L 1 R 401/18

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 9 R 1579/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 401/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Oktober 2018 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) vom 1. Mai 2015 bis zum 30. September 2020 streitig.

Die am ... 1960 geborene Klägerin ist gelernte Weberin und Bibliotheksassistentin. Sie war als Entgraterin, Bibliotheksassistentin, Küchenhelferin und zuletzt von September 2013 bis Juli 2015 als Präsenzkraft in einem Pflegeheim versicherungspflichtig beschäftigt. Sie war bereits seit 12. Februar 2014 arbeitsunfähig und bezog vom 26. März bis zum 18. Juli 2015 Krankengeld sowie vom 19. Juli 2015 bis zum 17. Mai 2016 Arbeitslosengeld. Seitdem lebt die Klägerin von ihrer Witwenrente.

2010 verstarb ihre Schwester, 2012 ihr Vater und am 3. Dezember 2013 ihr Ehemann.

Die Klägerin beantragte am 30. April 2015 bei der Beklagten die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Wegen starker Depressionen, schneller Erschöpfung und Überforderung, Angstzuständen, Minderwertigkeitsgefühlen und körperlicher Schmerzen könne sie seit Dezember 2013 maximal 1 Stunde täglich arbeiten.

Die Beklagte zog zunächst die medizinischen Unterlagen aus den vorangegangenen medizinischen Rehabilitationsverfahren bei. In dem Entlassungsbericht der Fachklinikum B. GmbH & Co.KG vom 6. Juli 2012 nach einer stationären Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin vom 16. Mai bis zum 20. Juni 2012 wurde als Diagnose u.a. eine mittelgradige depressive Episode mitgeteilt. Die Klägerin sei für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten und als Küchenhilfe 6 Stunden und mehr täglich einsetzbar. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie MUDr. S. teilte in dem Befundbericht vom 27. Oktober 2014 eine erneute depressive Dekompensation nach dem Tod des Ehemannes im Dezember 2013 mit. Die Klägerin habe eine stationäre Psychotherapie vom 15. Juli bis zum 20. September 2014 im Fachkrankenhaus J. absolviert. Ferner sei sie auf Citalopram 20 mg eingestellt worden. In dem Entlassungsbericht der B.-klinik vom 12. Februar 2015 nach der stationären Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin vom 30. Dezember 2014 bis zum 3. Februar 2015 wurden als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit Somatisierungstendenz, eine Hypothyreose und eine rezidivierende Lumboischialgie bei Osteochondrose C5-C7 mitgeteilt. Diskrete Defizite im Bereich der Konzentration und Merkfähigkeit seien festzustellen gewesen. Die Klägerin sei als Präsenzkraft im Pflegeheim und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mittelschwere körperliche Tätigkeiten überwiegend im Stehen, ständig im Gehen und Sitzen im Umfang von 6 Stunden und mehr täglich einsetzbar. Tätigkeiten mit Nachtschichten, permanenten Zwangshaltungen und Vibrationsbelastungen der Wirbelsäule seien zu vermeiden. Die Entlassung sei als kurzzeitig arbeitsunfähig bei noch nicht abgeschlossenem Heilungsprozess und zur Klärung der beruflichen Perspektive erfolgt.

Die Beklagte zog im Rentenverfahren das "Sozialmedizinische Beratungsgespräch" des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt e.V. (MDK) vom 20. April 2015 bei. Danach bestehe derzeit kein auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbares Leistungsvermögen. Die Klägerin sei auf Dauer arbeitsunfähig. Von dem Trauma, dem Tod des Ehemannes, könne sie sich trotz Therapie nicht lösen. Hinzugetreten sei eine linksbetonte Schmerzstörung des gesamten Körpers. Perspektivisch seien ausschließlich körperlich leichte Arbeiten ohne Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen und nur psychisch belastungsfreie Tätigkeiten denkbar.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Mai 2015 den Rentenantrag ab. In dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, keine 3 Stunden täglich erwerbstätig sein zu können. Sie sei selbst bei der Durchführung einfachster Arbeiten schnell erschöpft und müsse ständig Pausen einlegen. Sie leide unter Angststörungen und traue sich oft nicht, das Haus zu verlassen. Sie könne zudem keine längeren Strecken mit dem Kraftfahrzeug unternehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei der Klägerin bestehe ein Leistungsvermögen im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen. Diese sei auch nicht berufsunfähig.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 26. Oktober 2015 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt. Sie hat im Wesentlichen ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Sie hat ein Attest von MUDr. S. vom 22. August 2016 vorgelegt, wonach sie unter 2 Stunden täglich leistungsfähig sei.

Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte eingeholt. Die Psychologische Psychotherapeutin S. hat unter dem 18. September 2017 eine teilweise Besserung der Befunde aufgezeigt. Die Klägerin sei "eher" nicht 6 Stunden täglich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer leistungsfähig. Sie müsse noch länger belastende Lebensereignisse verarbeiten. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin G. hat unter dem 18. September 2017 eine wesentliche Verbesserung und ebenfalls eine Leistungsfähigkeit der Klägerin verneint. MUDr. S. hat unter dem 25. September 2017 einen gleichbleibenden Gesundheitszustand bescheinigt. Die medizinische Rehabilitation 2014 habe die Einschränkung nicht beheben können.

Das Sozialgericht hat den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, spezielle Schmerztherapie, Chirotherapie Dr. B. das Gutachten vom 3. September 2018 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 25. Juli 2018 erstatten lassen. Diese habe angegeben, unverändert seit 2013 an Rückenschmerzen sowie Schmerzen der linken Körperseite zu leiden. Medikamente und Bewegung (Radfahren und Nordic-Walking) minderten den Schmerz. An Medikamenten nehme sie Venlafaxin 75 mg 3-mal täglich seit 28. Mai 2018. Seitdem ginge es ihr besser. Sie mache den Haushalt (Kochen, Waschen, Bügeln, Putzen, Staubsaugen, Einkaufen) und fahre wenig Auto. Als Diagnosen hat Dr. B. eine sekundär vitalisierte abnorme Trauerreaktion, derzeit therapieresistent, einen Halbseitenschmerz links, einen chronischen, nicht radikulären Rückenschmerz der Lendenwirbelsäule (LWS) und eine Schilddrüsenunterfunktion benannt. Die Depression sei unzureichend medikamentös behandelt worden. Die Symptomatik habe im Laufe der Jahre zugenommen (Suizidideen, Schmerzen der linken Körperhälfte). Erst seit Mai 2018 erhalte die Klägerin eine adäquate medikamentöse Dosis. Gleichwohl bestehe nach dem Depressionstest HAMD eine schwere Depression, klinisch eine mittelgradige Depression. Konzentrationsstörungen seien zwar nicht nachweisbar gewesen, könnten gleichwohl bei längerer Arbeit auftreten. An Funktionsbeeinträchtigungen bestünden jedoch die Erschöpfbarkeit und die von der Klägerin geschilderte Angst, aus dem Haus zu gehen, ferner immer wieder auftretende Suizidideen (bereits 2015 in der Reha, zuletzt vor 5 Wochen). Er - der Gutachter - sei davon überzeugt, dass die geklagten Beschwerden und die psychischen Einbußen bestünden. Es sollte trotz Therapieresistenz der Versuch einer medikamentösen Behandlung unternommen werden. Die Klägerin könne eine leichte Arbeit im Wechsel von Gehen, Stehen und/oder Sitzen, ohne einseitige körperliche Belastungen und Zwangshaltungen sowie ohne Nachtschicht verrichten. Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände erforderten, seien möglich. Die Klägerin könne im Freien sowie in Wechselschicht arbeiten. Sie sei Arbeiten mit mindestens durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- oder Hörvermögen, mit mindestens geistig mittelschwierigen Anforderungen und ohne besondere Anforderungen an Reaktionsvermögen, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit gewachsen. Sie könne aufgrund der derzeitigen schweren Depression gar nicht arbeiten. Ihre Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Die Klägerin könne auch zweimal arbeitstäglich zur Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Sie sei derzeit nicht in der Lage, alleine ein Kfz zu führen. Sie sei von ihrer Tochter zur Begutachtung gebracht worden. Sie fahre sonst auch selbst wenig Auto. Die festgestellte Minderung bestehe seit dem Tod des Ehemannes im Jahr 2013. Die Depression könnte bei einer Erweiterung der Medikation und der fortlaufenden Psychotherapie beeinflusst werden. Die Ärzte der Reha-Kliniken hätten den Einfluss der Depression auf die Arbeitsfähigkeit nicht ernst genug genommen. Eine Überprüfung des psychischen Befundes in 2 Jahren werde empfohlen.

