L 3 AS 505/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AS 2953/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 505/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Vor Einführung von § 41a Abs. 5 SGB II zum 1. August 2016 hat hinsichtlich der dem Leistungsträger für eine abschließende Entscheidung gesetzten Frist keine für eine analoge Anwendung notwendige planwidrige Regelungslücke vorgelegen mit der Folge, dass bis zum 31. Juli 2016 eine analoge Anwendung von § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ausscheidet.
I. Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 2. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit des nach vorläufiger Festsetzung erlassenen endgültigen Festsetzungs- und Erstattungsbescheides vom 12. März 2015 betreffend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 30. Juni 2013.

Der 1978 geborene Kläger zu 1 bildet mit seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2, und der Tochter X ... eine Bedarfsgemeinschaft, die im laufenden Leistungsbezug beim Beklagten stand.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 30. Juni 2013 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 382,40 EUR. Die tatsächliche Höhe des Einkommens der Klägerin zu 2 aus nichtselbständiger Tätigkeit sei derzeit noch nicht ermittelbar. Aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen seien auf die zustehenden Leistungen anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder in geringerer Höhe zuerkannt werde, seien auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten. Nach Ende des Bewilligungsabschnittes werde eine Überprüfung erfolgen. Die hierzu maßgeblichen Lohnbescheinigungen und Nachweise zum Zufluss seien unaufgefordert vorzulegen.

Die Klägerin zu 2 übermittelte im Juni 2013 ihre Einkommensbescheinigungen für die Monate Dezember 2012 bis Mai 2013. Der Beklagte forderte mit Schreiben vom 9. Dezember 2013 unter anderem die Vorlage auch des Lohnnachweises für Juni 2013 und Kopien der Kontoauszüge zum Lohnzufluss, welche am 12. Dezember 2013 vorlagen.

Mit Bescheid vom 12. März 2015 setzte der Beklagte auf der Grundlage des erklärten Einkommens die Leistungen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Januar 2013 auf 195,37 EUR sowie für den Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis zum 30. Juni 2013 auf 191,60 EUR endgültig fest und verlangte die Erstattung von insgesamt 1.141,03 EUR.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger zu 1 für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Widerspruch.

Mit Bescheid vom 23. Juni 2015 setzte der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12. März 2015 den Leistungsanspruch der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf 195,65 EUR für Januar 2013, 191,88 EUR für Februar 2013, 195,38 EUR für März und April 2013, 195,55 EUR für Mai 2013 und 196,23 EUR für Juni 2013 sowie den vom Kläger zu 1 zu erstattenden Betrag auf 562,15 EUR und den von der Klägerin zu 2 zu erstattenden Betrag auf 562,18 EUR, mithin zusammen 1.124,33 EUR, fest; er bewilligte Kosten für Unterkunft in Höhe von 404,25 EUR. Sodann wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2013, welcher am 25. Juni 2013 zur Post gegeben wurde, als unbegründet zurück.

Mit einem an das Gericht weitergeleiteten Schreiben vom 19. Juli 2015, eingegangen beim Beklagten am 27. Juli 2015, hat sich der Kläger zu 1 gegen die Festsetzung und die Erstattung hinsichtlich der Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft gewandt. Das Sozialgericht hat das Schreiben als Klage des Klägers zu 1 erfasst. Der Prozessbevollmächtige der Kläger hat mit Schreiben vom 10. Februar 2016 erklärt, Kläger seien alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.

