L 30 P 47/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 11 P 97/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 30 P 47/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Mai 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. August 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1. April 2016 Pflegeleistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz zu gewähren. Die Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Pflegeleistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz.

Die 1965 geborene Klägerin, bei welcher ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 mit dem Merkzeichen G anerkannt ist, ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet seit 2007 unter zunehmenden chronischen Schmerzen mit zunehmender Einschränkung der Gehfähigkeit, hartnäckigen Kopfschmerzen und fortschreitender Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Im Januar 2017 wurde bei ihr ein oligosymptomatischer Lupus erythematodes diagnostiziert, vgl. Arztbrief des J-K im F vom 2. Februar 2017, wonach die Klägerin zudem u.a. an Polyneuropathie, Spinalkanalstenose im Cervikalbereich, chronischer Schmerzerkrankung, Restless-Legs-Syndrom, behandelter Hypothyreose sowie an einer Angststörung und an rezidivierenden depressiven Episoden leidet. Seit Januar 2016 befand sich die Klägerin nicht mehr in fachärztlicher psychiatrischer Behandlung.

Am 1. April 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen. Die Beklagte veranlasste zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit die Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), welches nach körperlicher Untersuchung und Befragung der Klägerin in ihrer häuslichen Umgebung am 25. April 2016 von der Pflegefachkraft Franke erstellt wurde. Die Gutachterin verneinte bei einem festgestellten Zeitaufwand für die Grundpflege von 7 Minuten (Körperpflege: 5 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 2 Minuten) und für die Hauswirtschaft von 26 Minuten das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit und stellte daneben auch keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz fest. Zwar seien bei der Klägerin im Screening Auffälligkeiten bei Antrieb/Beschäftigung, Stimmung, situativem Anpassen und der Fähigkeit, die sozialen Bereiche des Lebens wahrzunehmen, festzustellen. Es seien aber beim Assessment nur die Punkte 10 (Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren) und 12 (ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten) erfüllt. Der Punkt 13 sei hingegen mangels Vorliegens einer nervenärztlich gesicherten, therapieresistenten Depression nicht erfüllt. Mit Bescheid vom 28. April 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Pflegeleistungen ab. Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 23. Mai 2016 machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe das bei ihr bestehende Krankheitsbild und den hieraus resultierenden Hilfebedarf unzureichend gewürdigt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2016 als unbegründet zurück.

Mit der am 12. September 2016 beim Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, die Beklagte habe sich nicht mit ihrem komplexen Krankheitsbild und ihrem umfangreichen Widerspruchsvorbringen auseinandergesetzt. Die Beklagte ist der Klage u.a. mit dem Vorbringen entgegengetreten, es fehle nach wie vor an einem Nachweis, dass bei der Klägerin überhaupt eine therapieresistente Depression vorliege. Im Übrigen seien keine Verhaltensweisen der Klägerin dokumentiert, bei welchen die Items 7 und 13 erfüllt seien.

Das SG hat einen Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin S vom 5. Juli 2017 betreffend den Behandlungszeitraum vom 14. Februar 2005 bis zum 27. April 2017 eingeholt. Dem Befundbericht ist der o.g. Entlassungsbericht des J-K im F vom 2. Februar 2017 über eine vom 25. Januar bis zum 3. Februar 2017 durchgeführte stationäre Behandlung (Erstdiagnose des oligosymptomatischer Lupus erythematodes) beigefügt gewesen, wonach im psychologischen Konsil vom 31. Januar 2017 u.a. berichtet worden sei, dass anamnestisch eine rezidivierende depressive Störung, Angstzustände und Somatisierungstendenzen vorbekannt seien, mit einer aktuell unter Cymbalta nur leichten Symptomatik.

