L 4 KR 609/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 174/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 609/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Krankenkasse ist weder gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1 u. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 S. 1 SGB V i.V.m. Arzneimittelgesetz noch nach Maßgabe der Grundsätze des Off-Label-Use von Arzneimitteln noch aufgrund § 2 Abs. 1 a SGB V oder eines Seltenheitsfalls zur Gewährung des Arzneimittels CellCept bei Vorliegen einer Non-specific interstitial pneumonia (NSIP) bei rheumatoider Arthritis, Rheumafaktor-negativ, verpflichtet.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 1. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1952 geborene Klägerin und Berufungsklägerin begehrt die Erstattung der Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel CellCept bei einer interstitiellen Lungenerkrankung im Rahmen einer seropositiven chronischen Polyarthritis in Höhe von 9.681,54 EUR.

Die Klägerin beantragte am 21.11.2011 die Kostenübernahme für das Arzneimittel CellCept unter Vorlage der ärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Sozialmedizin und Schlafapnoediagnostik, Dr. med. T. E., vom 14.11.2011 und des Befundberichtes des Klinikums der Universität C-Stadt - Medizinische Klinik und Poliklinik I - Schwerpunkt Pneumologie - vom 07.11.2011.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) ein, der in seinem Gutachten vom 08.12.2011 und im Gutachten nach Aktenlage vom 19.01.2012 zu dem Ergebnis gelangte, bei der Klägerin könne die Behandlung mit dem Arzneimittel CellCept aus sozialmedizinischer Sicht infolge bestehender Therapieoptionen und fehlender Daten mit ausreichender Aussagekraft zu Wirksamkeit und Nutzen des beantragten Therapieansatzes mit CellCept nicht im Rahmen einer vertragsärztlichen Versorgung befürwortet werden.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 31.01.2012 ab. Sie verwies auf die alternativen Therapiemöglichkeiten wie die Medikation mit Kortikoiden und Enbrel. Zusätzlich verblieben als zugelassene Behandlungsoption zum Cortison Cyclophosphamid oder Azathioprin.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK, erstellt nach Aktenlage, vom 21.01.2013 ein, der an seiner bisherigen Beurteilung gemäß Stellungnahme vom 19.01.2012 festhielt. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2013 zurück. Nach Ausführungen zu §§ 27 Abs. 1 und 31 Abs. 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) und zu den gemäß § 92 SGB V erlassenen Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien/AM-RL) sowie zur Rechtsprechung führte die Beklagte zur Begründung aus, dass CellCept zwar ein zugelassenes Medikament sei, es habe jedoch keine Zulassung für den Indikationsbereich interstitielle Lungenerkrankung. Deshalb sei die Behandlung mit CellCept bei interstitieller Lungenerkrankung keine Krankenbehandlung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Eine Leistung sei daher grundsätzlich nicht möglich.

Auf Grund der befürwortenden Ausführungen der behandelnden Ärzte habe die Beklagte die Unterlagen dem MDK vorgelegt, der die beantragte Medikation nicht befürwortet habe (vgl. Gutachten vom 08.12.2011), da CellCept für die angegebene Indikation nicht zugelassen sei. Zwar liege eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, wenngleich nicht seltene Erkrankung vor. Jedoch stünden im Rahmen der vertraglichen Versorgung neben Glucokortikoiden beispielsweise Cyclophosphamid, Azathioprin oder Methotrexat für die Klägerin zur Verfügung. Ein hinreichender Wirksamkeitsnachweis im Sinne der BSG-Rechtsprechung sei nicht erbracht, sodass dem Anliegen der Klägerin nicht entspR.n werden könne.

Am 19.01.2013 habe der Sachverständige auch die Einwendungen von Seiten des Universitätsklinikums gewürdigt. Als Alternativen zu einer demnach nicht mehr empfehlenswerten Methotrexatbehandlung verblieben jedoch weitere Behandlungsoptionen, die neben Cortison zur Anwendung gelangen könnten, insbesondere Cyclophosphamid oder Azathioprin. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens habe der MDK ausgeführt, dass sich aus den Einwendungen keine neuen medizinischen Gesichtspunkte ergäben, die zu einer anderen Entscheidung führen könnten.

Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. Der Prozessbevollmächtigte hat ausgeführt, dass die Klägerin an einer schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Erkrankung leide. Im Rahmen einer rheumatischen Polyarthritis sei bei der Klägerin auch eine interstitielle Lungenerkrankung aufgetreten. Die Behandlung der letztgenannten Erkrankung mit konventionellen und zugelassenen Medikamenten sei zuletzt nicht mehr erfolgreich gewesen, die körperliche Belastbarkeit habe erheblich abgenommen, weitere Behandlungsalternativen würden nicht mehr zur Verfügung stehen. Aufgrund dessen sei nach ausführlicher Untersuchung und Beratung im Jahre 2011 bei schrittweiser Reduktion der bisherigen Medikation ein Behandlungsversuch mit dem Medikament CellCept unternommen worden. Dieses habe sich bei der Klägerin im Gegensatz zu der früheren Medikation als außerordentlich erfolgreich und sinnvoll erwiesen. Die Behandlung werde daher aufgrund des ausdrücklichen Ratschlages des Klinikums der Universität C-Stadt weiter fortgeführt.

Es sei richtig, dass dieses Medikament im sog. Off-Label-Use verordnet worden sei. Es habe sich in der Praxis herausgestellt, dass für dieses Medikament ein zulassungsüberschreitender Bedarf wie hier bei der Klägerin bestehe. Eine Verordnung im Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung habe nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zu erfolgen. Es handele sich um eine schwerwiegende (lebensbedrohliche) oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung; eine andere Therapie sei nicht verfügbar. Auch bestehe aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen sei. Letzteres (Punkt Nr. 3) sei im Regelfall dann erfüllt, wenn eine Zulassung des Medikaments für die spezielle Behandlungsindikation bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht worden seien. Dies sei hier offensichtlich noch nicht der Fall. Allerdings werde Punkt Nr. 3 auch erfüllt, wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in diesem Sinne bestehe. Zwar sei von der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung einberufenen Expertengruppe zur Anwendung von Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches die Kostenübernahme des hier verordneten Medikaments für die vorliegende Indikation noch nicht vorgenommen worden. Das liege aber nicht daran, dass das Medikament keine ausreichenden Therapieerfolge aufweisen würde, sondern u. a. auch daran, dass viele der Expertengruppen erst seit kurzem bestünden und bisher noch nicht alle Medikamente geprüft worden seien, die trotz fehlender Zulassung für bestimmte Krankheiten verordnungsfähig seien. Für Medikamente, wie sie die Klägerin erhalte und für die es bisher noch keine Entscheidung gebe, würden weiterhin die oben erwähnten Grundsätze des BSG zutreffen.

