S 39 KR 1016/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
39
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 39 KR 1016/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 496/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.374,69 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.07.2015 zu bezahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf 5.374,69 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe von 5.374,69 Euro.

Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus. Dort wurde der bei der Beklagten versicherte C., geb. 1940, stationär vom 19.04.2015 bis 30.04.2015 behandelt. Die Beklagte stellte der Klägerin hierfür am 11.05.2015 den Betrag in Höhe von 28.527,72 Euro in Rechnung. Sie rechnete mit der DRG-Fallpauschale F03A ab. Diesen Rechnungsbetrag beglich die Beklagte. Die Beklagte beauftragte den medizinischen Dienst der Krankenkassen in Bayern (MDK) mit der Begutachtung der Kodierung des Falls. Dieser erstellte am 16.07.2015 ein Gutachten und kam zu dem Ergebnis, dass die DRG F05Z zur Anwendung komme. Die Prozedur OPS 8-923 (Monitoring der hirnvenösen Sauerstoffsättigung) sei nicht anzuerkennen. Es habe ein Monitoring mit dem INVOS-System stattgefunden. Dies stelle eine transkutane Messung dar, welche nicht den Vorgaben des OPS entsprechen würde. Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 17.07.2015 von der Beklagten den sich aus den Kodierungen ergebenden Differenzbetrag in Höhe von 5.374,69 Euro zurück. Am 21.07.2015 verrechnete die Beklagte den Differenzbetrag mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin.

Die Klägerin hat dem Gutachten des MDK und der vorgenommenen Verrechnung mit Schreiben vom 24.11.2015 widersprochen. Die Auffassung des MDK, dass mit dem INVOS-System eine hirnvenöse Sauerstoffmessung nicht möglich sei, sei unzutreffend. Gemäß der Allgemeinen Kodierrichtlinien für Prozeduren (DKR P001f) seien alle signifikanten Prozeduren zu kodieren. Die hier streitige diagnostische Überwachung erfülle auf Grund der vorzuhaltenden Spezialgeräte und notwendigen fachlichen Kompetenz diese Voraussetzung. Der OPS 8-923 erfordere ein Monitoring der hirnvenösen Sauerstoffsättigung. Dies sei mit dem INVOS-Monitor möglich. Der OPS erfordere keine direkte invasive Messung. Es gebe keinen Hinweis im OPS selbst oder in dessen Umfeld, auf welchem Weg das Monitoring erfolgen müsse. Es handele sich um eine intraluminale Sättigungsmessung, welche venöse und arterielle Werte erfasse, wodurch sich venös gewichtete prozentuelle Sättigungsdaten ergeben würden.

Die Bevollmächtigte der Klägerin hat am 07.07.2016 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Es wird in der Sache die Begründung des Widerspruchs gegen das MDK-Gutachten wiederholt. Zudem wird darauf verwiesen, dass der OPS 8-923 nicht erfordere, dass die Sauerstoffsättigung im gesamten Hirn gemessen werde. Auch bei der von der Beklagten geforderten transvenösen Messung könne nur ein Teil des Gehirns gemessen werden. Auch erfordere der OPS-Kode nicht die Messung der rein hirnvenösen Sauerstoffsättigung.

In der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2017 haben die Klägervertreter darauf hingewiesen, dass es sich bei INVOS um ein neueres Verfahren zur Messung der Sauerstoffsättigung handelt. Es wurde erläutert, dass sowohl das von der Beklagten als vom OPS-Code unstreitig als erfasst angesehene Messverfahren, als auch das hier streitige Verfahren jeweils nur einen Teilbereich der gesamten hirnvenösen Sauerstoffsättigung abbilden können. Es liege nur ein Unterschied im Messverfahren vor.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.374,69 Euro nebst Zinsen hieraus seit 22.07.2015 in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Kodierung wie vom MDK vorgeschlagen zu erfolgen habe. Es sei kein Monitoring der hirnvenösen Sauerstoffsättigung durchgeführt worden. Im frontalen Hirngewebe würden sich 75% de Bluts im venösen und 25% im arteriellen Gefäßbett befinden. Es werde bei INVOS zwar eine venös gewichtete, aber keine rein hirnvenöse Sauerstoffsättigung gemessen. Dies stelle nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten celebralen Versorgung dar. Ein an anderer Stelle des Gehirns auftretender Sauerstoffmangel könne nicht erkannt werden. Die mittels INVOS gemessene Sauerstoffsättigung könne nicht mit der hirnvenösen Sauerstoffsättigung gleichgesetzt werden. Der OPS enthalte keinen Hinweis darauf, dass damit auch venös gewichtete Verfahren gemeint seien.