Das SG hat das schriftliche Sachverständigengutachten der Pflegesachverständigen Baum vom 14. November 2017 eingeholt, welche die Klägerin am 10. November 2017 in ihrer Wohnung begutachtet und befragt hat. Die Sachverständige hat einen zeitlichen Hilfebedarf für die Grundpflege von 13 Minuten täglich (Körperpflege: 6 Minuten; Ernährung: 3 Minuten; Mobilität: 4 Minuten) und für die hauswirtschaftliche Versorgung von 60 Minuten täglich festgestellt. Daneben hat sie ausgeführt, dass bei der Klägerin eine erhebliche Störung der Alltagskompetenz vorliege, weil die Items 7 und 13 erfüllt seien. Aufgrund der Kenntnis über die schwierige Diagnosestellung beim "Lupus" allgemein und dem vorab jahrelangem Leiden mit chronischen Schmerzen, diversen Untersuchungen und Behandlungsversuchen und der Angststörung könne ihres Erachtens nicht mehr von depressiven Episoden gesprochen werden, sondern es handele sich vielmehr um eine therapieresistente Depression. Diese Einschätzung werde durch die kontinuierliche allgemeine Verschlechterung und durch die Zunahme der antriebslosen, motivationslosen und traurigen Zeiten bestätigt. Die Klägerin sei nach ihren Angaben mindestens ein Mal in der Woche/im Monat so depressiv, dass sie die Selbstpflege stark vernachlässige. An anderen Tagen sei Motivation zum Aufstehen und Essen erforderlich. Die Sachverständige hat unter dem 20. Januar 2018 ergänzend Stellung genommen.

Das SG hat die zuletzt auf die Gewährung von Leistungen wegen einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz gerichtete Klage mit Urteil vom 25. Mai 2018 abgewiesen. Es hat im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 45a des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (a.F.). Bei der Klägerin bestünden keine Schädigungen oder Fähigkeitsstörungen i.S.v. § 45a Abs. 2 SGB XI a.F., welche zur Anerkennung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz führen könnten. Die von der Sachverständigen Baum angenommenen Voraussetzungen von § 45a Abs. 2 S. 1 Nr. 7 und 13 SGB XI a.F. seien bereits deshalb nicht erfüllt, weil es an der ärztlichen Feststellung einer bei der Klägerin bestehenden therapieresistenten Depression fehle. Sowohl im von der Klägerin vorgelegten Attest der C als auch im Entlassungsbericht des J-K werde nur von einer rezidivierenden depressiven Störung berichtet, die zudem unter laufender Behandlung mit dem Psychopharmakon Cymbalta nur eine leichte Symptomatik zeige. Zudem habe sich die Klägerin seit 2015 bei keinem Facharzt für Psychiatrie in Behandlung befunden. Bei ihr seien ab Antragstellung keine regelmäßig vorliegenden Schädigungen und Fähigkeitsstörungen dokumentiert worden, welche die Voraussetzungen der streitbefangenen Items überhaupt erfüllen könnten. Schädigungen und Fähigkeitsstörungen i.S.v. § 45a Abs. 2 S. 2 SGB XI a.F. lägen jedenfalls dann nicht regelmäßig vor, wenn der krankheitsbedingte allgemeine Betreuungsbedarf in der Regel nur einmal oder zweimal wöchentlich anfalle. Demgegenüber habe die Sachverständige B für Item 7 im Assessment ausgeführt, dass die Schädigungen und Fähigkeitsstörungen nur zeitweise vorlägen. Diese finde seine Bestätigung bei ihrer Befunderhebung für die Psyche wo sie ausführe, dass die Klägerin mindestens eine Woche im Monat so depressiv sei, dass die die Selbstpflege stark vernachlässige und anderen Tagen oft Antrieb und Motivation brauche. Soweit die Richtlinie zur Begutachtung von Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz und zur Bewertung des Hilfebedarfs exemplarisch für das Item 7 ausführe, dass es erfüllt sei, wenn die betroffene Person den ganzen Tag apathisch im Bett verbringe oder den Platz, an den sie morgens von der Pflegeperson hingesetzt worden sei, nicht aus eigenem Antrieb wieder verlasse oder sich nicht aktivieren lasse oder die Nahrung verweigere, seien Einschränkungen entsprechenden Ausmaßes weder vom MDK noch von der Sachverständigen dokumentiert. Diese seien auch von der Klägerin selbst in ihrer Widerspruchsbegründung nicht geltend gemacht worden. Mangels Vorliegens einer therapieresistenten Depression seien auch die Voraussetzungen des Items 13 nicht erfüllt.