Die von der Beklagten weiterhin empfohlene Medikation mit zugelassenen Arzneimitteln sei nicht ausreichend. Sie habe sich als nicht erfolgreich herausgestellt, die gesundheitliche Situation der Klägerin habe sich so erheblich verschlechtert, dass das Klinikum C-Stadt dadurch veranlasst worden sei, ein anderes Behandlungsregime durchzuführen, welches einen grundlegenden Erfolg erbracht habe.

Schließlich sei die Versorgung mit dem Medikament besonders wirtschaftlich. Die Behandlung mit dem Medikament CellCept koste nur rund 1/10 des Betrages, der mit der früheren Medikation angefallen wäre.

Die Beklagte hat nochmals darauf hingewiesen, dass weiterhin im Rahmen der vertraglichen Versorgung die bereits genannten Therapieoptionen mit Cyclophosphamid oder Azathioprin neben der Cortisongabe zur Verfügung stehen würden. Darüber hinaus fehle es an einem hinreichenden wissenschaftlichen Nachweis über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels CellCept in dem neuen Anwendungsgebiet, wie er im Sinne der BSG-Rechtsprechung gefordert werde.

Das Sozialgericht hat Befundberichte, u.a. auch des Klinikums der Universität C-Stadt, eingeholt.

Die Klägerin hat zum Beweis einer allgemein anerkannten Anwendung des Medikamentes in den USA Aufsätze und Beschreibungen von amerikanischen Krankenhäusern oder Einrichtungen übersandt, aus denen sich ergebe, in welch breitem Umfang in den USA das Medikament zur Behandlung einer Erkrankung, wie sie bei der Klägerin auftritt, angewandt werde. Sie hat mit Schriftsatz vom 23.02.2015 die bis 12.01.2015 angefallenen Arzneimittelkosten mit 6.301,70 EUR angegeben und mit einer Kostenaufstellung belegt.

Die Firma R. (R. AG) als Hersteller des Arzneimittels CellCept hat mit Schreiben vom 20.04.2015 bestätigt, dass es zum Einsatz von CellCept zur Behandlung einer interstitiellen Lungenerkrankung im Rahmen einer seropositiven chronischen Polyarthritis keine Phase III-Studien gebe.

Die Klägerin hat geäußert, es sei - unabhängig von der juristischen Betrachtung des Sachverhaltes - aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen nicht nachvollziehbar, dass eine Krankenkasse die Erstattung von Medikamenten verweigere, die eine erhebliche Kostenersparnis bedeuten. Geschätzt habe die Beklagte 9/10 der Kosten gespart (90.000.- EUR). Es existiere ein Mittel, das der Klägerin Lebensqualität und -verlängerung garantiere, während das gesetzlich erstattete Medikament unwirksam und kontraindiziert sei. Vor Umstellung auf das nicht erstattete Medikament sei der Klägerin von den behandelnden Ärzten eine Lebenserwartung von ein bis drei Jahren prognostiziert worden, nach Einnahme des neuen Medikamentes habe sich sowohl der gesundheitliche Zustand, die Lebensqualität, aber auch die Krankheitsprognose erheblich verbessert. Dass keine Phase-III-Studie existiere, sei bekannt gewesen. Die Klägerin habe das Problem, dass sie an einer äußerst seltenen Krankheit leide. Aus der Bestätigung der Firma R. sei genau die sich daraus ergebende Problematik für Patienten entnehmbar. Eine Arzneimittelfirma habe nicht das geringste Interesse, außerordentlich kostenintensive Studien durchzuführen, bei denen aufgrund der geringen Anwendungszahlen von vorne herein ein wirtschaftlicher Erfolg nicht gegeben sei. Im vorliegenden Fall gebe es die Besonderheit, dass bundesweit lediglich die Universität C-Stadt und die Universität in H-Stadt speziell auf die Behandlung der bei der Klägerin aufgetretenen Krankheit spezialisiert seien, dementsprechend mangels geeigneter Fallzahlen ein allgemein akzeptierter Behandlungsstandard noch gar nicht vorhanden sein könne.

Die Klägerin hat ferner auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) im sog. Nikolaus-Beschluss vom 06.12.2005 bzw. auf § 2 Abs. 1 a SGB V hingewiesen. Es würden beim Fehlen anderer Behandlungsoptionen bereits Indizien auf eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall genügen. Es liege eine singuläre Krankheit vor mit einem Vorkommen unter 5 pro 10.000, daher sei diese nicht systemisch erforscht. Hier reiche sogar eine gewisse Plausibilität, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiege.

Die Klägerin hat einen Arztbrief des Klinikums der Universität C-Stadt - Medizinische Klinik und Poliklinik V - vom 26.05.2015 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 18.05.2015 bis 21.05.2015 übermittelt.

Auf Anregung des Sozialgerichts hat die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK vom 31.07.2015 eingeholt. Danach sei bei der Klägerin nicht von einer seltenen Erkrankung auszugehen. Die interstitielle Lungenbeteiligung oder subklinische Alveolitis kämen bei der rheumatoiden Arthritis bei bis zu 40 % der Patienten vor. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass die Erkrankung nicht lebensbedrohlich sei. Eine rasche Verschlechterung könne zwar im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, allerdings sei dies nicht der Regelfall. Bei der zu erwartenden Krankheitsprogression über Jahre könne nicht von einer regelmäßig tödlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung im Sinne einer notstandsähnlichen Situation ausgegangen werden. Eine Behandlung der Erkrankung sei auch mit anderen vertraglich zugelassenen Alternativen möglich.

Nach Ansicht der Beklagten liegen die im sog. Nikolaus-Beschluss des BVerfG aufgestellten Voraussetzungen offensichtlich nicht vor: Es liege keine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Eine anerkannte Behandlung stehe zur Verfügung, mit der eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe. Somit sei auch keine notstandsähnliche Situation gegeben.

Die Klägerin hat Einwendungen gegen das MDK-Gutachten erhoben, insbesondere zur Frage des Vorliegens eines "sehr seltenen Erkrankung" und zu den Behandlungsalternativen. Rechnerisch trete eine Erkrankung, wie bei der Klägerin vorliegend, nach der Literaturrecherche in 5 bis 15 Fällen von 10.000 Menschen auf, sodass man ohne weiteres hier bereits bei der Definition einer seltenen Krankheit angelangt sei. Hinsichtlich der Behandlungsalternativen sei richtig, dass die anderen vom MDK genannten Medikamente zwar zur Behandlung erwogen werden könnten, nach Ansicht der Behandler im Klinikum G. in C-Stadt jedoch im Fall der Klägerin nicht geeignet seien. Im Hinblick auf den sogenannten Nikolaus-Beschluss sei eine Einzelfallbetrachtung durchzuführen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 01.12.2015 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtlich nicht zu beanstanden; die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel CellCept bzw. auf Kostenübernahme hierfür. Materiell-rechtlich scheitere der Anspruch daran, dass bei der Klägerin das Arzneimittel CellCept unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig ist. Zur Begründung hat das Sozialgericht auf die Rechtsausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 23.05.2013 verwiesen. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass CellCept für die angegebene Indikation nicht zugelassen sei und eine ausnahmsweise Anwendung des Arzneimittels zu Lasten der Beklagten nicht in Betracht komme. Die ausnahmsweise Anwendung von CellCept scheitere, sowohl nach der Rechtsprechung des BSG zum Off-Label-Use und zum Seltenheitsfall als auch nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Nikolaus-Beschluss bzw. nach § 2 Abs. 1 a SGB V am Vorliegen zugelassener Therapieoptionen.

