L 3 U 155/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 115/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 155/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das überraschende Nachfassen an einem wegen glatter Oberfläche schwer zu fassenden 50 kg schweren Findling und die dadurch entstehende Krafteinwirkung können geeignet sein, einen Riss der körperfernen Bizepssehne herbeizuführen.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 30. Juli 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 7. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2016 aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 22. Juli 2016 um einen Arbeitsunfall handelt sowie bei der Bizepssehnenruptur rechts um einen Gesundheitserstschaden dieses Unfalls.

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung des Ereignisses vom 22. Juli 2016 als Arbeitsunfall sowie der Bizepssehnenruptur rechts als Gesundheitserstschaden dieses Unfalls.

Im Durchgangsarztbericht vom 23. Juli 2016 wurde mitgeteilt, dass der 1957 geborene und bei der Beklagten als selbständiger Steinmetzmeister versicherte Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit am 22. Juli 2016 um 16.45 Uhr mit einem Kunden zusammen einen Stein aufgehoben habe, als es plötzlich in seinem rechten Oberarm geknackt habe. Der Durchgangsarzt Dr. D., Kreiskrankenhaus Rotenburg a. d. Fulda, stellte bei der Untersuchung um 17.14 Uhr am selben Tag eine distale Bizepssehnenruptur rechts fest, die nach dem OP-Bericht des Dr. E. vom 27. Juli 2016 operativ behandelt wurde (Re-Insertion der distalen Bizepssehne mittels Mitek-Ankern). Das Kreiskrankenhaus Rotenburg teilte der Beklagten telefonisch mit, dass weder eine histologische Untersuchung durchgeführt noch Bildmaterial der Verletzung angefertigt worden sei. In dem vom Kläger am 1. August 2016 unterschriebenen Fragebogen der Beklagten wurde ausgeführt, dass er einen ca. 80 kg schweren Stein gehoben habe. Der Stein habe etwas verrückt werden sollen. Es wurde die Antwortalternative angekreuzt, dass der tatsächliche Bewegungsablauf nicht vom geplanten Bewegungsablauf abgewichen sei.

Mit Bescheid vom 7. September 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil zwischen dem Riss der körperfernen Bizepssehne rechts und dem Ereignis vom 22. Juli 2016 kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Der Hergang vom 22. Juli 2016 sei nicht geeignet gewesen, die Bizepssehnenverletzung zu verursachen. Es habe sich um eine willentliche Kraftanstrengung ohne zusätzliche äußere Einwirkung gehandelt, so dass es zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls an dem Merkmal der äußeren Gewalteinwirkung fehle. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 22. September 2016 Widerspruch ein und stützte sich auf das sog. "Grabsteinurteil" des Bundesozialgerichts (BSG) vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 30. Dezember 2016 Klage bei dem Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) erhoben und zur Begründung ausgeführt, das Ereignis vom 22. Juli 2016 stelle einen Arbeitsunfall dar. Er habe im Rahmen seiner Tätigkeit einen Stein für den Garten eines Kunden (geschätztes Gewicht ca. 80 kg) ausgeliefert. Nachdem der Stein abgeladen worden sei, hätten der Herr F. und er ihn noch etwas verrücken wollen, da er nicht richtig gelegen habe. Beim Anheben des Steines habe er plötzlich ein Reißen und Schmerzen im rechten Arm verspürt. Der Kläger hat als Zeugen Herrn F. F. und Herrn G. G. benannt.

Das Sozialgericht hat diverse Röntgen und CT-Aufnahmen sowie Befundberichte und Karteikartenauszüge bei der Praxis für Neurochirurgie Dr. H., der Praxis für Allgemeinmedizin/Innere Medin Dr. J. sowie bei dem Kreiskrankenhaus Rotenburg/Fulda beigezogen bzw. eingeholt. Ferner hat es Kopien aus der Schwerbehindertenakte beigezogen.

