L 1 KR 73/20 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 50 KR 262/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 73/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 52.006,63 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die am 1. Juli 2020 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 4. Juni 2020 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 22. April 2020 ist zwar statthaft und auch sonst zulässig (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Allerdings hat das SG zu Unrecht angenommen, dass die Antragstellerin ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Richtigkeit der positiven Prognose hinsichtlich des Erreichens der Mindestmenge für die Leistung Kniegelenk-Totalendoprothese und damit der Berechtigung zur Erbringung dieser Leistungen habe, dies über eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG erreichen könnte und daher der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den die von der Antragstellerin für das Jahr 2020 aufgestellte Prognose zur Erfüllung der Mindestmenge wegen erheblicher Zweifel nach § 136b Abs. 4 S. 6 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buches (SGB V) zurückweisenden Bescheid der Antragsgegner*innen vom 27. August 2019 (S 50 KR 2882/19) anzuordnen, vor allem als ein solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszulegen sei. Dabei hat es die bestehende Meinungsvielfalt in Rechtsprechung und Literatur zu Rechtsschutzproblemen hinsichtlich der Mindestmengenprognose nach § 136b Abs. 4 SGB V (s. hierzu auch Bockholdt, NZS 2019, 814) dargestellt, ist aber zu einer von derjenigen des erkennenden Senats abweichenden eigenen Rechtsauffassung gelangt, die der gesetzlichen Konzeption nicht gerecht wird.

Aus § 136b Abs. 4 S. 6 bis 8 SGB V geht hervor, dass (allein) die Entscheidung der Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen, die Richtigkeit der vom Krankenhausträger getroffenen Prognose zu widerlegen, einen Verwaltungsakt (§ 31 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch) darstellt (ebenso: Bockholt, a.a.O.; Knispel, jurisPR-SozR 21/2019 Anm. 2 m.w.N.; a.A. Hauck, jurisPK-SGB V, G-BA (Gemeinsamer Bundessauschuss), 1. Aufl. 2019, § 5 Mm-R (Mindestmengenregelungen) Rn. 40 ff.), gegen den unmittelbar vor dem Sozialgericht geklagt werden kann. Hierfür spricht insbesondere die der Feststellung zukommende rechtliche Wirkung nach § 186b Abs. 4 S. 1 und 2 SGB V wonach das Krankenhaus die entsprechenden Leistungen – anders als nach ordnungsgemäßer Abgabe einer nicht widerlegten eigenen positiven Prognose – nicht bewirken darf und für den Fall, dass es die Leistung dennoch bewirkt, keinen Vergütungsanspruch hat. Nur bei Qualifizierung der Entscheidung als Verwaltungsakt macht die Regelung in § 136b Abs. 4 S. 8 SGB V Sinn, wonach ein Vorverfahren nicht stattfindet. Auch die über die in § 5 Abs. 5 Mm-R geregelte Mitteilungspflicht der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen hinausgehende Regelung zur Entscheidung über die Widerlegung der Prognose in § 5 Abs. 6 Mm-R belegt, dass sowohl der Gesetzgeber als auch der Regelungsgeber zutreffend davon ausgehen, dass es sich bei dieser Entscheidung um einen Verwaltungsakt handelt. Entgegen der Auffassung von Hauck (a.a.O.) schließt der Umstand, dass die Entscheidung nach § 136b Abs. 4 S. 6 SGB V "gemeinsam und einheitlich" getroffen wird (s.a. § 5 Abs. 6 und 7 Mm-R), nicht deshalb die Annahme eines Verwaltungsakts aus, weil es sich um eine – abgesehen von engen Ausnahmefällen – nach dem Grundgesetz (GG) unzulässige Mischverwaltung aus Bund und Ländern handle. Denn die Regelung lässt sich ohne weiteres dahingehend verfassungskonform auslegen, dass die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen über die Widerlegung der Prognose des Krankenhausträgers zwar gemeinsam und einheitlich im Sinne des § 211a SGB V entscheiden, aber in getrennten Verwaltungsakten, die formal in einem gemeinsamen Bescheid zusammengefasst werden, solange sie als getrennte Entscheidungen unterschiedlicher Verwaltungsträger erkennbar bleiben (Bockholt, a.a.O.). So liegt der Fall hier.

Der gegen diesen Verwaltungsakt erhobenen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1 SGG) kommt nach § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung zu. Ein Fall des § 86a Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGG liegt nicht vor. Auch haben die Antragsgegner*innen nicht die sofortige Vollziehung nach § 86 a Nr. 5 SGG geordnet. Mithin ist der von der Antragstellerin gestellte Antrag nach § 86b Abs. 1 S. Nr. 1 SGG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Feststellungsbescheid vom 27. August 2019 unstatthaft und damit unzulässig (in einem vergleichbaren Fall die Zulässigkeit wegen fehlenden Rechtschutzinteresses verneinend: Bayerisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 25. Juli 2019 – L 4 KR 117/19 B ER, KRS 2019, 393).

Ebenso unzulässig ist ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung. Da die Antragsgegner*innen die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage nicht bestreiten und sogar ausdrücklich einräumen, fehlt es diesbezüglich an einem Rechtsschutzbedürfnis.