Zwar sei der Hinweis der Klägerin unter Bezugnahme auf den Befundbericht des Klinikums der Universität C-Stadt - Medizinische Klinik und Poliklinik I - Schwerpunkt Pneumologie - und das vorgelegte Schreiben von Herrn Dr. C., dass Methotrexat im vorliegenden Fall keine gute Behandlungsoption sei, zutreffend, nachdem hier bereits eine Methotrexatbehandlung vorausgegangen sei und ein Zusammenhang der Entwicklung der Lungenfibrose mit dieser Therapie nicht völlig ausgeschlossen werden könne. Dennoch verblieben weitere zugelassene Behandlungsoptionen zusätzlich zum Cortison wie etwa Cyclophosphamid oder Azathioprin. Die Kammer hat sich insoweit den gutachterlichen Äußerungen des MDK angeschlossen. Diese zugelassenen Behandlungsoptionen Cyclophosphamid und Azathioprin seien ausweislich der im Rahmen der gerichtlichen Ermittlungen beigezogenen bzw. von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen bisher nicht zur Anwendung gelangt.

Die Klägerin hat gegen den am 07.12.2015 zugestellten Gerichtsbescheid am 29.12.2015 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Bei der Klägerin liege ein klassischer Fall einer Verordnung im Off-Label-Use vor, die von der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sei. Es bestehe eine schwerwiegende und lebensbedrohliche bzw. die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung, eine andere Therapie sei nicht verfügbar und mit dem betreffenden Präparat sei nachweisbar ein sehr guter Behandlungserfolg zu erzielen. Der Leiter des Schwerpunktes Pneumologie des Klinikums der Universität C-Stadt, Dr. C., könne wie kein anderer behandelnder Arzt über die Krankheitsentwicklung, den Behandlungsverlauf und die notwendige Medikamentation der Klägerin Auskunft geben.

Der Senat hat einen Befundbericht des Dr. C. angefordert, der mit Schreiben vom 27.04.2017 umfangreiche Arztbriefe übersandt hat. Die Klägerin sieht sich durch die Arztbriefe bestätigt. Mit Datum 12.01.2018 hat Dr. C. einen Befundbericht mit erneuten Arztbriefen übersandt.

Für die Klägerin ist mit Schriftsatz vom 18.02.2018 mitgeteilt worden, dass diese an keiner Studie mit dem Medikament CellCept teilnehme oder teilgenommen habe. Lediglich die Teilnahme an einer Studie mit dem Medikament Pirfenidon bei Lungenfibrose sei vom 07.07.2016 an erfolgt. Im Rahmen dieser Studie sei es gelungen, das Medikament CellCept auf eine tägliche Dosis von 1.000 mg am Tag zu verringern. Es ist beantragt worden, die Beklagte zur Zahlung von 9.681,54 EUR nebst Zinsen zu verurteilen. Eine Aufstellung zum Bezug des Medikaments in der Zeit vom 15.12.2011 bis 14.12.2017 mit den Verordnungen war beigefügt.

Die Beklagte hat den Befundbericht des Dr. C. mit den Unterlagen dem MDK vorgelegt. Der MDK hat in seinem Kurzgutachten vom 29.05.2018 festgestellt, dass der Krankheitsverlauf nahezu lückenlos dargestellt sei. Es ergäben sich keine neuen wesentlichen Gesichtspunkte. Der Krankheitsverlauf stelle sich nicht wesentlich anders dar als dies bei der Mehrzahl der Patienten zu erwarten gewesen wäre; es sei eine langsame allmähliche Progression über viele Jahre zu beobachten. Vor diesem Hintergrund könne von einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht ausgegangen werden. Ebenfalls könne aus dem bisherigen Krankheitsverlauf sowie unter Berücksichtigung der vorhandenen Studienlage kein Argument für den Einsatz des Medikaments CellCept im Rahmen eines Off-Label-Use abgeleitet werden.

Auch hiergegen hat die Klägerin Einwendungen erhoben. Tatsächlich habe sich der Zustand der Klägerin durch die Behandlung mit dem neuen Medikament stabilisiert. Die Einholung eines medizinischen Gutachtens ist angeregt worden.

Der Senat hat von Amts wegen ein internistisch-pneumologisches Gutachten des Prof. Dr. D./Dr. W. (, Zentrum für Pneumologie) vom 18.03.2019 eingeholt. Bei der Klägerin lägen an Gesundheitsstörungen vor:
* Non-specific interstitial pneumonia (NSIP) bei rheumatoider Arthritis, Rheumafaktor negativ;
* Zustand nach Bursitis subdeltoidea mit Impingementsymptomatik rechts;
* rezidivierende Tendinitis des Musculus biceps brachii, rechts mehr als links;
* rezidivierende Ulnocarpalgelenksarthritis beidseits bei RA;
* Pseudomelanosis coli, Zustand nach mehrfacher Polypektomie im Colon 07/13;
* Bluthochdruck;
* Ulcus ventriculi 2006;
* Hyperthyreose bei Struma nodosa, follikulärer Thyreoiditis, Zustand nach subtotaler Strumektomie 30.11.2005.

Es habe sich eine zunehmende Gasaustauschstörung gezeigt bei relativ stabilen Lungenfunktionsdaten. Ein wesentlicher Progress der Fibrose sei nicht radiologisch gesichert. Im zeitlichen Verlauf sei jedoch die Medikation zur Stabilisierung der Lungenfunktionsparameter intensiviert worden, teils mittels CellCept, dann Rituximab, dann mittels einer Kombination mit Quensyl und zuletzt Pirfenidon. Die Lebensqualität sei sicher beeinträchtigt, teils aber bedingt durch die Folgen der rheumatoiden Arthritis articulär. Derzeit liegt keine Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung vor. Die Behandlung mit CellCept könne als Primärtherapie im Rahmen der NSIP eingesetzt werden: Es hätten jedoch andere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung gestanden, wie von Seiten des MDK diskutiert. Phase-III-Studien zum Einsatz von CellCept bei NSIP und rheumatoider Arthritis (RA) lägen nicht vor. Allerdings handele es sich um kein Krankheitsbild, welches in gleicher Häufigkeit vorkomme wie z.B. Diabetes, Herzinsuffizienz etc. Die derzeitigen Forschungsergebnisse ließen nicht erwarten, dass CellCept für die betreffende Indikation einer interstitiellen Lungenerkrankung bei RA-ILD in Kürze zugelassen werde. Allerdings zeigten Subgruppenanalysen einen Benefit bezüglich CellCept bei kleinen Studienpopulationen. Fallserien und Kohortenstudien machten durchaus den Einsatz von CellCept als Alternative zu Cyclophosphamid belegbar.

