L 3 U 4/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 U 1/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 4/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 170/20 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des LSG vom 11. Juni 2020 aufgehoben.

Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. November 2016 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung, dass der Unfall, den der Kläger am 21. Januar 2015 erlitten hat, ein versicherter Unfall im Sinne des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) war.

Der 1999 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt 15 Jahre und 11 Monate alt und Schüler der 10. Klasse des Freien Gymnasiums R "Sschule R" (Unfallanzeige der Schule vom 22. Januar 2015). Am 21. Januar 2015, einem Mittwoch, wurden die Schüler wie üblich nach dem Ende des Unterrichts gegen 14.30 Uhr mit dem Schulbus zum Bahnhof gefahren, da viele Schüler der Schule mit der Bahn anreisen. Der Kläger wollte den ersten Zug - einen Regionalexpress (RE) - nach Hause in das ca. 4 km entfernte B um 14.53 Uhr nehmen. Gemeinsam mit seinen Schulkameraden bestieg der Kläger den RE 18352 Richtung B. Kurz nach der Ausfahrt des Zuges aus dem Bahnhof öffnete er die verschlossene Durchgangstür des letzten Wagens mit einem Vierkant und stieg auf die dahinter liegende, den Zug schiebende Lok. Auf dem Dach der Lok wurde er von einem Stromschlag aus der Starkstrom führenden Oberleitung (Lichtbogen, 15.000 Volt) erfasst und stürzte - brennend - von der Lok, fiel auf die Verbindungspuffer und konnte sich selbst in den Wagen retten (Bericht der Bundespolizeidirektion B vom 18. Februar 2015). Der Lokführer hielt den Zug mittels Schnellbremsung an, da bei ihm der Hauptschalter und kurz darauf die Fahrgastnotbremse ausgelöst worden waren.

Im Rahmen des sodann eingeleiteten Rettungseinsatzes wurde der Kläger mit einem Rettungshubschrauber in das Unfallkrankenhaus B (UKB) gebracht und dort stationär aufgenommen. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten ein Polytrauma und schwere, IIa-III°ige Verbrennungen von ca. 35 % der Körperoberfläche nach Stromdurchfluss im Bereich des rechten Armes, des Rumpfes, des gesamten Rückens und des Gesäßes (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. E, UKB, vom 26. Januar 2015). Die Kosten der notwendigen umfangreichen Behandlung des Klägers in Form multipler Operationen (Abtragen der geschädigten Haut, Kunsthautersatz etc., Hilfsmittel, stationäre Rehabilitation) übernahm zunächst die Beklagte (vgl. an die AOK Nordost gerichtetes Erstattungsbegehren vom 04. September 2015 i.H.v. 307.762,04 EUR). Am 02. April 2015 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen (Entlassungsbericht UKB vom 02. April 2015). Vom 29. April bis zum 18. Juni 2015 befand sich der Kläger zur stationären Rehabilitation in der M Klinik Bad K - Neurologische und orthopädisch-traumatologische Fachklinik für Rehabilitation, Reha Zentrum für Brandverletzte (Entlassungsbericht vom 30. Juni 2015).

Im Rahmen der Prüfung ihrer Leistungspflicht zog die Beklagte im Mai 2015 die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft P zum Az. Js im Verfahren gegen den Kläger wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr bei. Das Ermittlungsverfahren wurde im April 2015 eingestellt. Bestandteil der Ermittlungsakte sind u. a. die in Auszügen wiedergegebenen folgenden Vernehmungsprotokolle der Bundespolizeidirektion B:

Der Zeuge SO (geboren 1999) erklärte in der bundespolizeilichen Zeugenvernehmung am 23. Januar 2015 u. a.: "O und ich besuchen gemeinsam die Sschule in R. Wir gehen beide in die Klasse 10. Weiterhin sind wir auch so befreundet und Unternehmen auch öfter etwas zusammen. Wir sind auf dem Bahnhof R in den vorletzten Wagen des Zuges eingestiegen. Dann ist ungefähr eine kurze Zeitspanne vergangen bis der O meinte "Lass uns mal nach hinten gehen." Wo wir dann den letzten Waggon erreicht hatten, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was er vorhatte. Auf jeden Fall hatte ich mich dann auf eine Längsbank in Fahrtrichtung links gesetzt. Der O hatte sich dann an der Mitteltür zur Lok zu schaffen gemacht. Er öffnete diese mit einem Vierkant. Wo er dann verblieben ist habe ich dann nicht gesehen. Ich hörte dann einen lauten Knall und sah dann Regenbogenfarben in Höhe der Lok. Der O saß in der Mitte auf dem Dach des Führerstandes ich sah seine Beine vor der Scheibe vom Führerstand baumeln. Er ist dann runtergestürzt. Im Fall habe ich gesehen, dass er gebrannt hat."

Der Zeuge A S E (geboren 1998) hatte in seiner bundespolizeilichen Vernehmung am 27. Januar 2015 u. a. bekundet, dass der Kläger schon im Bustransfer zum Zug über das Surfen bei der Regionalbahn gesprochen und er so etwas noch nicht gemacht habe. Die anwesenden Mitschüler hätten versucht, ihm das auszureden, worauf der Kläger nur geantwortet habe, sie sollten sich keine Sorgen machen, er sei nicht so blöd wie die anderen, die solche Unfälle erlitten. Zumindest der Zeuge E meinte davon ausgehen zu können, man habe den Kläger davon abgebracht, zumal auch die Freundin des Klägers anwesend gewesen sei. Bei der S-Bahn habe der Kläger schon gesurft.

In seiner bundespolizeilichen Anhörung am 31. März 2015 machte der Kläger folgende Angaben zur Sache: "Ich wollte dem S etwas beweisen. Dazu wollte ich auf die Lok klettern. Der S hat mich dazu angestachelt. Er hat gewusst, dass ich da hoch wollte und hat mich nicht abgehalten. Ich habe dann mit einem Vierkant die Tür aufgeschlossen und bin auf die Lok geklettert. Als ich fast oben war, kam dann der Stromüberschlag. Ich bin dann brennend zwischen den Wagen gefallen und in den Zug zurückgeklettert. Dann wurde mir geholfen. Keine Äußerungen zum S-Bahn Surfen. Den Vierkant hat mir der S gegeben. Er hatte ihn aus dem Baumarkt. Er hatte ihn mir aber schon 2-3 Wochen früher gegeben. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es war kein Suizidversuch."

