L 19 AS 1816/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 853/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1816/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 21.10.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Versagungsbescheides.

Der am 00.00.1981 geborene Kläger war bis Ende März 2014 als Student der Universität Q eingeschrieben und erhielt Unterhalt von seinen Eltern. Er wohnte mit seinen Eltern und seinem Bruder zusammen in einer Wohnung. Er ist privat kranken- und pflegeversichert. In der Zeit von April 2014 bis März 2015 gewährte die Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs sowie des Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung, zuletzt in Höhe von monatlich 888,39 EUR. Die Zahlung erfolgte durch einen Verrechnungsscheck. Der Kläger löste die Schecks für die Zeit von Dezember 2014 bis März 2015 nicht ein.

Der Beklagte versagte wegen fehlender Mitwirkung für die Zeiträume April 2015 bis Mai 2015 (S 8 AS 745/15), Juni 2015 bis November 2015 (S 8 AS 28/16), Dezember 2015 bis Januar 2016 (S 8 AS 294/16) und Februar 2016 bis April 2016 (S 8 AS 320/16) Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Die Klage- und Berufungsverfahren blieben erfolglos.

Im Mai 2016 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 06.05.2016 forderte der Beklagte den Kläger unter Fristsetzung bis zum 27.05.2016 auf, folgende Unterlagen vollständig ausgefüllt und unterschrieben vorzulegen: Weiterbewilligungsantrag, Anlage Einkommen, Mietbescheinigung, Anlage Haushaltsgemeinschaft vom Vater und Anlage Haushaltsgemeinschaft von der Mutter. Zudem sollten lückenlose Kontoauszüge der letzten drei Monate vorgelegt werden. Das Schreiben enthielt einen Hinweis auf die Mitwirkungspflichten und die Folgen fehlender Mitwirkung nach §§ 60, 66, 67 SGB I.

Der Kläger legte am 11.05.2016 einen ausgefüllten und am 10.05.2016 unterschriebenen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und eine Anlage Einkommen vor.

Mit Schreiben vom 01.06.2016 erinnerte der Beklagte den Kläger unter Fristsetzung bis zum 29.06.2016 an die Vorlage einer vollständig ausgefüllten und vom Vermieter unterschriebenen Mietbescheinigung sowie einer vollständig ausgefüllten und vom Vater und der Mutter unterschriebenen Anlage Haushaltsgemeinschaft. Auch dieses Schreiben enthielt einen Hinweis auf die Mitwirkungspflichten und die Folgen fehlender Mitwirkung.

Mit Schreiben vom 21.07.2016 wurde der Kläger erneut unter Fristsetzung bis zum 19.08.2016 an die Vorlage der Unterlagen aus dem Schreiben vom 01.06.2016 erinnert.

Mit Bescheid vom 07.09.2016 versagte der Beklagte die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II wegen fehlender Mitwirkung. Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Daher könne nicht geprüft werden, ob ein Leistungsanspruch bestehe. Die Entscheidung über die Versagung der Leistung stehe im Ermessen der Behörde. Im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung sei berücksichtigt worden, dass der Kläger offenbar weiterhin nicht imstande gewesen sei, eine Arbeit zu finden und somit wohl kein Erwerbseinkommen habe. Demgegenüber sei die Behörde jedoch auch verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Hierzu gehöre, dass im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler Leistungen nur erbracht würden, wenn die Hilfebedürftigkeit nachgewiesen sei.

Am 12.09.2016 rief der Kläger bei dem Beklagten an. Aus dem Aktenvermerk ergibt sich, dass es in dem Telefonat darum ging, wie der Kläger trotz eines bestehenden Hausverbots seine Rechte bezüglich des Bescheides vom 07.09.2016 wahren könne. Er wurde darauf hingewiesen, dass er einen Widerspruch schriftlich einlegen könne und eine persönliche Vorsprache dafür nicht erforderlich sei. Der Kläger äußerte, einen Widerspruch zur Niederschrift einlegen zu wollen. Dem Kläger sei die Möglichkeit erläutert worden, in diesem besonderen Fall seinen im Telefonat mündlich vorgetragenen Widerspruch als solchen zu werten und die Widerspruchstelle zu bitten, daraufhin das Widerspruchsverfahren durchzuführen. Dies habe der Kläger jedoch abgelehnt und auf eine persönliche Vorsprache bestanden. Dem Kläger wurde ein Termin zu einer persönlichen Vorsprache am 15.09.2016 um 8.00 Uhr angeboten. Diesen Termin nahm der Kläger nicht wahr.