Zu den klägerischen Einwendungen hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. D. vom 27.03.2020 eingeholt. Es bestehe bei ihm ausreichende Erfahrung mit dem Umgang von CellCept. Er hat auf die in seinem Gutachten dargestellten Studien und Forschungsergebnisse verwiesen. Insgesamt handele es sich unzweifelhaft um ein Krankheitsbild, das die Lebensqualität einschränke und mit einer hohen Mortalität einhergehe; der klinische Verlauf könne sich zu jedem Zeitpunkt ändern. Bei der Klägerin habe ein relativ stabiler Verlauf erzielt werden können. Es handele sich grundsätzlich um eine lebensbedrohliche Erkrankung; zum Zeitpunkt der Erstdiagnose habe der Verlauf in keinster Weise vorhergesagt werden können. In den aktuell angeführten Literaturstellen von 2019 werde anhand der in den letzten Jahren vorgelegten Forschungsergebnisse, die teils bereits im Gutachten erwähnt worden seien, zumindest eine Gleichwertigkeit von Cyclophosphamid oder Azathioprin festgestellt. Es werde in außereuropäischen Ländern durchaus eine Gleichwertigkeit bei der Behandlung gesehen. Leider hätten die derzeitigen Forschungsergebnisse hierzulande noch nicht Eingang in die Leitlinien gefunden. Auch zum Zeitpunkt des ersten Einsatzes von CellCept seien positive Effekte bereits bekannt gewesen. Der Benefit und die Gleichwertigkeit hätten sich in den letzten Jahren verdichtet, so dass zum heutigen Zeitpunkt zumindest eine Gleichwertigkeit anhand der Studienergebnisse vorliege. Diese Gleichwertigkeit sei jedoch zum Zeitpunkt des Ersteinsatzes noch nicht in vergleichbarer Form durch internationale Studienergebnisse abgesichert gewesen. CellCept sei derzeit aber weiterhin kein zugelassenes Medikament für die interstitielle Lungenerkrankung bei RA-ILD. Nach Datenlage sei durch die Behandlung mit CellCept eine Stabilisierung des Krankheitsverlaufs zu erzielen gewesen. Nicht zu attestieren sei jedoch, dass keine Alternativbehandlung aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes vorgelegen habe. Die Alternativen, die vorgelegen hätten, seien nicht geprüft worden. Begründet werden könnte die Gabe von CellCept noch mit der relativ guten Verträglichkeit. Sicherlich beruhten die von Seiten des MDK angeführten Therapieprinzipien auf der Grundlage größerer Studiendaten. Es könne aber eine zwanghafte Forderung nach dem Einsatz dieser Medikamente hieraus nicht begründet werden, insbesondere aufgrund der beschränkten Datenlage bei dem vorliegenden Krankheitsbild.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zuletzt mit Schriftsatz vom 10.04.2020 gerügt, dass das Gutachten nicht in ausreichendem Maße von dem Gutachter selbst erstellt worden sei. Selbst wenn das Gutachten mit dem tatsächlich anfertigenden Dr. W. zumindest in Grundzügen besprochen worden sei, stehe fest, dass der unverzichtbare Kern selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nach den eigenen Aussagen von Prof. Dr. D. nicht wahrgenommen worden sei. Das Gutachten sei deshalb nicht verwertbar. Immerhin bestätige aber der Gutachter die Wirksamkeit von CellCept bei der Erkrankung der Klägerin. Die Gabe von CellCept könne "noch mit der relativ guten Verträglichkeit" begründet werden. Bestritten werde, dass Alternativen, die es zur Behandlung mit CellCept gegeben hätte, nicht geprüft worden seien. Diesbezüglich und auch zur Notwendigkeit und Alternativlosigkeit der Gabe von CellCept sei der behandelnde Arzt als Zeuge benannt worden.

Die Beklagte hat die Abgabe eines Vergleichsangebots mit Schriftsatz vom 26.06.2020 abgelehnt. Im Kern bestätige Prof. Dr. D. seine Ausführungen aus dem Gutachten vom 18.03.2019. Nach dem Gutachten werde gemäß den angeführten Literaturstellen aus dem Jahre 2019 außereuropäisch eine Gleichwertigkeit der Behandlung gesehen. Der strittige Antrag datiere jedoch bereits aus 2011. Zu diesem Zeitpunkt seien zwar erste Hinweise auf einen möglichen Benefit und eine Gleichwertigkeit bereits vorhanden gewesen, jedoch durch entsprechende Studienergebnisse in keiner Weise abgesichert. Auch halte der Sachverständige daran fest, dass darüber hinaus alternative Behandlungsmöglichkeiten bestanden hätten. Über alternative vertragliche Behandlungsalternativen sei die Klägerin auch informiert gewesen. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 24.09.2018 einen Antrag vom Juli 2018 für eine Therapie mit dem Medikament Pirfenidon zur Behandlung der ILD bewilligt, da nach gutachterlicher Stellungnahme die Behandlung mit Esbriet (Pirfenidon) gemäß den Fachinformationen bei der hier maßgeblichen Erkrankung umfasst sei. Das Medikament hätte darüber hinaus auch in der Vergangenheit zu Lasten der Beklagten verordnet werden können. Die Behandlung sei seitdem offenbar ebenfalls mit guter Verträglichkeit erfolgt. Die zwingende Voraussetzung des Nichtbestehens einer vertraglichen Alternativbehandlung habe daher nicht vorgelegen. Im vorliegenden Fall reiche es gerade nicht aus, sich ausschließlich auf die Erfahrungen des behandelnden Arztes zu berufen. Ergänzend hat die Beklagte auf die ständige Rechtsprechung des BSG (u.a. B 1 KR 37/00 R v. 19.03.2002; B 1 KR 10/16 R v. 13.12.2016) hingewiesen.

Für die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2020 vorgetragen worden, dass sie derzeit zum einen Pirfenidon und zum anderen weiterhin das Medikament CellCept einnehme. Vom 07.07.2016 bis Juli 2018 habe sie an einer Studie zu Pirfenidon teilgenommen; die Kosten hierfür seien von der Klinik getragen worden. Daneben habe sie weiterhin CellCept in verringerter Menge eingenommen, wofür sie selbst aufgekommen sei. Auf die Niederschrift der Sitzung wird im Übrigen verwiesen.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 1. Dezember 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2013 zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung der Klägerin mit dem Arzneimittel CellCept (Wirkstoff Mycophenolatmofetil) in der Zeit vom 15.12.2011 bis 14.12.2017 in Höhe von 9.681,54 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG), jedoch unbegründet.