Die Klägerin hat gegen das ihr 2. Juli 2018 zugestellte Urteil am 1. August 2018 Berufung eingelegt und ihr bisheriges Vorbringen vertieft.

Sie beantragt zur Sache (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Mai 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. April 2016 Pflegeleistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach der Pflegestufe 0 zu gewähren.

Die Klägerin hat zudem zuletzt mit Schriftsatz vom 26. November 2020 hilfsweise Beweisanträge gestellt. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist insbesondere darauf, dass es an einer diagnostisch gesicherten, therapieresistenten Depression fehle.

Im Berufungsverfahren ist das auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des Internisten Dr. F vom 11. März 2019 eingeholt worden. Auf die hiergegen mit Schreiben vom 17. April 2019 erhobenen Einwendungen der Beklagten hat der Sachverständige unter dem 8. Oktober 2019 ergänzend Stellung genommen.

Die Beteiligten haben, die Klägerin mit Schreiben vom 6. Oktober und 26. November 2020 und die Beklagte mit Schreiben vom 16. Oktober 2020, ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das SG hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. August 2016 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin, vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz.

Anwendung findet das SGB XI a.F., weil die Klägerin ihren Antrag auf Gewährung von Pflegeleistungen vor dem 31. Dezember 2016 gestellt hat (§ 140 Abs. 1 SGB XI). Der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Leistungen der sog. "Pflegestufe 0" richtet sich dementsprechend nach §§ 123 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 45b Abs. 1 SGB XI a.F. Nach §§ 123 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB XI a.F. haben Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a SGB XI a.F. erfüllen, je Kalendermonat Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 in Höhe von 123,00 EUR. Nach § 45b SGB XI a.F. können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a SGB XI a.F. erfüllen, je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Kosten werden hierfür ersetzt, höchstens jedoch 104,00 EUR monatlich (Grundbetrag) oder 208,00 EUR monatlich (erhöhter Betrag).

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen gemäß § 45a SGB XI a.F. für die Gewährung der vorgenannten Leistungen der "Pflegestufe 0". Nach § 45a Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. betreffen die Leistungen des fünften Abschnitts im vierten Kapitel des SGB XI Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§§ 14 und 15 SGB XI) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung besteht. Dies betrifft nach § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI a.F. einerseits Pflegebedürftige in der Pflegestufe l, Il und III sowie nach § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB XI a.F. andererseits Personen, die — wie die Klägerin — einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der noch nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, und zwar jeweils beschränkt auf Pflegebedürftige mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK im Rahmen der pflegeversicherungsrechtlichen Begutachtung nach § 18 SGB XI a.F. als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt hat, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. Für die Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, sind nach § 45a Abs. 2 Satz 1 SGB XI a.F. folgende Schädigungen und Fähigkeitsstörungen — sogenannte Assessments —, maßgebend: 1. unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz); 2. Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen; 3. unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen; 4. tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation; 5. im situativen Kontext inadäquates Verhalten; 6. Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen; 7. Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung; 8. Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben; 9. Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus; 10. Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren; 11. Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in Alltagssituationen; 12. ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten; 13. zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression.

Die Alltagskompetenz ist nach § 45a Abs. 2 Satz 2 SGB XI a.F. erheblich eingeschränkt, wenn der Gutachter des MDK bei der Pflegebedürftigen wenigstens in zwei Bereichen, davon mindestens einmal in den Bereichen 1 bis 9, dauerhafte und regelmäßige Schädigungen und Fähigkeitsstörungen feststellt (§ 45a Abs. 2 Satz 2 SGB XI).

