L 7 AS 1330/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 40 AS 1548/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1330/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 05.08.2020 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen für Unterkunft und Heizung.

Der 1957 geborene Antragsteller und die 1959 geborene Antragstellerin sind bulgarische Staatsangehörige und Ehepartner. Die Antragstellerin ist Hausfrau, der Antragsteller arbeitete 2017 bei der Firma N GmbH. Nach einem Verkehrsunfall im Mai 2017 erhält der Antragsteller, bei dem der Pflegegrad 3 anerkannt ist, Pflegegeld iHv 545 EUR monatlich. Er hat einen GdB von 100. Die BG Bau lehnte die Gewährung von Ansprüchen (Bescheid vom 13.08.2018) ebenso wie die Rentenversicherung (Bescheid vom 14.02.2019) und die Stadt L (Bescheid vom 31.01.2020) ab. Der Antragsteller bezog bis 09.12.2019 Arbeitslosengeld I.

Die Antragsteller beantragten am 10.01.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie bewohnen eine 65 m² große Wohnung (3 Zimmer, Küche, Bad) in der T-Strasse 00 in L, für die eine Gesamtmiete iHv 905 EUR (690 EUR Kaltmiete, 140 EUR Betriebskosten, 75 EUR Heizung) anfällt. Im Mietvertrag von März 2018 sind neben den Antragstellern "B N1 und M N1" als Mieter aufgeführt. In der Mietbescheinigung des Vermieters vom 08.05.2020 sind dieselben Mieter und eine Mietschuld iHv 905 EUR für Mai 2020 ausgewiesen.

Am 22.04.2020 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Köln beantragt, den Antragsgegner einstweilen zu verpflichten, ihnen Alg II zu bewilligen. Derzeit würden Familienangehörige darlehensweise Unterstützung leisten. Mangels Leistungsbewilligung sei auch der Krankenversicherungsschutz nicht gewährleistet.

Der Antragsgegner übersandte einen Auszug aus dem Meldeportal vom 14.05.2020, wonach die weiteren neben den Antragstellern im Mietvertrag genannten Personen dort nicht (mehr) wohnhaft, jedoch unter der Anschrift ua sechs weitere Personen mit den Familiennamen der Antragsteller gemeldet seien. Es sei unklar, wer in der Wohnung tatsächlich lebe und wer die Miete zahle. In der Mietbescheinigung des Vermieters aus Mai 2020 würden weiter die ursprünglichen Mietvertragsparteien und lediglich ein Mietrückstand iHv 905 EUR angegeben, obwohl die Antragsteller seit Dezember 2019 nach eigenem Vortrag über keine Mittel verfügen, um den Lebensunterhalt sicherzustellen.

Das Sozialgericht hat am 18.06.2020 einen rechtlichen Hinweis erteilt, wonach die Antragsteller einen Anspruch auf den Regelbedarf, nicht aber auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung glaubhaft gemacht hätten. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass Wohnungs- oder Obdachlosigkeit drohe. Zudem sei unklar, welche Personen sich tatsächlich in der Wohnung der Antragsteller aufhalten würden. Der Antragsgegner hat sich daraufhin bereit erklärt, den Antragstellern Leistungen iHd Regelbedarfs zu zahlen. Die Antragsteller haben das Teilanerkenntnis angenommen.

Die Antragsteller haben mit Schreiben vom 12.07.2020 klargestellt, "tatsächlich in der Wohnung zu leben" und erklärt, "bei Unterlassung der Mietzahlung drohe Obdachlosigkeit".

Mit Beschluss vom 05.08.2020 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Die Antragsteller hätten trotz Aufforderung nicht glaubhaft gemacht, dass Wohnungs- oder Obdachlosigkeit im Falle der Nichtgewährung der Unterkunftskosten drohe. Unklar sei zudem, wer sich in der Wohnung tatsächlich aufhalte und somit anteilig an den Mietzahlungen zu beteiligen sei.

Gegen die am 10.08.2020 zugestellte Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragsteller vom 09.09.2020, mit der sie die Zahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung weiter verfolgen.

Der Senat hat, nachdem die Begründung der Beschwerde innerhalb der gesetzten Frist nicht einging, die Antragsteller aufgefordert, mitzuteilen, ob die weiteren im Mietvertrag genannten Personen in der Wohnung der Antragsteller wohnen und wie die Zahlung der Miete von wem erfolgt.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, den Antragstellern einstweilen Unterkunftskosten zu gewähren.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Eine Tatsache ist als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (ständige Rechtsprechung des Senats, Beschluss vom 09.11.2015 - L 7 AS 1234/15 B ER). Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 24 f). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 26; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).