Da das Arzneimittel CellCept bereits beschafft wurde bzw. die Erstattung von Kosten für einen vergangenen Zeitraum begehrt werden, ist über einen Kostenerstattungsantrag zu entscheiden, nicht über eine Kostenübernahme. Zulässige Klageart ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG. Dabei wird ausdrücklich nur die Erstattung der Kosten für die Zeit vom 15.12.2011 bis 14.12.2017 - in der Höhe 9.681,54 EUR - begehrt.

Ein Fall einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a SGB V liegt hier nicht vor, da der Antrag vom 21.11.2011 datierte und die Regelung des § 13 Abs. 3 a SGB V erst durch Gesetz vom 20.02.2013 (BGBl I S. 277) eingeführt wurde.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch kommt hier somit nur § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe).

§ 13 Abs. 3 S.1 Fall 2 SGB V bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Kostenerstattung abgelehnt. Die Beklagte hat den Antrag nämlich nicht zu Unrecht abgelehnt. Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.

Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:

Im Fall der Klägerin wurde CellCept (Wirkstoff: Mycophenolat-Mofetil) bei Vorliegen einer Non specific interstitial pneumonia (NSIP) bei rheumatoider Arthritis, Rheumafaktor negativ, eingesetzt. Die Behandlung wurde von der pneumologischen Ambulanz des Klinikums C-Stadt in G. Ende 2011 eingeleitet. Für die Zeit davor wurde seit 2004 insbesondere Etanercept eingesetzt; es handelte sich hierbei um ein für die rheumatoide Arthritis zugelassenes Medikament (neben der angewandten MTX-Gabe und Steroidgabe). Gemäß der Leitlinie wird - nach Darlegung des Sachverständigen Prof. Dr. D. - CellCept im Rahmen der Behandlung bei rheumatoider Arthritis nicht eingesetzt. Mycophenolat-Mofetil ist ein Immunsuppressivum, das aufgrund seiner zusätzlichen Wirkung auf nicht-immunologische Zellen wie Fibroblasten, Endothelzellen und glatte Muskelzellen als potenziell nützlich eingestuft wird (Gutachten Prof. Dr. D., S. 54, der insoweit auf verschiedene Studien verweist). Der Sachverständige weist jedoch auch darauf hin, dass die Daten vorläufig sind; es gibt keine kontrollierten Studien zum direkten Vergleich z.B. von Cyclophosphamid und Mycophenolat. Es gibt demnach keine klinischen Studien, die spezifische Behandlungen für RA-ILD empfehlen könnten, aber Rituximab und Mycophenolat werden neben Cyclophosphamid als vielversprechend angesehen. Die Datenlage ist nicht mit denen zu Cyclophosphamid vergleichbar, der Verlauf der NSIP nach Anwendung von CellCept ist jedoch regelmäßig positiv und stabilisierend - so auch im Fall der Klägerin.

Insgesamt kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass in der Literatur durchaus Fallberichte und Subgruppenanalysen zum Einsatz von CellCept bei Fibrosen in Kombination mit rheumatoider Arthritis existieren, so dass die Entscheidung aus der pneumologischen Ambulanz der LMU C-Stadt verständlich und nachvollziehbar war. Aber auch die Entscheidungsgründe zur Ablehnung der Kostenübernahme durch den MDK sind nach Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. D. durchaus berechtigt.

Vor diesem Hintergrund war die Beklagte weder gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1 u. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 S. 1 SGB V in Verbindung mit dem Arzneimittelgesetz (hierzu Nr. 1) noch nach Maßgabe der Grundsätze des Off-Label-Use von Arzneimitteln (hierzu Nr. 2) noch aufgrund § 2 Abs. 1 a SGB V (hierzu Nr. 3) oder eines Seltenheitsfalls (hierzu Nr. 4) zur Gewährung des Arzneimittels CellCept bei Vorliegen einer NSIP bei rheumatoider Arthritis, Rheumafaktor-negativ, verpflichtet.

1. §§ 27, 31 Abs. 1 S. 1 SGB V

Mangels indikationsbezogener Zulassung besteht kein Anspruch der Klägerin im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Fall 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V.

Gem. 31 Abs.1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 3 SGB V, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der (krankenversicherungsrechtliche) Arzneimittelbegriff in §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 SGB V knüpft an den (verwaltungsrechtlichen) Arzneimittelbegriff des Arzneimittelgesetzes (AMG) an. Dieser ist in der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG festgelegt. Arzneimittel im Sinne des AMG sind die Fertigarzneimittel (§ 4 Abs. 1 AMG), also Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden. (Fertig-)Arzneimittel bedürfen gemäß § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich der arzneimittelrechtlichen Zulassung; sie stellen Arzneimittel auch im Sinne des Krankenversicherungsrechts dar. Da das Krankenversicherungsrecht hinsichtlich der Arzneimittelversorgung der Versicherten - anders als bei ärztlichen Behandlungsmethoden (§ 135 Abs. 1 SGB V) - weitgehend auf eigenständige Vorschriften zur Qualitätssicherung verzichtet (vgl. BSG, Urt. v. 01.03.2011, B 1 KR 7/10 R; Urt. v. 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R), ist - sofern die arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt und damit Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nach § 1 AMG im dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren nachgewiesen worden sind - von der gesetzlich geforderten Arzneimittelsicherheit bzw. von der Qualität und Wirksamkeit (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) und regelmäßig auch von der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 Abs. 1 SGB V) des Arzneimittels auszugehen. Ist die arzneimittelrechtliche Zulassung hingegen nicht erteilt, ist das Arzneimittel vom Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich nicht umfasst (BSG, Urt. v. 08.11.2011, B 1 KR 19/10 R). Zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels müssen nämlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne vorliegen, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Da der Wirksamkeitsnachweis im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahrens zu erbringen ist, ist aus einer nicht bestehenden Zulassung (auch) auf eine nicht vorhandene Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu schließen (vgl. BSG, Urt. v. 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R; Urt. v. 18.05.2004, B 1 KR 21/02 R; Urt. v. 27.09.2005, B 1 KR 6/04 R). Außerdem wäre das nicht zugelassene Arzneimittel nur unter Verletzung des Arzneimittelrechts und damit durch rechtswidriges Handeln zu beschaffen (vgl. BSG, Urt. v. 23.05.2000, B 1 KR 2/99 R); hierauf kann sich der Leistungsanspruch des Versicherten nicht erstrecken. Die arzneimittelrechtliche Zulassung erfolgt anwendungsbezogen (vgl. etwa §§ 22 Abs. 1 Nr. 6, 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG. Zum Ganzen: LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.03.2015, L 5 KR 3861/12 - juris Rn. 42).