Die Beklagte ist dem Gutachten unter Berufung auf die sozialmedizinische Stellungnahme des Prüf-/Gutachterarztes N. vom 4. Oktober 2018 nicht gefolgt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 15. Oktober 2018 unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Mai 2015 bis zum 30. September 2020 zu bewilligen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe seit Ende 2013. Es könne dahinstehen, ob das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter 6 oder sogar auf unter 3 Stunden täglich herabgesunken sei. In beiden Fällen bestehe Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit.

Gegen das ihr am 8. November 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. November 2018 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Dem Gutachten von Dr. B. sei nicht zu folgen. Es bestünden Diskrepanzen hinsichtlich der erhobenen klinischen und paraklinischen Befunde und der subjektiven Beschwerdeschilderung der Klägerin. Zudem weise das Gutachten weitere Inkonsistenzen auf. Im Übrigen müsste ausgehend von dem zugrunde gelegten Leistungsfall am 3. Dezember 2013 und dem Antrag vom 30. April 2015 die Rente bereits am 1. April 2015 beginnen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Oktober 2018 abzuändern und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit mache sie nicht mehr geltend.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. B. vom 8. April 2019 eingeholt. Danach seien die Aktivitäten der Klägerin mit einer schwer ausgeprägten Depression zu vereinbaren. Schließlich lebe die Klägerin alleine und führe die Arbeiten zu Hause langsam aus. Er habe mit ihr ein semistrukturiertes Interview geführt und etablierte Verfahren verwendet. Bei der Erhebung von psychischen Befunden sei die Heranziehung von subjektiven Angaben sowie Fremdbeobachtungen zulässig. Nach dem HAMD habe die Klägerin "objektiv" eine schwere Depression, obgleich sie unter aktueller Medikation eine Besserung angegeben habe. Der psychische Zustand habe sich seit 2012 nicht verbessert. Der derzeitige schwergradige depressive Zustand, der früher als endogene Depression bezeichnet worden sei, sei vergleichbar mit dem Zustand, dass die Klägerin alle 4 Gliedmaßen gebrochen hätte.

Der Senat hat Dr. H., "Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinischer Gutachter, Sozialmedizin und Suchtmedizin", das Gutachten vom 11. November 2019 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 25. September 2019 erstatten lassen. Diese habe angegeben, die Schmerzsymptomatik habe sich 14 Tage nach dem Tod ihres Ehemannes entwickelt. Sie fahre täglich bis alle 2 Tage Fahrrad und walke. Diese Aktivitäten wirkten sich positiv mit einer Schmerzreduktion und emotionalen Entlastung aus. Suizidgedanken seien weniger geworden. Sie fahre einmal pro Woche Auto, z.B. um Getränke zu holen. Sie könne sich eine Bibliothekstätigkeit vorstellen. Das Antidepressivum Venlafaxin sei seit ca. 1,5 bis 2 Jahren auf insgesamt 150 mg Tagesdosis reduziert worden. Der Gutachter hat aufgezeigt, dass die aktuelle Symptomatik durch depressiv anmutende Symptome und ein Schmerzerleben geprägt sei, für das es keine organische Erklärung gebe. Der Tagesablauf der Klägerin sei strukturiert. Die medikamentöse Behandlung sei insuffizient. Aus medikamentöser, psychotherapeutischer und bewegungstherapeutischer Sicht sei von einer guten Behandelbarkeit auszugehen. Als Diagnosen hat Dr. H. eine mittel- bis schwergradige depressive Störung und Tod eines Angehörigen im Sinne einer pathologischen Trauer genannt. Eine Diskrepanz zwischen der subjektiven Beschwerdeschilderung und dem Verhalten der Klägerin in der Untersuchungssituation sei nicht festzustellen gewesen. Die Angaben der Klägerin seien insgesamt glaubhaft. Es habe sich kein Anhalt für Simulation, Aggravation oder Dissimulation ergeben. Allerdings habe sich eine Neigung zur Verdeutlichung gezeigt. Aktuell bestehe eine ausgeprägte depressive Symptomatik mit Leidensdruck und entsprechenden Fähigkeitsstörungen. Diese könne innerhalb von 6 Monaten mit adäquater therapeutischer Hilfe überwunden oder zumindest deutlich gebessert werden. Ein aufgehobenes quantitatives Leistungsvermögen lasse sich nicht rechtfertigen. Eine Therapieresistenz bestehe nicht. Die Motivation zur Behandlung bzw. die Willensanspannung seien gering ausgeprägt, aber dennoch vorhanden. Die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten. Sie sei Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit sowie mit geistig mittelschwierigen Anforderungen gewachsen. Tätigkeiten mit hoher Verantwortungsübernahme, z.B. Personalverantwortung oder Leitungsfunktion, sowie mit hohen Anforderungen an die Dauerkonzentrations- und Daueraufmerksamkeitsleistung seien zu vermeiden. Die Klägerin könne Arbeiten in Wechsel-/Nachtschicht, mit besonderem Zeitdruck, Akkord- bzw. Fließbandarbeit, Arbeiten mit starkem Publikumsverkehr und hoher Lärmbelastung nicht mehr bewältigen. Unter Beachtung der qualitativen Einschränkungen bestehe eine Leistungsfähigkeit von 6 Stunden und mehr täglich. Eine anhaltende bzw. wiederholte Krankschreibung aufgrund der psychiatrischen Störung sollte nach/unter adäquater Behandlung und nach ausreichender Stabilisierung streng diskutiert werden. Das Auftreten einer depressiven Symptomatik mit Krankschreibung sei möglich. Ob oder zu welchem Zeitpunkt lasse sich jedoch nicht voraussagen. Der Leistungseinschätzung von Dr. B. in dem Gutachten vom 3. September 2018 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 8. April 2019 sei nicht zu folgen.

