L 1 JVEG 73/20

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 73/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Normen: § 191 Halbs 1 SGG, § 111 Abs 1 S 1 SGG, § 5 JVEG, § 19 Abs 1 S 1 JVEG, § 19 Abs 2 JVEG





Sozialgerichtliches Verfahren, Entschädigung für Verdienstausfall bei selbstständiger Tätigkeit wegen der Teilnahme an einem Gerichtstermin, Anforderung an den Nachweis des Verdienstausfalls



1. Um den Entschädigungsanspruch für Verdienstausfall bei einem selbständig Tätigen nicht ins Leere laufen zu lassen, darf das Gericht an die Beweisführung eines selbständig tätigen Antragstellers keine zu hohen Anforderungen stellen.

2. Für die Bemessung einer Entschädigung für die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin vor dem Sozialgericht kommt es auch bei einem Selbständigen auf den regelmäßigen Bruttostundenverdienst an. Sofern andere Nachweise über konkret durch die Wahrnehmung des Termins versäumte termingebundene Aufträge fehlen, kann auf die Angaben aus dem zuletzt verfügbaren Einkommensteuerbescheid zurückgegriffen werden. Das dort festgestellte Einkommen in einem bestimmten Jahr ist in der Regel geeignet, die Verdienstverhältnisse des herangezogenen Beteiligten oder Zeugen zutreffend widerzuspiegeln.
Die Entschädigung des Erinnerungsführers für die Teilnahme am Erörterungstermin am 19. August 2019 wird auf 97,15 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Erinnerungsführer war Berufungskläger im Verfahren L 1 U 588/19. Mit Ladung vom 22. Juli 2019 wurde er durch den Berichterstatter des Verfahrens unter Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Erörterungstermin am 19. August 2019 um 10:00 Uhr geladen. Der Erörterungstermin dauerte ausweislich der Niederschrift von 10:08 Uhr bis 10:27 Uhr.

Mit beim Landessozialgericht am 17. September 2019 eingegangenem Entschädigungsantrag beantragte der Erinnerungsführer eine Entschädigung in Höhe von 399,24 EUR für das Erscheinen bei dem Erörterungstermin (Fahrtkosten unter Beifügung der entsprechenden Zugtickets in Höhe von 40,00 EUR und einen Verdienstausfall ausgehend von einer Ausfallzeit von 8,75 Stunden, einem Stundensatz von 34,50 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von insgesamt 359,24 EUR).

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bewilligte nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2017 eine Entschädigung in Höhe von 97,15 EUR. Verdienstausfall könne nur in Höhe von 57,15 EUR bewilligt werden. Ausweislich des Steuerbescheides betrügen die monatlichen Einkünfte 1.016,25 EUR. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erge-be sich ein Stundenlohn in Höhe von 6,35 EUR. Hinzu kämen die nachgewiesenen Fahrtkosten in Höhe von 40,00 EUR. Hiergegen hat der Erinnerungsführer am 14. Januar 2020 Erinnerung eingelegt. Mit dem entschädigten Einnahmeausfall in Höhe von 57,15 EUR könnten die täglich anfallenden Kosten in einem Handwerksbetrieb wie Krankenversicherung, Altersvorsorge usw. nicht gedeckt werden.

Der Erinnerungsführer beantragt,

die Entschädigung für seine Teilnahme am Erörterungstermin am 19. August 2019 auf 399,24 EUR festzusetzen.

Die Erinnerungsgegnerin beantragt,

die Entschädigung auf 97,15 EUR festzusetzen.

Auf Grund fehlender Anhaltspunkte für den Stundenlohn müsse vom Einkommenssteuerbescheid ausgegangen werden. Laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 betrügen die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb monatlich 1.016,25 EUR brutto. Dies ergebe bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden einen Bruttolohn von 6,35 EUR pro Stunde. Bei einer Zeitversäumnis von 9 Stunden gerundet betrage der Verdienstausfall daher 57,15 EUR zuzüglich der nicht zu beanstandenden Fahrtkosten in Höhe von 40,00 EUR.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Auf die Erinnerung hin war die Entschädigung auf 97,15 Euro festzusetzen.

Nach § 4 Abs. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Feststellung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält (Satz 1).

Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Zeugen erhalten nach § 19 Abs. 1 S. 1 JVEG als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 8 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 – L 1 JVEG 867/15, zitiert nach Juris).

Die Entschädigung errechnet sich danach wie folgt:

Der Fahrtkostenersatz beträgt gemäß § 5 JVEG auf Grund der nachgewiesenen Kosten für die Zugtickets 40,00 EUR.