Zwei Mitarbeiterinnen der Beklagten suchten den Kläger am 15. April 2015 im UKB auf, befragten ihn zum Unfallhergang und hielten handschriftlich – unterzeichnet sowohl vom Kläger als auch von dessen bei dem Gespräch anwesender Mutter - fest: "Wir sind durch den Zug gegangen, um nach einem Sitzplatz zu suchen. Es waren noch in der Gruppe: S O, an die anderen erinnere ich mich nicht. Mit S O kam ich ins Gespräch. Aus dem Gespräch ergab sich, dass wir uns von der Gruppe entfernten, um zu gucken, `was man so machen kann`. Näheres kann ich dazu nicht erklären. Ich kann mich auch nicht im Einzelnen erinnern. S O hatte die spontane Idee `Geh doch mal auf die Lok´. Ich habe nicht daran gedacht, dass etwas passiert. Damit rechnet man doch nicht. Ich kann mich nicht erinnern, ob er oder ich die Tür öffnete. Ich hatte den Vierkantschlüssel. Den habe ich irgendwann mal im Baumarkt gekauft. S hat auch so einen Schlüssel. Ich habe auch früher schon mal eine Waggontür mit diesem Schlüssel geöffnet um in einem leeren Wagen, der z.B. wegen Beschädigungen gesperrt war, Platz zu haben. Auf keinen Fall wollte ich mit dem Schlüssel etwas Böses tun. Mit dem Schlüssel bin ich durch die Verbindungstür zum Triebwagen (Lok) gekommen. An den Wagen sind von außen Leitern befestigt, an denen man auf den Triebwagen steigen kann. S O blieb in der Tür stehen und ging auch aus dem Wagen hinaus, stieg aber nicht auf die Leiter. Andere haben mir erzählt, dass S O nach dem Unfall weggelaufen ist. Ob S irgendetwas zu mir sagte, als ich auf die Leiter ging, weiß ich nicht mehr. Im letzten Wagen waren ganz wenige Fahrgäste. Als wir die Tür öffneten, sagte keiner was zu uns. Sie konnten uns nicht richtig sehen, weil zwischen den Sitzplätzen und der Tür noch die Toilette kommt Auf jeden Fall war das ganze Vorhaben - eine Tür zu öffnen, um auf den Triebwagen zu klettern - früher nie ein Thema zwischen S O und mir. Es war eine spontane Idee. S O hat mich auch nicht bedrängt oder angeführt/ermutigt hoch zu klettern."

In einem zusätzlichen Aktenvermerk zu diesem Gespräch gaben die Mitarbeiterinnen der Beklagten unter anderem an: "O K wirkt in seinem Gebaren und Ausdruck älter als 16 Jahre. Er ist intelligent, wortgewandt, schlagfertig. Als nach der Motivation oder Details seiner Handlung zum Unfallzeitpunkt gefragt wird, wirkt er unsicher und zieht sich darauf zurück, sich nicht erinnern zu können. Das ist besonders auffällig als es darum geht, wann/wie es zu der Idee und dann zum Entschluss kam, durch die Zugtür zu gehen, die Namen anderer Personen zu benennen oder wer die Tür aufgeschlossen hat. Oft zieht er sich auf Allgemeines zurück, z.B. bei der Frage, wozu er sich den Vierkantschlüssel überhaupt angeschafft hat (Es gebe doch immer Türen, durch die man mal gehen will. Die halbe Klasse hätte so einen Schlüssel.) Mehrmals betont er, niemals etwas ‚Böses‘ beabsichtigt zu haben."

In der Zeugenbefragung gegenüber der Beklagten erklärte der Zeuge S O-V am 29. April 2015 u. a.: "Wir sind eingestiegen. O sagte `Kommt lass uns nach hinten gehen!` Er meinte den Triebwagen. Er hat sich selbst den Zugang verschafft mit einem Vierkantschlüssel. Ich saß auf einer Querbank, ganz hinten bei den Toiletten. Als O raufgegangen ist, saß ich auf der Bank. Ich habe dann den Knall gehört und den Blitz gesehen und dann seinen leblosen Körper Wir haben uns alle hingesetzt in der Mitte des Zuges. O ist auf mich zugekommen und sprach mich an, `mit nach hinten zu kommen`. An einen genauen Wortlaut kann ich mich nicht erinnern. Er sagte auch nicht, was er vorhatte. Wir sind dann durch den Zug gegangen - mindestens durch einen Wagen. Ich wusste, dass er das dann wieder machen will. Ich und meine Kumpel haben schon mehrmals mit ihm gesprochen, dass er so etwas (handschriftlich ergänzt S-Bahn-Surfen) nicht machen soll. Aber er hat nie auf uns gehört. Er macht immer, was er halt machen will. Er hat mir vorher nicht gesagt, was er vorhat. Ich konnte es mir nur denken. Den Vierkantschlüssel hatte O bei sich. Es war mir bekannt, dass er diesen Schlüssel hat. Ich weiß von anderen, dass O früher schon S-Bahn gesurft ist. Handyaufnahmen oder Fotos von der Tat oder vom S-Bahn-Surfen kenne ich nicht. Mir gegenüber hat er nie geäußert, dass er so eine Aktion geplant hat. O ist ein sehr spontaner Typ, man weiß nie, was als nächstes passiert. Wir sind Klassenkameraden, verstehen uns gut. Ich war auch schon bei ihm Zuhause. Nett, verletzlich, empfindlich, nicht kindlich. Er hat viel Stress, Druck von Zuhause - lernt viel, spielte Gitarre. O ist insgesamt beliebt Ich habe nie gesehen, dass O auf dem Handy Videos über S-Bahn-Surfen angeschaut hat."

Mit Bescheid vom 12. Juni 2015 lehnte die Beklagte die Feststellung eines versicherten Unfalls im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit bestünde kein innerer sachlicher Zusammenhang. Der Kläger habe sich, als er auf das Dach der Lok gestiegen sei, bei einer privaten Verrichtung befunden. Der Schulweg sei aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen worden. Der Kläger habe sich von der versicherten Tätigkeit gelöst, weshalb kein Versicherungsschutz bestanden habe.

Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger, anwaltlich vertreten, geltend, dass das Hinausklettern auf den Triebwagen des RE nicht, wie von der Beklagten angesehen, als Zäsur des üblichen Heimweges anzusehen sei. Denn die Schulleitung sei darüber informiert gewesen, dass Schüler der Schule an bzw. auf Regionalzügen surfen würden. Die Surfer seien namentlich bekannt gewesen. Die Mutter eines Schülers habe vor dem Unfall schriftlich die Schulleitung über Vorkommnisse in den Regionalzügen informiert und um Aufklärung und Abhilfe gebeten, da sie die Gefahr erkannt habe. Dennoch sei durch die Schule weder eine Information der Eltern erfolgt noch eine Aufklärung der Schüler über die Gefahr der Hochspannung. Die Schule habe ihre Aufsichts- und Aufklärungspflicht verletzt. Der Kläger sei sich der Gefahr deshalb nicht bewusst gewesen. Aufgrund seines persönlichen Reifezustandes habe er zum Unfallzeitpunkt die Folgen seines Tuns objektiv nicht richtig einschätzen können. Insoweit sei die Schule in klar zurechenbarer Weise an den Geschehnissen, die zum Unfall führten, direkt beteiligt, der Kläger sei daher zum Unfallzeitpunkt unfallversichert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die im Unfallzeitpunkt vollzogene, unfallbringende Handlung habe in keinem inneren/sachlichen Zusammenhang mit der eigentlich versicherten Tätigkeit als Schüler gestanden. Surfen auf Zügen und die damit einhergehende Lebensgefahr - schon beim Heraussteigen/-klettern (Abrutschgefahr) - stehe der versicherten Tätigkeit entgegen. Der Kläger habe sich mit dem unerlaubten Öffnen der für Fahrgäste verschlossenen Tür von der versicherten Wegezurücklegung insoweit abgewandt, als er diese zur Verfolgung eigener Zwecke instrumentalisiert habe. Anhaltspunkte für einen inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit aufgrund einer aus dem Schulbereich entsprungenen Gruppendynamik unter Jugendlichen ergäben sich nicht. Der Schulweg sei bis zum Zug in der Gruppe zurückgelegt worden. Während der Busfahrt zum Bahnhof sei es nach Aussage des Zeugen E im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung vom 27. Januar 2015 zu einer indirekten Ankündigung des Vorhabens gekommen, die dem Kläger jedoch von seinen Mitschülern auszureden versucht worden sei. Es habe mithin niemand Interesse daran gehabt, dass der Kläger surfe. Ein "Anheizen" aus der Gruppe habe danach nicht vorgelegen und sei auch nicht vom Kläger eingeräumt worden. Bestätigt werde dies insbesondere dadurch, dass sich der Kläger mit einem Mitschüler bewusst von der Gruppe gelöst und sich damit dem Einfluss, aber auch der Einwirkung von anderen entzogen habe. Ferner sei zeugenschaftlich bekundet worden, dass der Kläger auch schon S-Bahn gesurft sei und dies wie einen Sport angesehen habe, der ihn vom Alltag abgelenkt habe. Mithin habe sich der Kläger zweifelsfrei aufgrund eigener Motivation einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit hingegeben, wobei sich eine damit verbundene Gefahr schließlich verwirklicht habe. Ein Versicherungsfall liege auch nicht deshalb vor, weil die Schule ihrer Aufsichts- und Aufklärungspflicht nicht nachgekommen sei. Gemäß der Verwaltungsvorschrift über die Wahrnehmung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht im schulischen Bereich des brandenburgischen Bildungsministeriums vom 08. Juli 1996, zuletzt geändert am 13. April 2004, trügen die Eltern sowie volljährige Schülerinnen und Schüler selbst die Verantwortung für den Schulweg. Minderjährige Schülerinnen und Schüler sowie volljährige Schülerinnen und Schüler mit einer geistigen Behinderung trügen eine ihrem Alter und ihrer Reife entsprechende Mitverantwortung.

Mit der am 04. Januar 2016 zum Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Durch seinen Prozessbevollmächtigten hat er zur Begründung ausgeführt, es liege ein klassischer Wegeunfall vor, der mitversichert sei. Die Beklagte verkenne, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei Schülern ein weniger strenger Maßstab anzulegen sei und vielmehr der altersentsprechenden Entwicklung und den durch die Zugehörigkeit zu einem Schul- oder Klassenverband beeinflussenden Verhaltensweisen Rechnung zu tragen sei. Aktivitäten, die dem natürlichen Spiel- und Nachahmungstrieb oder dem Gruppenverhalten von Schulkindern entsprängen, seien vom Unfallversicherungsschutz erfasst, wenn sie in der jeweiligen Situation den üblichen Verhaltensweisen von Schülern des betreffenden Alters entsprächen. Zum Unfallzeitpunkt sei der Kläger aufgrund seines persönlichen Reifezustandes nicht in der Lage gewesen, die Gefahr des Herauskletterns aus dem Zug auf die Lok abzuschätzen. Dies sei bedauerlicherweise kein Einzelfall gewesen, da der Schulleitung durch die Schilderung einer besorgten Mutter bekannt gewesen sei, dass auf der Fahrt zur Schule oder nach Hause regelmäßig Schülergruppen aus dem Regionalexpress kletterten. Daher habe ein gruppentypischer Zwang innerhalb einer Klassengemeinschaft oder Clique, der der Kläger angehört habe, vorgelegen. Beim Kläger habe es sich nicht um einen atypischen Einzelfall gehandelt, sondern die Schüler des Klassenverbandes und der Kläger hätten regelmäßig diese Mutprobe absolviert. Anders sei es nicht möglich, dass die Schulleitung bereits Kenntnis von diesem Umstand gehabt habe. Schüler hätten nach dem Unterricht ein natürliches Bedürfnis sich zu bewegen, dem sie typischerweise auf dem Heimweg nachgeben würden. Besonders männliche Jugendliche würden zu übertriebenen Reaktionen neigen. Da das Hinausklettern aus den Zügen schulseits praktisch toleriert worden sei, sei dies Teil des "normalen" Heimwegs und sei als versichertes Risiko anzusehen.

