S 14 KR 16/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 16/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 16/16 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten eine Kostenerstattung in Höhe von 5.355,01 EUR (privatärztliche Behandlung Dr. C. im Zeitraum 13.07.2009 bis 09.08.2009) in Streit.

Die 1981 geborene Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied bei der Beklagten. Sie hat von der Möglichkeit, anstelle der Sach- und Dienstleistung Kostenerstattung zu wählen (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGBV) keinen Gebrauch gemacht.

Die Klägerin leidet seit Jahren an chronischen Kopfschmerzen und Migräne ohne Aura. Im Frühjahr 2009 traten vier Schmerzattacken monatlich und zehn Migränetagen pro Monat auf. Am 19.05.2009 stellte sich die Klägerin bei Dr. D. wegen Kopfschmerzen und Migräne vor. Unter dem Datum 20.05.2009 fertigte Dr. D. einen Antrag zur Vorlage bei der gesetzlichen Krankenkasse zur Durchführung einer stationären Vorsorgemaßnahme gemäß § 23 SGB V in der Migräne Klinik Königstein, mit der ein Versorgungsvertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen besteht (Vertragspartner nach § 111 SGB V).

Am 25.06.2009 ließ sich die Klägerin erstmals von Dr. C. im Schmerz-Therapie-Zentrum E-Stadt untersuchen. Am selben Tag fand auch eine Untersuchung in der Radiologie E Stadt (Aufnahmen von Schädel Hals- und Brustwirbelsäule) statt, die mit Rechnung vom 30.06.2009 privat liquidiert wurde.

Mit Schreiben vom 10.07.2009 (einem Freitag) teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie wegen Migräne und Spannungs-Kopfschmerzen ab dem 13.07.2009 in Behandlung bei Dr. C. im Schmerz-Therapie-Zentrum E-Stadt sei. Dazu führte sie aus, sie habe keine andere Klinik gefunden, die eine ursachenorientierte Behandlung anbiete und gleichzeitig von der Krankenkasse anerkannt werde. Aus diesem Grunde stelle sie den Antrag auf "Kostenbeteiligung". Diesem Schreiben war eine Terminsbestätigung von Dr. C. vom 03.07.2009 über die erste Behandlung am 13.07.2009 beigefügt mit Bestätigung des Erhalts einer "Kaution in Höhe von Euro 800". Den aktuellen Wochenterminplan mit ihren Behandlungsterminen werde die Klägerin in der Vorbesprechung erhalten.

Die Klägerin trat die Behandlung in E-Stadt am 13.07.2009 an und wohnte während der bis zum 09.08.2009 dauernden Therapie in einer Mietwohnung in E-Stadt. Die Therapie bei Dr. C., einem Anästhesiologen, bestand im Wesentlichen in der Injektion des Medikaments Xylocain® mit dem Wirkstoff Lidocain in verschiedene Regionen der Brust- und Halswirbelsäule und an der Schädelbasis zur Auslösung sog. repetitiver thorakaler Grenzstrang-Ganglien-Blockaden (Nerven- Blockaden). Parallel hierzu wurden Patienten-Seminare mit Körperschule durchgeführt.

Die Beklagte holte auf den auf den 10.07.2009 datierten Antrag der Klägerin (Eingangs- oder Scan-Vermerk vom 14.07.2009 auf der Rückseite des Antrags) am 16.07.2009 eine telefonische Auskunft der Klinik in E-Stadt ein. Danach werde die Klägerin teilstationär in dem Schmerz-Therapie-Zentrum von Dr. C. behandelt. Dieser habe keine Kassenzulassung. Bei der Klinik handele es sich um eine Privatklinik.

In einem Telefonat am 20.07.2009 mit der Klägerin lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Behandlung ab, weil sie in einer Privatklinik stattfinde.

