S 28 KA 424/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
28
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KA 424/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung der Klägerin als Praxisnetz.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft (GbR) zum Betrieb eines Praxisverbundes niedergelassener Ärzte in der Metropolregion A-Stadt (Gründungsdatum 1.7.2014). Gesellschafter sind C.C., die Gesellschaft D. Mitte Dr. E., F. und G. GbR sowie Dr. H.H ...

Am 18.2.2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung als Praxisnetz für die Basis-Stufe.

Mit Bescheid vom 2.5.2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Anerkennung als Praxisnetz ab. Das Praxisnetz erreiche die Mindestanforderung von 20 Netzpraxen nicht.

Die Beklagte wies den klägerischen Widerspruch mit Bescheid vom 23.10.2019 zurück. Es sei bereits die Strukturvorgabe Praxisnetzgröße nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie der KVB nicht nachgewiesen. Die Prüfung der weiteren, in der Richtlinie der KVB genannten Voraussetzungen sei damit nicht mehr erforderlich gewesen. In § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) der Richtlinie der KVB sei ausdrücklich geregelt, dass von der Untergrenze von mindestens 20 Netzpraxen nicht abgewichen werden könne. Nach dem eindeutigen Wortlaut in § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) der Richtlinie der KVB seien nur zehn Netzpraxen im Praxisnetz der Klägerin zu zählen. Nach Prüfung, ob dort jeweils ein Vertragsarzt tätig sei, seien es nur noch drei Netzpraxen, welche das Kriterium einer Netzpraxis im Sinne der Richtlinie der KVB erfüllten. Selbst wenn man der Auffassung der Klägerin folgen würde, dass überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften als eine Netzpraxis und jedes darin enthaltene MVZ zusätzlich als Netzpraxis zu zählen seien, wäre die Richtlinie der KVB nicht erfüllt. Eine Prüfung der ferner erforderlichen Strukturvorgaben sei daher entbehrlich gewesen.

Die Klägerin hat am 14.11.2019 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass die Anforderung der KVB-Richtlinie, dass alle überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume jeweils nur eine Netzpraxis darstellen, nicht sachgerecht sei und auch nicht den rechtlichen Vorgaben entspreche. So enthalte bereits die Rahmenvorgabe für die Anerkennung von Praxisnetzen der KBV diese Vorgaben nicht. Dort sei nicht geregelt, dass nicht jeder Standort einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft oder auch ein MVZ (in überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaft) nicht als Praxisstandort anzuerkennen seien. Es sei nicht nachvollziehbar, dass zwar ein MVZ eine Netzpraxis darstelle, nicht jedoch mehrere in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft organisierte MVZ jeweils als eigene Netzpraxis angesehen würden. Dass auch MVZ überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften gründen könnten, habe die Beklagte offensichtlich übersehen. Auch die Forderung in § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 2 der Richtlinie der KVB, dass bei allen Netzpraxen - außer Einzelpraxen - hervorgehen müsse, dass mindestens ein Vertragsarzt bzw. ein Vertragspsychotherapeut der jeweiligen Praxis Mitglied des antragstellenden Praxisnetzes und damit Netzarzt sein müsse, sei rechtlich nicht haltbar.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 2.5.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2010 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Antrag der Klägerin auf Anerkennung gemäß § 87b Abs. 4 SGB V für die Basisstufe stattzugeben. 2. Der Klägerin werden die notwendigen Auslagen erstattet, wobei die Beiziehung eines Rechtsanwalts bereits im Vorverfahren für erforderlich erachtet wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist insbesondere darauf hin, dass sie mit dem Erlass der Richtlinie von ihrer Pflicht aus § 1 Abs. 3 der Rahmenvorgabe der KBV Gebrauch gemacht und die Anerkennungsvoraussetzungen in einer Richtlinie konkretisiert habe. Dabei habe sie sich streng an die Vorgaben der Rahmenvorgabe der KBV gehalten, unter Orientierung an den begrifflichen Definitionen im Vertragsarztrecht. Der Beklagten dürften dabei Auslegungsspielräume zugesprochen werden, sofern diese nicht gegen die Rahmenvorgabe verstießen. Die Rahmenvorgaben seien sehr kurz gehalten, so dass ein weiter Interpretationsspielraum der Beklagten bei der Umsetzung der Richtlinie nötig gewesen sei. Eine Diskriminierung von MVZ und deren angestellten Ärzten könne durch die Richtlinie der KVB nicht erkannt werden. Ein MVZ könne mit angestellten Ärzten eine Netzpraxis sein, wenn in dem MVZ auch ein Vertragsarzt tätig sei.