CellCept mit dem Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil war und ist arzneimittelrechtlich (in Kombination mit anderen Arzneimitteln) ausschließlich zur Prophylaxe von akuten Transplantat-Abstoßungsreaktionen bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder Lebertransplantation zugelassen, nicht jedoch für die Anwendung bei einer Non specific interstitial pneumonia bei rheumatoider Arthritis. Es besteht damit ein arzneimittelrechtliches Verkehrsverbot gemäß dem AMG; ein Leistungsanspruch aus § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V besteht damit nicht.

2. Off-Label-Use im arzneimittelrechtlichen Bereich

Es besteht aber auch kein Anspruch der Klägerin aufgrund des nach Richterrecht entwickelten Grundsatzes des Off-Label-Use. Unter "Off-Label-Use" versteht man "die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb der von den nationalen und europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen)" (Anlage VI: Off-Label-Use der Arzneimittel-Richtlinie).

§ 35 c SGB V regelt die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Arzneimittel-Richtlinien (§ 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6 SGB V) durch den Abschnitt K (Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten) um den § 30 bzw. den Abschnitt L (Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien gem. § 35 c SGB V) um die §§ 31-39 ergänzt. Gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der Arzneimittel-Richtlinien setzt die Verordnung zugelassener Arzneimittel in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten voraus, dass die Expertengruppen nach § 35 b Abs. 3 S. 1 SGB V - mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers - eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben, die der G-BA in die Arzneimittel-Richtlinien übernommen hat (siehe demgemäß die Positivliste in Anlage VI Teil A der Arzneimittel-Richtlinien i.d.F. vom 18.12.2008/22.01.2009, Bundesanzeiger Nr. 49 a (Beilage) vom 31.03.2009, zuletzt geändert am 20.03.2020, BAnz AT vom 12.05.2020 B 1 - "Arzneimittel, die unter Beachtung der dazu gegebenen Hinweise in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (Off-Label-Use) verordnungsfähig sind"). Arzneimittel zur Anwendung in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten, die nach Bewertung der Expertengruppen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen oder die medizinisch nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, werden ebenfalls indikationsbezogen aufgeführt (siehe demgemäß die Negativliste in Anlage VI Teil B der Arzneimittel-Richtlinien - "Wirkstoffe, die in zulassungsüberschreitenden Anwendungen (Off-Label-Use) nicht verordnungsfähig sind") (§ 30 Abs. 5 der Arzneimittel-Richtlinien).

CellCept mit dem Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil findet sich nicht in der Positivliste in Anlage VI Teil A der Arzneimittel-Richtlinie (siehe nur Beschluss des G-BA vom 20.07.2017 zu Mycophenolat Mofetil bei Myasthenia gravis) und ist nicht gemäß Anlage VI Teil B ausgeschlossen.

§ 35 c Abs. 2 SGB V greift nicht, da die verauslagten Kosten für CellCept nicht im Rahmen einer klinischen Studie beansprucht werden. Die klinische Studie vom 07.07.2016 bis Juli 2018, an der die Klägerin nach eigenen Angaben teilgenommen hat, betraf dabei die Verabreichung von Pirfenidon; CellCept stand nicht im Fokus dieser Studie. Die Einnahme von Pirfenidon führte lediglich zu einer reduzierten Einnahme von CellCept. Insoweit ist im Übrigen auch auf den Antrag der Klägerin vom Juli 2018 und den positiven Bescheid der Beklagten vom 24.09.2018 zu verweisen, mit dem die Beklagte die Therapie mit dem Medikament Pirfenidon zur Behandlung der ILD bewilligt hat.

Die Verordnung eines Arzneimittels in einem anderen, von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (BVerfG, Beschl. v. 30.06.2008, 1 BvR 1665/07; BSG, Urt. v. 03.07.2012, B 1 KR 25/11 R; BSG, Urt. v. 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R - juris mit weiteren Nachweisen) in Betracht, wenn
1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
2. keine andere Therapie verfügbar ist und
3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

Vorliegend fehlt es bereits an der zweiten Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht. Der Sachverständige Prof. Dr. D. hat ausgeführt, dass Standardmedikamente wie Azathioprin oder Cyclophosphamid im Vorfeld nicht getestet wurden und somit ein Effekt der durchaus gängigen Medikamente zur Behandlung der NSIP nicht beurteilt werden kann. Er hat ausdrücklich die Darlegungen des MDK bestätigt, dass andere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung standen. Der MDK hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 19.01.2012 dargelegt, dass die damals aktuell laufende Medikation mit Kortikoiden und Enbrel eine zugelassene Therapieoption darstellten. Auch wenn die Behandlung mit dem Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil durch Dr. C. gut nachvollzogen werden kann, standen als zugelassene Behandlungsoptionen zusätzlich zum Cortison etwa Cyclophosphamid oder Azathioprin zu Verfügung. Nochmals bekräftigt in seiner ergänzenden Stellungnahme hat der Sachverständige dargelegt, dass von einer Gleichwertigkeit von Cyclophosphamid oder Azathioprin auszugehen ist.

Der Sachverständige ist in der ergänzenden Stellungnahme vom Dezember 2019 bei seiner Darlegung geblieben, dass eine Alternativbehandlung auch bei der Schwere des Krankheitsbildes vorlag. Diese Alternativen wurden nicht geprüft. Der Gutachter hat daher ausdrücklich nicht die Alternativlosigkeit des Einsatzes von CellCept attestiert. Die von Seiten des MDK angeführten Therapieprinzipien beruhten auf der Grundlage größerer Studiendaten. Dabei ist nicht von Bedeutung, dass es der Sachverständige im Ergebnis bedauert, dass die Krankenkasse bzw. die Beklagte häufig den Einsatz des Medikaments CellCept bei Beantragung von Off-Label-Use ablehnen. Dabei bezieht er sich aber auf die aktuelle Datenlage, die offensichtlich nicht mit der von 2011 und den Folgejahren vergleichbar ist - hierauf ist jedoch nach der dargestellten Rechtsprechung des BSG abzustellen.

Als Alternativbehandlung wäre offensichtlich auch zumindest seit 2012 (Beschluss des G-BA vom 15.03.2012) die Behandlung mit Pirfenidon (Handelsname: Esbriet) in Frage gekommen, wie dies von der Beklagten mit Bescheid vom 24.09.2018 später auf Antrag bewilligt wurde. Die Therapie hat die Klägerin gut vertragen und hat zumindest zu einer Reduzierung der Einnahmemenge von CellCept geführt.

Der Senat sieht insoweit die gutachterlichen Darlegungen des Prof. Dr. D. als überzeugend und eindeutig an. Sie bestätigen weitgehend auch die Einschätzungen des MDK in den verschiedenen Stellungnahmen.

Im Übrigen ist auch die dritte Voraussetzung für einen Off-Label-Use nicht gegeben, da eine ausreichende Datenlage im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung und auch aktuell nicht vorliegt. Es gibt für den hier maßgeblichen Einsatzbereich von CellCept keine großen randomisierten, kontrollierten Studien und keine hohen Fallzahlen in den einzelnen Studien.