Das Sozialgericht, welches die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht als Kläger erfasst hat, hat mit Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2018 die Klage abgewiesen. Der endgültige Festsetzungsbescheid vom 12. März 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2015 sei rechtmäßig. X ... sei im streitbefangenen Zeitraum aufgrund bedarfsdeckenden Vermögens nicht hilfebedürftig. Soweit die Klägerin zu 2 anrechenbares Einkommen gehabt habe, sei die Bedarfsgemeinschaft des Klägers zu 1 gleichfalls nicht hilfebedürftig. Zum anzurechnenden Einkommen der kindergeldberechtigten Klägerin zu 2 seien neben ihren Einkünften aus abhängiger Beschäftigung auch das vom Kind zur Sicherung seines Lebensunterhaltes nicht benötigte Kindergeld zu zählen. Der bloße Zeitablauf stehe der Geltendmachung der Erstattungsforderungen nicht entgegen. § 328 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) sehe weder eine Vertrauensschutzprüfung noch eine Ausschlussfrist wie zum Beispiel die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) vor. Mangels planwidriger Regelungslücke scheide auch die Bildung einer Analogie zu § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X aus. Umstände, welche die Rückforderung nach Treu und Glauben als pflicht- und gesetzeswidrig erscheinen lasse, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kläger haben sich gegen den am 7. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid mit Berufung vom 5. Juni 2018 gewandt. Die endgültige Festsetzung sei nach Ablauf der Jahresfrist analog § 45 Abs. 4 SGB X rechtswidrig. Es liege eine planwidrige Regelungslücke vor. Dem Erstattungsverlangen stehe entgegen, dass sie sich nach Ablauf von mehr als zwei Jahren nach Erlass des vorläufigen Leistungsbescheides und Vorlage der Einkommensnachweise im Jahr 2013 auf Vertrauensschutz berufen könnten. Auch die Korrektur einer vorläufigen Bewilligung habe sich an den §§ 44 ff. SGB X auszurichten.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Leipzig vom 2. Mai 2018 den endgültigen Festsetzungsbescheid vom 12. März 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Rechtslage sei keine Frist für die endgültige Festsetzung zu beachten. Nach § 328 SGB III erfolge keine Vertrauensschutzprüfung. Ausschlussfristen oder die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X würden mangels planwidriger Regelungslücke auch nicht analog gelten. Eine Verjährung scheide vor der endgültigen Festsetzung aus. Eine Verwirkung komme nicht in Betracht, da kein aktives Verwirkungshandeln des Beklagten vorliege. Die bloße Untätigkeit könne nur im Einzelfall ein schutzwürdiges Vertrauen begründen. Er, der Beklagte, habe die notwendigen Unterlagen angefordert, was für eine beabsichtige "Endabrechnung" sprechen würde, so dass die Kläger kein Vertrauen hätten entwickeln können. Allein die Zeitspanne von 1 ¼ Jahren bis zur endgültigen Festsetzung genüge nicht. Ohne ein entsprechendes Umstandsmoment komme frühestens nach vier Jahren eine Verwirkung in Betracht.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht entscheidet gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über die Berufung.

II. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des Sozialgerichts vom 2. Mai 2018 der endgültige Festsetzungsbescheid vom 12. März 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2015, durch den der Beklagte den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft des Klägers zu 1 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für Januar 2013 bis Juni 2013 endgültig niedriger als zunächst vorläufig bewilligt festgesetzt sowie 562,15 EUR vom Kläger zu 1 und 562,18 EUR von der Klägerin zu 2 erstattet verlangt hat.

Mit der Klage hiergegen und dem Vorbringen, eine Erstattung sei nicht zu leisten, da ihnen höhere als die endgültig bewilligten Leistungen zustünden, zumindest aber niedrigere Leistungen aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr festgesetzt und eine Erstattung nicht beansprucht werden könne, begehren die Kläger eine Korrektur der Entscheidung des Beklagten über die abschließend festzusetzenden und die zu erstattenden vorläufig erbrachten Leistungen. Demgemäß richtet sich das Klageziel neben der Änderung des Bescheides darauf, den Beklagten zu verpflichten auszusprechen, dass ihm abschließend höhere Leistungen zustehen.

Für eine isolierte Anfechtung des endgültigen Leistungsbescheides mit dem Ziel, die vorläufig bewilligten Leistungen weiter behalten zu dürfen, fehlt dagegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Beklagte die eingeleitete endgültige Feststellung des Leistungsanspruchs für den streitbefangenen Zeitraum durch Verwaltungsakt abzuschließen hat (vgl. § 41 Abs. 5 Satz 1 SGB II; BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 39/17 RBSGE 126, 294 ff. = SozR 4-4200 § 41a Nr. 1 = juris Rdnr. 10 und 32 m. w. N.) und daher die Aufhebung des endgültigen Bescheides allein den Rechtsstreit nicht dauerhaft beenden könnte. Denn dem Erfordernis einer abschließenden Entscheidung steht nicht entgegen, dass nach § 41a Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II vorläufig bewilligte Leistungen für vor dem 1. August 2016 beendete Bewilligungszeiträume als abschließend festgesetzt gelten, wenn nicht innerhalb eines Jahres nach dem 1. August 2016 eine abschließende Entscheidung ergeht. Eine die Fiktionswirkung des § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II vernichtende abschließende Entscheidung ist nach Wortlaut, Systematik und Regelungszweck vielmehr bereits mit der Bekanntgabe der streitbefangenen Leistungsbescheide ergangen (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2018, a. a. O., Rdnr. 33). Die endgültige Festsetzung erfolgte vorliegend bereits mit Bescheid vom 12. März 2015 und somit vor dem 1. August 2016.