Sodann hat das Sozialgericht von Amts wegen ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. K. vom 4. Mai 2017 eingeholt. Dr. K. hat ausgeführt, zum Unfallhergang habe der Kläger den aktkundigen Sachverhalt bestätigt und angegeben, dass er mit einem Kunden zusammen einen Stein habe hochheben wollen, dessen Gewicht er mit ca. 50 kg einschätze. Beim Anheben des Steines habe er ein Reißen am rechten Arm verspürt, den Stein losgelassen und die Arbeit abgebrochen. Als Gesundheitsbeeinträchtigungen bei dem Kläger hat der Sachverständige eine distale Bizepssehnenruptur rechts mit Reinsertion der Sehne am 27. Juli 2016 und verbliebender geringer Funktionseinschränkung, eine deutliche Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenks nach Schulterblattmehrfragmentfraktur und Nervus-axillaris Schädigung rechts im Rahmen einer Polytraumatisierung 1999 sowie eine Radiusköpfchenfraktur rechts 1993 festgestellt. Dr. K. hat weiter ausgeführt, dass sich nach Auswertung von Röntgengaufnahmen des rechten und linken Ellenbogengelenks keine degenerative Verschleißerkrankung gezeigt habe. Auf beiden Seiten habe sich radiologisch kein Hinweis auf Verkalkungen im Bereich der Muskel- und Sehnenansätze ergeben. Die einliegenden drei Mitek-Anker zur Reinsertion der distalen Bizepssehne am rechten Ellenbogen hätten sich radiologisch ohne Hinweis auf Lockerung oder Infekt dargestellt. Dr. K. hat keine der von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen als Folge des Ereignisses vom 22. Juli 2016 angesehen, da der geschilderte biomechanische Ablauf des Unfallereignisses keine Gefährdung für die distale Bizepssehne darstelle. Es handele sich bei dem Anheben des Steines mit dem Kunden zusammen um eine gesteuerte Belastung des Armes. Eine überfallartige Belastung lasse sich nicht begründen. Nachdem weder eine makroskopische Beschreibung der Sehne im OP-Bericht stattgefunden habe noch eine histologische Untersuchung oder kernspintomographische Untersuchung des rechten Ellenbogengelenks erfolgt sei, verbleibe zur Beurteilung des Kausalzusammenhangs überwiegend der biomechanische Ablauf des Unfallereignisses. Dieser stelle eher ein Argument gegen einen Kausalzusammenhang dar. In der ergänzenden Stellungnahme vom 31. Januar 2018 zu den Einwänden des Klägers vom 11. Juli 2017 ist der Sachverständige bei seiner Auffassung verblieben.

Mit Urteil vom 30. Juli 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das Ereignis vom 22. Juli 2016 keinen Arbeitsunfall darstelle, da es an einer äußeren Einwirkung fehle. Die Bizepssehnenruptur rechts sei nicht als Primärschaden anzuerkennen. Das Sozialgericht schließe sich dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Dr. K. an. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen liege ein ungeeigneter Unfallmechanismus vor. Nach dem funktionellen Bauplansystem liege die Zug- und Heb-festigkeit der Sehne über der Kraftbildungsfähigkeit des Muskels. Eine Sehne, die weniger zugfest sei, als ihr Muskel an Kraft aufzubringen vermöge, sei nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen krankhaft verändert. Als mögliche Ursache für eine Sehnenruptur werde die plötzliche passive Bewegung eines muskulär festgestellten Gelenkes aufgeführt. Diese plötzliche passive Bewegung eines muskulär festgestellten Gelenkes weise andere anatomische und physiologische Voraussetzungen auf, als die willentliche Kraftanstrengung. Nicht ausreichend sei eine das Maß der gewöhnlichen und gewohnten überschreitenden Bewegungs- und Belastungsphase. Es werde vielmehr das plötzliche überfallartige Überdehnen der Sehne gefordert. Wenn die Kraftanstrengung willentlich geschehen sei, liege eine Überbelastung der Sehne nicht vor und es fehle an einem geeigneten Unfallereignis. Das Anheben des Steines durch den Kläger sei nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen mit jeder anderen normalen Verrichtung des privaten täglichen Lebens austauschbar. Wegen dieser Austauschbarkeit sei das Unfallereignis hinsichtlich des Sehnenrisses nicht rechtlich wesentlich.