Nach Abschluss der Behandlung im Schmerz-Therapie-Zentrum in E-Stadt bat die Klägerin mit Schreiben vom 03.09.2009, das sie am 04.09.2009 persönlich bei der Beklagten übergab, darum, ihren Antrag auf Kostenbeteiligung (gemeint: die Entscheidung hierüber) zu revidieren. Die Therapie sei erfolgreich abgeschlossen worden, seitdem habe sich ihr Gesundheitszustand erheblich verbessert. Dem Antrag lagen bei Rechnungen von Dr. C. selbst über 4.815,79 EUR und weitere Rechnungen der Radiologie E-Stadt über die Untersuchung am 25.06.2009 über 91,10 EUR, sowie mehrere Rechnungen über Laborkosten verschiedener Leistungserbringer, die im Auftrag von Dr. C. im Zeitraum 13.07. bis 24.07.2009 tätig wurden (zusammen 539,22 EUR). Die Rechnungen aus dem streitgegenständlichen Zeitraum belaufen sich auf einen Betrag von insgesamt 5.446,11 EUR. Außerdem legte die Klägerin ein Schreiben ihres Hausarztes Dr. F. vom 31.08.2009 vor, in dem dieser darauf verweist, dass die medizinische Indikation zur stationären Vorsorgemaßnahme durch Dr. D. in Königstein gestellt worden sei. Nach persönlicher Entscheidung habe die Klägerin diese stationäre Therapie dann bei Dr. C. in E-Stadt durchführen lassen. Der Hausarzt plädiert für eine Kostenübernahme nach den Sätzen z.B. der Migräne-Klinik in Königstein. Die Klägerin sei derzeit symptomfrei. Schmerzmedikamente seien bislang noch nicht weiter erforderlich geworden.

Die Mitarbeiterin der Beklagten, die den Antrag entgegennahm, wies die Klägerin darauf hin, dass die Krankenkasse die Kosten einer Privatbehandlung nicht übernehmen könne, und vermerkte, dass die Kläger geäußert habe, sie wolle eine Prüfung und schriftliche Ablehnung (Vermerk vom 04.09.2009).

Mit Bescheid vom 08.09. 2009 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Migräne-Behandlung bei Dr. C. ab. Sie könne die Kosten nicht übernehmen, weil es für die neue Behandlungsmethode noch keine eindeutigen wissenschaftlichen Studien gebe, so dass der Gemeinsame Bundesauschuss die Methode noch nicht anerkannt habe.

Anwaltlich vertreten legte die Klägerin mit Schreiben vom 23.09.2009 Widerspruch ein, der damit begründet wurde, dass medizinische und soziale Gründe eine Kostenübernahme rechtfertigten. Dem Schreiben lag bei ein Schreiben des Gemeinsamen Bundesauschusses an den Rechtsanwalt der Klägerin vom 21.09.2009, in dem dieser mitteilt, für das Arzneimittel Xylocain® liege kein Ausschluss des Gemeinsamen Bundesauschusses vor. Zugelassen sei das Arzneimittel zur lokalen und regionalen Nervenblockade.

Mit Schreiben vom 29.09.2009 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass der ablehnende Bescheid insoweit fehlerhaft sei, als das von Dr. C. eingesetzte Medikament Xylocain® ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenes Arzneimittel sei. Dennoch könne dem Widerspruch der Klägerin nicht entsprochen werden, weil Dr. C. kein Vertragsarzt sei.

