Zeihe, § 75 Rdnr. 13c; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 65 Rdnr. 43). Somit sind die Rundfunkgebührenbeauftragten an die Entscheidung des Sozialgerichts nicht gebunden; ihnen gegenüber können sich weder die Klägerin noch die Beklagte oder die Einzugsstellen auf die Rechtskraft berufen.

Angesichts dieser Konsequenz ist die vom BSG in ständiger Rechtsprechung geäußerte Auffassung, Massenbeiladungen seien im sozialgerichtlichen Verfahren nicht erforderlich, weil sie zu einer Blockierung des Verfahrens führten (vgl. zuletzt BSG SozR 3-8110 Kap. VIII H III Nr. 1 Nr. 2 mit Nachweisen der Rechtsprechung) in Verfahren, in denen es um die Versicherungspflicht geht, nicht praktikabel (vgl. auch Zeihe, § 75 Rdn. 13a hh). Mit einer Ausnahme betraf diese Spruchpraxis auch Fälle, in denen es um die Zuständigkeit von Versicherungsträgern ging. Lediglich in der Entscheidung vom 08.04.1992 (BSG USK 92148) ging es um Beitragsansprüche, dort allerdings im Rahmen des Konkursausfallgeldes (§ 141n Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) a.F.). Im Hinblick auf die ab 02.01.2002 geltende Einfügung eines Abs. 2a in § 75 SGG (Art. 1 Nr. 30 c des Sechsten SGB-Änderungsgesetzes vom 17.08.2001 (BGBl. I, 2144)), mit der in Anlehnung an die Vorschriften der VwGO die Massenbeiladung (einschließlich der Rechtskrafterstreckung in § 141 Abs. 1 Nr. 2 SGG n.F.) geregelt worden ist, braucht letztlich die oben aufgeworfene Frage nicht beantwortet zu werden. Es hätte jedenfalls nahegelegen, einige der betroffenen Gebührenbeauftragten beizuladen (wie es etwa in Zuständigkeitsstreitigkeiten praktiziert worden ist, s. etwa BSG USK 9602), damit wenigstens ihnen gegenüber ein bindendes (Teil-)Urteil ergehen konnte. Es war aber in jedem Fall nicht möglich, die Beiladung nach (formeller) Rechtskraft der Entscheidung "nachzuholen".

Der Senat kann nachvollziehen, dass für die Berufungsführer als juristische Laien der Geschehensablauf kaum verständlich ist und sie Unmut darüber geäußert haben, dass auf ihren Beiladungsantrag (der trotz des unzutreffenden Zusatzes, als Zeuge beigeladen werden zu wollen, eindeutig auf eine Beteiligung nach § 75 Abs. 2 SGG zielte) keine Reaktion des Gerichts erfolgte. Soweit das Sozialgericht die Beiladung mit den "rechtlichen Hinweisen des LSG NRW vom 30.07.2001" begründet hat, ergeben sich weder aus der Sitzungsniederschrift noch dem sonstigen Akteninhalt Anhaltspunkte für entsprechende Hinweise, die im übrigen weder die gesetzlichen Voraussetzungen für eine wirksame Beiladung ersetzen könnten noch eine eigene Prüfung der Rechtslage durch das Sozialgericht entbehrlich gemacht haben würden. Sollte im Erörterungstermin am 30.07.2001 die - nach den oben zitierten Nachweisen - unzutreffende Ansicht vertreten worden sein, über die Beiladung könne jetzt noch entschieden werden, mag dies bei den Berufungsführern Hoffnungen geweckt haben, die sie jetzt enttäuscht sehen. Sie mögen insoweit bedenken, dass auch einem Gericht ein Fehler unterlaufen kann. Der Senat hält es auch für wenig hilfreich, wenn die Betroffenen an ihren eigenen laienhaften Vorstellungen von der Rechtslage festhalten und diese wiederholen, offenkundig ohne sich von sachkundiger Stelle Rat geholt zu haben und ohne auf die Hinweise des Senats einzugehen.

Im Hinblick auf die letzte Stellungnahme der Berufungsführer sieht sich der Senat zu dem Hinweis veranlasst, dass die Berufungsführer vor den von ihnen angekündigten weiteren rechtlichen Schritten bedenken mögen, ob sie ihrem Ziel, eine Klärung ihres Status herbeizuführen, nicht auf anderem Weg rascher und zuverlässiger nahekommen. Wie oben dargelegt, bindet die ergangene Entscheidung die Berufungsführer im Verhältnis zur Klägerin oder Beklagten nicht. Geht man davon aus, dass ein Gestaltungsurteil bei unterbliebener notwendiger Beiladung schlechthin unwirksam ist, weil die Gestaltungswirkung - hier: die Aufhebung des Bescheides vom 12.12.1997 - gegenüber den am Verfahren nicht beteiligten Mitbetroffenen nicht eintreten kann (so die wohl h.L.: Meyer- Ladewig, § 75 Rdn. 13g; Biel in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 65 Rdn. 40; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl., § 65 Rdn. 22; Kopp/Schenke, a.a.O.; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, 11. Aufl., § 65 Rdn. 19), wäre der Bescheid vom 12.12.1997 noch wirksam, so dass die Berufungsführer von der zuständigen Einzugsstelle (d.h. der für sie zuständigen Krankenkasse, § 28i Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)) die Beitreibung der festgesetzten Beiträge fordern könnten. Nimmt man an, dass zwar aufgrund des Urteils vom 27.03.2001 der Bescheid aufgehoben ist, jedoch die betroffenen Gebührenbeauftragten nicht gebunden sind (so wohl Zeihe, § 75 Rdn. 13c; wohl auch BVerwG DVBl. 1974, 235), können sie jedenfalls von der Einzugsstelle eine Entscheidung über das Bestehen von Versicherungspflicht verlangen. Der Senat vermag darüber hinaus nicht zu erkennen, weshalb die Beklagte nicht zu einer nochmaligen Entscheidung im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 5 SGB IV verpflichtet sein soll, wenn ihre frühere Entscheidung im Rahmen der Arbeitgeberprüfung keine materielle Bestandskraft im Verhältnis zu allen Betroffenen erlangt hat. Wenn die Beklagte im Schriftsatz vom 25.10.2001 die Auffassung vertritt, sie sei nur im Rahmen einer Betriebsprüfung tätig geworden, so dass durch sie eine neuerliche Überprüfung nicht stattfinde, übersieht sie, dass diese Prüfung gerade nicht zu der von § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV geforderten Klärung der Rechtslage geführt hat.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Angesichts der eindeutigen Rechtslage liegen Gründe für die Zulassung der Revision nicht vor, insbesondere hat der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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