Die Klägerin hat vorgetragen, beide Gutachten für schlüssig zu halten. Die Ausführungen des Dr. H. erschütterten jedoch nicht die Einschätzung des Dr. B ... Sie hat die Einholung eines Obergutachtens beantragt, hilfsweise Dr. B. und Dr. H. zur mündlichen Verhandlung zur Erläuterung ihrer Gutachten zu laden.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 12. Juni 2020 hat Dr. B. an seiner Leistungseinschätzung eines aufgehobenen Leistungsvermögens der Klägerin festgehalten.

Dr. H. hat mit ergänzender Stellungnahme vom 30. Juni 2020 mitgeteilt, dass er unter Berücksichtigung der Stellungnahme von Dr. B. seine Leistungsbeurteilung nicht ändere.

Die Klägerin hat schließlich noch die Epikrise das A. Klinikums H. vom 11. August 2020 über ihre stationäre Behandlung vom 21. Februar bis zum 30. April 2020 vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Gerichts- und Verwaltungsverfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch in der Form und Frist des § 151 SGG eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Streitgegenstand ist die Bewilligung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung vom 1. Mai 2015 bis zum 30. September 2020, da nur die Beklagte Berufung eingelegt hat.

Die Klägerin hat in diesem Zeitraum keinen Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Der diesen Anspruch ablehnende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Das insoweit stattgebende Urteil des Sozialgerichts war abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter diesen Bedingungen mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter diesen Bedingungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Abweichend vom Wortlaut des § 43 Abs. 2 SGB VI haben aber auch Versicherte, die teilweise erwerbsgemindert sind, Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) führt die teilweise Erwerbsminderung bei praktischer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts für Tätigkeiten in einem täglichen zeitlichen Rahmen von drei bis unter sechs Stunden zu einer vollen Erwerbsminderung auf Zeit (vgl. schon zu § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO), BSG, Großer Senat (GS), Beschlüsse vom 12. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75 und GS 3/76; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R (22) für die aktuelle Rechtslage).

1.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte die Klägerin vom 3. Dezember 2013 bis zum 30. September 2020 unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Sie war in der Lage, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten 6 Stunden und mehr täglich zu verrichten. Tätigkeiten mit permanenten Zwangshaltungen und Vibrationsbelastungen der Wirbelsäule waren ausgeschlossen. Die Klägerin war Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit sowie mit geistig mittelschwierigen Anforderungen gewachsen. Tätigkeiten mit hoher Verantwortungsübernahme, z.B. Personalverantwortung oder Leitungsfunktion, mit hohen Anforderungen an die Dauerkonzentrations- und Daueraufmerksamkeitsleistung, mit erhöhtem Stress und in emotional belastenden Situationen waren zu vermeiden. Die Klägerin konnte Arbeiten in Wechsel-/Nachtschicht, mit besonderem Zeitdruck, Akkord- bzw. Fließbandarbeit, Arbeiten mit starkem Publikumsverkehr und hoher Lärmbelastung nicht mehr bewältigen. Die Gebrauchsfähigkeit beider Hände war gegeben.