Daraufhin wertete der Beklagte das Telefonat vom 12.09.2016 als mündlich eingelegten Widerspruch und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2016 als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 10.10.2016 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 07.09.2016 Widerspruch ein. Diesen Widerspruch verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2016 als unzulässig. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der gegen den Versagungsbescheid am 12.09.2016 telefonisch eingelegte Widerspruch bereits mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2016 zurückgewiesen worden sei. Da eine Klage gegen diesen Bescheid nicht erhoben worden sei, sei er bindend geworden. Die Entscheidung könne daher nicht erneut durch einen Rechtsbehelf des Widerspruchs angefochten werden.

Der Kläger hat am 19.12.2016 Klage erhoben, die nicht begründet wurde.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 07.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2016 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 21.10.2019 die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid beschwere den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG. Der Beklagte habe den Widerspruch vom 10.10.2016 gegen den Bescheid vom 07.09.2016 zu Recht als unzulässig verworfen. Bereits mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2016 habe der Beklagte über den Widerspruch vom 12.09.2016 gegen den Bescheid vom 07.09.2016 entschieden. Der Beklagte sah in dem Telefonat vom 12.09.2016 zu Recht die Einlegung eines Widerspruchs. Im Rahmen des Telefonats sei hinreichend deutlich geworden, dass der Kläger mit dem Bescheid vom 07.09.2016 nicht einverstanden sei. Grundsätzlich sei zwar die telefonische Einlegung eines Widerspruchs nicht möglich, da der Widerspruch gem. § 84 Abs. 1 SGG schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen sei. Ausnahmsweise sei aber die telefonische Einlegung eines Widerspruchs zumindest dann möglich, wenn hierüber ein Aktenvermerk angefertigt werde. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles sei ein Ausnahmefall anzunehmen. Wegen eines bestehenden Hausverbots habe der Kläger bei dem Beklagten angerufen und sich erkundigt, wie er einen Widerspruch schriftlich einlegen könne. Aus dem Vermerk über das Telefonat gehe hinreichend deutlich hervor, dass der Kläger mit dem Bescheid vom 07.09.2016 nicht einverstanden sei. Es sei deshalb auch ein Termin vereinbart worden, bei dem der Kläger zur Niederschrift einen Widerspruch einlegen sollte. Zu diesem Termin sei der Kläger jedoch nicht erschienen. Insoweit habe der Beklagte annehmen können, dass bereits in dem Telefonat vom 12.09.2016 ein Widerspruch zu sehen sei. Hierdurch sollten die prozessualen Rechte des Klägers weitgehend gewahrt werden. Im Übrigen sei der Versagungsbescheid vom 07.09.2016 auch rechtmäßig, da der Beklagte die Gewährung von Leistungen zu Recht versagt habe.

Der Kläger hat gegen den am 26.10.2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 28.10.2019 Rechtsmittel eingelegt. Zur Begründung führt er aus, der Beklagte hat nach der Rechtsprechung des LSG zu Unrecht von ihm die Anlage Haushaltsgemeinschaft, die von seinen Eltern zu unterschreiben war, gefordert. Die Grenzen der Mitwirkungspflichten seien überschritten. Außerdem habe er in dem Telefonat am 12.09.2016 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er keinen Widerspruch eingelegt habe. Daher sei der Widerspruch vom 10.10.2016 zulässig gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 21.10.2019 aufzuheben und den Bescheid vom 07.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 03.01.2020 hat der Senat die Berufung dem Berichterstatter gemäß § 153 Abs. 5 SGG übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streit- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und auf die darin befindlichen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Sache in der Besetzung mit dem Berichterstatter als Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden, weil die Voraussetzungen gemäß § 153 Abs. 5 SGG vorliegen und der Senat die Berufung mit Beschluss vom 03.01.2020 auf den Berichterstatter, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet, übertragen wurde.

Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden. Auf diese, sich aus dem Regelungsgehalt der §§ 110 Abs. 1 S. 2, 111 Abs. 1, 124 Abs. 2, 126, 153 Abs. 1 SGG ergebende Möglichkeit ist der Kläger mit der ordnungsgemäß zugestellter Ladung hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat den Widerspruch des Klägers vom 10.10.2016 gegen den Bescheid vom 07.09.2017 zu Recht als unzulässig verworfen. Denn der Bescheid vom 07.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2016 ist bestandskräftig und damit gemäß § 77 SGG für den Senat und den Beklagten bindend. Der Kläger hat nicht binnen der Klagefrist von einem Monat, § 87 SGG, Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.09.2016 eingelegt. Die Einlegung eines weiteren Widerspruchs war nicht zulässig. Die Frage, ob der Beklagte das Telefonat vom 12.09.2016 zu Recht als Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.09.2016 werten durfte, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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