Die Beteiligten sind sich einig, dass ein Sachverständigengutachten zur Beantwortung der vorliegenden Streitfrage nicht erforderlich sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG (SGG) zulässig.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung offener Vergütung in Höhe von 5.374,69 Euro. Ein Erstattungsanspruch der Beklagten in dieser Höhe besteht nicht.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Beklagten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) sowie § 17b Abs. 1 Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in Verbindung mit § 39 Abs. 1 SGB V und dem Fallpauschalenkatalog. Gemäß § 7 Satz 1 Nr. 1 i. V. m § 9 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen nach Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog abgerechnet. Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen "Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V" (OPS-301) verschlüsselt ( § 301 Abs. 2 S 2 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene "Kodierrichtlinien" beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der in den Computer eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als "Groupierung" bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS eine bestimmte DRG angesteuert (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2013, B 3 KR 7/12 R mwN).

Die Vergütungsregelungen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen. Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, müssen die zuständigen Stellen durch Änderung für die Zukunft Abhilfe schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2013, B 3 KR 7/12 R).

Gemäß diesen Grundsätzen ist vorliegend die DRG-Fallpauschale DRG F03A zugrunde zu legen, da die OPS 8-923 zutreffend von der Klägerin kodiert worden ist.

Streitentscheidend ist hier, wie die OPS-Ziffer 8-923 aus dem Operationen- und Prozedurenschlüssel der Version 2015 auszulegen ist.

Diese lautet wie folgt:

"8-923 Monitoring der hirnvenösen Sauerstoffsättigung Hinw.: Dieser Kode ist nur für intensivmedizinische Patienten anzugeben".

Die Parteien streiten darüber, ob das von der Klägerin unstreitig angewandte INVOS-Verfahren die Voraussetzungen dieses OPS-Kodes erfüllt. Zwischen den Parteien ist weiter unstreitig, wie das INVOS-Verfahren funktioniert und dass die invasive Messung der Sauerstoffsättigung die Voraussetzungen des OPS-Kodes erfüllt. Im Rahmen des hier anhängigen Gerichtsverfahrens hat sich herauskristallisiert, dass letztlich die Frage entscheidend ist, ob die Messung der Sauerstoffsättigung rein hirnvenös erfolgen muss (so bei der invasiven Messung) oder ob auch eine nicht invasive gewichtete Messung, bei der sowohl die venöse als auch die arterielle Sättigung gemessen wird, ausreichend ist.

Die OPS-Kodes sind nach der o. g. Entscheidung des BSG (Urteil vom 18. Juli 2013, B 3 KR 7/12 R) eng und möglichst wortlautgetreu auszulegen. Nach Auffassung der Kammer findet die Auslegung der Beklagten im Wortlaut des OPS-Kodes keine Stütze. Das INVOS-Verfahren misst die hirnvenöse und hirnarterielle Sauerstoffsättigung und errechnet auf Grund des zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitigen Gewichtungsverhältnisses von 3:1 die hirnvenöse Sauerstoffsättigung. Mittels dieses Verfahrens wird daher die hirnvenöse Sauerstoffsättigung überwacht. Der Wortlaut erfordert nur, ein Monitoring, also eine Überwachung bzw. Beobachtung, der hirnvenösen Sauerstoffsättigung. An die Qualität oder die Art der Durchführung dieses Monitorings werden seitens des OPS-Kodes keine Anforderungen gestellt. Dies tut jedoch die Beklagte. Die Beklagte trägt vor, dass das INVOS-Verfahren nicht in gleicher Weise verlässliche, zutreffende oder sichere Daten liefere als das invasive Messverfahren. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies der Fall ist. Denn hierauf kommt es nach dem Wortlaut des OPS 8-923 nicht an. Denn nach der Rechtsprechung des BSG gibt es neben dem Wortlaut keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2013, B 3 KR 7/12 R).Auch im Übrigen enthalten die OPS-Kodes keine Einschränkung dahingehend, dass nur das jeweils beste/sicherste/qualitativ hochwertigste Verfahren zur Kodierung des entsprechenden OPS führen dürfe. Soweit die Beklagte der Meinung ist, das INVOS-Verfahren sei zur Messung der hirnvenösen Sauerstoffsättigung ungeeignet, muss sie auf die Einleitung eines Bewertungsverfahrens nach § 137c SGB V hinwirken. Die Abrechenbarkeit des Verfahrens wird hierdurch jedoch vor Abschluss des Verfahrens nicht beeinflusst, wenn die jeweilige Methode vom Wortlaut des OPS-Kodes erfasst ist.

Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass der hier streitige OPS-Kode nicht auf das INVOS-System passt, muss sie das bereits begonnene Verfahren zur Änderung des Kodes beim DIMDI vorantreiben und ein Exklusivum erwirken. Denn das BSG hat hierzu entschieden, dass bei Wertungswidersprüchen und sonstige Ungereimtheiten (wie die Beklagte sie annimmt), die zuständigen Stellen durch Änderung für die Zukunft Abhilfe schaffen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2013, B 3 KR 7/12 R). Bis zu dieser Änderung ist jedoch der gültige Wortlaut heranzuziehen und dieser erfasst die hier streitige Messmethode.

Der Klage war aus diesem Grund stattzugeben.

Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V und des zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG, § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 und 3, § 63 Abs. 2 GKG auf 5.374,69 Euro festgesetzt.
Rechtskraft
Aus
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