Für die Erfüllung der unter 3. genannten Voraussetzung müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urt. v. 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R - juris Rn. 15; BSG, Urt. v. 03.07.2012, B 1 KR 25/11 R; Urt. v. 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R; Urt. v. 26.09.2006, B 1 KR 1/06 R und B 1 KR 14/06 R; Urt. v. 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R). In beiden Fällen (innerhalb und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens) ist das Schutzniveau aber gleich; Maßstab sind jeweils die qualitativen Anforderungen an Phase-III-Studien (insoweit klarstellend: BSG, Urt. v. 08.11.2011, B 1 KR 19/10 R). Leitlinien und Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften genügen für sich allein grundsätzlich nicht (BSG, a. a. O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 47).

Abzustellen ist auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSGE 95, 132; BSG, Urt. v. 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R - juris Rn. 15 m.w.N.). Wie auch durch das Gutachten des Prof. Dr. D. und von der Firma R. bestätigt, liegen Phase-III-Studien zum Einsatz von CellCept bei NSIP und rheumatoider Arthritis nicht vor. Es bestehen in der Literatur lediglich Fallberichte und Subgruppenanalysen zum Einsatz von CellCept bei Fibrosen in Kombination mit rheumatoider Arthritis. Die derzeitigen Forschungsergebnisse lassen nach dem Gutachten auch nicht erwarten, dass CellCept für die betreffende Indikation einer interstitiellen Lungenerkrankung bei RA-ILD in Kürze zugelassen wird.

3. § 2 Abs. 1 a SGB V

Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts bzw. aus § 2 Abs. 1 a SGB V (in Kraft seit 01.01.2012; hierzu BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005, BVerfGE 115, 25), mit dem der Gesetzgeber im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt hat.

Nach dem Beschluss des BVerfG geben die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung
* in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung,
* wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und
* die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG, a.a.O.).

§ 2 Abs. 1 a SGB V erweiterte dies, wie dargelegt, auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen.

Diese Grundsätze sind auf die Arzneimittelversorgung übertragen worden. Sie können ggf. einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln begründen, die arzneimittelrechtlich noch gar nicht oder nicht für den in Rede stehenden Anwendungsbereich zugelassen sind. Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Versorgung mit Arzneimitteln - aber dargelegt, dass an das Krankheits-Kriterium (im Sinne der vorstehend unter 1. genannten Voraussetzung) strengere Anforderungen zu stellen sind als an das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use (vgl. BSG, Urt. v. 08.11.2011, a.a.O.; auch BSG, Urt. v. 13.10.2010, B 6 KA 48/09 R). Hinsichtlich des Erfolgsaussichten-Kriteriums (im Sinne der vorstehend unter 3. genannten Voraussetzung)

a) darf kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegen,
b) muss der voraussichtliche Nutzen unter Berücksichtigung des gebotenen - in Abhängigkeit von Krankheitsschwere und Krankheitsstadium abgestuften - Wahrscheinlichkeitsmaßstabs bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken überwiegen und
c) ist die Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchzuführen und ausreichend zu dokumentieren (BSG, Urt. v. 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R).
d) Schließlich ist die Einwilligung des Versicherten nach der erforderlichen Aufklärung notwendig (BSG, a. a. O.)

Das LSG Baden-Württemberg (a.a.O., juris Rn. 52 ff) kam hierbei zu einem Anspruch auf Kostenerstattung für eine CellCept-Behandlung bei einem okulären Pemphigoid, einer Autoimmunerkrankung aus dem Formenkreis der blasenbildenden Dermatosen.

Bei der Klägerin liegt eine NSIP und rheumatoide Arthritis vor. Erstsymptome der rheumatoiden Arthritis traten 1990 auf, eine Erstdiagnose erfolgte 1999. Seit 2011 zeigte sich eine zunehmende Gasaustauschstörung, jedoch bei relativ stabilen Lungenfunktionsdaten. Es erfolgte die Einleitung einer Sauerstofflangzeitbehandlung. Ein wesentlicher Progress der Fibrose ist radiologisch nicht gesichert. Die Medikation wurde zur Stabilisierung der Lungenfunktionsparameter intensiviert, teils durch CellCept, dann mit Rituximab, dann durch eine Kombination mit Quensyl und zuletzt mit Pirfenidon. Der Sachverständige Prof. Dr. D. ist wie der MDK zu dem Ergebnis gelangt, dass zwar die Lebensqualität beeinträchtigt war, aber bei der Klägerin keine Lebensbedrohlichkeit anzunehmen war. Allerdings hat der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme bestätigt, dass es sich um ein Krankheitsbild handelt, das mit einer hohen Mortalität einhergeht und bei dem sich der klinische Verlauf zu jedem Zeitpunkt ändern kann. Auch wenn der Krankheitsverlauf bei der Klägerin stabil war, handelt es sich grundsätzlich um eine lebensbedrohliche Erkrankung. Gerade zum Zeitpunkt der Erstdiagnose konnte der Verlauf nicht vorhergesagt werden.

Allerdings gilt diese Aussage nur allgemein. Im konkreten Fall der Klägerin lag 2011 und seitdem keine notstandsähnliche Situation vor (BSGE 115, 95 - juris Rn. 27, 29). Dies würde voraussetzen, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Im konkreten Fall der Klägerin war der Krankheitsverlauf 2011 offensichtlich stabil und nicht lebensbedrohlich. Da dies im streitigen Zeitraum nicht der Fall war, ist nicht von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder einer wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung auszugehen.

Im Übrigen gilt auch hier, dass eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung stand, wie unter 2. ausgeführt. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

4. Seltenheitsfall

Auch ein sog. Seltenheitsfall liegt nicht vor. Zwar ist bei der Erkrankung der Klägerin von einer mit niedriger Häufigkeit auszugehen im Vergleich zu "Volkskrankheiten" wie Fettstoffwechselstörungen, Diabetes oder Bluthochdruck. Es gibt daher bislang keine großen randomisierten, kontrollierten Studien; in den vorliegenden einzelnen Studien sind die Fallzahlen wie dargelegt gering.