Das SG hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 18. November 2016 persönlich gehört; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Mit Urteil vom selben Tage hat es unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 21. Januar 2015 ein versicherter Unfall im Sinne des § 8 SGB VII gewesen sei. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt als Schüler der Sschule in R auf dem unmittelbaren Weg von der Schule zum Wohnort grundsätzlich gesetzlich unfallversichert gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 b, § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Nach der Rechtsprechung des BSG stünden im Rahmen der Schülerunfallversicherung unter Versicherungsschutz insbesondere auch Spielereien, die den Verhaltensweisen von Schülern des jeweiligen Alters entsprächen. Soweit die Handlungen dabei nicht völlig aus dem allgemein üblichen Rahmen fielen, bleibe der Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit gewahrt, da das Verhalten dann wesentlich durch die mit dem Schulweg zusammenhängenden Verhältnisse mitverursacht worden sei. Auch insoweit sei der im Unfallversicherungsrecht geltende Grundsatz zu beachten, dass weder ein verbotswidriges noch ein leichtsinniges, sondern allenfalls ein höchst unvernünftiges Handeln den Versicherungsschutz ausschließe. Der Versicherungsschutz sei vor diesem Hintergrund erst dann zu verneinen, wenn der Geschädigte sich in so hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhalte, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, es werde zu einem Unfall kommen. Dies gelte grundsätzlich auch für die Beurteilung der Spielerei eines Schülers, wobei es entscheidend auf die Art der Spielerei und insbesondere auf die persönliche Reife und die Fähigkeit des verunglückten Schülers ankomme, deren Gefährlichkeit zu erkennen. Auf der Grundlage dieser Erwägungen gehe die Kammer im Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf der Grundlage des persönlichen Eindrucks der Kammer vom Kläger im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung, davon aus, dass der Kläger während einer versicherten Tätigkeit als Schüler auf dem Heimweg von der Schule nach Hause verunglückt sei. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt 15 Jahre alt gewesen. Er habe glaubhaft ausgesagt, sich vor dem Unfall verstärkt im Internet Filme angeschaut zu haben, in denen Jugendliche auf Zügen mitgefahren seien. Über diese Filme habe er sich mit seinen Schulfreunden intensiv ausgetauscht. Einer dieser Schulfreunde sei unmittelbar vor dem Unfallereignis bei ihm gewesen. Darüber hinaus habe der Kläger angegeben, gemeinsam mit diesen Freunden im Zeitraum vor dem Unfall bereits an S-Bahnzügen gesurft zu sein. Auf eine Regionalbahn sei er erstmalig gestiegen. Er habe in den Filmen im Internet gesehen, dass Jugendliche auch auf Züge stiegen. Der Kläger habe glaubhaft geschildert, dass er nur in Begleitung seiner Freunde an S-Bahnen gesurft sei und auch nur in Anwesenheit seiner Freunde auf die Regionalbahn gestiegen sei. Es sei der Gruppe damals darum gegangen, cool zu sein. Auf der Grundlage der im Internet gefundenen Videos sei er davon ausgegangen, dass nichts passieren würde. Die Kammer sei auf der Grundlage der Schilderungen des Klägers davon überzeugt, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfallereignisses über eine für sein pubertäres Alter typische gesteigerte Risikobereitschaft verfügt und ihm gleichzeitig die Reife und Einsichtsfähigkeit gefehlt habe, die tatsächliche Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen. In der Gruppe mit seinen Schulfreunden sei es darum gegangen, zu imponieren und die eigenen Grenzen auszutesten. Auch diese Intentionen seien typisch für das Handeln Jugendlicher in der Pubertät. Gleichzeitig vertraue der Kläger auf der Grundlage seiner mangelnden Reife und seines für sein Alter ebenfalls typischen Maßes an Selbstüberschätzung darauf, dass sein Handeln zwar gefährlich sei, dass er die Gefahr aber kontrollieren könne. Vor diesem Hintergrund erscheine sein Handeln – ausgehend von seiner persönlichen Reife und Einsichtsfähigkeit – zwar in hohem Maße leichtsinnig, schließe aber den Versicherungsschutz noch nicht aus. Der Umstand, dass der Kläger sich nur deshalb in die gefahrbringenden Umstände habe bringen können, weil er einen entsprechenden Vierkantschlüssel für die gesicherten Türen der Regionalbahn bei sich geführt habe, schließe den Versicherungsschutz zur Überzeugung der Kammer nicht aus. Denn unabhängig von diesem Umstand habe sich die Gefahr verwirklicht, die speziell im Schulweg des Klägers angelegt gewesen sei. Der Kläger habe der Kammer glaubhaft geschildert, dass er zuvor ausschließlich nur in Begleitung seiner Schulfreunde an S Bahnen gesurft sei. Zudem habe der Kläger glaubhaft erklärt, er habe zuvor auch noch nie einen Regionalzug erklettert. Im Rahmen des Schulweges sei der Kläger regelmäßig in Begleitung seiner Schulfreunde gewesen. Im Rahmen dieser Gruppe habe es die gemeinsame Faszination an den Filmen im Internet gegeben, in denen Jugendliche Züge erstiegen hätten. Diese Gruppe habe gemeinsam zuvor bereits Erfahrungen beim Surfen an S-Bahnen gemacht und man habe sich die entsprechenden Vierkantschlüssel besorgt. Man habe sich imponieren wollen. Die Gruppe habe damit durch die ihr immanente Dynamik ein erhöhtes Gefährdungspotential in sich getragen. Dieses Gefährdungspotential habe sich gerade auf der Grundlage der Tatsache, dass ihre Mitglieder regelmäßig gemeinsam unbeaufsichtigt den Schulweg mit der Regionalbahn hätten zurücklegen müssen, realisieren können.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 16. Dezember 2016 zugestellte Urteil am 05. Januar 2017 Berufung eingelegt. Das SG verkenne in seiner Entscheidung die aktuelle Rechtsprechung des BSG zum unterbrochenen Wege-Unfallversicherungsschutz mit Urteil vom 17. Dezember 2015, B 2 U 8/14 R, wie schon im Ausgangsverfahren zitiert. Zudem greife die Beurteilung des SG, der Kläger habe die Gefährlichkeit seines Tuns im Hinblick auf den Spannungsüberschlag nicht erkennen können, zu kurz und sei nicht mit Tatsachen untersetzt. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung einen (hoch)intelligenten Eindruck gemacht, der sich auch durch entsprechende Zeugnisse des Klägers zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls bzw. Äußerungen des Klassenlehrers oder Fachlehrers sicher bestätigen lassen werde. Gänzlich vernachlässigt habe das SG auch die Tatsache dass eine Absturzgefahr bestanden habe, über die der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG selbst berichtet habe und die sich bei einem Freund bereits realisiert hätte. Ebenso vernachlässigt habe das SG den Gesichtspunkt, dass der Kläger nicht nur ein physisches (verschlossene Tür), sondern auch psychisches Hindernis habe überwinden müssen, da er nach der Zeugenaussage E vom 27. Januar 2015 mahnende und ihn vom Surfen abhalten Äußerungen von Klassenkameraden ignoriert habe. Inwieweit bei einem fast 16-jährigen Schüler insoweit noch die Verwirklichung eines spezifischen Wegeunfallrisikos angenommen werden könne, sei zu bezweifeln. Hierfür ausreichend sei nicht allein die Schilderung des Klägers im Termin, er habe sich das Surfen auf YouTube-Videos bei russischen Jugendlichen/Erwachsenen angesehen. Dabei werde der Umstand der Gefährlichkeit des Kletterns auf die Lok im Fahrbetrieb außer Acht gelassen. Im Übrigen trage die Annahme der Kammer, es hätte ein gruppendynamische Verhalten vorgelegen, nicht, da nach Aussage des Zeugen S O-V sowohl vor der Beklagten als auch vor der Bundespolizei jeweils nur die beiden Schüler sich im letzten Wagenabteil vor der Lok befunden hätten. Der Zustand der geistigen Reife des Klägers im Unfallzeitpunkt sei nicht ausreichend ermittelt worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. November 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise weiter Beweis durch Zeugenvernehmung von Herrn A S E zu erheben im Hinblick auf das Vorgeschehen vor der Zugfahrt am 21. Januar 2015, also während der Busfahrt, und den Inhalt der Gespräche während der Busfahrt.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Bereits die Absurdität des Handelns zum Unfallzeitpunkt spreche für eine geistige Unreife zu diesem Zeitpunkt.