Vorliegend ist zur Überzeugung des Senats gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG bewiesen, dass bei der Klägerin sehr wohl die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind. Zunächst einmal lag bei der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ab April 2016 eine Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung i.S.v. § 45a Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB XI a.F. vor. Vernünftige Zweifel am damaligen Vorliegen einer ärztlich festgestellten therapieresistenten Depression bestehen nicht. Der Senat bezieht sich hierfür zunächst auf den Befundbericht der die Klägerin langjährig behandelnden Hausärztin S vom 5. Juli 2017, worin ihr Depression und Angststörung attestiert worden sind. Die Ärztin hat Antrieb/Beschäftigung, Stimmung, Tag-/Nachtrhythmus, Wahrnehmung und Denken sowie die Wahrnehmung sozialer Lebensbereiche als auffällig bezeichnet. Dementsprechend geht aus dem Arztbrief des J-K im F vom 2. Februar 2017 hervor, dass bei der Klägerin u.a. rezidivierende depressive Episoden und Angstzustände mit Somatisierungstendenzen vorlagen, wenn auch mit einer damals unter Cymbalta nur leichten Symptomatik. Eben hierauf und auf den von ihm aufgrund einer am 9. Februar 2019 durchgeführten ambulanten Untersuchung erhobenen psychopathologischen Befund gründet die plausible ärztliche Feststellung des Sachverständigen Dr. F in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 11. März 2019, dass bei der Klägerin in der Tat bereits seit Jahren eine therapieresistente Depression mit Angstzuständen besteht. Als Beleg führt er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 2019 nachvollziehbar u.a. die zahlreichen ambulanten und stationären psychologischen Behandlungen an, insbesondere die Bescheinigung des Asklepios Fachklinikums Brandenburg vom 9. Mai 2016, wonach die Klägerin vom Beginn des Jahres 2012 bis zuletzt am 25. November 2015 dort durchgängig wegen rezidivierender depressiver Störungen und Somatisierungsstörung in ambulanter Behandlung war und die medikamentöse Behandlung in der Gabe von Cymbalta, Insidon und Restex bestand. Dabei konnte – dies zeigen u.a. der vorgenannte Befundbericht und der o.g. Arztbrief des J-K – die psychische Symptomatik nicht beseitigt werden, zumal die Klägerin auch ausweislich der nachgehenden ärztlichen Befunde und Diagnosen nach wie vor an behandlungspflichtiger Depression leidet. Hierzu ist etwa auf den Arztbrief des J-K vom 5. Juni 2019 zu verweisen, worin der Klägerin weiterhin eine behandlungsbedürftige depressive und ängstliche Symptomatik bescheinigt wird, was im Übrigen den vom Sachverständigen Dr. F anlässlich seiner Begutachtung erhobenen psychopathologischen Befund bestätigt. Das Fortbestehen der behandlungspflichtigen Depression - über das Ende der durchgehend begleitenden fachpsychiatrischen Behandlung des nach Angaben der Klägerin 2015 in Rente gegangenen Nervenarztes Dr. H hinaus – ergibt sich eben auch aus dem schriftlichem Sachverständigengutachten der Pflegefachkraft B vom 20. Januar 2018, worin sie – wie später auch der Sachverständige Dr. Fr - bei der von ihr am 10. November 2017 durchgeführten Begutachtung im häuslichen Umfeld der Klägerin die fortbestehende Einnahme der Psychopharmaka Cymbalta und Restex festgestellt hat, deren pharmakologische Wirkungsweise sie im Übrigen in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2018 beschrieben hat.