Die Antragsteller haben hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zwar geht der Senat nach Aktenlage davon aus, dass die Antragsteller tatsächlich in der T-Strasse 00 in L wohnen. Dies folgt aus dem Mietvertrag und der Mitbescheinigung einerseits und andererseits aus dem Gutachten des MDK, wonach die ambulante Untersuchung dort stattfand. Jedoch haben die Antragsteller trotz Hinweis und mehrmaliger Aufforderung des Sozialgerichts und des Senats weder einen Anspruch iHv 905 EUR noch in anderer Höhe glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der Leistungshöhe folgt aus dem Mietvertrag, dass neben den Antragstellern noch zwei weitere Personen Mieter der Wohnung sind, so dass danach allenfalls ein hälftiger Anspruch auf die Unterkunftskosten bestehen könnte. Indes kann der Senat zugunsten der Antragsteller diesen Sachverhalt seiner Entscheidung nicht zugrunde legen, da nach dem Auszug aus dem Meldeportal vom 14.05.2020 zwar nicht mehr die beiden weiteren Mieter aus der Mietbescheinigung von Mai 2020, jedoch sechs weitere Personen mit den Familiennamen der Antragsteller in der T-Strasse 00 gemeldet sind und möglicherweise auch (teilweise) in der Unterkunft der Antragsteller wohnen.

Soweit das Sozialgericht seine Entscheidung im Beschluss vom 05.08.2020 die Gewährung von Unterkunftskosten davon abhängig macht, dass Wohnung- oder Obdachlosigkeit im Falle der Nichtgewährung der Unterkunftskosten droht, weist der Senat auf Folgendes hin: Der Senat nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes bezogen auf die Unterkunfts- und Heizbedarfe keine Räumungsklage und/oder "Kündigungslage" erforderlich ist (vgl. Beschlüsse vom 06.12.2017 - L 7 AS 2133/17 B und vom 04.05.2015 - L 7 AS 139/15 B ER). Die Rechtsprechung des Senats deckt sich mit dem Beschluss des BVerfG vom 01.08.2017 (1 BvR 1910/12), das klargestellt hat, dass in Verfahren des Eilrechtsschutzes zu den Kosten der Unterkunft nicht allein schematisch auf die Erhebung der Räumungsklage abgestellt werden darf, sondern zu prüfen ist, welche Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Der Senat erkennt Ausnahmen von diesem Grundsatz nur in besonderen Ausnahmekonstellationen an, etwa wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Prüfungsdichte belastbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die vertraglichen Pflichten des Antragstellers jedenfalls während der Nichtzahlung von Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs gestundet sind, weil es sich etwa um ein Mietverhältnis unter Verwandten handelt oder eine sonstige Nähebeziehung zwischen dem Vermieter und dem Anspruchsteller besteht. Gleiches gilt, wenn feststeht, dass das Mietverhältnis trotz Zusprechens der Leistungen nicht erhalten werden kann und es daher nur noch darum geht, Ansprüche des Vermieters zu sichern (zusammenfassend: Beschluss vom 06.12.2017 - L 7 AS 2133/17 B), oder wenn es sich nicht um erhaltenswerten Wohnraum, etwa wegen einer ordnungsbehördlichen Schließungsverfügung oder eines Verstoßes gegen eine Wohnsitzauflage handelt.

Eine Ausnahme greift indes nicht ein, wenn die durch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung entstehende Bedarfslücke durch Haushaltsgemeinschafsmitglieder gedeckt wird. Zwar entstehen auch in dieser Konstellation keine Mietschulden und der Leistungsbezieher wird nicht gedrängt, einen zivilrechtlichen Kündigungsgrund entstehen zu lassen, eine Kündigung hinzunehmen, eine Räumungsklage abzuwarten und auf die nachfolgende Beseitigung der Kündigung zu hoffen. Zudem entfällt in dieser Konstellation der vom BVerfG monierte Wertungswiderspruch, der entsteht, wenn von einem hilfebedürftigen Bürger verlangt wird, dass dieser sich gegenüber einem Dritten vertragswidrig verhält, indem er seine vertraglich geschuldete Miete nicht vollständig zahlt und damit die Kündigung des Mietverhältnisses provoziert. Gleichwohl verbleibt eine ganz erhebliche Bedarfslücke, die von den übrigen Haushaltsgemeinschaftsmitgliedern nur unter erheblichen Einschränkungen kompensiert werden kann. Angesichts des existenzsichernden Charakters der Leistungen muss dies auch vorübergehend nicht hingenommen werden (Beschluss vom 02.07.2018 - L 7 AS 633/18 B ER).

Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, da die Antragsteller weder die Beschwerde begründet haben noch ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen sind.

Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, den Antragstellern Leistungen im Wege einer Folgenabwägung zuzusprechen. Die Antragsteller haben es selbst in der Hand, umfassend und wahrheitsgemäß den Sachverhalt darzulegen und glaubhaft zu machen (vgl auch hierzu Senatsbeschlüsse vom 05.10.2020 - L 7 AS 1120/20 B ER und vom 10.03.2017 - L 7 AS 185/17 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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