Der Kläger hat auf Anforderung des Senates seine Zeugnisse für die Klassenstufe 8a vom 19. Juni 2013, die Klassenstufe 9a vom 31. Januar und 09. Juli 2014 und die Klassenstufe 10 vom 30. Januar 2015 für das 1. Schulhalbjahr im Schuljahr 2014/15, vom 29. Januar 2016 für das wiederholte 10. Schuljahr betreffend das 1. Schulhalbjahr im Schuljahr 2015/16 und vom 19. Juli 2016 sowie die ärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. F vom 22. Juni 2018 zur Gerichtsakte gereicht.

Der Senat hat von der M Klinik Bad K den Entlassungsbericht vom 14. November 2016 zum stationären Aufenthalt des Klägers vom 17. bis zum 29. Oktober 2016 sowie den im Verlauf dieser stationären Reha von der Psychologischen Psychotherapeutin Dipl. Psych. F erstatteten Psychologischen Bericht vom 25. Oktober 2016 beigezogen. Eingeholt wurden weiterhin der im Verlauf des ersten Aufenthaltes des Klägers in dieser Reha-Klinik erstattete Neuropsychologische Bericht der Psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psych. H vom 16. Juni 2015 sowie ein ausführlicher ärztlicher Befundbericht von Dr. F vom 13. August 2019, der den Kläger erstmals am 26. Januar 2016 und dann noch einmal am 12. April 2016 gesehen hat.

In der mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2020 hat der Senat die Klassenlehrerin des Klägers im Unfallzeitpunkt, die Zeugin PG, als Zeugin gehört; hinsichtlich des Ergebnisses der Vernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2015 zu Unrecht aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 21. Januar 2015 ein versicherter Unfall im Sinne des § 8 SGB VII war.

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 56 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Unfallereignis des Klägers vom 21. Januar 2015 ist kein Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (st.Rspr., vgl. zuletzt BSG, Urteile vom 05. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R - und vom 23. Januar 2018 – B 2 U 8/16 R –, jeweils in juris).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Der Kläger hat zwar einen "Unfall" (1.) als versicherter Schüler (2.) erlitten, dies jedoch nicht infolge einer versicherten Tätigkeit - dem Zurücklegen des unmittelbaren Weges von dem Ort der Tätigkeit (3.). Im vorliegenden Fall fehlt es für die Feststellung eines Unfallereignisses im Sinne des § 8 SGB VII an einer der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Verrichtung des Klägers zum Zeitpunkt des Schadenseintritts, die zu einer Einwirkung auf den Körper von außen geführt und den Gesundheitsschaden wesentlich verursacht hat.

1. Der Kläger erlitt einen "Unfall", als er am 21. Januar 2015 auf der fahrenden Lok eines Regionalexpresszuges von einem Lichtbogen erfasst wurde, mit brennendem rechten Arm und auch Oberkörper auf die Höhe des Personenabteils herabstürzte und sich dabei schwere Verbrennungen vor allem des rechten Arms und des Rumpfes zuzog (zum Stromschlag als Unfall: BSG, Urteil vom 05. September 2006 – B 2 U 24/05 R –, juris Rn. 17).

2. Der Kläger stand am Unfalltag als Schüler gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst b Alt. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach dieser Vorschrift sind kraft Gesetzes versichert "Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen". Als Gymnasialschüler der Klassenstufe 10 war der Kläger Schüler einer allgemeinbildenden Schule und hatte am Unfalltag die Schule planmäßig bis zum Ende des Unterrichts besucht. Anschließend hatte er den Schulbus zum Bahnhof planmäßig genutzt und ist in den RE 18352 Richtung B eingestiegen, der um 14.53 Uhr in R abfuhr.

3. Jedoch stand das während der Zugfahrt vom Kläger vorgenommene Öffnen der abgeschlossenen Wagentür, das anschließende Besteigen der Lok sowie der nachfolgende Stromschlag mit Herabstürzen des Klägers nicht mehr im sachlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz des Klägers als Schüler auf dem Heimweg von der Schule und ist diesem somit nicht zuzurechnen. Stromschlag und Sturz ereigneten sich zwar anlässlich des zurückzulegenden Heimweges, sie realisierten sich aber nicht aus einer für Schülerheimwege mit der Bahn typischen Gefahrenlage heraus (dazu BSG, Urteil vom 23. Januar 2018 – B 2 U 8/16 R -, juris Rn. 10) und sind nicht vom Schutzzweck des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII umfasst.

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII zählt grundsätzlich auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit als unter dem Versicherungsschutz des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII versicherte Tätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung "des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der versicherten Haupttätigkeit. Dieser sachliche Zusammenhang besteht, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. nach deren Beendigung dem Erreichen der Wohnung oder eines so genannten dritten Ortes dient. Ob das der Fall ist, ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob die Verrichtung zur Zeit des Unfalls zum Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört. Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten (siehe etwa BSG, Urteile vom 31. August 2017 - B 2 U 2/16 R – und vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 16/15 R –, jeweils in juris). Diese muss auf die versicherte Tätigkeit gerichtet sein und durch objektiv feststellbare Umstände gestützt werden, deren tatsächliche Grundlagen im Sinne des so genannten Vollbeweises sicher feststehen müssen.

Dass der Versicherte sich auf dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort seiner versicherten Tätigkeit und seiner Wohnung befindet, reicht jedoch für den Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht aus. Vielmehr muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses in einem sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört. Anderenfalls wäre jede Handlung auf einem Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vom Versicherungsschutz umfasst. Einen solchen "Wegebann" kennt die gesetzliche Unfallversicherung hingegen nicht (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 8/14 R –, juris Rn 13.)