In der mündlichen Verhandlung hat Herr C. mitgeteilt, dass er aktuell 22 MVZ betreibe. 13 dieser MVZ seien in zwei überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften organisiert, neun MVZ seien eigenständige Hauptbetriebsstätten. Herr Dr. H. habe drei Hauptbetriebsstätten (drei MVZ). Auch zur Gesellschaft von Dr. E., Dr. F. und Frau Dr. G. gehörten drei Hauptbetriebsstätten (drei MVZ).

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Anerkennung als Praxisnetz.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der von der Klägerin erhobenen Verpflichtungsklage sind allesamt gegeben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin erfüllt nicht die Strukturvorgaben zur Anerkennung als Praxisnetz gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie der KVB gemäß § 87b Abs. 4 SGB V zur Anerkennung von Praxisnetzen (im Folgenden: RL-KVB).

Das Gericht weist darauf hin, dass es sich bei der Anerkennung als Praxisnetz um eine gebundene Entscheidung handelt. Dies könnte zwar aufgrund § 2 Abs. 1 Satz 1 Rahmenvorgabe für die Anerkennung von Praxisnetzen nach § 87b Abs. 4 SGB V der KBV (im Folgenden: Rahmenvorgabe) fraglich sein, in der es heißt: "kann ...anerkennen". § 2 Abs. 1 RL-KVB enthält jedoch keine Hinweise auf eine Ermessensentscheidung der Beklagten. Vielmehr "erfolgt" die Anerkennung als Praxisnetz durch die KVB, wenn die in § 2 Abs. 1 abschließend aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin nicht die Strukturvorgabe gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 RL-KVB "Teilnahme von mindestens 20 und höchstens 100 vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Praxen (Netzpraxen)" erfüllt.

Gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB sind Netzpraxen gemäß Nr. 1 insbesondere folgende Praxiskonstellationen: "- Einzelpraxen (niedergelassener einzelner Vertragsarzt oder Vertragspsychotherapeut), inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume, sind jeweils eine Netzpraxis, - Praxisgemeinschaften in Abhängigkeit der Anzahl der Hauptbetriebsstätten, über welche die Abrechnung erfolgt (je Hauptbetriebsstätte besteht eine Netzpraxis), - Örtliche Berufsausübungsgemeinschaften inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume sind jeweils eine Netzpraxis, - Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume sind jeweils eine Netzpraxis, - Medizinische Versorgungszentren (MVZ) inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume sind jeweils eine Netzpraxis."

Bei allen Netzpraxen außer Einzelpraxen muss aus dem Anerkennungsantrag hervorgehen, dass mindestens ein Vertragsarzt bzw. ein Vertragspsychotherapeut der jeweiligen Praxis Mitglied des antragstellenden Praxisnetzes und damit Netzarzt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 2 RL-KVB).

Die Klägerin verfügt aktuell insgesamt über 17 Netzpraxen, nämlich 15 MVZ als eigenständige Hauptbetriebsstätten sowie zwei überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften. Darauf, dass weitere 13 MVZ in den beiden überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften organisiert sind, kommt es nicht an, da gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB allein auf die überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften abzustellen ist. Dies entspricht dem vertragsarztrechtlichen Verständnis einer Praxis, wie es auch in § 1a Nr. 18 BMV-Ä (Definition der Arztpraxis) und der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 04.05.2016, Az. B 6 KA 24/15 R, Rn. 14) zum Ausdruck kommt, wonach die BAG rechtlich gesehen eine Praxis darstellt. Da die Klägerin über weniger als 20 Netzpraxen verfügt und von dieser Untergrenze grundsätzlich nicht abgewichen werden kann (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 b) Satz 1 RL-KVB; vgl. allerdings § 2 Abs. 2 RL- KVB, wonach der Vorstand der KVB in besonderen oder speziellen Einzelfällen von den Voraussetzungen nach §§ 3 bis 6 Ausnahmen zulassen kann), kommt es nicht mehr darauf an, ob in allen Netzpraxen auch jeweils ein Netzarzt tätig ist.

Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Strukturvorgabe gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB bestehen von Seiten der Kammer nicht.

Gem. § 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V müssen für Praxisnetze, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen anerkannt sind, gesonderte Vergütungsregelungen vorgesehen werden; für solche Praxisnetze können auch eigene Honorarvolumen als Teil der morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen nach § 87a Absatz 3 gebildet werden.

Grundlage der RL-KVB ist § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach die Kassenärztliche Bundesvereinigung Vorgaben zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung nach Absatz 1 Satz 1 sowie Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze nach Absatz 2 Satz 3 als Rahmenvorgabe für Richtlinien der Kassenärztlichen Vereinigungen, insbesondere zu Versorgungszielen, im Einvernehmen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu bestimmen hat. Auf der Grundlage der in der Rahmenvorgabe der KBV festgelegten Kriterien konkretisiert die Kassenärztliche Vereinigung in einer Richtlinie die Anerkennung von Praxisnetzen (§ 1 Abs. 3 Rahmenvorgabe). Die Rahmenvorgabe ist von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu beachten (§ 87b Abs. 4 Satz 3 SGB V).

Praxisnetze im Sinne der Rahmenvorgabe sind Zusammenschlüsse von Vertrags-ärzten und Vertragsärztinnen verschiedener Fachrichtungen sowie Psychotherapeuten und -therapeutinnen zur interdisziplinären, kooperativen, wohnortnahen ambulanten medizinischen Versorgung unter Berücksichtigung der lokalen sozio-demographischen Situation. Ziel solcher Kooperationen ist, die Qualität sowie die Effizienz und Effektivität der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen einer intensivierten fachlichen Zusammenarbeit zu steigern (§ 1 Abs. 1 Sätze 2, 3 Rahmenvorgabe). Diese Definition ist stark an die Definition des Ausschusses für Gesundheit angelehnt, wonach auch mit Zusammenschlüssen von Vertragsärztinnen und -ärzten verschiedener Fachrichtungen (vernetzte Praxen bzw. Praxisnetze) zur interdisziplinären, kooperativen und medizinischen ambulanten insbesondere wohnortnahen Betreuung und Versorgung der Patientinnen und Patienten die ambulanten Versorgungsstrukturen verbessert werden können (Ausschussbericht zum GKV-VStG, BT-Drs. 17/8005, S. 109).

Die Definition der Praxisnetze gem. § 1 Abs. 1 Sätze 2, 3 KVB-RL entspricht derjenigen in § 1 Abs. 1 Sätze 2, 3 Rahmenvorgabe.

Ebenso entspricht die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 RL-KVB geregelte Strukturvorgabe der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Rahmenvorgabe normierten Festlegung, wonach das Praxisnetz u.a. folgende Strukturvorgabe nachzuweisen hat: "1. Teilnahme von mindestens 20 und höchstens 100 vertragsärztlichen und psychotherapeutischen Praxen. ( ...)"

Auch die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB näher erläuterten Praxiskonstellationen, die jeweils eine oder mehrere Netzpraxen darstellen, stehen nicht in Widerspruch zu § 3 Abs. 1 Nr. 1 Rahmenvorgabe. Die als eine Netzpraxis jeweils angeführten Praxiskonstellationen stimmen mit der Definition einer Arztpraxis gem. § 1a Nr. 18 BMV-Ä überein. Diese lautet: "Tätigkeitsort des Vertragsarztes oder Vertragspsychotherapeuten an seiner Betriebsstätte, der auch die Nebenbetriebsstätten der Arztpraxis einschließt. Arztpraxis in diesem Sinne ist auch die Berufsausübungsgemeinschaft oder ein Medizinisches Versorgungszentrum."

Im Übrigen weist die Kammer auf den Gestaltungsspielraum hin, den die KBV bei der Ausgestaltung der Rahmenvorgabe, aber auch die Beklagte bei der Ausgestaltung ihrer Richtlinie - innerhalb der zu beachtenden Rahmenvorgabe der KBV - innehat (vgl. auch Hamdorf in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 12/19, § 87b Rn. 148 m.w.N.). Der Gestaltungsspielraum der KBV folgt nicht zuletzt aus § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach die KBV Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze nach Absatz 2 Satz 3 als Rahmenvorgabe zu bestimmen hat.

Auch in der Zusammenschau des § 87b Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V ergeben sich keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB geregelten Strukturvorgabe:

§ 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V nennt lediglich Praxisnetze, für die gesonderte Vergütungsregelungen vorgesehen werden müssen. Eine Anwendung dieser Regelung auf sonstige kooperative Versorgungsformen - etwa Berufsausübungsgemeinschaften - kommt daher nicht in Betracht (Hamdorf, ebenda, § 87b Rn. 118). Der kooperativen Behandlung von Patienten in Versorgungsformen wie Berufsausübungsgemeinschaften hat der Verteilungsmaßstab gem. § 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V ausreichend Rechnung zu tragen. In welcher Art und Weise die Kassenärztliche Vereinigung diese Vorgabe umsetzt, steht in ihrem Ermessen; in erster Linie dürften finanzielle Vergünstigungen in Betracht kommen (Hamdorf, ebenda, § 87b Rn. 117).

Die Vorschrift des § 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V stellt die angemessene (honorarmäßige) Berücksichtigung der kooperativen ärztlichen Behandlung - auch in überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften - sicher. Dass darüber hinaus gehend eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft mit zahlreichen Standorten (etwa MVZ) auch (allein oder) im Zusammenschluss mit nur wenigen anderen Praxen zwingend ein Praxisnetz begründen können soll, um eine weitere zusätzliche Vergütung zu erhalten, kann den Vorschriften des § 87b Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V nach Überzeugung der Kammer nicht entnommen werden.

Die Klage war nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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