L 4 AS 314/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 16 AS 3171/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 314/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. September 2018 abgeändert und der Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 9. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 3. April 2018 verurteilt, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II auch für die Zeit vom 19. Mai 2015 bis 31. August 2015 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat neun Zehntel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt noch Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. April 2015 bis zum 31. August 2015.

Der am xxxxx 1954 geborene Kläger erhielt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 1. September 2014 teilte er dem Beklagten mit, dass seine Mutter verstorben sei. Die zur Verteilung stehende Erbmasse bestehe aus einer Immobilie, die nun zum Verkauf gestellt worden sei.

Mit Bescheid vom 4. September 2014 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 1. Oktober 2014 auf und gewährte die Leistungen ab diesem Zeitpunkt bis zum 30. November 2014 als Darlehen – das bereits zurückbezahlt ist. Der Anteil des Klägers an dem durch den Verkauf der Immobilie erzielten Kaufpreis in Höhe von 91.500 Euro betrug 22.875 Euro. Dieser Betrag wurde dem Konto des Klägers im November 2014 gutgeschrieben.

Der Kläger stellte am 22. März 2015 einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen ab dem 1. April 2015.

Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 9. April 2015 ab und führte aus, dass das verwertbare Vermögen in Höhe von 22.875 Euro die Vermögensfreibeträge in Höhe von 9.750 Euro übersteige. Der Kläger sei daher nicht hilfebedürftig und habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 5. Mai 2015 Widerspruch ein. Er verwies darauf, dass sich das Vermögen insbesondere aufgrund von ausstehenden und zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Aufwendungen, die sich auch aus der Erbschaft ergäben, verringere. Außerdem würden die angemessenen Lebenshaltungskosten nicht berücksichtigt, welche er mit dem Betrag seines letzten Nettoverdienstes aus dem Jahre 2003 in Höhe von 1.428 Euro ansetze, zuzüglich der Beiträge für Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Somit ergebe sich für den Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis zum 30. April 2015 abziehbare Aufwendungen in Höhe von insgesamt 11.130,20 Euro. Zudem habe er Sonderausgaben für seine Geburtstagsfeier, seinen Urlaub sowie Ersatz- und Instandhaltungsinvestitionen in Höhe von 2.443 Euro getätigt. Ferner beliefen sich die Gebühren und Kosten für die Bestattung seiner Mutter sowie für den Hausverkauf auf ein Viertel der Gesamtkosten in Höhe von 1.198,61 Euro. Auch habe er private Schulden für die Anschaffung eines neuen TV-Gerätes, eines Herdes sowie eines Kühlschrankes aufgenommen. Insgesamt belaufe sich daher sein Kontostand bereits jetzt auf einen geringeren Betrag als der Freibetrag.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Summe der Freibeträge belaufe sich gemäß § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 4 SGB II auf insgesamt 9.750 Euro, ausgehend von einem Grundfreibetrag von 9.000 Euro (60 Lebensjahre x 150) und einem Anschaffungsfreibetrag in Höhe von 750 Euro. Somit übersteige das Vermögen des Klägers den Freibetrag um 13.125 Euro. Der Kläger könne seinen Lebensunterhalt vorerst, bis zum 31. März 2016, aus seinem eigenen Vermögen bestreiten. Dies errechne sich aus dem Regelbedarf in Höhe von monatlich 399 Euro und den Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 440,72 Euro. Das anzurechnende Vermögen reiche daher für ein Jahr und drei Monate. Die vom Kläger nach dem Erhalt des Erbanteils getätigten Ausgaben stellten eine freiwillige Finanzdisposition dar, welche im Rahmen der Vermögensberechnung nicht mindernd berücksichtigt werden könne.