Diese von der Rechtsprechung für das Verhalten Erwachsener aufgestellten Grund-sätze sind auf Kinder und Jugendliche sowie erwachsene Schüler nicht uneingeschränkt übertragbar. Letztgenannte drei Personengruppen bleiben vielmehr auch dann geschützt, wenn ihr Tun in der jeweiligen Situation den üblichen Verhaltensweisen von Gleichaltrigen entspricht, was gerade für den Weg zur und von der Schule nach Hause gilt (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 29/06 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 25; für Klassenfahrten Urteile vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 41/03 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 7, und vom 07. November 2000 – B 2 U 40/99 R –, juris). Demnach ist bei Schülern eine Abweichung vom unmittelbaren Nachhauseweg rechtlich jedenfalls dann nicht als wesentlich zu werten, wenn sie bei Gleichaltrigen typischerweise anzutreffen ist, keine in der Privatsphäre begründeten Ursachen hat sowie in räumlicher und zeitlicher Hinsicht nicht völlig außer Verhältnis zum unmittelbaren Weg steht. Von daher ist auch auf Wegen der Unfallversicherungsschutz der Schüler bejaht worden, wenn sich die spielerische Betätigung eines Schülers noch im Rahmen dessen hält, was nach den Umständen des Falles nicht als völlig unverständlich oder vernunftwidrig zu erachten ist, mag es vielleicht auch unbesonnen oder leichtsinnig sein (vgl. BSG, Urteile vom 20. Mai 1976 – 8 RU 98/75 –, juris Rn. 23 f., und vom 23. Januar 2018 – B 2 U 8/16 R –, juris Rn. 22). Zum besonderen Maßstab bei Kindern und Jugendlichen hat das BSG bereits im Urteil vom 20. Mai 1976 – 8 RU 98/75 – (juris Rn. 23 f.) ausgeführt: "Wenn daher das eigenverantwortliche Handeln des Geschädigten selbst derart im Vordergrund steht, dass die versicherte Tätigkeit für den Kausalverlauf nicht mehr als wesentlich angesehen werden kann, entfällt der Versicherungsschutz Demgemäß hat der erkennende Senat Versicherungsschutz erst verneint, wenn der Geschädigte sich in so hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhält, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, es werde zu einem Unfall kommen (Urteil vom 27.1.1976 – 8 RU 64/75, S. 10 –; vgl. auch BSG 6, 164, 169; 30, 14, 15, 16). Dieses gilt grundsätzlich auch für die Beurteilung der Spielerei eines Schülers. Gerade bei einer Spielerei, die ihrer Natur nach zu einem erheblichen Teil keine vernunftmäßig gesteuerte Tätigkeit zu sein pflegt, kommt es entscheidend auf die Art der Spielerei und insbesondere auf die Fähigkeit des verunglückten Schülers an, deren Gefährlichkeit zu erkennen "

Zudem ist in der Rechtsprechung zur Schülerunfallversicherung anerkannt, dass besondere schülergruppendynamische Prozesse jeweils zu einer "Steigerung des äußeren Geschehens" führen können, sodass mit "unvernünftigem Verhalten" in der Gruppe geradezu gerechnet werden muss (BSG, Urteile vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 41/03 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 7, vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 29/06 R -, juris Rn. 13 ff. , und vom 07. November 2000 - B 2 U 40/99 R -, juris).

Vor diesem Hintergrund ist der Senat davon überzeugt, dass das Unfallgeschehen nicht bereits aus einer schülergruppentypischen Wegegefahr resultierte, der sich der Kläger innerhalb seiner Klassengemeinschaft oder seiner "Clique" nicht entziehen konnte (a)). Der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt aufgrund der "Art der Spielerei" (BSG, Urteil vom 20. Mai 1976 – 8 RU 98/75 –, juris Rn. 24) bzw. gefahrbringenden Aktivität (b)) und seiner geistigen Reife über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügte, um die Gefährlichkeit seines Handelns zu erkennen (c)).

a) Der Senat sieht es in der Gesamtschau der vorliegenden Aussagen als erwiesen an, dass der Kläger zwar gemeinsam mit anderen Fahrschülern zunächst in einer Gruppe mit dem Shuttle-Bus von der Schule zum Bahnhof gebracht wurde und auch mit der Gruppe anderer Fahrschüler in den Regionalexpress eingestiegen ist. Selbst wenn - wie der Zeuge E bei seiner bundespolizeilichen Vernehmung am 27. Januar 2015 bekundet hat - der Kläger schon während der Busfahrt über das Surfen bei der Regionalbahn gesprochen und verlautbart habe, dass er so etwas noch nicht gemacht habe, resultiert daraus noch kein schülergruppendynamischer Prozess, der zu einer (zwangsläufigen und damit unfallversicherten) Steigerung des äußeren Geschehens beim Kläger geführt hat. Denn der Zeuge E berichtete in dem Zusammenhang auch, dass die anwesenden Schüler versucht hätten, dies dem Kläger auszureden. Dies wurde von keiner Seite angezweifelt. Von daher ist keinesfalls von einem "Anheizen" einer gegebenenfalls beim Kläger schon vorbestehenden Absicht durch das Einwirken der mitfahrenden Schülergruppe auszugehen. Eher scheint das Gegenteil der Fall gewesen zu sein, ohne dass der Senat sich hierbei festlegen muss.

Darüber hinaus spricht auch der weitere Geschehensablauf gegen die Realisierung einer gruppendynamischen Gefahrenlage. Denn der Kläger hat sich nach dem Einsteigen von der Gruppe gelöst und sich nur begleitet von dem Zeugen S OV von der Gruppe entfernt, um in den letzten Wagen vor die den Zug schiebende Lok zu gehen. Von diesem gesicherten Hergang geht der Senat aufgrund der insoweit übereinstimmenden zeitnahen Aussagen des Zeugen S OV in der bundespolizeilichen Zeugenvernehmung am 23. Januar 2015 und des Klägers im Gespräch mit den Mitarbeiterinnen der Beklagten am 15. April 2015 aus. Selbst wenn der Senat in Betrachtung des weiteren Geschehensablaufes, zu dem durchaus widersprüchliche Aussagen des Klägers bestehen (einerseits in der bundespolizeilichen Anhörung vom 31. März 2015: Der Zeuge S OV habe ihn dazu angestachelt. - andererseits in der Befragung durch die Mitarbeiterinnen der Beklagten am 15. April 2015: Der Zeuge S OV habe ihn nicht bedrängt oder angeführt/ermutigt hoch zu klettern.), davon ausginge, dass der Zeuge S OV den Kläger angestachelt hätte, kann beim Zusammentreffen von lediglich 2 Schülern nicht bereits von einer Gruppe und einem gruppendynamischen Prozess ausgegangen werden.