Die Entschädigung für Verdienstausfall ist nach § 22 JVEG auf 57,15 EUR festzusetzen (9 Stunden x 6,35 EUR).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der vom Erinnerungsführer geltend gemachte Betrag pro Stunde versäumter Arbeitszeit in Höhe von 34,50 EUR zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer bereits deshalb nicht erstattungsfähig ist, weil nach § 191 SGG i. V. m. § 22 JVEG Beteiligte, denen ein Anspruch auf Verdienstausfall entsteht, eine Entschädigung nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst erhalten, und gedeckelt zwar für jede Stunde höchstens in Höhe von 21,00 EUR. Eine höhere Entschädigung als die festgesetzten 6,35 EUR je Stunde kann der Erinnerungsführer nicht beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist beim Verdienstausfall auch diejenige Zeit einzubeziehen, die entsteht, weil der Herangezogene vor und/oder nach dem Termin seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen kann. Ausschließlich erforderlich ist eine kausale Verknüpfung zwischen der Terminswahrnehmung und der aufgewendeten Zeit. Insofern ist die angenommene Arbeitsausfallzeit von aufgerundet 9 Stunden angesichts von Hin- und Rückweg nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Höhe der Berechnung des Verdienstausfalles im Falle des Erinnerungsführers als selbstständig tätiger Tischlermeister kann jedoch nicht wie bei einem abhängig Beschäftigten auf eine Verdienstausfallbescheinigung seines Arbeitgebers zurückgegriffen werden. Insofern geht der Senat zu Gunsten des Erinnerungsführers davon aus, dass dieser durch die Wahrnehmung des Termins am 19. August 2019 auch als Selbstständiger einen Verdienstausfall erlitten hat. Der Senat lässt sich insoweit von der Überlegung leiten, dass bei der Überzeugungsbildung, ob ein Verdienstausfall an sich, das heißt unabhängig von der konkreten Höhe, eingetreten ist, die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter nicht nur im Sinne der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie, sondern auch, um zu vermeiden, dass die gesetzliche Regelung des § 22 JVEG für Selbstständige ins Leere läuft, nicht überspannt werden dürfen. Gleichwohl kann es bei Selbstständigen durchaus naheliegend sein, dass diese auf Grund der Möglichkeit, sich ihre Arbeitszeit frei einzuteilen, durch die Wahrnehmung eines Gerichtstermins überhaupt keinen Verdienstausfall erleiden, weil sie die von ihnen zu erbringenden Arbeiten auch an einem anderen Tag erledigen können und deshalb zum Beispiel keinen Auftrag ablehnen müssen. Davon wird insbesondere dann auszugehen sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein selbstständig Tätiger seine selbstständige Tätigkeit nur mit deutlich zeitlich reduziertem Aufwand ausübt und auch keine termingebundenen Aufgaben ausführt. Im Fall des Erinnerungsführers geht der Senat jedoch zu seinen Gunsten davon aus, dass dieser grundsätzlich seine Tätigkeit in der eigenen Tischlerei ganztägig ausführt. Hinsichtlich des vom Erinnerungsführer versäumten Bruttoverdienstes ist zu beachten, dass sich allgemeingültige Regeln nicht aufstellen lassen. Ob und in welcher Höhe ein Verdienstausfall eingetreten ist, richtet sich nach der Größe und Ertragsfähigkeit des handwerklichen Betriebes. Zwecks Ermittlung eines realistischen Wertes kann - wenn andere Nachweise über konkret durch die Wahrnehmung des Termins versäumte termingebundene Aufträge fehlen - hierbei auf die An-gaben aus dem zuletzt verfügbaren Einkommensteuerbescheid zurückgegriffen werden. Das dort festgestellte Einkommen in einem bestimmten Jahr ist in der Regel geeignet, die Verdienstverhältnisse des herangezogenen Beteiligten oder Zeugen zutreffend widerzuspiegeln. Daraus ergibt sich zutreffend der ermittelte Stundensatz in Höhe von 6,35 EUR. Anhaltspunkte dafür, dass das für das Jahr 2017 ermittelte Einkommen aus besonderen Gründen besonders niedrig war, liegen nicht vor. Sie ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem Vorbringen des Erinnerungsführers, dass der so ermittelte Stundensatz von 6,35 EUR pro Stunde nicht ausreicht, um die anfallenden Kosten für einen Handwerksbetrieb wie Lebenshaltungskosten, Krankenversicherung und Altersvorsorge zu decken. Letzteres ist zwar zutreffend und wird durch den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 bestätigt. Dort sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 12.195,00 EUR zuzüglich 41,00 EUR aus Vermietung und Verpachtung festgestellt. Von denen wurden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 3.439,00 EUR abgezogen, so dass ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 8.762,00 EUR verblieb. Es erscheint auch dem Senat mehr als zweifelhaft, wie davon die Kosten für den Lebensunterhalt des Erinnerungsführers und seine Altersvorsorge gedeckt werden sollen. Da ein höherer Verdienstausfall jedoch nicht nachgewiesen worden ist, verbleibt es bei einem Stun-densatz von 6,35 EUR.

Da Verdienstausfall ersetzt wird, scheidet eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG aus. Die Entschädigung des Erinnerungsführers für die Teilnahme am Erörterungstermin am 19. August 2019 ist daher wie folgt festzusetzen:

Fahrtkosten § 5 JVEG 40,00 Euro Verdienstausfall § 19 JVEG 57,15 Euro insgesamt 97,15 Euro.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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