Dies ergibt sich für den Senat insbesondere aus dem Gutachten von Dr. H. vom 11. November 2019 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 30. Juni 2020 sowie dem Entlassungsbericht der B.-klinik vom 12. Februar 2015.

Bei der Klägerin bestanden im streitgegenständlichen Zeitraum vordergründig eine mittel- bis schwergradige depressive Störung und eine gestörte bzw. stagnierende Trauerverarbeitung bei Tod eines Angehörigen.

Dr. H. hat nach einer ausführlichen Untersuchung der Klägerin und einer detaillierten Anamnese, nach Durchführung mehrerer Testverfahren und unter Berücksichtigung sämtlicher Vorgutachten und Vorbefunde schlüssig und nachvollziehbar aufgezeigt, dass die aus diesen Erkrankungen resultierenden Einschränkungen nicht zu einem auf unter 6 Stunden täglich reduzierten Leistungsvermögen führten. Er hat zwar eine zum Begutachtungszeitpunkt ausgeprägte depressive Symptomatik mitgeteilt. Er hat jedoch diese von ihrer Ausprägung als schwankend beschrieben. Der Antrieb stelle sich als ausreichend gut erhalten dar. Der Gutachter hat eine Interessenlosigkeit oder Lustlosigkeit der Klägerin verneint. Bei gedrückter Stimmung bestünde lediglich eine Neigung zur Freudlosigkeit, aber nicht durchgängig bei erhaltener Aufhebbarkeit und Schwingungsfähigkeit. Angst- und Vermeidungsverhalten im Sinne einer manifesten Angststörung seien nicht erkennbar gewesen.

Der Erkrankung der Klägerin werden die von Dr. H. aufgezeigten qualitativen Funktionseinschränkungen ausreichend gerecht. Ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen ist daraus nicht abzuleiten. Als Funktionsstörungen hat der Gutachter lediglich Einschränkungen in den Bereichen Flexibilität und Umstellungsfähigkeit sowie Widerstands- und Durchhaltefähigkeit aufgezeigt. Unter Berücksichtigung des Überforderungserlebens bzw. der Sorge vor Überforderung waren Anpassung bzw. Umstellung mit einer erhöhten Anspannung der Klägerin verbunden. Darüber hinaus bestand eine reduzierte Stressbelastbarkeit bei einer zumindest zeitweise erhöhten Erschöpfung, aber erhaltener Erholungsfähigkeit. Arbeiten mit erhöhtem Stress und in emotional belastenden Situationen hat der Gutachter für unzumutbar gehalten. Darüber hinaus ist Dr. H. von einer reduzierten Dauerkonzentrationsfähigkeit und Daueraufmerksamkeit ohne kognitive oder mnestische Defizite in geistiger Hinsicht ausgegangen. Obgleich die Klägerin während der Begutachtung einen konzentrierten und aufmerksamen Eindruck gemacht habe, habe sie subjektiv eine reduzierte Konzentrations- und Merkfähigkeit empfunden. Im Übrigen habe sich in der Testung eine unterdurchschnittliche Konzentrationsfähigkeit gezeigt hat.

Der Senat vermag der Leistungseinschätzung von Dr. B. in dessen Gutachten vom 3. September 2018 und dessen ergänzenden Stellungnahmen vom 8. April 2019 und 12. Juni 2020 nicht zu folgen. Der Gutachter hat sich überwiegend auf die subjektiven Angaben der Klägerin und nicht auf objektive Befunde gestützt. Er hat lediglich eine motorische Unruhe der Hände beschrieben. Es ergeben sich Ungereimtheiten hinsichtlich der subjektiven Beschwerdeschilderung und der körperlichen Beeinträchtigung der Klägerin in der Untersuchungssituation. Entgegen deren Angaben, ständig an Schmerzen zu leiden, hat der Gutachter kein spezielles Schmerzverhalten beschrieben. Er konnte zudem keine Konzentrationsstörungen bei der Begutachtung feststellen. Darüber hinaus hat die Klägerin einen weitgehend erhaltenen und strukturierten Tagesablauf mit - wenn auch langsam ausgeführten - Arbeiten im Haushalt geschildert. Trotz angegebener großer Beschwerden befand sie sich nicht in einer spezifischen schmerztherapeutischen Behandlung.