b) Für den Senat steht fest, dass der Kläger bereits mit dem Überwinden einer für alle Fahrgäste verschlossenen Tür, um zu der dahinter befindlichen Lok zu gelangen, mittels Verwendung eines eigens von ihm dafür mitgeführten Vierkantschlüssels eine bewusste und gesteuerte Zäsur in der unfallversicherungsrechtlich abgesicherten Handlungstendenz - Heimfahrt - gesetzt hat. Bereits das Überwinden der Tür durch die planvolle Vorbereitung lässt für den Senat die Annahme zu, dass der Kläger die Sicherheit des Fahrgastbereiches bewusst aufgegeben und diese auf unzulässigem, verbotenem Wege aus persönlichen/eigenwirtschaftlichen Gründen verlassen hat. Zwar schließt weder ein verbotswidriges noch ein leichtsinniges Handeln den Unfallversicherungsschutz aus (BSG, Urteil vom 20. Mai 1976 – 8 RU 98/75 -, juris Rn. 24). Das Handeln des Klägers im Unfallzeitpunkt war jedoch in so hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend gewesen, dass er unter Berücksichtigung seiner geistigen Reife mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, es werde auf der Lok zu einem Unfall kommen. Besondere Bedeutung für den Senat hat dabei das planvolle und gezielte Handeln des Klägers beim illegalen Öffnen einer für Fahrgäste des Regionalzuges verschlossenen Tür durch mitgeführtes Werkzeug, um sodann die fahrende Lok zu besteigen. Er hat damit einen - vor Fahrgästen bewusst verschlossenen - Gefahrenbereich (allein schon die Gefahr des Heraus- bzw. Herabstürzens und Überrolltwerdens vom fahrenden Zug drohte) auf unerlaubte Weise eröffnet. Bereits das Ignorieren und zielgerichtete Durchbrechen einer Gefahren-Schutzmaßnahme erscheint "völlig unverständlich" bzw. "völlig vernunftwidrig" im Sinne der zitierten Rechtsprechung und steht derart im Vordergrund, dass die versicherte Tätigkeit (Schüler-Heimfahrt) für den Kausalverlauf nicht mehr als wesentlich angesehen werden kann, womit der Versicherungsschutz entfällt (BSG, a.a.O., Rn. 24). Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der Berufungserwiderung die Auffassung vertritt, dass bereits die "Absurdität des Handelns" zum Unfallzeitpunkt für die geistige Unreife des Klägers spreche, verkennt er, dass die Qualität der gefährdenden Handlung, bzw. die "Art der Spielerei" (BSG, a.a.O.), separat und unabhängig von der geistigen Reife zu beurteilen ist. Denn selbst das Vorliegen ausgeprägter geistiger Reife und Erfahrung macht eine unerlaubte Handlung/Grenzüberschreitung nicht zum Geniestreich. Mit anderen Worten: Auch intelligente Menschen können Dummheiten begehen und sind nicht frei von subjektiven Einflüssen bzw. Motivationen, sei es auch nur, um vor anderen als "cool" zu gelten.

Nach den Kriterien der Rechtsprechung ist für den Senat - bezogen auf die Qualität der gefährdenden Handlung - die treffende Bezeichnung "Absurdität des Handelns" gleichbedeutend mit einem "völlig unverständlichen" bzw. "völlig vernunftwidrigen" Handeln im Sinne der BSG- Rechtsprechung (a.a.O.).

c) Der Senat ist letztlich auch davon überzeugt, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt über die geistige Reife verfügte, die weitreichende Gefährlichkeit seines eigenmächtigen Handelns erkennen zu können.

Zwar gab der Kläger vor dem SG an, dass er sich gemeinsam mit Freunden in der Zeit vor dem Unfall mit dem Surfen beschäftigt, darüber geredet und Videos dazu auf YouTube angesehen habe, in denen Jugendliche auf den Zügen gesurft und in denen russische Jugendliche auf Loks gestiegen seien, dabei sogar den Stromabnehmer angefasst hätten, ohne dass ihnen etwas passiert sei. Deshalb habe er gar nicht gesehen, wie gefährlich das sei. Vor dem Unfall sei er selbst 2 Monate wöchentlich mit Kumpels an der S-Bahn gesurft, aber noch nicht bei der Regionalbahn.

Soweit das SG aus diesen Ausführungen des Klägers schließt, dass dem Kläger die besondere Gefahr, konkret auf der fahrenden Lok eines Regionalzuges einen lebensgefährlichen Starkstromschlag bzw. einen Sturz zu erleiden, nicht erkennbar gewesen sei, folgt der Senat dem nicht. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass sich der anwaltlich vertretene Kläger – der bereits ein Verwaltungsverfahren erfolglos durchlaufen hatte – von der bei ihm vorhandenen Befähigung zum Erkennen der Gefahr freisprechen und die bekannte Gefahr bewusst ausblenden wollte. Dies ergibt sich für den Senat bereits daraus, dass der Kläger vor dem SG auch ausgeführt hat, mit seinen zwei Kumpels die Videos nicht nur gesehen und darüber geredet zu haben. Sie hätten auch Mutproben unternommen. Dass allein Stürze dabei zu erheblichen Verletzungen führen können, hatte der Kläger bei seinem Freund, dem Zeugen S OV, gesehen, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem SG selbst berichtet hatte. Man habe darüber geredet, dass man es ja mal versuchen könnte, man wollte "cool sein" und sei davon ausgegangen, dass "es schon gut gehen" werde. Die Sache mit dem Klettern auf die Lok sei auch eine Mutprobe gewesen.

Wenn das Besteigen der Lok – nach den Angaben des Klägers - als "Mutprobe" verstanden wurde, wie auch das S-Bahn-Surfen bereits vor dem Unfall als Mutprobe galt, dann verdeutlicht dies klar, dass dieses Handeln als gefahrbringend galt und der Kläger es auch so verstand (BSG, Urteil vom 20. Mai 1976 – 8 RU 98/75 –, juris Rn. 25). Das Besteigen der Lok in der Hoffnung, "dass es schon gut gehen werde" bestärkt die Auffassung des Senates. Denn jede mit der Motivation "Es wird schon gut gehen!" unternommene "Mutprobe" beinhaltet der Natur der Sache nach eben auch die Alternative – "Es geht nicht gut." Letzteres hat sich beim Kläger auf tragische Weise mit dem Unfall verwirklicht.

Dass der Kläger die hier beim Besteigen einer fahrenden Lok bestehende konkrete lebensbedrohende Gefahr eines Starkstromschlags und auch des Herabstürzens erkennen konnte, wird nicht dadurch negiert, dass er vor dem SG aussagte, dass die russischen Jugendlichen im YouTube Video "sogar den Stromabnehmer angefasst haben. Denen ist nichts passiert." Vielmehr zeigt dies, dass der "Stromabnehmer" der Lok - auch aus der berichteten bewussten Demonstration in den Videos - mit einem besonderen Gefährdungspotenzial verbunden wird. Aufgrund des Alters, des Bildungs- und Reifezustandes des Klägers im Unfallzeitpunkt musste dem Kläger auch bewusst gewesen sein, dass über den "Stromabnehmer" die Stromversorgung der Lok läuft, zumal wenn sie sich wie hier im Fahrbetrieb befindet.