Entgegen der Auffassung des SG ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG ebenfalls unzulässig. Ein solcher ist nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG nur statthaft, "soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt", also soweit keine Anfechtungssache vorliegt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 24 m.N.). Eben dies ist aber vorliegend der Fall.

Der in der Hauptsache neben der Anfechtungsklage auch erhobenen Klage auf Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) der Richtigkeit der positiven Prognose hinsichtlich des Erreichens der Mindestmenge und damit der Berechtigung der Erbringung dieser Leistungen fehlt es an einem Feststellungsinteresse; sie ist unzulässig. Einer solchen Feststellung bedarf es nicht, weil die Leistungsberechtigung des Krankenhausträgers und der aus der Leistung resultierende Vergütungsanspruch nach der gesetzlichen Konzeption gemäß § 136b Abs. 4 S. 3 SGB V lediglich eine positive Prognose des Krankenhausträgers voraussetzen und nur für den Fall der Widerlegung der Prognose durch Verwaltungsakte nach § 136 Abs. 4 S. 6 SGB V entfallen (ebenso: Bayerisches LSG, a.a.O.; Bockholdt, a.a.O.; a.A.: SG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 2019 – S 182 KR 322/19 ER, juris). Dann aber ist das Rechtsschutzziel des Krankenhausträgers erreicht, wenn ein erlassener Bescheid über die Widerlegung der Prognose aufgehoben wird. So besteht auch ohne Genehmigungserfordernis wie in dem Fall des Fristablaufs für die Prognosewiderlegung nach dem 31. August eines jeden Jahres nach § 5 Abs. 5 Mm-R die durch das durch § 136b Abs. 4 SGB V vorgegebene und vom G-BA konkretisierte Verfahren bezweckte Statusklarheit (vgl. Becker, Anm. zu SG Berlin, a.a.O., KrV 2019, 215, 224).

Entgegen der Auffassung des SG erwächst der Antragstellerin im Eilverfahren auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) kein berechtigtes Rechtsschutzinteresse auf endgültige und damit die Hauptsache bis zu deren Abschluss vorwegnehmende Feststellung der Richtigkeit ihrer positiven Prognose aus dem Umstand, dass der Krankenhausträger die Leistungen ohne die Feststellung nur unter dem Risiko der Rückzahlung von Vergütungen für den Fall einer (rechtskräftigen) Abweisung der Anfechtungsklage in der Hauptsache erbringen könnte (ebenso allerdings Knispel, jurisPR-SozR 21/2019 Anm. 2).

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob nach Abschluss der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ex tunc oder nur – wie nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im vertragsärztlichen Statusrecht (s. nur BSG, Beschluss vom 5. Juni 2013 – B 6 KA 4/13 B, MedR 2013, 826) – ex nunc entfällt (so Bockholdt, a.a.O.; a.A.: SG München, Beschluss vom 18. Februar 2019 – S 44 KR 4442/18 ER, zit. nach Bayerisches LSG, a.a.O., diese Frage selbst offen lassend). Denn es ist betroffenen Krankenhausträgern grundsätzlich zuzumuten, wie jeder andere vorläufig berechtigte Rechtsträger unter dem Risiko von Rückforderungen nach einem etwaigen Unterliegen im Hauptsacheverfahren zu agieren. Die (vorläufige) Berechtigung zur Leistungserbringung steht dagegen während des Andauerns der aufschiebenden Wirkung außer Frage.

Auch wenn das SG zu Recht ausführt, dass ausweislich der Gesetzesbegründung mit der Einführung des Prognoseverfahrens im Sinne des § 136b Abs. 4 SGB V das Ziel einer frühzeitigen Klärung der Leistungsberechtigung im Interesse der Rechtssicherheit und der Sicherung der Behandlungsqualität verfolgt werden solle, übersieht es (ebenso wie Knispel, a.a.O.), dass im Fall der Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung auf endgültige Feststellung der Richtigkeit der Prognose des Krankenhausträgers neben dem Anordnungsanspruch regelmäßig auch ein Anordnungsgrund im Sinne eines anderenfalls drohenden gravierenden Nachteils insbesondere in Gestalt einer Existenzgefährdung vorliegen müsste und daran häufig oder gar in der Regel die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes scheitern dürfte (ebenso: Becker, a.a.O.). Im Übrigen dürfte das (nur im Fall der Annahme des Entfallens der aufschiebenden Wirkung nach rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache ex tunc mögliche) wirtschaftliche Risiko der Leistungserbringung ohne Vergütung zum Teil dadurch aufgewogen werden, dass die Erbringung von Leistungen im Umfang der Mindestmenge oder darüber hinaus deren Fortsetzung in den Folgejahren ermöglichen dürfte.

Demgegenüber dürften die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen sich bei der vom erkennenden Senat skizzierten rechtlichen Ausgangskonstellation Klarheit darüber verschaffen müssen, ob mit Erlass eines Bescheids über die Widerlegung der Prognose angesichts der damit verbundenen Zweifel an der künftigen Qualität der Leistungserbringung durch das Krankenhaus dessen sofortige Vollziehung anzuordnen, was wiederum eine zeitnahe gerichtliche Überprüfung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 1 SGG ermöglichen würde (ebenso: Becker, a.a.O.).

Um dem Interesse der Beteiligten an einer möglichst frühzeitigen Klärung des Rechtsverhältnisses entgegenzukommen, weist der Senat auch im Hinblick auf eine mögliche noch nachfolgende Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 27. August 2019 durch die Antragsgegner*innen darauf hin, dass nach seiner vorläufigen Rechtsauffassung die Richtigkeit der von der Antragstellerin getroffenen Prognose für das Jahr 2020 nicht widerlegt sein dürfte.

Zwar sind die Ausführungen des SG entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht zu beanstanden, dass als vorausgegangenes Kalenderjahr im Sinne des § 136b Abs. 4 S. 4 SGB V und § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Mm-R vorliegend das Jahr 2018 zu betrachten ist, da nach § 236b Abs. 4 S. 3 SGB V jährlich eine Prognose für das jeweils nächste Kalenderjahr darzulegen ist – hier also im Jahr 2019 für 2020 – und der nachfolgende S. 4 auf die Zahlen des vorausgegangenen Kalenderjahres abstellt, das denknotwendig abgeschlossen sein muss. Ebenso zutreffend hat das SG dargestellt, dass bei der allein maßgeblichen rechtlichen Überprüfung der Prognoseentscheidung auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also des Erlasses des Bescheids über die Widerlegung der Prognose am 27. August 2019, bekannten bzw. aufgrund von Verstößen gegen die Amtsermittlungspflicht den Antragsgegner*innen nicht bekannten Umstände abzustellen ist, nicht jedoch auf die nachträgliche tatsächliche Entwicklung. Hierauf kann Bezug genommen werden.

Nicht zu folgen vermag der Senat dem SG jedoch hinsichtlich seiner materiellen Bewertung des Widerlegungsbescheids. Das Erreichen der Mindestmenge von 50 Kniegelenk-Totalendoprothesen im Jahr 2018 hätte zwar nach § 136b Abs. 4 S. 4 SGB V und § 4 Abs. 1 S. 2 Mm-R regelhaft die berechtigte mengenmäßige Erwartung für das Jahr 2020 begründet. Das knappe Verfehlen dieser Zahl mit tatsächlich durchgeführten 47 Kniegelenk-Totalendoprothesen im Jahr 2018 gibt jedoch keinen Anlass zu begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der von der Antragstellerin dennoch getroffenen positiven Prognose, führt also nicht zu deren Widerlegung.

Die Antragstellerin hat dargelegt, dass die Mindestmenge im Jahr 2018 lediglich durch kurzfristiges Umdisponieren bereits für den Dezember des Jahres angesetzter Operationen aufgrund akuter gesundheitlicher Probleme der jeweiligen Patienten sowie durch Terminierung bereits im November und Anfang Dezember 2018 ambulant vorgestellter Patienten auf deren Betreiben auf Zeitpunkte nach den Feiertagen im neuen Jahr verfehlt wurde. Allein deshalb sieht der Senat die positive Prognose für 2020 als gerechtfertigt an.

Hinzu kommt, dass die von der Antragstellerin dargelegten personellen Veränderungen im August 2018 (Neubesetzung der Chefarztposition des C.) und insbesondere im Januar 2019 (Neubesetzung der Stelle des Sektionsleiters Endoprothetik) entgegen der Auffassung der Antragsgegner*innen und des SG auch noch im Rahmen der Prognose für das Jahr 2020 als Umstand herangezogen werden durften, der trotz einer vorübergehenden Absenkung der Zahlen die Erwartung eines erneuten Anstiegs über die Mindestmenge hinaus rechtfertigte. Der Ausschluss nach § 4 Abs. 3 Mm-R, wonach unter anderem personelle Veränderungen, die das Erreichen der Mindestmengenzahl in den in Abs. 2 Nrn. 1 und 2 genannten Zeiträumen verhindert haben, kein weiteres Mal in Folge als alleiniger Umstand zur Begründung der Prognose herangezogen werden können, greift nicht ein, weil nach § 10 Abs. 1 S. 1 Mm-R die spezifizierenden Vorgaben der §§ 4 und 5 erstmals für die Darlegung der Prognose im Jahr 2019 (also für 2020) galten. Mithin konnte durch die Darlegung der Prognose für das Jahr 2019 kein Verbrauch eintreten. Dies wird auch daran deutlich, dass die diesbezüglichen Angaben anders als nach den nunmehr geltenden Regeln nicht bis zum 15. Juli 2018, sondern zum Teil im September 2018 und zum Teil erst im Januar 2019 gemacht wurden. Im Übrigen wurden sie nicht als alleiniger Umstand angeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren entspricht – abgesehen von einem sich auf die Gebührenhöhe nicht auswirkenden um 0,01 Euro höheren Rundungsergebnis – demjenigen für das Antragsverfahren. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des SG im Beschluss vom 22. April 2020 Bezug genommen.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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