Zutreffende Klageart ist daher vorliegend, da das Klagebegehren nicht auf weitere Zahlungen über die vorläufig erbrachten Leistungen hinaus zielt, die (kombinierte) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 2, § 56 SGG; vgl. dazu BSG vom 8. Februar 2017 – B 14 AS 22/16 RNJW 2017, 2493 = juris Rdnr. 10 f.). Entsprechend ist der Antrag sachdienlich auszulegen (vgl. § 123 SGG).

Dem Berufungsantrag der Klägerin zu 2 steht zudem nicht entgegen, dass das Sozialgericht fehlerhaft das Aktivrubrum nicht auf sie erweitert hat (zum Individualanspruch jedes Mitglieds einer Bedarfsgemeinschaft vgl. grundlegend BSG vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 RBSGE 97, 217 ff. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 = juris Rdnr 12 ff.). Auch die Klägerin zu 2 hat fristgerecht gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 24. Juni 2015, welcher ihr aufgrund der Postaufgabe am 25. Juni 2015 nach der Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am 28. Juni 2015 zugegangenen war, am 27. Juli 2015 Klage erhoben. Das als Klage zu wertende, innerhalb der Monatsfrist (vgl. § 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG) am 27. Juli 2015 beim Beklagten (vgl. § 91 Abs. 1 SGG) eingegangene und an das Sozialgericht weitergeleitete Schreiben des Klägers zu 1 vom 19. Juli 2015 ist nicht allein als seine Klage, sondern als Klage aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auszulegen. Denn zur Bestimmung des Inhalts einer Klageschrift ist nicht allein von ihrem Wortlaut und den in ihr enthaltenen Anträgen auszugehen; vielmehr ist der hinter diesem Wortlaut liegende wahre Wille des Begehrens zu erforschen. Dafür sind das gesamte klägerische Vorbringen und alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, und es ist davon auszugehen, dass die Kläger eine möglichst weitgehende Verwirklichung ihres Begehrens anstreben (vgl. grundlegend BSG, Beschluss vom 28. November 2007 – B 11a/7a AL 34/07 B – SozR 4-1500 § 151 Nr. 3 = juris Rdnr. 13). Der Kläger zu 1 hat das Schreiben vom 19. Juli 2015 erkennbar auch im Namen der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfasst und auch in deren Namen gehandelt. Dies hat der für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft mandatierte Prozessbevollmächtigte so auch ausdrücklich nochmals erklärt. Zudem erfasst das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts inhaltlich auch die Klage der Klägerin zu 2 und die gegen sie geltend gemachte Erstattungsforderung.

III. Die so verstandene Berufung der Kläger ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft. Die Wertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG steht einer Sachentscheidung nicht entgegen, auch wenn die gegenüber den beiden Klägern jeweils geltend gemachten Erstattungsforderungen 750,00 EUR nicht übersteigen. Die geltend gemachten Ansprüche mehrerer Bedarfsgemeinschaftsmitglieder sind jedenfalls dann gemäß § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu addieren (vorliegend: insgesamt 1.124,33 EUR), wenn – wie hier – die Ansprüche in einem einheitlichen Bescheid geregelt sind und die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in subjektiver Klagehäufung sich gegen diese wenden (vgl. zu Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden mehrerer Bedarfsgemeinschaftsmitglieder: zuletzt BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 9/20 R – juris Rdnr. 15. m. w. N.).

IV. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zutreffend mit Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2018 abgewiesen. Der Bescheid vom 12. März 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2015 ist rechtmäßig. Über die vom Beklagten endgültig bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hinaus haben die Kläger für den Zeitraum von Januar 2013 bis Juli 2013 keine weitergehenden Ansprüche, so dass die auf der Grundlage der vorläufigen Entscheidung zu viel erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 1.124,33 EUR zu erstatten sind (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 SGB III und §§ 19 ff SGB II i. V. m. §§ 7 ff. SGB II, die SGB II-Regelungen in der Neufassung vom 13. Mai 2011[ BGBl I S. 850], im Folgenden: SGB II a. F.). Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vgl. BSG vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 78 Rdnr. 15= juris Rdnr. 20 m. w. N.). Nicht anzuwenden ist der mit Artikel 1 Nr. 36 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (BGBl I S. 1824) eingeführte § 41a SGB II ("Vorläufige Entscheidung"), weil die Übergangsregelungen zu dieser Vorschrift in § 80 Abs. 2 SGB II die vorliegende Fallgestaltung nicht erfassen, in der eine abschließende Entscheidung schon getroffen worden ist.