Die Rechtsprechung nimmt Ausnahmen vom Qualitätsgebot an bei Seltenheitsfällen, die sich einer systematischen Erforschung entziehen (vgl. etwa BSGE 93, 236; BSGE 100, 104; BSGE 111, 168; BSGE 115, 95; BSG v. 11.05.2017, B 3 KR 17/16 R - juris Rn. 53, 55; BSG v. 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R - juris Rn. 17) mit Auswirkungen sowohl für den Leistungsanspruch der Versicherten als auch für die Rechte und Pflichten der Leistungserbringer als auch der Krankenkassen. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 100, 104 - juris Rn. 30) müsste es sich um eine Erkrankung handeln, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann und bei der deshalb eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (vgl. dazu auch: BSGE 93, 236 - Visudyne). Das festgestellte Krankheitsbild darf aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (BSGE 109, 218; BSGE 111, 168; BSG, Urt. v. 20.03.2018, a.a.O. - juris Rn. 17). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Diese Voraussetzungen eines Seltenheitsfalls liegen bei einer NSIP bei rheumatoider Arthritis Rheumafaktor negativ nicht vor. Es gab und gibt zunehmend Studien hierzu, wenn auch mit geringer Fallzahl. Es gibt randomisierte kontrollierte Studien bei der Sklerodermie mit Lungenfibrose und der Wirkung von dem Immunsuppressivum Cyclophosphamid, bei denen sich bei der Sklerodermie mit Lungenfibrose eine Verbesserung gezeigt hatte. In einer Studie mit 125 Fällen mit Fibrosen bei unterschiedlichen Erkrankungen aus dem rheumatologischen Formenkreis einschließlich RA-ILD wurde der Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil eingesetzt und getestet; es zeigte sich eine Verbesserung der Vitalkapazität und eine Einsparung der Steroiddosis. Es gibt ferner einige Studien mit gemischten Kohorten unter Einbezug von Patienten mit RA-ILD (z.B. Saketkoo und Espinoza, 2008; 2009). Krankheitsursache, Symptome und Wirkstoff werden somit durchaus wissenschaftlich erforscht.

5. Neue Behandlungsmethode

Ein Anspruch besteht schließlich auch nicht aufgrund Vorliegens einer neuen Behandlungsmethode gemäß § 135 Abs. 1 SGB V. Vielmehr geht es vorliegend um den zulassungsfremden Einsatz eines Arzneimittels. Die Zulässigkeit einer Behandlungsmethode nach dem SGB V kann keinen Anspruch auf ein Fertigarzneimittel begründen, sondern nur zusätzliche Hürden für den Einsatz beseitigen (BSG, Urt. v. 20.03.2018, a.a.O. - juris Rn. 18).

Somit ist nach insoweit eindeutiger Gutachtenslage ein Anspruch auf eine Behandlung mit dem Arzneimittel CellCept im Falle der Klägerin nicht gegeben gewesen, so dass die Beklagte eine Kostenerstattung zu Recht abgelehnt hat. Allein eine gute Verträglichkeit des Medikaments führt nicht zum Leistungsanspruch.

Das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. D. ist dabei auch verwertbar. Es ist äußerst umfassend, fachlich fundiert mit Überblick über die vorliegende Datenlage und insgesamt für den Senat überzeugend. Ein Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit wurde nicht gestellt. Klägerische Einwendungen zur fachlichen Kompetenz des Sachverständigen greifen nicht. Insoweit belegt der berufliche Werdegang, den dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom Dezember 2019 darlegt, gerade eine besondere fachliche Kompetenz auch in speziellen Bereichen der Lungen- und Bronchialheilkunde. Zur Zeit der Begutachtung war der Gutachter Medizinischer Direktor im Klinikum D-Stadt, Zentrum für Pneumologie. Das erstellte Gutachten ist fachlich äußerst fundiert, befasst sich eingehend mit der Fachliteratur und vorliegenden Studien und ist für den Senat vor diesem Hintergrund überzeugend. Gerade auch hinsichtlich der Diagnosen und den Therapieoptionen deckt es sich im Ergebnis mit den Gutachten des MDK, ohne diese unkritisch zu übernehmen. Vielmehr differenziert der Sachverständige z.B. hinsichtlich einer Behandlung mit Cyclophosphamid.

Das Gutachten entspricht auch dem Gutachtensauftrag, auch wenn an der Abfassung der Arzt Dr. W. mit beteiligt war. Der Sachverständige hat mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er aufgrund eigener Prüfung und Urteilsbildung mit dem Gutachten einverstanden ist (BSG, SozR 1500 § 128 Nr. 24). Er hat damit die volle Verantwortung für das Gutachten übernommen. Dabei war die Klägerin dem Sachverständigen bereits durch eine ambulante Untersuchung und von einem stationären Aufenthalt im Jahre 2009 bekannt. Es war, wie in der ergänzenden Stellungnahme dargelegt, im Vorfeld eine Besprechung mit Dr. W. zum Akteninhalt und zum weiteren Procedere erfolgt. Bei den Untersuchungen durch Dr. W. handelte es sich vor allem um Standarduntersuchungen zur Beurteilung der Schwere der Lungenfibrose; sie gehörten damit nicht zum unverzichtbaren Kern der gutachterlichen Tätigkeit, die vom beauftragten Sachverständigen selbst vorzunehmen ist (hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl, § 118 Rn. 11 h). Dr. W. ist ebenfalls Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde und kann ebenfalls langjährige Erfahrungen, auch als Gutachter, aufweisen. Die Mitwirkung von Hilfskräften an dem Gutachten ist zulässig; sie muss jedoch, wenn es sich nicht um untergeordnete Hilfstätigkeiten handelt, namhaft und benannt werden (§ 407a Abs. 3 S. 2 ZPO; vgl. hierzu: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 118 Rn. 11 g). Dies ist vorliegend durch das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme geschehen.

Bei der Begutachtung im Jahre 2019 hinsichtlich der Voraussetzungen der Behandlung mit CellCept von 2011 bis 2017 war der Akteninhalt von besonderer Bedeutung. Begleitend erfolgte eine ambulante Untersuchung zur Beurteilung der aktuellen Schwere der Lungenfibrose. Der Sachverständige hat sich gemäß seinen glaubhaften Angaben umfassend selbst mit dem Akteninhalt befasst; er hat die volle Verantwortung für das Gutachten übernommen. Es bestehen damit keine Bedenken, das Gutachten zur Bewertung heranzuziehen. Aufgrund des damit geklärten medizinischen Sachverhalts war auch kein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.

Auch der behandelnde Arzt Dr. C. wurde im Rahmen der Amtsermittlungen ausreichend gehört. Der Senat hat einen Befundbericht des Dr. C. vom Januar 2018 eingeholt. Darüber hinaus sind dessen persönliche Erfahrungen und Motive zum Einsatz des Medikaments für den vorliegenden Rechtsstreit ohne maßgeblich Bedeutung. Eine positive Einschätzung sowie eine Verordnung mit bestem ärztlichen Wissen und Gewissen kann unterstellt werden. Die grundsätzliche Geeignetheit und Nachvollziehbarkeit für den Einsatz von CellCept durch das wird im Übrigen auch vom Sachverständigen Prof. Dr. D. mehrmals bestätigt. Hinsichtlich der hier maßgeblichen Gesichtspunkte der grundsätzlichen Therapiealternativen und vor allem der Datenlage zu CellCept kann Dr. C. als Zeuge keine weiterführenden Angaben machen. Demgemäß wurde auch ein Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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