Dabei geht der Senat von Folgendem aus: Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt 15 Jahre und 11 Monate alt, er stand somit kurz vor der Vollendung seines 16. Lebensjahres. Er war Schüler der 10. Klassenstufe eines Gymnasiums. Der Kläger war intelligent. Dies wurde glaubhaft von der Zeugin G, der Klassenlehrerin des Klägers seit der 7. Klasse und auch im Unfallzeitpunkt, bekundet. Überzeugend erscheint dies dem Senat insbesondere auch im Hinblick auf die durchweg gute Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens des Klägers im Zeugnis vom 30. Januar 2015, welches den Entwicklungsstand des Klägers auch in dem wenige Tage vor Erstellung des Zeugnisses erlittenen Unfall aussagekräftig abbildet: Arbeitsverhalten Lern- und Leistungsbereitschaft 2 Zuverlässigkeit und Sorgfalt 2 Ausdauer und Belastbarkeit 2 Selbstständigkeit 1

Sozialverhalten Verantwortungsbereitschaft 2 Kooperations- und Teamfähigkeit 2 Konfliktfähigkeit und Toleranz 2

Auch die Fachnoten des Klägers Note 1: Musik Note 2: Informatik, Sport, Geschichte, Geographie, Biologie, Mathematik, Spanisch; Note 3: Deutsch, Englisch, Chemie, Physik, politische Bildung zeugen von seiner Intelligenz.

Dass sich die Benotung des Klägers im Bereich Arbeits- und Sozialverhalten im Vergleich vom Schuljahresende der 9. Klasse (Zeugnis vom 09. Juli 2014) zum Halbjahreszeugnis der 10. Klasse im Januar 2015 um eine Stufe durchweg verbessert hatte, sieht der Senat durch die Aussage der Zeugin G in Beantwortung der darauf zielenden Frage des Beklagtenvertreters im Termin zur mündlichen Verhandlung plausibel erklärt: Die Schüler wurden von den Lehrern bereits im ersten Halbjahr der 10. Klasse immer wieder auf die am Ende des 10. Schuljahres stattfindenden Prüfungen zum Mittlere Schulabschluss (MSA) hingewiesen. Deswegen fand auch keine Klassenfahrt, sondern eine Vorbereitungswoche auf die Prüfungen statt. Nachvollziehbar ist daher die Aussage der Zeugin, dass der Kläger sich aktiv eingebracht und angestrengt hat. Für diese Erklärung spricht auch, dass sich nicht nur die Benotung seines Arbeits- und Sozialverhaltens gebessert hat, sondern er auch in einem Teil seiner Fachnoten eine bessere Note erreichen konnte (Geographie, Biologie, Mathematik, Spanisch von der Note 3 auf die Note 2).

Hingegen ergeben sich für den Senat keine gesicherten Hinweise darauf, dass das Unfallereignis vom 21. Januar 2015 als "Bonus" in die Benotung eingeflossen ist. Die Zeugin G vermochte - auf direktes Befragen durch den Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung - dies nicht zu bestätigen. An einen genauen Termin des Notenschlusses vermochte sie sich nicht zu erinnern. Sie hielt es lediglich für möglich -"es könne sein" -, dass schon vor dem Unfall Notenschluss gewesen ist. Vom praktischen Ablauf her erscheint ihre Aussage plausibel, denn - so die Zeugin - es brauche nach dem Notenschluss noch einige Zeit, bis das Zeugnis erstellt und unterschrieben sei. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass der Unfall irgendeinen Einfluss auf die Notenvergabe gehabt hat.

Der von Intelligenz geprägte altersentsprechende Entwicklungsstand des Klägers wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die Zeugin den Kläger als "etwas lustig, verspielt und kindlich in dem Sinne" bezeichnet hat, dass "er viele Scherze gemacht hat, viel gelacht hat und immer in Bewegung war" und dass es "Jungs in seiner Klasse gab, die reifer gewirkt haben." Damit beschreibt die Zeugin einen im Durchschnitt liegenden Entwicklungsstand des Klägers im Vergleich zu seinen Altersgenossen. Die Zeugin beschreibt den Kläger weiterhin als immer sehr diszipliniert und sehr höflich. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass der Kläger bei einer Schlägerei auf dem Schulhof dabei war oder Initiator einer Clique war. Er sei nie ein Problemkind gewesen, es habe andere Jungs gegeben, die risikofreudiger gewesen seien. Dass die Zeugin, wie von ihr bekräftigt, sehr überrascht und geschockt gewesen war, vom Unfall des Klägers zu hören, erscheint daher sehr glaubhaft. Sie hätte eher einem anderen Schüler ein derartiges Unfallverhalten zugetraut, nicht jedoch dem Kläger. Der Senat schließt daraus, dass die Zeugin den Kläger auf einem für sein Alter hohen Intelligenzniveau gesehen hat. Der Senat sieht seine Wertung untermauert auch durch die Aussage der Zeugin, dass der Kläger gut Gitarre spielte und bei den Schulfesten wie auch beim Adventskonzert auftrat, er sozusagen der "Rockstar" der Schule war, sich bei gruppenorientierten Problemlösungen nie aus der Gruppe rausnahm, sondern immer aktiv mitwirkte. Dieses von der Zeugin G sehr facettenreich geschilderte, rundum positiv geprägte Persönlichkeitsbild des Klägers verdeutlicht dem Senat, dass der Kläger keinerlei Entwicklungsverzögerungen, Defizite oder auffällige Persönlichkeitsakzentuierungen im Zeitraum des Unfalls aufwies, sondern vielmehr in der Lage war, sich der Situation angemessen und verantwortungsbewusst zu verhalten.

Das Ergebnis der Zeugenbefragung sieht der Senat bestätigt durch das Ergebnis der während seines stationären Rehabilitationsaufenthaltes von April bis Juni 2015 in Bad K erfolgten neuropsychologischen Untersuchung des Klägers (vergleiche neuropsychologischer Bericht vom 16. Juni 2015), in dem dieser - nach dem Unfall - ausnahmslos durchschnittliche Werte im Bereich Aufmerksamkeit, mnestische Funktionen sowie exekutive Leistungen erreichte. Aus der ärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. F vom 22. Juni 2018 ergeben sich keine Erkenntnisse über die Reife bzw. Entwicklungsdefizite des Klägers zum Unfallzeitpunkt, da er den Kläger erstmals ein Jahr nach dem Unfallereignis gesehen hat.

Der ohne Defizite - durchschnittliche - Reifegrad des intelligenten Klägers wird auch deutlich aus dem mit dem Kläger knapp zwei Monate nach dem Unfallereignis am 15. April 2015 im UKB geführten Gespräch durch zwei Mitarbeiterinnen der Beklagten, die ihrerseits den Kläger aufgrund ihrer persönlichen Wahrnehmungen im Aktenvermerk zu diesem Gespräch als "intelligent, wortgewandt, schlagfertig" beschrieben.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Verwaltungsvorschrift über die Wahrnehmung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht im schulischen Bereich des brandenburgischen Bildungsministeriums vom 08. Juli 1996 (Abl. MBJS/96, S. 383), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift am 13. April 2004 (Abl. MBJS/04, S.194) Auch danach tragen minderjährige Schülerinnen und Schüler eine ihrem Alter und ihrer Reife entsprechende Mitverantwortung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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