Das Urteil des Sozialgerichts ist aus den zutreffenden Gründen seiner Entscheidung nicht zu beanstanden. Fehler in der Berechnung der Erstattungsforderungen werden zweitinstanzlich nicht mehr geltend gemacht und sind auch nicht zu erkennen. Der Senat sieht daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und führt lediglich zu den im Berufungsverfahren im Hinblick auf die allein noch geltend gemachten Rechtsfragen ergänzend aus:

1. Gesetzliche Fristen, wie etwa § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X oder § 48 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, gelten im Rahmen der endgültigen Leistungsfestsetzung und Geltendmachung der Erstattung nach § 328 Abs. 3 SGB III nicht.

2. Soweit durch die Kläger geltend gemacht wird, dass vor Einführung von § 41a Abs. 5 SGB II zum 1. August 2016 hinsichtlich der dem Leistungsträger für eine abschließende Entscheidung gesetzten Frist eine Regelungslücke vorgelegen habe, und dass diese Lücke bis zum 31. Juli 2016 durch die analoge Anwendung von § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zu schließen sei, fehlt es an der für eine analoge Anwendung notwendigen planwidrigen Regelungslücke.

§ 328 Abs. 3 SGB III verdrängte ohne die Bestimmung einer Frist als lex specialis die Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X. Mangels vergleichbaren Vertrauensschutzes im Falle einer zunächst nur vorläufigen Regelung im Vergleich zu einer endgültigen Entscheidung und einer hierauf beruhenden Leistungsgewährung ist eine analoge Anwendung von Fristbestimmungen nicht geboten. Zwar gehört die grundsätzliche Möglichkeit, gegenüber einer Rücknahme oder einem Widerruf begünstigender Verwaltungsakte Vertrauensschutz geltend zu machen, also eine Abwägung der einander entgegenstehenden Allgemein- und Individualinteressen herbeizuführen, zu den im Rechtsstaatsprinzip verfassungsmäßig verankerten Geboten. Das Rechtsstaatsgebot und das aus ihm folgende Prinzip der Beachtung des Vertrauensschutzes führen aber nicht in jedem Falle zu dem Ergebnis, dass jegliche einmal erworbene Position ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muss. Es nötigt allein zu der an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmenden Prüfung, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls, wie etwa die Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, oder die Interessen des Einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf deren Fortbestand er vertraute, den Vorrang verdienen. Diese Abwägung setzt aber gerade voraus, dass der Leistungsberechtigte überhaupt eine Rechtsposition erlangt hat, auf die er sich eingerichtet und auf deren Fortbestand er vertraut hat. Durch eine vorläufige Entscheidung im Sinne des § 328 Abs. 1 SGB III wird aber noch keine gesicherte Rechtsposition begründet. Eine gesicherte Rechtsposition erlangt der Leistungsnehmer erst durch die endgültige Entscheidung (vgl. Schaumberg, in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB III [2. Aufl., 2019], § 328 Rdnr. 130 ff. m. w. N.).

Zudem dient die relativ kurze Jahresfrist in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht dem Vertrauensschutz, sondern der Rechtssicherheit (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2008 – B 13 R 23/07 R – juris Rdnr. 28 m. w. N.), weshalb hinsichtlich der endgültig bewilligten Leistungen die einjährige Ausschlussfrist auch erst dann beginnt, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des zurückzunehmenden Verwaltungsaktes sowie die Tatsachen hinsichtlich der weiteren Rücknahmevoraussetzungen kannte. Allein wegen der aufgrund der endgültigen Leistungsbewilligung vorliegenden gesicherten Rechtsposition soll zügig Klarheit darüber geschaffen werden, ob die Leistung zurückgefordert wird. An einer solchen Ausgangssituation fehlt es im Rahmen des § 328 SGB III, so dass mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte auch kein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vorliegt. Im Wesentlichen unterschiedliche Sachverhalte dürfen durch den Gesetzgeber auch unterschiedlich behandelt werden.

Erst mit § 41a Abs. 5 SGB II hat der Gesetzgeber eine Frist für die endgültige Festsetzung eingeführt. Dass mit dieser Regelung lediglich eine Klarstellung der bisherigen Gesetzeslage angestrebt werden sollte, lässt sich den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/8041, S. 54) nicht entnehmen. Vielmehr hat der Gesetzgeber zugleich mit der Aufnahme der Vorschrift des § 41a SGB II in das SGB II zum 1. August 2016 auch § 80 SGB II in Kraft gesetzt (vgl. Artikel 1 Nr. 53 des Gesetzes vom 26. Juli 2016 [BGBl. I S. 1824]). § 80 Abs. 2 SGB II regelt hinsichtlich der abschließenden Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1. August 2016 beendet waren, dass § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II mit der Maßgabe gilt, dass die Jahresfrist mit dem 1. August 2016 beginnt. Für den vorliegend vor dem 1. August 2016 beendeten Leistungszeitraum hat dies zur Folge, dass die vorläufig bewilligten Leistungen, wenn nicht die endgültige Festsetzung zuvor erfolgt wäre, zum 1. August 2017 als abschließend festgesetzt gegolten hätten. Die vom Gesetzgeber gewählte Verfahrensweise verdeutlicht, dass er bei erneuter Befassung mit dem Thema "vorläufige Bewilligung" gerade nicht zu der Einschätzung gelangt ist, mit der zuvor bestehenden Gesetzeslage eine Regelungslücke hinterlassen zu haben.

Jedenfalls nach der Klarstellung durch den Gesetzgeber bleibt für eine (generelle) analoge Anwendung der Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X oder des § 48 Abs. 4 SGB X im Anwendungsbereich des § 328 SGB III a. F. mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum (so bereits: Sächs. LSG, Urteil vom 8. Januar 2018 – L 7 AS 1192/16 – n. v. –, nachdem die Frage im Urteil vom 20. September 2013 – L 7 AS 863/11 – juris Rdnr. 23 ausdrücklich offengelassen wurde; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. August 2016 – L 3 AS 2104/15 – juris Rdnr. 18; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. September 2016 – L 11 AS 1004/14 – juris Rdnr. 18; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. April 2017 – L 2 AS 1921/16 – juris Rdnr. 50; Thür. LSG, Urteil vom 22. März 2018 – L 9 AS 323/16 – juris Rdnr. 39; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Juli 2018 – L 13 AS 1951/16 – juris Rdnr. 27 ff.; anders – soweit erkennbar allein – SG Neubrandenburg, Urteil vom 12. November 2015 – S 14 AS 969/15 – juris Rdnr. 35).

Dem steht auch nicht die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. April 2015 (Az.: B 14 AS 31/14 R – SozR 4-4200 § 40 Nr. 9 = juris Rdnr. 25) entgegen. Zwar hat das Bundessozialgericht ausgeführt: "Dabei kann offenbleiben, ob die §§ 44 ff SGB X im Anwendungsbereich von § 328 SGB III generell verdrängt sind oder ob die Korrektur vorläufiger Bewilligungen partiell auch auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X zu stützen und im Hinblick auf Vertrauensschutz an ihnen zu messen sein kann (vgl dazu einerseits etwa Greiser in Eicher/Schlegel, SGB III, § 328 RdNr 60 mit RdNr 47 ff, Stand Februar 2013; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 328 RdNr 73 f, Stand März 2015; skeptisch Düe in Brand, SGB III, 6. Aufl 2012, § 328 RdNr 8 ff; ablehnend Schaumberg in jurisPK-SGB III, 1. Aufl 2014, § 335 RdNr 67: § 328 SGB III verdrängt die §§ 44 ff SGB X; ebenso wohl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 328 RdNr 37, Stand Mai 2012)." Das Bundessozialgericht hat damit gerade keine Entscheidung getroffen. Es hat insbesondere nicht entschieden, dass aufgrund einer Regelungslücke die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X im Anwendungsbereich des § 328 SGB III generell anzuwenden ist. Vielmehr hat das Bundessozialgericht mit dieser Entscheidung einerseits klarstellen wollen, dass der vorläufigen Leistungsfestsetzung nach dem Zweck und der Bindungswirkung allein die Funktion zukommt, eine (Zwischen-)Regelung bis zur endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage zu treffen und folgerichtig Leistungsbezieher nach § 328 Abs. 2 SGB III zur Beseitigung der Unklarheit über die Höhe der ihnen endgültig zustehenden Leistungen einen Anspruch auf eine das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung haben. Zudem hat es dahinstehen lassen, ob – aufgrund besonderer Umstände – die Korrektur im Hinblick auf den Vertrauensschutz an den §§ 44 ff SGB X zu messen ist. Diese besonderen Umstände sind vorliegend jedoch nicht erkennbar.

3. Auch die Voraussetzungen der Verwirkung liegen nicht vor. Die Verwirkung würde als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) voraussetzen, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R – SozR 4-2400 § 24 Nr. 5 = juris Rdnr. 31, m. w. N.; Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl., 2017] § 50, Rdnr. 131 ff.; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II [Stand: Erg.-Lfg. Stand 6/20], § 43 Rdnr. 157).

Vorliegend fehlt es am erforderlichen Zeit- und Umstandsmoment.

Dahinstehen kann, ob in Fällen der endgültigen Leistungsfestsetzung eine allein aufgrund des Zeitmoments eintretende Verwirkung überhaupt in Betracht kommt und welche Zeitspanne – sollte dies zu bejahen sein – dann zur Verwirkung führen würde. Jedenfalls erfüllt eine endgültige Festsetzung etwas mehr als ein Jahr nach Vorlage der hierfür erforderlichen Unterlagen, aus denen sich die maßgebenden Änderungen für die Leistungsfestsetzung ergaben, bereits nicht das erforderliche Zeitmoment (vgl. so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. August 2016 – L 3 AS 2104/15 – juris Rdnr.19 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. September 2017 – L 18 AS 1941/16 – juris Rdnr. 30 ff.).

Zudem fehlt es am erforderlichen Umstandsmoment, das regelmäßig ein aktives, ein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger begründendes Verhalten des Beklagten voraussetzen würde und grundsätzlich nicht in der bloßen Untätigkeit über einen längeren Zeitraum liegt. Denn eine bloße Untätigkeit kann nur im Einzelfall ein schutzwürdiges Vertrauen begründen, wenn der Schuldner das Nichtstun des Gläubigers nach den Umständen als bewusst und planmäßig betrachten darf (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R – a.a.O., juris Rdnr. 35). Diesbezüglich ist weder etwas vorgetragen noch erkennbar.

Das Bundessozialgerichts hat insofern bereit mit Urteil vom 6. Oktober 1977 (Az.: 7 RAr 55/76BSGE 45, 38 ff. = SozR 4100 § 40 Nr. 17 = juris) unter Randnummer 52 ausführt: "Aus dem Zeitraum von zwei Jahren kann die Klägerin den Einwand der Verwirkung keinesfalls herleiten, zumal da schon die Verjährung von Erstattungsansprüchen vier Jahre beträgt (§ 222 AFG). Nach der Rechtsprechung des BSG wird regelmäßig eine Zeitspanne der Untätigkeit von vier Jahren als unterste Grenze angesehen, um Verwirkung annehmen zu können (vgl BSGE 21, 27, 33, 34; BSG vom 22. Juni 1977 – 10 RV 59/76 – mit weiteren Nachweisen). Im übrigen genügt für die Wirksamkeit des Verwirkungseinwandes die Berufung auf bloßen Zeitablauf nicht. Es müssen noch weitere Umstände hinzutreten, die nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen, und aufgrund derer der Schuldner vertrauen durfte, daß der andere sein Recht nicht mehr gegen ihn ausüben werde (vgl BVerfG aaO; BSGE 34, 211, 214; 35, 91, 95)." Auch mit Urteil vom 30. Oktober 1969 (Az.: 8 RV 53/68, juris Rdnr. 23) hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass grundsätzlich für die Verwirkung der bloße Zeitablauf nicht ausreicht und die Verwirkung die Verjährung nicht verdrängen, sondern lediglich Unbilligkeiten verhindern soll, die sich aus den langen Verjährungsfristen ergeben. Das Bundessozialgericht hat diese Rechtsprechung mit Urteil vom 1. Juli 2014 (Az.: B 1 KR 2/13 R, NZS 2014, 821 f. = juris Rdnr. 14 ff.) bestätigt und ausgeführt, dass hinsichtlich der innerhalb von vier Jahren verjährenden Erstattungsansprüche eine Verwirkung vor dem Ablauf dieser Frist praktisch nicht in Betracht komme.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

VI. Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. Die streitige Rechtsfrage betrifft eine nicht mehr geltende Rechtslage.
Rechtskraft
Aus
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