Dr. B. hat ferner keine Funktionsbeeinträchtigungen aufgezeigt, die die von ihm aufgezeigte quantitative Leistungsminderung auf unter 3 Stunden täglich begründen könnten. Er setzte sich nicht mit den von der Klägerin angegebenen Fähigkeitsstörungen auseinander. Es wird nicht klar, warum trotz Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen eine ausgeprägte quantitative Leistungsminderung vorliegen soll. Darüber hinaus ist eine diagnostische Unschärfe festzustellen. Dr. B. geht von einer schweren depressiven Störung aus. Er hat aber bis zuletzt keine ICD10-Kodierung genannt und sich auf ätiologische Aspekte konzentriert. Nicht nachvollziehbar sind auch seine Ausführungen, dass Suizidideen die quantitative Leistungsfähigkeit minderten.

Seine gutachterlichen Feststellungen sind darüber hinaus widersprüchlich und ungenau. Obgleich die Klägerin bei der Begutachtung eine Besserung ihres Gesundheitszustandes seit der Erhöhung der Medikamentendosis im Mai 2018 angegeben hat, hat er eine Besserung negiert. Bei seinen Ausführungen, die Klägerin habe Angst, das Haus zu verlassen, hat er nicht herausgearbeitet, dass sich diese Angst allein auf den Umstand bezog, dass die Klägerin nicht von anderen Personen habe angesprochen werden wollen. Obgleich diese selbst angegeben hat, mit dem Auto, wenn auch wenig, zu fahren, hat der Gutachter aufgezeigt, die Klägerin sei nicht in der Lage, alleine ein Kfz zu führen.

Im Übrigen hat Dr. B. seine Feststellungen überwiegend auf die subjektiven Angaben der Klägerin und die Ergebnisse der durchgeführten Testungen gestützt.

Dr. H. hat diesbezüglich nachvollziehbar aufgezeigt, dass eine psychometrische Testung nicht geeignet ist, die psychiatrische Exploration zu ersetzen, sondern diese allenfalls zu ergänzen. Ein Fragebogenwert oder ein Leistungstestergebnis objektivieren keinen Befund. Vielmehr hängen diese von den subjektiven Angaben des Probanden ab und können manipuliert werden. Psychische Merkmale können durch Testverfahren nicht objektiv erfasst werden.

Dr. H. hat eine insuffiziente medikamentöse Behandlung der Klägerin mit Antidepressiva in einer niedrigen Dosierung bestätigt. Beide Gutachter stimmen überein, dass die depressive Symptomatik behandelt werden muss. Für den Senat ist jedoch nicht nachvollziehbar, dass Dr. B. von einer anhaltenden Leistungsunfähigkeit aufgrund einer problematischen bzw. unzureichenden Behandlung der Klägerin ausgegangen ist. Dr. H. hat hingegen eine anhaltende, 6 Monate andauernde Minderung der quantitativen Leistungsfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum nicht feststellen können. Er hat überzeugend aufgezeigt, dass es sich nicht um einen chronifizierten Verlauf handelte, der einer weiteren therapeutischen Intervention nicht zugänglich war. Vielmehr hat der Gutachter eine gute Behandelbarkeit beschrieben. Auch bei dem Trauerprozess sei nicht von einer Therapieresistenz auszugehen. Adäquate Therapien stünden zur Verfügung und die Symptomatik könne sich innerhalb von 6 Monaten verbessern. Dies zeigt sich an der in der Epikrise des A. Klinikums H. über die stationäre Behandlung vom 21. Februar bis zum 30. April 2020 beschriebenen Verbesserung des Gesundheitszustandes. Durch eine medikamentöse Einstellung und psychotherapeutische Maßnahmen konnte eine Teilremission der zu diesem Zeitpunkt schweren depressiven Symptomatik erreicht werden.

Der Einschätzung in dem "Sozialmedizinischen Beratungsgespräch" des MDK vom 20. April 2015 im Sinne eines aufgehobenen Leistungsvermögens für den allgemeinen Arbeitsmarkt vermag der Senat nicht zu folgen. Diese beruht auf den subjektiven Angaben der Klägerin hinsichtlich der Schwere der Störung(en) bzw. den daraus resultierenden Fähigkeitsstörungen. Entsprechende objektive Befunde wurden jedoch nicht erhoben. Dr. H. hat hingegen überzeugend aufgezeigt, dass diese Störungen auf der Grundlage seiner Untersuchung nicht nachweisbar gewesen sind.