Gegen das ihm am 6. August 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. September 2018 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Unfallhergang hätte näher aufgeklärt werden müssen. Der Sachverständige habe unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger den Stein nicht allein, sondern zusammen mit dem Herrn F. bewegt habe, so dass nicht lediglich eine Kraft von unten nach oben auf seinen Körper eingewirkt habe, wie dies beim bloßen Anheben der Fall sei, sondern es habe auch eine Querbewegung durch Anheben und Drücken des Herrn F. berücksichtigt werden müssen, was zur plötzlich auftretenden und überfallartigen Überdehnung der Bizepssehne bei dem Kläger geführt habe.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 30. Juli 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2016 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 22. Juli 2016 um einen Arbeitsunfall handelt sowie bei der Bizepssehnenruptur rechts um einen Gesundheitserstschaden dieses Unfalls.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers ein unfallchirurgisches Fachgutachten des Dr. D., Chefarzt der Chirurgischen Klinik des Kreiskrankenhauses Rotenburg a. d. Fulda vom 4. Oktober 2019 eingeholt. Dieser hat als Gesundheitsstörungen des Klägers eine distale Bizepssehnenruptur rechts mit Reinsertion der Sehne am 27. Juli 2016 mit sehr geringer verbliebener Funktionseinschränkung, einen Zustand nach Schulterblattmehrfregment-Fraktur und Nervus-axillaris-Schädigung rechts im Rahmen einer Polytraumatisierung 1998 mit deutlich verbliebener Funktionseinschränkung sowie einen Zustand nach Radiusköpfchenfraktur rechts 1993 festgestellt. Zum Unfallhergang hat der Sachverständige ausgeführt, der Kläger habe mit seinem Kollegen einen über 50 kg schweren Findling mit nasser Oberfläche angehoben. Dabei sei ihm der Findling aus den Fingern gerutscht. Beim Nachfassen habe er einen peitschenartigen Schmerz und Schlag im proximalen rechten Unterarm verspürt mit anschließender Funktionseinbuße im Sinne einer distalen Bizepssehnenruptur. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser Unfallhergang geeignet gewesen sei, die distale Bizepssehnenruptur zu verursachen. Dafür spreche, dass in den unmittelbar posttraumatisch und präoperativ durchgeführten Röntgenaufnahmen keinerlei degenerativen Veränderungen im Bereich des Ansatzes der distalen Bizepssehne am rechten Unterarm zu erkennen seien. Durch das Abrutschen des Findlings mit glatter Oberfläche und das akute Nachfassen des fallenden Steins sei eine akute Krafteinwirkung auf die distale Bizepssehne erfolgt und diese rupturiert.

Der Senat hat im Erörterungstermin vom 18. August 2020 den Kläger zu dem geltend gemachten Unfallhergang am 22. Juli 2016 angehört und hierzu als Zeugen F. F. und G. G. vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten hatte der Senat ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter durch die Berichterstatterin über die Berufung des Klägers zu entscheiden (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 30. Juli 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 7. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2016 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 22. Juli 2006 um einen Arbeitsunfall handelt sowie auf Feststellung der Bizepssehnenruptur rechts als Gesundheitserstschaden dieses Unfalls.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII - sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach grundsätzlich erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung von Verletztenrente (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris Rdnr. 10 m. w. N.). Hinsichtlich des Beweismaßstabs müssen die Tatbestandsmerkmale der "versicherten Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", des "Unfallereignisses" sowie des "Gesundheitsschadens" im Grad des Vollbeweises, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris Rdnr. 28). Demgegenüber genügt für den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris).

Eine versicherte Tätigkeit ist bei dem Kläger im Vollbeweis nachgewiesen. Die Verrichtung des Klägers zurzeit des Unfalls, der Transport und das Umsetzen eines schweren Findlings mit einem Gewicht von mindestens ca. 50 kg zusammen mit dem Zeugen F. auf das Grundstück des Zeugen G. ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Ebenso ist hier ein Gesundheitsschaden, nämlich ein dabei aufgetretener Riss der distalen kurzen Bizepssehne rechts, im Vollbeweis nachgewiesen.

Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitliche begrenzte Ereignis (Unfallereignis), das ebenfalls im Vollbeweis nachgewiesen sein muss, ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursache, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Die erforderliche äußere Einwirkung auf den Körper kann auch darin bestehen, dass durch betriebliche Einflüsse eine krankhafte Störung im Körperinneren hervorgerufen wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - juris Rn. 12 und Leitsatz). Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen. In der Entscheidung vom 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R - hat das BSG bei einem körperlich anstrengenden Heben einer Bohrsonde, währenddessen der Versicherte auf einmal einen Schmerz im Halsbereich verspürte, eine Einwirkung angenommen, aber den Ursachenzusammenhang verneint (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - juris Rn. 13 m. w. N.). Ob eine und welche äußere Einwirkung vorlag ist ggf. nicht ohne die eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen. Danach kann die äußere Einwirkung beispielsweise auch in einer Kraft liegen, die ein schwerer und festgefrorener Stein dem Versicherten entgegensetzt, liegen (BSG, a. a. O., juris Rn. 14). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist zur Überzeugung des Senats durch das überraschende Moment und die akute Krafteinwirkung bei dem Nachfassen des Findlings durch den Kläger am 22. Juli 2016 ein Unfallereignis im Vollbeweis nachgewiesen. Der Senat sieht aufgrund der Beweisaufnahme, hier insbesondere der Aussage des Zeugen F. in Zusammenschau mit den Angaben des Klägers bei seiner Anhörung im Erörterungstermin am 18. Mai 2020, als im Vollbeweis erwiesen an, dass der mindestens ca. 50 kg schwere Findling von der Sackkarre, die der Zeuge F. mit dem rechten Fuß festgestellt hatte, von dem Kläger und dem Zeugen F. über einen Mauervorsprung bewegt werden sollte. Zu diesem Zweck wurde der Findling von dem Kläger und dem Zeugen F. angehoben. Dabei kippte der Stein zurück, und beim Nachfassen an dem zurückkippenden bzw. zurückfallenden Stein riss bei dem Kläger die kurze distale Bizepssehne. Der Stein war - nach den Angaben des Klägers aufgrund seiner glitschigen Oberfläche - nicht zu halten. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der Kläger die Angaben zum Unfallhergang anfangs nicht in dieser präzisen Form gemacht hat. Ein Hinweis auf den nach der Beweisaufnahme zugrunde gelegten Unfallhergang findet sich jedoch bereits in den im Erörterungstermin vorgelegten Angaben des Klägers im Frageboten der privaten Unfallversicherung L. Versicherung, die nach der im Erörterungstermin geschilderten zeitlichen Abfolge im Jahr 2017 erfolgten. Der Kläger teilte darin mit, dass der umzusetzende Findling schlecht zu fassen war. Zwar hat der Kläger diesbezügliche präzisere Angaben weder über seinen Prozessbevollmächtigten in der Klage- und Berufungsbegründung noch gegenüber dem Sachverständigen Dr. K. getätigt, sondern erst gegenüber dem Sachverständigen Dr. D. Offenbar hat der Kläger seine Verpflichtung zu genaueren Angaben nicht ernst genug genommen, weil er nach eigenen Angaben überzeugt davon war, dass es sich bei dem Bizepssehnenriss während der Arbeit einfach um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Dies ändert jedoch zur Überzeugung des Senats nichts an der glaubhaften Aussage des Zeugen F. zum wesentlichen Ablauf des Unfallgeschehens. Der Zeuge F. wird auch als glaubwürdig eingeschätzt, wesentliche Widersprüche der Zeugenaussage im Verhältnis zu den Klägerangaben im Erörterungstermin am 18. August 2020 und der weiteren Aussage des Zeugen G. liegen nicht vor. Soweit der Zeuge G. in seiner Aussage bezüglich des Transports mit der Sackkarre auch einen abweichenden Geschehensablauf ins Spiel brachte, hat er zugleich zugestanden, sich nicht mehr an den konkreten Geschehensablauf im Einzelnen erinnern zu können, sowie nicht unmittelbar an dem Transportgeschehen des Findlings von der Sackkarre über den Mauervorsprung beteiligt gewesen zu sein, sondern ca. 1 bis 2 m davon entfernt gestanden zu haben.

Die Ruptur der körperfernen Bizepssehne rechts ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Sie stellt einen Gesundheitserstschaden dar, das Vorliegen der haftungsbegründenden Kausalität ist zu bejahen.

Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Arbeitsunfalls basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer 1. Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d. h. - so die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass der möglicherweise aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: Thomann (Hrsg), Personenschäden und Unfallverletzungen, Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite 630). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer 2. Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.).

Die bei dem Kläger nachgewiesene Bizepssehnenruptur lässt sich im naturwissenschaftlichen Sinne (1. Prüfungsstufe) hinreichend wahrscheinlich auf das Unfallereignis zurückführen.

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsstörungen zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen. Daher ist im Rahmen der 1. Stufe der Kausalitätsprüfung nach der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung die Frage mit zu beantworten, ob es einen anerkannten wissenschaftlichen Erfahrungssatz über den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, also die Frage der "generellen Eignung" zwischen der konkreten Einwirkung und dem tatsächlichen Gesundheitsschaden gibt bzw. ob das einwirkende Ereignis als objektive Ursache überhaupt infrage kommt. Im vorliegenden Fall muss daher die - als Anknüpfungstatsache im Vollbeweis nachzuweisende - konkrete Einwirkung ihrer Intensität nach geeignet sein, zu einer Bizepssehnenruptur zu führen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.; BSG, Urteil vom 24. Juli 2012, a.a.O.).

Dies ist im Falle des Klägers zu bejahen, die konkrete Einwirkung war ihrer Intensität nach geeignet, zu der distalen Bizepssehnenruptur rechts zu führen.

Bei dem Riss der distalen kurzen Bizepssehne handelt es sich um eine eher seltene Rissform (3 %), während der Riss der proximalen langen Bizepssehne mit 96 % die häufigste Form ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 8.2.4 Riss der Bizepssehne S. 424). Nach aktueller Lehrmeinung sind etwa 50 % der Bizepsläsionen der distalen kurzen Bizepssehne anlagebedingt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, a. a. O., 9. Auflage, 8.2.4.2 Riss der distalen kurzen Bizepssehne, S. 428 ff.). Danach werden als geeignete Unfallmechanismen für den Riss der distalen kurzen Bizepssehne angesehen:
• Plötzliche, auf die vorgespannte Muskulatur einwirkende Kraft, z. B. Auffangen einer schweren Last mit gebeugtem und supiniertem Unterarm
• Direkter Schlag eines Gegenstandes in die Ellenbeuge
• Fehlschlag mit schwerem Hammer
• Plötzliche passive Bewegung von muskulär fixierten Gelenken
• Direkte Krafteinwirkung durch Quetschungen, Schläge oder Stiche
Als ungeeignete Abläufe für den Riss der distalen kurzen Bizepssehne gelten:
• Direktes Anpralltrauma auf die Schulter
• Plötzlicher Schmerz bei Anheben eines Gegenstandes
• Schmerz beim Schippen mit Schaufel
• Willentliche Kraftanstrengung ohne zusätzliche Einwirkung.

Aufgrund des überraschenden Moments des Nachfassens an dem wegen seiner glitschigen Oberfläche schwer zu fassenden mindestens ca. 50 kg schweren Findling durch den Kläger ist eine zusätzliche akute Krafteinwirkung anzunehmen, die über eine bloße willentliche Kraftanstrengung hinausgeht, und die nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Dr. D. nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand geeignet ist, den Riss der kurzen distalen Bizepssehne herbeizuführen (vgl. in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2009 - L 1 U 3612/08 - juris Rn. 32 m. w. N.). Die vorgenannte Krafteinwirkung hat auch im konkreten Fall den Bizepssehnenriss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht. Es sprechen mehr Gründe für als gegen eine unfallbedingte Verursachung. Der Kläger hat sofort nach dem Unfallereignis vom 22. Juli 2016 seine Arbeit abgebrochen und musste im Krankenhaus operativ behandelt werden, für eine vorbestehende Verschleißerkrankung im Sehnenbereich finden sich keine hinreichenden Hinweise. Nach dem Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. K. vom 4. Mai 2017 hat sich nach Auswertung von Röntgenaufnahmen des rechten und linken Ellenbogengelenks keine degenerative Verschleißerkrankung gezeigt, auf beiden Seiten hat sich radiologisch kein Hinweis auf Verkalkungen im Bereich der Muskel- und Sehnenansätze ergeben. Die einliegenden drei Mitek-Anker zur Reinsertion der distalen Bizepssehne am rechten Ellenbogen haben sich radiologisch ohne Hinweis auf Lockerung oder Infekt dargestellt. Zwar hat weder eine makroskopische Beschreibung der Sehne im OP-Bericht des Dr. E. vom 27. Juli 2016 stattgefunden noch ist eine histologische oder kernspintomographische Untersuchung des rechten Ellenbogengelenks in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem eingetretenen Bizepssehnenriss am 22. Juli 2016 erfolgt. Jedoch hat der Sachverständige Dr. D. im Gutachten vom 4. Oktober 2019 ausgeführt, dass in den unmittelbar posttraumatisch und präoperativ durchgeführten Röntgenaufnahmen keinerlei degenerativen Veränderungen im Bereich des Ansatzes der distalen Bizepssehne am rechten Unterarm zu erkennen gewesen sind. Ebenso wenig finden sich in den beiden Sachverständigengutachten Hinweise auf Vorschädigungen im Bereich der rechten körperfernen Bizepssehne durch die Folgen der Polytraumatisierung im Jahr 1998 bzw. 1999 oder durch die Radiusköpfchenfraktur rechts 1993. Diesbezüglich ist lediglich eine deutliche Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenks nach Schulterblattmehrfragmentfraktur und Nervus-axillaris Schädigung rechts im Rahmen der Polytraumatisierung 1998 bzw. 1999 sowie eine Radiusköpfchenfraktur rechts 1993 festgestellt worden (vgl. Gutachten des Dr. K. vom 4. Mai 2017 und Gutachten des Dr. D. vom 4. Oktober 2019).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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