L 12 AS 789/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 789/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist zulässig.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich in der Sache gegen ein vom beklagten Jobcenter verhängtes Hausverbot.

Der Kläger steht bei der Beklagten im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Die Beklagte verhängte gegen ihn ein Hausverbot, gültig bis 20.01.2020 (Verfügung vom 22.01.2019). Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte als unzulässig. Der Widerspruch sei nicht statthaft, sondern es sei unmittelbar Klage zum zuständigen Verwaltungsgericht zu erheben (Widerspruchsbescheid vom 20.01.2020).

Der Kläger hat am 24.01.2020 Klage zum Sozialgericht Duisburg erhoben.

Mit der Klage hat er im Hauptantrag begehrt, (nur) den Widerspruchsbescheid vom 20.01.2020 aufzuheben und die Beklagte zur erneuten Bescheidung seines Widerspruchs zu verurteilen. Hilfsweise hat er beantragt, den Bescheid vom 22.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und festzustellen, dass das Hausverbot rechtswidrig gewesen sei.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.05.2020). Die Klage sei als kombinierte Anfechtung- und Verpflichtungsklage zulässig; Klagegegenstand seien die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides sowie die Zurückverweisung an die Beklagte zur erneuten Entscheidung. Die Klage sei aber unbegründet. Die Beklagte habe den Widerspruch gegen das Hausverbot zu Recht mit Hinweis auf das nicht vorgesehene Vorverfahren als unzulässig verworfen. Das Hausverbot stelle keine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 4a Sozialgerichtsgesetz (SGG) dar und ein Widerspruch daher nicht vorgesehen. Der Rechtsweg führe unmittelbar zu den Verwaltungsgerichten.

Der Kläger hat am 20.05.2020 Berufung eingelegt.

Der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG Beschluss vom 21.07.2014, B 14 SF 1/14 R; Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R), sei im Ergebnis zu folgen und der Sozialrechtsweg daher eröffnet. Außerdem habe das Sozialgericht die Beteiligten weder zur Frage der Rechtswegeröffnung angehört noch den Rechtsstreit (nach § 17a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)) verwiesen.

Die Beklagte verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.

II.

Der Senat entscheidet über die Zulässigkeit des Sozialrechtsweges vorab durch Beschluss (§ 17a Abs. 3 S. 1 GVG). Eine solche Vorabentscheidung erscheint dem Senat angezeigt, weil die Frage der Rechtswegeröffnung zwischen den Beteiligten auch im Berufungsverfahren in der Sache zuletzt streitig war.

Der Senat ist an einer Entscheidung nach § 17a Abs. 3 S. 1 GVG auch nicht deshalb gehindert, weil das SG den Sozialrechtsweg in dem angegriffenen Gerichtsbescheid (für den Hauptantrag) bejaht hat. Zwar prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, grundsätzlich nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist (§ 17a Abs. 5 GVG). Das Rechtsmittelgericht ist an die Rechtswegentscheidung der Vorinstanz gebunden und zwar auch dann, wenn diese den Rechtsweg erst in ihrer Endentscheidung bejaht hat (vgl. BAG Beschluss vom 21.08.1996, 5 AZR 1011/94, amtl. Ls. 2; BGH Urteil vom 12.11.1992, V ZR 230/91, juris Rn. 11). Eine Bindungswirkung tritt jedoch dann nicht ein, wenn die Vorinstanz bei ihrer Rechtswegentscheidung gegen § 17a Abs. 3 S. 2 GVG verstoßen hat (BSG Beschluss vom 03.08.2011, B 11 SF 1/10 R, juris Rn. 14; Beschluss vom 20.10.2010, B 13 R 63/10 B, juris Rn. 26; BGH Urteil vom 23.09.1992, I ZB 3/92, juris Rn. 15; Urteil vom 25.02.1993, III ZR 9/92, juris Rn. 21; BAG a.a.O.). So liegt es hier: Das SG hätte gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 GVG vorab durch Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtsweges entscheiden müssen und nicht erst in seinem Gerichtsbescheid, weil zumindest die Beklagte die Zulässigkeit des Rechtsweges (mit Schriftsatz vom 04.02.2020) ausdrücklich gerügt hat. Der Kläger hat sich hierzu (mit Schriftsatz vom 15.02.2020) dahingehend eingelassen, dass er die Rechtsauffassung der Beklagten nicht teile; er "bitte um Entscheidung". Dass die Beklagte im weiteren Verlauf mitgeteilt hat, gegen die vom SG angekündigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid bestünden keine Bedenken (Schriftsatz vom 19.03.2020), rechtfertigt nicht ohne weiteres den Schluss, die Beklagte hätte von ihren Bedenken hinsichtlich des Rechtsweges Abstand genommen. Dies könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn die Beklagte auch für ein etwaiges Berufungsverfahren im Fall einer für sie ungünstigen Entscheidung des SG endgültig auf die Rüge des nicht eröffneten Rechtswegs verzichten wollte. Dies ist indes nicht ersichtlich. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass das SG den Beteiligten mit der Anhörung zum Gerichtsbescheid eine Klageabweisung in Aussicht gestellt hatte. Dass die Beklagte sich mit einer für sie günstigen Entscheidung einverstanden erklärt, lässt sich mit prozesstaktischen Erwägungen ohne weiteres schlüssig erklären. Inwieweit eine Rüge i.S.d. § 17a Abs. 3 S. 2 GVG überhaupt "zurückgenommen" werden könnte, mag nach allem dahinstehen.

In der Sache hat das SG den Sozialrechtsweg aber im Ergebnis zu Recht bejaht. Dabei geht der Senat - mit der Rechtsprechung des BSG - davon aus, dass bei einem Streit über ein Hausverbot der Sozialrechtsweg gegeben ist, wenn ein Rechtsverhältnis zwischen der Behörde, die das Hausverbot ausspricht, und dem Adressaten des Hausverbotes besteht und für Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet ist (BSG Beschluss vom 21.07.2014, B 14 SF 1/14 R, juris Rn. 6 ff.; Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, juris Rn. 8 ff.; dem folgend LSG NRW Beschluss vom 08.09.2017, L 2 AS 1437/17 B, juris Rn. 2 ff.; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 01.04.2020, L 2 AS 664/19 B, juris Rn. 6; Sächsisches LSG Beschluss vom 01.10.2014, L 3 AL 19/13 B, juris Rn. 11 ff.; Sächsisches OVG Beschluss vom 28.05.2015, 5 E 49/15, juris Rn. 2); jedenfalls dann, wenn das Hausverbot im Rahmen oder aus Anlass eines zwischen den Beteiligten geführten Verwaltungsverfahrens (§ 8 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)) ausgesprochen werde, sei ein die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte begründender Sachzusammenhang zu den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG zu bejahen (BSG Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, juris Rn. 18). Nach diesen Maßstäben ist vorliegend der Sozialrechtsweg für den Hauptantrag eröffnet. Zwischen den Beteiligten besteht ein Sozialrechtsverhältnis nach dem SGB II. Dies ergibt sich bereits aus dem Leistungsbezug des Klägers. Dass die Vorsprachen des Klägers, im Rahmen derer sich die Geschehnisse ereignet haben sollen, auf die die Beklagte ihr Hausverbot gestützt hat, einen anderen Anlass als das Sozialrechtsverhältnis nach dem SGB II hatten und damit ein Sachzusammenhang zu einer Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht bestand, ist weder von den Beteiligten vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger mit seinem Hauptantrag die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides begehrt. Zwar verhält sich der Widerspruchsbescheid nicht zur Rechtmäßigkeit des Hausverbotes. Stattdessen hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers gerade deshalb als unzulässig verworfen, weil sie den Widerspruch für unstatthaft gehalten hat; es sei unmittelbar Klage zum VG zu erheben. Dies macht die Streitsache vorliegend aber nicht zu einer Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG. Vielmehr folgte - die Rechtsansicht der Beklagten zugrunde gelegt - die Unstatthaftigkeit des Widerspruchsbescheides ggf. gerade daraus, dass das allgemeine Verwaltungsprozessrecht einen solchen hier nicht vorsieht (§ 68 Abs. 1 S. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 110 Abs. 1 S. 1 Justizgesetz Nordrhein-Westfalen (JustG NRW)). Dies aber ist letztlich eine Frage der Auslegung des Verwaltungsprozessrechts und obliegt den Verwaltungsgerichten. Die Frage nach Statthaftigkeit und Zulässigkeit eines Widerspruchs ist im selben Rechtsweg zu beantworten, in dem ggf. auch über die Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes in der Sache zu befinden ist.

Dass die genannte Rechtsprechung des BSG weiterhin und mit beachtlichen Gründen in Zweifel gezogen wird (LSG NRW Beschluss vom 04.03.2014, L 19 AS 2157/13 B, juris Rn. 13 ff.; LSG Hamburg Beschluss vom 15.07.2013, L 4 AS 175/13 B, juris Rn. 3 ff.; Hamburgisches OVG Beschluss vom 17.10.2013, 3 So 119/13, juris Rn. 8 ff.; OVG Bremen Beschluss vom 25.03.2013, 1 B 33/13, juris Rn. 12 ff.; OVG NRW Beschluss vom 13.05.2011, 16 E 174/11, juris Rn. 7 ff.; Ulmer in Hennig, SGG, Stand: Jan. 2020, § 51 Rn. 93 unter "Hausverbot"; Hintz in Hintz/Lowe, SGG, 1. Auflage 2012, § 51 Rn. 16; Nolte, NZS 2014, 919; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 40 Rn. 66; kritisch auch Reichel, jurisPR-SozR 1/2015 Anm. 5; zur Klage gegen ein Hausverbot in einem Finanzamt vgl. FG Münster Beschluss vom 30.08.2010, 14 K 3004/10, juris Rn. 2 ff., das den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet ansieht), ändert nichts daran, dass mit der Rechtsprechung des BSG die Frage des Rechtsweges bei Hausverboten im für den Senat maßgeblichen Instanzenzug höchstrichterlich geklärt ist.

Über den Hilfsantrag ist - obschon er von einer Verweisung des Hauptantrages erfasst würde - an dieser Stelle nicht zu befinden, weil er nur für den Fall der Abweisung des Hauptantrags gestellt ist (zum Ganzen vgl. BAG Beschluss vom 03.12.2014, 10 AZB 98/14, juris Rn. 19; OVG NRW Urteil vom 30.11.1992, 23 A 1471/90, juris Rn. 38).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 S. 4 GVG). Anlass, die Beschwerde zum BSG zuzulassen (§ 17a Abs. 4 S. 5 GVG), besteht nicht, nachdem die Frage der Rechtswegzuständigkeit für ein von einem Jobcenter verhängtes Hausverbot in dessen Rechtsprechung geklärt ist. Entscheidungen anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes, die diese Frage anders beurteilten und von denen die vorliegende Entscheidung daher abwiche, sind nicht bekannt (zum gleichsam umgekehrten Fall vgl. Hamburgisches OVG Beschluss vom 17.10.2013, 3 So 119/13, juris Rn. 12; die dort zugelassene Beschwerde zum BVerwG wurde offenbar nicht eingelegt).
Rechtskraft
Aus
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