Für den Senat ist auch nicht nachvollziehbar, dass MUDr. S. in dem Attest vom 22. August 2016 eine Leistungsfähigkeit der Klägerin von unter 2 Stunden täglich bescheinigt hat. Einerseits hat sie von einer fehlenden Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin berichtet. Sie hat jedoch erst ab 2017 eine einigermaßen adäquate Medikamentenanpassung vorgenommen und die Dosis des Antidepressivums erhöht.

Für den Senat sind auch die Leistungseinschätzungen der Dipl.-Psych. S. und der Hausärztin G. nicht überzeugend. Dipl.-Psych. S. hat in ihrem Befundbericht vom 18. September 2017 keinen psychischen Befund und keine medizinische Begründung mitgeteilt. Sie hat lediglich auf die noch Jahre dauernde Verarbeitung von belastenden Lebensereignissen durch die Klägerin verwiesen. Die Hausärztin G. hat ebenfalls keine medizinischen Befunde mitgeteilt. Sie hat vielmehr die subjektiven Beschwerden der Klägerin, einen am 2. August 2016 durchgeführten Depressionstest und zahlreiche psychosomatische Gespräche mit der Klägerin angeführt.

Die von dieser beklagte linksbetonte Schmerzsymptomatik des gesamten Körpers ist im Rahmen der depressiven Grunderkrankung zu sehen und nicht als anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Eine daraus resultierende quantitative Leistungsminderung ist ausweislich der medizinischen Unterlagen nicht nachgewiesen. Es wurden keine Funktionseinbußen mitgeteilt. Ferner bestanden keine Hinweise auf einen einseitigen Mindergebrauch oder auf Muskelathrophien.

Die weiter bei der Klägerin vom 3. Dezember 2013 bis zum 30. September 2020 vorgelegenen Erkrankungen - Hypothyreose und rezidivierende Lumboischialgie bei Osteochondrose C5 bis C7 - standen dem o.g. Leistungsbild im streitgegenständlichen Zeitraum nicht entgegen.

Der Senat war nicht gehalten, ein Obergutachten einzuholen, da er das Gutachten von Dr. H. und dessen Leistungseinschätzung für überzeugend hält.

Zudem konnte er im Hinblick auf das der Klägerin gemäß § 116 S. 2, Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§ 397 Abs. 2, 402, 411 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) zustehende Fragerecht von der Ladung von Dr. H. und Dr. B. zu dem Verhandlungstermin absehen. Auf den Hinweis des Senats vom 3. Februar 2020, dass die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret bezeichnet werden müssen und die Klägerin zur schriftlichen Befragung der Gutachter Fragen formulieren solle, hat sie bereits nur noch beantragt, eine Stellungnahme von Dr. B. zum Gutachten von Dr. H. einzuholen. Zudem hat die Klägerin keine Einwände gegen das Gutachten von Dr. H. erhoben. Vielmehr hat sie dieses als schlüssig erachtet, allerdings keine näheren Ausführungen dazu gemacht. Schließlich hat sie ihren Antrag auf Anhörung der Gutachter in der mündlichen Verhandlung am 5. November 2020 nicht mehr aufrechterhalten.

2.

Die Klägerin war auch nicht deshalb vom 3. Dezember 2013 bis zum 30. September 2020 voll oder teilweise erwerbsgemindert, weil sie trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes hätte tätig sein können. Es lagen keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor.

Grundsätzlich war in diesem Zeitraum von einem offenen Arbeitsmarkt für ungelernte, körperlich leichte und geistig einfache Helfertätigkeiten auszugehen. Die Klägerin war in der Lage, typische Tätigkeitsprofile im Helferbereich zu absolvieren. Ihr Restleistungsvermögen reichte noch für zumindest körperlich leichte Tätigkeiten wie z.B. Zuarbeiten zur Speisenproduktion, Verpackung, Versandvorbereitung, Transportieren, Verladen und Verräumen, Maschinenbedienung, -bestückung- und -überwachung, Warensortierung, Zureichen oder Abnehmen, Reinigen, Kleben, Sortieren und Zusammensetzen von Teilen, Messen, Prüfen, Überwachen und Kontrolle von Produktionsvorgängen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33 f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt im Urteil vom 11. Dezember 2019, B 13 R 7/18 R).