Der Kläger hat am 21. August 2015 Klage erhoben. Er hat sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren bezogen. Der Beklagte habe unter anderem die von ihm zu zahlende Krankenversicherung nicht berücksichtigt. Auch könnten die Bestattungskosten nicht als freiwillige Finanzdisposition bezeichnet werden. Die Mietkosten habe der Beklagte zu niedrig angesetzt. Auch habe in der Zeit ein erhöhter Instandsetzungsbedarf im Bereich des Haushalts und der Kleidung bestanden, die er kostenbewusst und langfristig planend von seinem Erbe bestritten habe. Darüber hinaus habe er Schulden in Höhe von 1.400 Euro, 500 Euro und 300 Euro zurückgezahlt. Im März 2015 habe er sich bereits seit mehr als fünf Monaten selbst finanziert.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 3. April 2018 erklärt, Leistungen für den Kläger ab 1. September 2015 zu bewilligen. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen. Er hat ergänzend ausgeführt, dass ausweislich der errechneten Vermögensfreibeträge er in der Zeit ab dem 1. März 2015 wieder hilfebedürftig gewesen sei.

Mit Urteil vom 5. September 2018, zugestellt am 5. Oktober 2018, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II auch für die Zeit vom 1. April 2015 bis 31. August 2015, da er nach plausibler Berechnung des Beklagten erst ab dem 1. September 2015 wieder auf Leistungen angewiesen gewesen sei. Die geltend gemachten Ausgabepositionen könnten nicht anerkannt werden.

Gegen das Urteil hat der Kläger am 5. November 2018 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass er den Vermögensfreibetrag bereits im April 2015 unterschritten habe; das Sozialgericht habe das nicht zur Kenntnis genommen. Insoweit sei Hilfebedürftigkeit eingetreten; die Frage nach der Berechtigung von Ausgaben sei allenfalls im Zusammenhang mit § 34 SGB II zu prüfen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. September 2018 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 9. April 2015 und 4. August 2015 in Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 3. April 2018 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. April 2015 bis 31. August 2015 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, freiwillige Ausgaben seien aus dem Schonvermögen zu erbringen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt. In der mündlichen Verhandlung am 3. März 2020 hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass es nach der damaligen Rechtslage (vor Änderung des § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II) auf das Vorhandensein tatsächlicher, bereiter Mittel ankommen dürfte. Das sei anhand geeigneter Unterlagen zu prüfen. Die Beteiligten haben daraufhin ihr Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren erklärt. Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Prozessakte und die Sachakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte nach § 155 Abs. 3, 4 und § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

II. Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache überwiegend Erfolg.

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II ab dem 19. Mai 2015. Insbesondere ist die Hilfebedürftigkeit des Klägers zu diesem Zeitpunkt eingetreten, denn das aus der Erbschaft erlangte Vermögen sank mit der Abhebung von 600 Euro am 18. Mai 2015 auf einen Betrag in Höhe von 9.611,88 und damit unter das Schonvermögen in Höhe von 9.750 Euro. Das Gericht folgt der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. Urt. vom 12.12.2013 – B 14 AS 76/12 R), dass es darauf ankommt, ob bereite Mittel zur Verfügung stehen, nicht darauf, ob das Vermögen für anerkennenswerte Zwecke oder in angemessener Höhe verbraucht wurde (ebenso von Boetticher, in: LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 24 Rn. 43; vgl. auch Blüggel, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 24 Rn. 141 ff.). Soweit waren die Beteiligten sich in der mündlichen Verhandlung auch bereits mit dem Gericht einig; der Beklagte ist davon offenbar später wieder abgekommen, was dieses Urteil erforderlich macht. Nur ergänzend: Die Rechtslage ist seit der Neufassung von § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II ab 2017 verändert; im Zusammenhang mit § 42a SGB II ist bei vorzeitigem Verbrauch von Vermögen nur ein Darlehensanspruch gegeben und dabei durchaus Schonvermögen vorrangig einzusetzen. Das war aber zu dem hier relevanten Zeitpunkt anders; der Beklagte ist nach damaliger Gesetzessystematik allenfalls auf Ersatzansprüche nach § 34 SGB II verwiesen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens unter Berücksichtigung der ursprünglichen Klageforderung.

Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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