Der Rechtsanwalt der Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 21.10.2009 unter Hinweis auf § 13 Abs. 3 SGB V, die Klägerin habe ausweislich des Schreibens vom 10.07.2009, also vor Beginn der der ärztlichen Behandlung um eine Kostenzusage nachgesucht. Mit Schreiben vom 08.09.2009 sei eine Behandlung unter Hinweis auf die angeblich nicht nachgewiesene Wirksamkeit der Behandlung abgelehnt worden. Der Alternativvorschlag für eine Behandlung in der Schmerzklinik in Königstein sei verspätet gewesen. Aufgrund ihrer gesetzlichen Beratungspflicht habe die Beklagte der Klägerin rechtzeitig eine gleichwertige Alternativbehandlung im Rahmen einer vertragsärztlichen Behandlung anbieten und die Klägerin insoweit ausführlich beraten müssen.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2009 zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach § 76 Abs. 1 SGB V dürften grundsätzlich nur Ärzte in Anspruch genommen werden, die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen beziehungsweise ermächtigt seien. Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 25.09.2000, B 1 KR 5/99 R bestätigt, dass die gesetzlichen Krankenkassen in der Regel keine Kostenerstattung für Behandlungen bei Ärzten vornehmen dürften, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt seien. Andere Ärzte dürften nur im Notfall aufgesucht werden. Eine Notfallbehandlung liege nur vor, wenn zur Erreichung des Behandlungserfolgs oder wegen starker Schmerzen eine sofortige ärztliche Behandlung notwendig sei, ein Vertragsarzt jedoch nicht rechtzeitig erreichbar sei. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Nicht zugelassene Ärzte könnten außerdem nach Wahl der Kostenerstattung mit vorheriger Zustimmung der Krankenkasse aufgesucht werden. Eine Zustimmung könne erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme solcher Leistungserbringer rechtfertige und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet sei. Die Klägerin habe jedoch keine Kostenerstattung gewählt. Medizinische oder soziale Gründe für eine Inanspruchnahme eines Nichtvertragsarztes beziehungsweise einer Nichtvertragsklinik seien nicht gegeben. Vielmehr hätte die Behandlung ihrer Erkrankungen auch von Vertragsärzten beziehungsweise Vertragseinrichtungen durchgeführt werden können.

Mit ihrer am 10.01.2010 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage - die Anlagen des Widerspruchsbescheids waren an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin erst unter dem 14.12.2009 abgesandt worden – verfolgt die Klägerin ihre Begehren weiter.

Sie trägt nun erstmals vor, sie habe bereits am 07.07.2009 in der Geschäftsstelle der Beklagten in G-Stadt die Kostenübernahme der streitgegenständlichen schmerztherapeutischen Intensivbehandlung persönlich beantragt. Die Beklagte habe die vorgelegten Unterlagen für eine fachärztliche schmerztherapeutische Intensivbehandlung zu den Akten genommen. Die Beklagte habe nicht rechtzeitig reagiert und ihr keine vertragsärztliche Behandlungsalternative aufgezeigt. Die Beklagte habe die Klägerin auch nicht im Laufe der Behandlung zur Kündigung des Behandlungsvertrages aufgefordert müssen. Bei umfassender rechtlicher Beratung wären der Klägerin keine Behandlungskosten entstanden.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 02.11.2010 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die angegriffenen Bescheide verwiesen und ergänzend darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen Beratungspflichten gemäß § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) durch die Beklagte nicht ersichtlich sei. Die Klägerin habe sich bereits am 03.07.2009 auf die streitgegenständliche Behandlung festgelegt. Dies sei dem Schreiben des Dr. C. an die Klägerin zu entnehmen. Schon weil von Dr. C. - anders als von einem Vertragsbehandler - eine Kaution für die Bezahlung der Behandlungskosten vorab verlangt worden sei, habe der Klägerin klar sein müssen, dass sie hier eine Behandlung außerhalb des Vertragssystems in Anspruch nehme. Sie habe schon deshalb nicht damit rechnen können, dass die Beklagte dafür einstehen würde. Auch wenn man davon auszugehen haben sollte, dass die Klägerin bereits am 07.07.2009 die Beklagte über die streitgegenständliche Behandlung informiert habe, so habe die Beklagte mit ihrer bereits am 20.07.2009 erfolgten Ablehnung der Kostenerstattung nicht verspätet reagiert. Eine Mindestzeit zur Überprüfung müsse einer Krankenkasse bei einem solchen Leistungsbegehren zugestanden werden. Diese sei mit 14 Tagen nicht überschritten, zumal kein Notfall vorgelegen habe. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte ihr die umgehende Kündigung des Behandlungsvertrages mit Dr. C. hätte anraten sollen. Die Beklagte habe am 20.07.2009 unmissverständlich klargemacht, dass sie für diese Behandlung nicht aufkommen werde. Wenn die Klägerin sich dennoch von Dr. C. habe weiter behandeln lassen, so sei dies der Beklagten nicht zuzurechnen.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Hessische Landesozialgericht den Gerichtsbescheid mit Urteil vom 22.09.2011 aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Sozialgericht wegen eines Verfahrensfehlers (Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne vorherige Anhörung der Beteiligten und damit Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten gesetzlichen Richters, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz) zurückverwiesen. Das Hessische Landesozialgericht hat auf die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, zum Beweis des Vortrags, dass die Klägerin am 07.07.2009 in der Geschäftsstelle in G-Stadt, H-Straße vorgesprochen habe, Frau J. zu vernehmen sowie die Videoüberwachung auszuwerten, hingewiesen.

Im weiteren Verfahren vor dem Sozialgericht teilte Dr. C. auf Anfrage mit, dass die Erstuntersuchung der Klägerin am 25.06,2009 stattgefunden habe und der Behandlungsvertrag am 10.07.2009 geschlossen wurde. Der Klägerin wäre es möglich gewesen, die Behandlung nicht anzutreten, dann wäre ihr die geleistete Kaution von 800,00 EUR zurückgezahlt worden. Die Klägerin hätte die Behandlung auch vorzeitig beenden können. Es wären dann nur Kosten für die jeweils bis dahin entstandenen ärztlichen Behandlungen entstanden (Schreiben vom 21.01.2014 und Bestätigungsschreiben, undatiert).

Die im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 27.01.2014 als Zeugin geladene Frau J. ist von der Klägerin nicht als die Person identifiziert worden, mit der sie bei ihrer behaupteten Vorsprache am 07.07.2014 gesprochen habe. Die Zeugin ist deshalb ohne Vernehmung entlassen worden. Die Klägerin selbst vermochte nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob sie die medizinischen Unterlagen von Dr. C. bei der behaupteten Vorsprache am 07.07.2009, die nicht aktenkundig ist, dabei gehabt habe. Sie meinte aber, das würde Sinn machen, denn die Mitarbeiterin der Beklagten, an deren Namen sie sich nicht erinnern könne, habe gesagt, sie werde den Antrag prüfen. Dem Beweisantrag aus der mündlichen Verhandlung vor dem Hessischen Landesozialgericht, die Videoaufzeichnungen der Geschäftsstelle auszuwerten, ist nicht nachgegangen worden und der Prozessbevollmächtigte hat diesen Beweisantrag auch nicht wiederholt.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der privatärztlichen Behandlung bei Dr. C. im Zeitraum 13.07.2009 bis 09.08.2009 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung des Widerspruchsbescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Streitgegenständlich ist ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 5.355,01 EUR. Da die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren auf den Zeitraum 13.07. bis 09.08.2009 beschränkt hat, fällt die Rechnung der Radiologie E-Stadt über eine Untersuchung am 25.06.2009 über 91,10 EUR nicht in den geltend gemachten Anspruch. Da die übrigen Leistungserbringer im Auftrag von Dr. C. im Zeitraum 13.07. bis 09.08.2009 tätig wurden (Laborkosten), sieht die Kammer die von ihnen der Klägerin in Rechnung gestellten Beträge trotz des insoweit missverständlichen Klageantrags als streitgegenständlich an.

Eine Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nach § 13 Abs. 2 SGB V scheidet von vornherein aus, weil die Klägerin nicht vor Inanspruchnahme der Leistung anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hatte.

Auch ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB ist nicht gegeben. Nach dieser Bestimmung gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (erste Fallgruppe) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (zweite Fallgruppe) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne der ersten Fallgruppe lag hier offensichtlich nicht vor. Es ist nichts dafür vorgetragen und nichts dafür ersichtlich, dass die Migräne-und Kopfschmerzbehandlung in der Schmerzklinik in E-Stadt, also die Behandlung eines über Jahre bestehenden chronischen Leidens ohne weiteren Aufschub erfolgen musste. Zwar hat Dr. D. am 20.05.2009 eine stationäre Vorsorgemaßnahme für dringend indiziert gehalten. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächlich durchgeführt Nervenblockade-Behandlung bei Dr. C., unaufschiebbar im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V war. Das ist eine Behandlung nur dann, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand (BSG, Urteil vom 25.09.2000 B 1 KR 5/99 R, juris). Dafür ist nichts ersichtlich. Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 S. 1 SGB V ist überdies ausgeschlossen, soweit Ärzte oder ärztlich geleitete Einrichtungen in Anspruch genommen wurden, die nicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen oder ermächtigt waren (BSG, Urteil vom 25.09.2000 - B 1 KR 5/99 R, juris). So liegt es hier.

Die Beklagte hat die Leistung auch nicht vor Durchführung der Behandlung zu Unrecht abgelehnt (zweite Fallgruppe des § 13 Abs. 3 SGB V).

Zum einen setzt die Kostenübernahme auch hier voraus, dass die Behandlung bei einem Vertragsarzt stattfindet. Dr. C. ist allerdings nur privatärztlich tätig, was der Klägerin auch bewusst war, denn sie verweist schon in ihrem Antrag vom 10.07.2009 darauf, dass sie keine Klinik habe finden können, die eine ursachenorientierte Behandlung der Krankheit anbiete und gleichzeitig von der Krankenkasse anerkannt werde. Auch hatte sie bereits am 03.07.2009 eine Kaution in Höhe von 800,00 EUR für die Behandlung geleistet, sich also bereits in diesem Zeitpunkt für die Behandlung, von der sie wusste, dass hierfür privat abgerechnet werde, entschieden.

Allerdings greift § 13 Abs. 3 SGB V auch dann ein, wenn die notwendige Sachleistung überhaupt nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Insofern kann der Anspruch davon abhängen, ob die Behandlung unter zumutbaren Bedingungen auch in einem Vertragskrankenhaus hätte durchgeführt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996, 1 RK 33/05, juris). Hier stand der Klägerin, was diese auch wusste, eine Behandlung in der zugelassenen Migräne-Klinik in Königstein offen. Es liegt also kein Fall vor, in dem das GKV-System die Klägerin ohne Behandlungsmöglichkeit gelassen hatte (Systemversagen). Und selbst wenn man darauf abstellte, ob das GKV-System mit seinen dort zugelassenen Vertragsärzten gerade die Nervenblockade-Behandlung mittels Injektionen zur Verfügung stellt, und das Systemversagen schon bejahte, wenn gerade diese spezielle Therapieform nicht von Vertragsärzten angeboten wird, hätte die Klägerin der Beklagten zumindest die Gelegenheit geben müssen, genau diese Frage zu prüfen, bevor sie sich die Behandlung selbst verschafft und Kostenerstattung geltend macht.

Denn zum zweiten setzt eine Kostenerstattung nach der zweiten Fallgruppe eine vorherige Entscheidung der Beklagten, also eine Kausalität zwischen Ablehnung und Selbstbeschaffung einer Leistung voraus. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1, Alternative 2 SGB V kommt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG Urteil vom 10. Februar 1993, 1 RK 31/92; Urteil vom 18. Januar 1996, 1 RK 8/95; Beschluss vom 15. April 1997, 1 BK 31/96; Urteil vom 25. September 2000, B 1 KR 5/99 R; Urteil vom 19. Juni 2001, B 1 KR 23/00 R; Urteil vom 22. März 2005, B 1 KR 3/04 R; Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 15/07 R, alle in juris) nur dann in Betracht, wenn der Versicherte vor Beginn der Behandlung bei seiner Krankenkasse einen Kostenübernahmeantrag gestellt und deren Verwaltungsentscheidung abgewartet hat. Der Versicherte ist grundsätzlich verpflichtet, vor Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Versicherungssystems sich zunächst an seine Krankenkasse zu wenden und dort die Gewährung der vorgesehenen Behandlung als Sachleistung zu beantragen sowie die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Der Krankenkasse muss die Prüfung ermöglicht werden, ob die Behandlung vom Sachleistungsanspruch des Versicherten umfasst ist, das heißt den Erfordernissen der §§ 2, 12 und 27 SGB V genügt, also ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig ist. Der Versicherte darf der Entscheidung der Krankenkasse nicht dadurch vorgreifen, dass er die Behandlung zunächst beginnt und durchführen lässt und die Prüfung durch die Kasse so in das Kostenerstattungsverfahren verlagert wird.

Vorliegend wurde die streitige Behandlung - nach der Erstuntersuchung am 25.06.2009 - am 13.07.2009 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt lag der Beklagten der Antrag der Klägerin noch nicht vor. Die Kammer geht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass die Beklagte frühestens am 13.07.2009 Kenntnis von dem Kostenübernahmeantrag der Klägerin erlangte. Die Klägerin stellte mit Schreiben vom Freitag, den 10.07.2009, das die Klägerin nach eigener Aussage im Termin zur mündlichen Verhandlung noch am selben Tag zur Post aufgab, ihren Antrag auf Kostenübernahme. Das am Freitag, den 10.07.2009 aufgegebene Schreiben ging bei der Beklagten nach deren Aussage am Dienstag, den 14.07.2009 ein. Wegen des dazwischen liegenden Wochenendes ist eine Postlaufzeit von vier Tagen nicht völlig unglaubhaft. Selbst nach dem Vortrag der Klägerin ist der früheste Zeitpunkt, zu dem die Beklagte die Bearbeitung des schriftlichen Antrags vom 10.07.2009 hätte aufnehmen können, am Dienstag, den 13.07.2009, anzunehmen.

Eine frühere, persönliche Antragstellung am 07.07.2009 konnte die Klägerin nicht beweisen. Gegen die Glaubhaftigkeit dieser Behauptung spricht zum einen, dass sie erstmals im Klageverfahren aufgestellt wurde. Weder nimmt das Schreiben vom 10.07.2009 auf eine frühere persönliche Antragstellung Bezug noch wird in diesem Antrag auf angeblich schon überreichte Unterlagen verwiesen. Auch das anwaltliche Widerspruchsschreiben und der Schriftsatz vom 21.10.2009 nehmen nicht auf eine frühere Antragstellung Bezug. In letzterem Schreiben wird vielmehr ausdrücklich auf das Antragsschreiben vom 10.03.2009 hingewiesen. Zum zweiten konnte die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht mit Bestimmtheit sagen, ob sie die medizinischen Unterlagen von Dr. C., die für eine Prüfung des Antrags nötig waren, bei der behaupteten Vorsprache am 07.07.2009 dabei gehabt und einer Mitarbeiterin übergeben habe. Zum dritten stellte sich heraus, dass die als Zeugin benannte Mitarbeiterin der Beklagten selbst nach Auffassung der Klägerin nicht die Person war, mit der sie gesprochen hatte. Zwar könnte ein Videobeweis, wie er im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Hessischen Landesozialgericht beantragt wurde, unter Umständen, also bei günstigem Kamerawinkel, zeigen, ob die Klägerin vor Ort war und ob sie und gegebenenfalls wem sie Papiere übergeben hat. Das Gericht hat gleichwohl nicht ermittelt, ob es in der Filiale der Beklagten an der H-Straße am 07.07.2009 überhaupt eine Videoüberwachung gab. Die Klägerin hat dies nicht explizit behauptet und den Beweisantrag vor dem Sozialgericht auch nicht wiederholt. Selbst wenn eine Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts der Beklagten stattfand, so geht die Kammer davon aus, dass die Daten nach Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Hessische Landesozialgericht im Januar 2012, also zweieinhalb Jahre nach der behaupteten Vorsprache der Klägerin in den Räumlichkeiten der Beklagten, nicht mehr vorhanden waren. Für den Bereich des Bundes schreibt § 6b Abs. 5 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) - das Hessische Datenschutzgesetz kennt keine vergleichbare Bestimmung - sogar eine unverzügliche Löschung solcher Aufzeichnungen explizit vor.

Aber selbst wenn man - wie schon das Sozialgericht in seinem Gerichtsbescheid vom 02.11.2010 - zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die Klägerin bereits am Dienstag, den 07.07.2009, einen Antrag bei der Beklagten auf Kostenübernahme der Behandlung bei Dr. C. gestellt hat, schiede die Kostenerstattung aus. Die Klägerin hätte eine Entscheidung der Beklagten abwarten können und müssen. Eine Bearbeitungszeit von 13 Tagen (07.07. bis 20.07.2009) war der Klägerin zumutbar.

Als die Klägerin am Montag, den 20.07.2009, also eine Woche nach Beginn der Behandlungsmaßnahme bei der Beklagten anrief, wurde ihr mitgeteilt, dass die Kostenübernahme abgelehnt werde. Diese Entscheidung der Beklagten beruhte darauf, dass sie durch ein Telefonat am 16.07.2009 erfahren hatte, dass Dr. C. keine Kassenzulassung habe und es sich bei der Klinik um eine Privatklinik handele (Aktenvermerke Blatt 3 und 4 der Verwaltungsakte) und erfolgte nach dem oben Dargelegten zu Recht. Die Klägerin wusste am 20.07.2009 nicht nur, dass sie sich in privatärztlicher Behandlung befand (das war ihr spätestens seit Leistung der Kaution bewusst und wurde auch im Antrag vom 10.07.2009 zum Ausdruck gebracht), sondern sie wusste auch, dass die Beklagte die privatärztliche Behandlung deshalb nicht zahlen werde und setzte sie gleichwohl fort. Die Klägerin brach hierauf nicht etwa ihre Behandlung bei Dr. C. ab, was sie nach der zuletzt vorgelegten undatierten Bestätigung Dr. C. ohne weiteres Kostenrisiko jederzeit hätte tun können. Sie veranlasste die Beklagte damit aber auch nicht weiter nachzuprüfen, ob unter den Vertragsärzten ein Anästhesist ist, der die von der Klägerin bevorzugte Nevenblockade-Behandlung durch Injektionen durchführt und ob auch nur diese spezielle Behandlung für die Klägerin als erfolgversprechend in Betracht kam. Damit war die Ablehnung der Beklagten nicht kausal im Sinne der zweiten Fallgruppe des § 13 Abs. 3 SGB V für die der Klägerin entstandenen Kosten.

Dass die Beklagte ihre Ablehnung im Bescheid vom 08.09.2009 dann darauf stützte, dass es sich bei der von Dr. C. eingesetzten Therapie um eine nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, ist unerheblich. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Behandlung schon einen Monat lang abgeschlossen. Die fehlerhafte Begründung konnte damit nicht kausal für irgendein Verhalten der Klägerin bei der Auswahl des Arztes oder der Fortführung der Therapie werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dass das Sozialgericht zunächst unter Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters durch Gerichtsbescheid entschieden hat, hat zwar zur Aufhebung des Gerichtsbescheids und zur Zurückverweisung an das Sozialgericht geführt. Die Kammer sieht aber keinen Anlass den Verfahrensfehler der 9. Kammer in der Gesamtkostenentscheidung durch eine Kostenteilung zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, die für die Zurückverweisung in keiner Weise verantwortlich ist und in der Sache in vollem Umfang obsiegt.
Rechtskraft
Aus
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