Ein sog. Katalogfall, der die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen hätte, lag nicht vor (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R, Urteil vom 11. Dezember 2019, B 13 R 7/18 R). Darunter fallen schwere spezifische Leistungsbehinderungen, die bereits alleine ein weites Feld an Einsatzmöglichkeiten versperren (z.B. Einarmigkeit oder besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an neue Arbeitsplätze). Diese sind vom BSG in sieben Katalogfälle aufgelistet worden. Dabei ist bei Vorliegen der Katalogfälle Nr. 1 und 2 ohne weitere Schritte vom Vorliegen von Erwerbsminderung auszugehen. Bei den Katalogfälle Nr. 3 bis 7 ist zu prüfen, ob es zumutbare Verweisungstätigkeiten gibt. Diese muss die Versicherte mit ihrem körperlichen, geistigen und kognitiven Leistungsvermögen erbringen und sie innerhalb von 3 Monaten erlernen können.

Ein von den üblichen Arbeitszeitunterbrechungen abweichender Pausenbedarf, der zu einem Arbeiten unter betriebsunüblichen Bedingungen führen würde, lag nicht vor.

Auch die Tatsache, dass der Klägerin seit 12. Februar 2014 durchgehend Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde, führt nicht zur Widerlegung der Vermutung eines offenen Arbeitsmarktes. Zwar ist anerkannt, dass das Risiko einer häufigen Arbeitsunfähigkeit dann zur Erwerbsminderung führt, wenn die Versicherte nicht mehr den Mindestanforderungen an eine während eines Jahres zu erbringende Arbeitsleistung genügen kann. Diese Mindestanforderungen sind jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn die Arbeitsleistung für die Hälfte des Jahres gesundheitsbedingt nicht erbracht werden kann. Aber auch bei einem voraussichtlichen Unterschreiten dieses Zeitraums kann Erwerbsminderung vorliegen. Dies erfordert, dass häufige, zeitlich nicht genau festliegende Zeiten von Arbeitsunfähigkeit zu ernsten Zweifeln an einer Einsetzbarkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts führen (BSG, Beschluss vom 31. Oktober 2012, B 13 R 107/12 B).

Solche Zweifel liegen angesichts der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin am 25. September 2019 bei Dr. H. nicht vor. Dieser hat eingeschätzt, dass eine anhaltende bzw. wiederholte Krankschreibung aufgrund der psychiatrischen Störung unter adäquater Behandlung und nach ausreichender Stabilisierung streng diskutiert, also die Erforderlichkeit der Krankschreibung hinterfragt werden müsste. Ferner hat er aufgezeigt, dass zwar durch das erneute Auftreten einer depressiven Symptomatik eine Krankschreibung möglich und auch gerechtfertigt sei. Er konnte allerdings nicht vorhersagen, ob überhaupt und zu welchem Zeitpunkt damit zu rechnen ist. Grundsätzlich hat er eine regelmäßige Arbeitsleistung der Klägerin an 5 Tagen in der Woche trotz gesundheitlicher Einschränkungen bejaht. Darüber hinaus liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn eine Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr vollschichtig oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Dabei bleibt unbeachtet, ob die Versicherte noch in der Lage ist, eine sonstige Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.

Die Klägerin war auch nicht in ihrem Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen, relevant eingeschränkt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit eine Versicherte täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann. Dann gilt die Erwerbsfähigkeit als nicht in beachtlichem Maße eingeschränkt und die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich. Ist ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß erreichbar, ist der Arbeitsmarkt ebenfalls nicht verschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 79/11 R, juris). Anhaltspunkte für eine rentenrelevant eingeschränkte Gehfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum liegen nicht vor.

Bei der Klägerin lag zudem keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die in ihrer Wirkung einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung gleichkam. Voraussetzung sind mindestens 2 Leistungseinschränkungen, die nach Art und Schwere jeweils für sich genommen schon eine erhebliche Einschränkung auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringen. Nicht alleine ausreichend ist eine Häufung von gewöhnlichen qualitativen Leistungseinschränkungen; erforderlich ist insoweit eine Addierungs- und Verstärkungswirkung mehrerer verschiedener, nur auf den ersten Blick gewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Die Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten muss grundsätzlich über das hinausgehen, was sich bereits durch die Beschränkung auf körperlich leichte Tätigkeiten ergibt. Liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, sind ebenfalls konkrete Verweisungstätigkeiten zu benennen, auf die die Versicherte noch zumutbar verwiesen werden könnte. Dies war hier nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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