Die therapieresistente Depression/Angststörung hatte bei der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum auch eine Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen zur Folge. Dies ergibt sich aus dem auf einer ausführlichen und schlüssigen Befunderhebung beruhenden schriftlichen Sachverständigengutachten der Pflegesachverständigen Bvom 20. Januar 2018. Die Sachverständige hat mäßige Funktionseinschränkungen der Psyche festgestellt (zunehmende depressive Phasen, insgesamt negative Stimmung, geminderter Antrieb/gemindertes Interesse, Zukunftsängste, Schlafstörungen, Angst und Panikzustände mit mehrmals täglichen Hitzeschüben, Hautjucken, Schwitzen und Frieren im Wechsel, Albträumen) und hierzu festgehalten, dass die Klägerin mindestens einmal pro Woche so depressiv war, dass sie Selbstpflege stark vernachlässigte, und an anderen Tagen – insbesondere morgens - des Antriebs und der Motivation zum Aufstehen und zum Essen bedurfte. Ferner hat die Sachverständige festgehalten, dass die Klägerin an Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwächen mit zunehmender Vergesslichkeit litt. Hiervon schloss die Sachverständige nachvollziehbar darauf, dass die Klägerin infolge ihrer Depression/Angststörung eine ca. sieben Tage pro Monat stark ausgeprägte, zwei Wochen pro Monat wenig und eine Woche pro Monat mittelmäßig ausgeprägte, mithin gleichwohl durchgehende Unfähigkeit zur erforderlichen Kooperation bei therapeutischen/schützenden Maßnahmen aufwies, die mithin regelmäßig im Sinne einer grundsätzlich täglichen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarfs bestand, dessen Ausprägung sich allerdings unterschiedlich darstellen kann, m.a.W. bei bestimmten Krankheitsbildern in Abhängigkeit von der Tagesform zeitweilig eine Beaufsichtigung ausreichen oder auch eine intensive Betreuung erforderlich sein kann (vgl. Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungs-Richtlinien – BRi) vom 8. Juni 2009, geändert durch Beschluss vom 16. April 2013, S. 74). Dabei lässt sich der Tatbestand des § 45a Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB XI a.F. nicht auf die Fälle reduzieren, in denen der Versicherte den ganzen Tag apathisch im Bett verbringt, den Platz, an den er z.B. morgens durch die Pflegeperson hingesetzt wird, nicht aus eigenem Antrieb wieder verlässt oder die Nahrung verweigert, sondern ist auch dann erfüllt, wenn sich der Versicherte – wie die Klägerin - infolge der Depression/Angststörung nicht aktivieren lässt (vgl. BRi S. 77). Das Vorliegen dieser Fähigkeitsdefizite ergibt sich eben auch aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. F insbesondere in dessen im Berufungsverfahren eingeholtem schriftlichem Sachverständigengutachten, worin er darauf verweist, dass der Tagesablauf der Klägerin von der Pflegeperson geplant werden, die Klägerin immer wieder ermuntert und motiviert werden muss, beispielsweise das Bett zu verlassen, die täglichen Verrichtungen durchzuführen oder Termine einzuhalten. Dr. F führt plastisch aus, dass bei der Klägerin der Tagesbaulauf durchgehend geführt und überwacht werden muss, besonders morgens, wenn sie, nachdem sie in der Nacht wieder wegen der unruhigen Beine (Restless-legs-Syndrom) durch die Wohnung gelaufen ist und wegen der Schlafstörungen Medizin eingenommen hat, so erschöpft und körperlich schwach ist, dass sie liegen bleibt und die täglichen Verrichtungen vernachlässigt, und es viel Geduld und Zuspruchs der Pflegepersonen bedarf, die Klägerin zu motivieren und ihre Interessenlosigkeit zu durchbrechen.

Dementsprechend lagen zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ab April 2016 auch zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression i.S.v. § 45a Abs. 2 S. 1 Nr. 13 SGB XI a.F. vor. Dies ergibt sich nicht nur aus den plausiblen Feststellungen der Sachverständigen Baum, sondern eben auch wieder aus dem überaus plastischen psychopathologischen Befund, welchen der Sachverständige Dr. F anlässlich der von ihm durchgeführten Begutachtung im Berufungsverfahren erhoben hat und aus welchem er nachvollziehbar auf eine bereits zumindest ab April 2016 bestehende Depression/Angststörung schließt.

Da mithin in zwei der in § 45a Abs. 2 S. 1 SGB XI a.F. genannten Bereiche und zugleich im Bereich 1 bis 9 dauerhafte und regelmäßige Schädigungen/Fähigkeitsstörungen vorliegen, ist bereits von einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz auszugehen, so dass es nicht darauf ankommt, ob – was allerdings die ergänzende Stellungnahme von Dr. Fr im Hinblick auf § 45a Abs. 2 S. 1 Nr. 9 und 10 SGB XI a.F. nahe legt – noch weitere Schädigungen/Fähigkeitsstörungen bei der Klägerin gegeben sind.

Nach alldem ist den von der Klägerin hilfsweise gestellten Beweisanträgen nicht nachzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved