L 2 R 3/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 R 17/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 3/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zu gelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am xxxxx 1961 in der T. geborene Kläger absolvierte keine Berufsausbildung. Nach seinem Zuzug ins Bundesgebiet war er von 1980 bis 1995 als Seemann tätig und von 1998 bis September 2011 als Reinigungskraft.

Vom 27. Dezember 2012 bis zum 25. Januar 2013 führte der Kläger eine ambulante R.bilitation im R.-Zentrum H. durch. Bei dem Kläger wurden eine immobilisierende Lumboischialgie rechts, ein Prolaps L4/5 mediolateral rechts mit ausstrahlenden Schmerzen und eine chronische Gastritis festgestellt. Der Kläger könne noch 6 Stunden und mehr als Reinigungskraft tätig sein. Möglich seien noch mittelschwere Arbeiten überwiegend im Gehen, Stehen und Sitzen. Länger dauernde bzw. häufige Überkopfarbeiten bzw. Arbeiten in Rumpfvorbeuge und Rotation sollten vermieden werden ebenso länger dauerndes bzw. häufiges Ziehen und Schieben von Lasten sowie insbesondere einseitige Hebe- und Tragearbeiten.

Am 26. Februar 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Er begründete seinen Antrag mit einem Bandscheibenvorfall im Jahr 2007, weshalb ihm lange Gehstrecken nicht mehr möglich seien.

Die Beklagte holte ein Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie R1 vom 26. April 2013 ein. Der klinische Befund und die Schmerzangabe passten eindeutig nicht zu einem segmentalen, somatisch bedingten Schmerz oder einer Wurzelreizung. Auch der radiologische Befund sei nicht spektakulär. Es bestehe ein hochgradiger Verdacht auf eine funktionelle Überlagerung. Aus orthopädischer Sicht seien schwerwiegende Funktionseinschränkungen nicht zu formulieren. Der Kläger könne 6 Stunden und mehr täglich körperlich mittelschwere Arbeiten überwiegend sitzend, gehend und stehend ohne Einschränkung der Arbeitsorganisation verrichten. Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten über 15 kg seien nicht möglich, keine häufigen oder anhaltenden Wirbelsäulenzwangshaltungen. Dr. H1 erstattete am 27. Juli 2013 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Der Kläger leide unter einer chronischen Lumboischialgie mit Schmerzausstrahlung in die rechte untere Extremität und einer leichten depressiven Episode ohne somatisches Syndrom. Das Leistungsvermögen des Klägers sei eingeschränkt, aber nicht aufgehoben. Leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen ohne schweres Heben und Tragen unter Ausschluss von Nässe, Kälte und Zwangshaltungen seien noch vollschichtig zumutbar. Eine Tätigkeit als Reinigungsfachkraft sei nicht mehr möglich.

Mit Bescheid vom 14. August 2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass bei dem Kläger die Erwerbsfähigkeit durch eine Lumboischialgie rechts und eine leichte depressive Episode beeinträchtigt sei. Damit könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Am 4. September 2013 legte der Kläger gegen den Bescheid der Beklagen Widerspruch ein. Zur Begründung bezog er sich auf beigefügte ärztliche Atteste seiner behandelnden Ärzte wegen Rückenschmerzen. Der Chirurg S. führte aus, dass der Kläger nicht lange stehen und sitzen könne. Bei den jetzigen Beschwerden könne er nicht arbeiten. Der Facharzt für Neurologie H2 gab an, dass der Kläger wegen einer depressiven Störung mittelgradiger Episode, einer Bandscheibenprotrusion, einer Spondylosis deformans der Lendenwirbelsäule und Coxalgia weiterhin arbeitsunfähig sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Aus den im Widerspruchsverfahren eingereichten Unterlagen ergäben sich keine weiteren Befunde, die zu einer Änderung der im Rentenverfahren bereits getroffenen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung führten.

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 9. Januar 2014 bei dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage gewendet.

Das Sozialgericht hat Befundberichte des Chirurgen S. vom 23. März 2014, des Facharztes für Neurologie H2 vom 7. April 2014 sowie des Facharztes für Neurochirurgie Dr. Arous vom 16. Mai 2014 eingeholt. Zudem hat der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H3 ein Gutachten vom 23. August 2014 erstattet. Bei dem Kläger lägen ein depressives Syndrom und eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung vor. Aufgrund der Erkrankungen sei der Kläger nur noch in der Lage, nicht mehr als leichte körperliche Tätigkeiten durchschnittlicher geistiger Anforderung und durchschnittlicher Verantwortung überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen, mit Definition der Tätigkeit nicht durch Tragen, Heben, Bücken und andere Bewegungen zu verrichten. Die Tätigkeiten dürften nicht unter Zeitdruck, in Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit erfolgen. Tätigkeiten in geschlossenen Räumen seien möglich, jedoch nicht unter Einfluss von Witterung und Geräuschen. Staub und Dämpfe seien zumutbar. Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und sonst gefährdenden Arbeitsplätzen seien zu meiden. Bei vornehmlich sitzender Tätigkeit seien arbeitsunübliche Pausen alle 30 Minuten von fünf Minuten Dauer erforderlich. Das Ziel dieser genannten Pausenregelung könne auch durch eine Tätigkeit erreicht werden, die bei überwiegend sitzender Tätigkeit zeitweise im Stehen und Gehen ausgeübt werde. Der Kläger könne zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 Metern zu Fuß ohne Gesundheitsgefährdung zurücklegen und 500 Meter in weniger als 20 Minuten bewältigen.

In der mündlichen Verhandlung am 4. Februar 2016 ist der berufskundige Sachverständige Herr M. angehört worden. Er hat ausgeführt, dass der Kläger mit dem von Dr. H3 in seinem schriftlichen Gutachten genannten Leistungsvermögen nicht mehr die sog. Pack-, Sortier- und Montiertätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne, da diese Tätigkeiten der Fähigkeit bedürften, mindestens 45 bis 60 Minuten im Sitzen arbeiten zu können. Er würde dies als vornehmlich sitzende Tätigkeit bezeichnen. Die bei dieser Tätigkeit dann notwendigen arbeitsunüblichen Pausen von fünf Minuten Dauer im Abstand von 30 Minuten seien für eine Firma wirtschaftlich nicht mehr zumutbar. Noch möglich erschienen ihm Tätigkeiten in der Poststelle ohne Botenfunktion außerhalb des Hauses. Hierbei werde die Eingangspost geöffnet, mit Eingangsvermerk versehen und in sogenannte Postverteilfächer eingeordnet. Ausgehende Post werde kuvertiert, geschlossen und in der Regel auch mit dem entsprechenden Porto versehen. Diese Tätigkeit werde überwiegend, dies bedeute mehr als 51 Prozent der Arbeitszeit, im Sitzen ausgeübt. Allerdings könne der Anteil der gehenden und stehenden Tätigkeit deutlich flexibler durch den Kläger selbst eingestreut werden. Es sei z. B. möglich nach 20 Minuten im Sitzen, fünf Minuten im Gehen und Stehen zu arbeiten. Diese Tätigkeiten seien noch in ausreichendem Maße im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes auf dem Arbeitsmarkt vorhanden. Die Stellen würden teilweise von den entsprechenden Unternehmen selbst ausgeschrieben, teilweise über Zeitarbeitsfirmen besetzt oder aber über Firmen des Wachgewerbes, die als Dienstherr im Rahmen des Outsourcings aufträten.

Das Sozialgericht hat den Sachverständigen Dr. H3 zu seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme im Termin zur mündlichen Verhandlung gehört. Befragt zu seiner Angabe, dass der Kläger die Möglichkeit haben müsse, nach 30 Minuten für fünf Minuten aufzustehen, sei dies nicht als Erholung gemeint gewesen, sondern als Möglichkeit zur Unterbrechung der Sitzposition.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Oktober 2018 abgewiesen. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung noch einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. In zeitlicher Hinsicht verfüge der Kläger über ein Leistungsvermögen von täglich sechs Stunden und mehr. Zu beachten seien dabei qualitative Leistungseinschränkungen, die jedoch zu keiner Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führten. Der Kläger leide unter einem depressiven Syndrom und einer degenerativen Wirbelsäulenerkrankung. Soweit der Sachverständige Dr. H3 in seinem Gutachten als Einschränkungen für die regelmäßige Arbeit arbeitsunübliche Pausen bei vornehmlich sitzender Tätigkeit alle dreißig Minuten von fünf Minuten aufgeführt habe, habe er in seiner ergänzenden Stellungnahme und in der mündlichen Verhandlung schlüssig und gut nachvollziehbar dargelegt, dass das Ziel der genannten Pausenregelung auch durch eine Tätigkeit erreicht werden könne, die bei überwiegend sitzender Tätigkeit zeitweise im Stehen und Gehen ausgeübt werde. Er hat klargestellt, dass die im ursprünglichen Gutachten genannte Möglichkeit des Aufstehens von fünf Minuten nach 30 Minuten nicht als Erholung gemeint gewesen sei, sondern als Möglichkeit zur Unterbrechung der Sitzposition. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen sei der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Der Arbeitsmarkt stelle sich unter Berücksichtigung der oben genannten Feststellungen für den Kläger auch nicht als verschlossen dar. Es liege weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsminderung bei dem Kläger vor. Des Weiteren führe selbst die Anerkennung eines durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Katalogs – bzw. Seltenheitsfalls nicht zwangsläufig zu einer Anerkennung einer vollen Erwerbsminderung, sondern lediglich zu einer Benennungspflicht einer zumutbaren Verweisungstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Für den Kläger komme als konkrete Verweisungstätigkeit eine Tätigkeit in der Poststelle ohne Botenfunktion in Betracht. Die Kammer folge insoweit der Aussage des berufskundigen Sachverständigen M., die sie für schlüssig und überzeugend halte. Da der Kläger nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren sei, stehe ihm ferner kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI zu.

Gegen das ihm am 20. Dezember 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. Januar 2019 Berufung eingelegt. Der Sachverständige habe von arbeitsunüblichen Pausen bei sitzender Tätigkeit alle fünf Minuten gesprochen. Eine Auslegung im Nachhinein dahingehend, dass es sich hier um eine Pause vom Sitzen handele, könne nicht nachvollzogen werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Oktober 2018 aufzuheben und den Bescheid vom 14. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Befundberichte von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Wiechell vom 18. April 2019, bei dem der Kläger zuletzt am 14. Juni 2017 in Behandlung war, dem Chirurgen S. vom 4. Mai 2019 und dem Neurologen H2 vom 23. Mai 2019 eingeholt. Zudem hat der Senat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. S1 vom 10. Februar 2020 beauftragt. Dieser hat Folgendes ausgeführt: Es sei festzustellen, dass das Gangbild im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung sowohl aus neurologischer als auch aus orthopädischer Sicht nicht nachvollziehbar sei und dass je nach Ausmaß der Beobachtung ein schlechteres Gangbild demonstriert werde. Aufgrund dieser Überlegungen könne eine erhebliche Aggravation und Simulation festgestellt werden. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei durch eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit Bandscheibenprotrusion LWK 4/5, Retrolisthesis LWK 5 gegen SWK 1, aktivierter Osteochondrose und breitbasige Bandscheibenprotrusion mit möglicher Irritation der Wurzel S 1 beidseits und Bedrängung der Wurzel L5 links etwas mehr als rechts eingeschränkt. Es seien nur leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art und mit geringer Verantwortung ausführbar. Die Arbeiten könnten in wechselnder Körperhaltung durchgeführt werden, der Anteil der sitzenden Tätigkeit solle 50 Prozent nicht überschreiten. Arbeiten, die durch Heben, Tragen und Bücken sowie andere sich wiederholende Bewegungsabläufe gekennzeichnet seien, seien nicht geeignet. Arbeiten unter Zeitdruck, Akkord-, Schicht- oder Nachtarbeit seien zu vermeiden. Die Arbeiten könnten in geschlossenen Räumen und im Freien ausgeübt werden, nicht jedoch unter Einfluss von Staub, Dämpfen oder Geräuschen. Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und an sonst gefährdenden Arbeitsplätzen seien nicht möglich. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich unter Berücksichtigung der Arbeit in wechselnder Haltung zwischen Sitzen, Gehen und Stehen. Die Arbeiten könnten vollschichtig verrichtet werden. Wegefähigkeit sei gegeben. Eine weitere orthopädische Rehabilitation unter stationären Bedingungen könne eine weitere Besserung der Wirbelsäulenbeschwerden herbeiführen. Es sei an eine Behandlung in der S2-Klinik B. mit verhaltenstherapeutischem und schmerztherapeutischem Schwerpunkt zu denken. Eine Besserung der Beschwerden sei nicht unwahrscheinlich. Eine Einschränkung bestehe in der langen Dauer der Beschwerden und des Rentenverfahrens. Dadurch sei eine Chronifizierung der Beschwerden anzunehmen, was den therapeutischen Zugang erschwere. Im Unterschied zum Gutachten von Dr. H3 werde eine rezidivierende depressive Störung allenfalls mittelgradig gesehen. Diese Einschätzung bestehe in Übereinstimmung mit den Befundberichten von Dr. H2 und bedeute eine Zunahme der depressiven Störung vor dem Hintergrund des inzwischen erfolgten sozialen Abstiegs bei langfristiger Arbeitslosigkeit und der Trennung von seiner Frau. Eine unterschiedliche Beurteilung erfahre auch das Verhalten des Klägers. In der Begutachtung durch Dr. H3 seien keine Hinweise auf Simulation oder Aggravation gefunden worden. Dies sei in der eigenen gutachterlichen Untersuchung anders gewesen. Vor allem habe sich das Gangbild während der körperlichen Untersuchung wesentlich von dem Gangbild bei Verlassen der Praxis über den 8 m langen Flur unterschieden. Von dem Vorgutachter werde auch die Tatsache, dass der Kläger die Praxis im 2. Stock ohne Benutzung des Aufzugs erreicht habe, nicht ausreichend bewertet. Sitzunruhe oder Veränderungen der Sitzposition seien vom Vorgutachter auch nicht beobachtet worden. In dem aktuellen Gutachten beschreibe der Kläger Spaziergänge bei P. sowie Wege zur U-Bahn, die bei einem dermaßen schmerzgeplagten Gangbild, wie in der Praxis demonstriert, nicht durchführbar wären. Angesichts der Fähigkeit, über 45 Minuten ruhig zu sitzen, sei die Einschätzung des Vorgutachters von arbeitsunfähigen Pausen alle 30 Minuten nicht mehr nachzuvollziehen. Eine wie von dem berufskundigen Sachverständigen vorgeschlagene Tätigkeit mit Wechsel von Sitzen und Stehen bzw. Gehen sei möglich.

Der Bevollmächtigte des Klägers führt im Hinblick auf das Gutachten aus, dass die Einschränkungen des Klägers so mannigfaltig seien, dass de facto keine Arbeit durchgeführt werden könne. Auch die psychischen Einschränkungen seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Der Kläger habe Schlafstörungen und sei mit seiner persönlichen und gesundheitlichen Situation unzufrieden. Aufgrund seiner finanziellen Situation könne er nicht mehr in die T. reisen. Die Beklagte sieht sich durch das Gutachten in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.

Dr. S1 und Herr M. sind in der mündlichen Verhandlung am 2. Dezember 2020 als Sachverständige angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 2. Dezember 2020 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die beigezogene Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift vom 2. Dezember 2020 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte nach § 43 Abs. 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Der Kläger ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Er kann noch 6 Stunden und mehr Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten. Die Leistungsfähigkeit des Klägers ist durch eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit Bandscheibenprotrusion LWK 4/5, Retrolisthesis LWK 5 gegen SWK 1, aktivierter Osteochondrose und breitbasiger Bandscheibenprotrusion mit möglicher Irritation der Wurzel S 1 beidseits und Bedrängung der Wurzel L5 links etwas mehr als rechts und ein depressives Syndrom eingeschränkt. Eine Depression, die zu einem Leistungsausschluss beim Kläger führen könnte, liegt hingegen nicht vor. Dr. H3 beschrieb den Kläger im psychopathologischen Befund als im Kontakt offen und angemessen. Konzentration, Aufmerksamkeit und Auffassung seien nicht gestört gewesen. Die Stimmung sei allenfalls subdepressiv bei gegebener Schwingungsfähigkeit gewesen. Affektiv sei der Kläger sonst unauffällig und im Antrieb habe er ungestört gewirkt. Dr. S1 hat eine Verschlechterung der Depression festgestellt, ist aber ebenfalls davon ausgegangen, dass die Schwingungsfähigkeit nicht aufgehoben sei. Es lägen weder eine wesentliche Kontakthemmung noch ein wesentlicher sozialer Rückzug vor. Der behandelnde Neurologe hat den Kläger ebenfalls als im Antrieb vermindert und in der affektiven Schwingungsfähigkeit depressiv eingeengt gesehen. Hingegen fanden sich auch bei ihm keine Hinweise auf formale oder inhaltliche Denkstörungen. Aufmerksamkeit und Konzentration seien ungestört gewesen.

Aufgrund der bei dem Kläger bestehenden Leistungseinschränkungen kann dieser nur noch leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art und mit geringer Verantwortung durchführen. Arbeiten, die durch Heben, Tragen und Bücken sowie andere sich wiederholende Bewegungsabläufe gekennzeichnet sind, sind nicht geeignet. Arbeiten unter Zeitdruck, Akkord-, Schicht- oder Nachtarbeit sind zu vermeiden. Die Arbeiten können in geschlossenen Räumen und im Freien ausgeübt werden, nicht jedoch unter Einfluss von Staub, Dämpfen oder Geräuschen. Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und an sonst gefährdeten Arbeitsplätzen sind nicht möglich. Die Arbeiten können vollschichtig verrichtet werden.

Arbeitsunübliche Pausen sind nicht erforderlich. Der Gutachter Dr. H3 hat klargestellt, dass er in seinem Gutachten keine zusätzlichen Pausen, sondern lediglich einen Wechsel der Sitzhaltung meinte. Auch Dr. S1 legt dar, dass keine zusätzlichen Pausen erforderlich sind, wenn der Kläger in wechselnder Körperhaltung tätig sein kann. Bei dem Kläger liegen zudem keine systemischen Erkrankungen vor, die zusätzliche Pausen erfordern könnten.

Zudem muss der Kläger in wechselnder Körperhaltung tätig sein können. Darunter ist nicht zu verstehen, wie die Ausführungen von Dr. S1 zunächst nahegelegt haben, dass der Kläger überhaupt nur 50 Prozent seiner Tätigkeit im Sitzen verrichten kann. Vielmehr muss der Kläger lediglich die Möglichkeit haben, die Körperhaltung zu wechseln und zwischendurch kurze Zeiten im Stehen tätig zu sein. Dies steht für den Senat nach der Beweiswürdigung fest. Bereits Dr. H3 war zu diesem Ergebnis gekommen. Dieses wird dadurch gestützt, dass auch Dr. S1 keine schwerwiegenden Befunde feststellen konnte und auch eine Verschlechterung für den Zwischenzeitraum ausschließen konnte. Auch Dr. S1 hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass es dem Kläger möglich sei, die von dem berufskundlichen Sachverständigen beschriebenen Tätigkeiten mit einem Wechsel aus Sitzen und Stehen zu verrichten, selbst wenn dann der Anteil der sitzenden Tätigkeit in der Gesamtheit über 50 Prozent liegt. Entgegenstehende Befunde sind auch nicht ersichtlich. Bei Dr. S1 konnte der Kläger ohne Ausgleichsbewegung über 45 Minuten sitzen. Ein ähnliches Bild zeigte sich in der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger nach 20 Minuten, als der Sachverständige ausführte, der Kläger habe bei ihm ohne Probleme sitzen können, darum bat, aufstehen zu dürfen. Bereits innerhalb einer Minute nahm der Kläger erneut Platz und konnte die weiteren 40 Minuten der mündlichen Verhandlung im Sitzen verbringen.

Mit diesen Leistungseinschränkungen ist der Arbeitsmarkt für den Kläger weiter eröffnet. Einer geringeren Prüfungsintensität bedarf es in den Fällen, bei denen das verbliebene positive Leistungsvermögen die relativ "schnelle" Zuordnung von Arbeitsfeldern, die nur mit körperlich leichten Belastungen einhergehen (z. B. Sortier- und Montiertätigkeiten, Boten- und Bürodienste) – oder ggf. sogar die (hilfsweise und überobligatorische) Benennung einer geeigneten Verweisungstätigkeit – erlaubt und damit Zweifel an der Einsetzbarkeit von Versicherten beseitigt werden (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R, juris). Zum einen lässt das Restleistungsvermögen des Klägers typische Verrichtungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, wie z. B. Bedienen von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen noch zu. Dieser Kern an typischen körperlichen Verrichtungen ist nicht überholt, so dass in solchen Fällen eines noch ausreichenden positiven Leistungsvermögens eine eingehende Auseinandersetzung mit der Art der Leistungseinschränkungen regelmäßig nicht erforderlich ist (BSG, a.a.O.). Zum anderen hat der berufskundliche Sachverständige M. aber auch mit der Tätigkeit in der Poststelle ohne Botenfunktion außerhalb des Hauses eine Verweisungstätigkeit für den Kläger benannt. Diese Tätigkeit wird zwar überwiegend, dies bedeutet mehr als 51 Prozent der Arbeitszeit, im Sitzen ausgeübt. Allerdings kann der Anteil der gehenden und stehenden Tätigkeit flexibel durch den Kläger selbst eingestreut werden. Es ist z. B. möglich nach 20 Minuten im Sitzen, fünf Minuten im Gehen und Stehen zu arbeiten. Solche Tätigkeiten sind dem Kläger noch möglich.

Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Kläger eine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" oder eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" im Sinne der Rechtsprechung des BSG (BSG, a.a.O.) vorliegen, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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