L 16 Kr 24/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 An 18/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 Kr 24/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherungspflicht eines Tätowierers nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz.
Ein Tätowierer ist pflichtversichert nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz, wenn er nicht nach Katalogen und Mustern arbeitet, sondern die spätere Tätowierung eigenschöpferisch auf der Haut seiner Kunden verzeichnet. Er arbeitet auch in dem äußeren Rahmen eines Künstlers, der sich wesentlich von einer bloß handwerklichen Tätigkeit unterscheidet, wenn er in einschlägigen Kreisen als Künstler angesehen wird.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als selbständiger Künstler nach dem Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (KSVG) pflichtversichert ist.

Der im Jahre 1966 geborene Kläger übt den Beruf des Tätowierers selbständig aus. Im April 1995 beantragte er die Feststellung der Versicherungspflicht gemäß § 1 KSVG. In dem Fragebogen zur Feststellung über die Versicherungspflicht nach dem KSVG führte der Kläger aus, er arbeite im Bereich der bildenden Kunst als Hautkünstler (Tätowierung). Außerdem trug er vor: Er arbeite ausschließlich eigenschöpferisch. Jedes Werk sei individuell und letztlich einmalig. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 21.06.1995 mit der Begründung ab, die Tätigkeit eines Tätowierers könne nicht als künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG angesehen werden. Den hiergegen eingereichten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.1996 zurück.

Der Kläger hat am 31.01.1996 vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben und vorgebracht: Die von ihm geschaffenen Arbeiten seien dem Bereich "Bildende Kunst" zuzuordnen. Es würden keine schematischen Arbeiten durchgeführt, sondern stets individuelle Kunstwerke geschaffen. Die Arbeiten würden frei mit der Hand erledigt. Daher sei seine Tätigkeit mit der eines Malers vergleichbar.

Der Kläger hat beantragt,

Die Beklagte hat beantragt,

Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger zähle nicht zu den Kunstschaffenden. Er übe vielmehr ein Handwerk aus. Gegenstände, die nach einem sich wiederholenden Konzept hergestellt würden, könnten keine Kunstobjekte sein. Nach herrschender Auffassung sei der Beruf des Tätowierers kein künstlerischer im Sinne der bildenden Kunst. In dem Künstlerbericht der Bundesregierung seien die Tätowierer ausdrücklich nicht genannt, sondern nur die in der Durchführungsverordnung zum KSVG genannten Künstler. Im Einzelfall könne ggfls. auch die Tätigkeit eines Tätowierers als bildende Kunst anerkannt werden. Voraussetzung hierfür sei allerdings, daß der Betreffende nur individuelle, für den Kunden als Unikat hergestellte Bildentwürfe tätowiere. Im vorliegenden Fall arbeite der Kläger aber nach einem Muster-Katalog. Es liege keine eigenschöpferische Tätigkeit vor, weil wiederkehrende Motive verwendet würden.

Das Sozialgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 21.06.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.01.1996 aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger versicherungspflichtig gemäß § 1 KSVG ist (Urteil vom 23.01.1997). Es hat u.a. ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers sei dem Bereich "Bildende Kunst" im Sinne des § 2 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des KSVG (DVO KSVG) zuzuordnen. Die Tätigkeit des Klägers sei mit der eines Malers oder Zeichners vergleichbar. Seine Werke seien individuell und von einem eigenen Stil geprägt. Dies ergebe sich aus dem vom Kläger vorgelegten Fotomaterial. Die Vorlagen für die Tätowierungen schaffe der Kläger nämlich eigenschöpferisch und freihändig.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 03.02.1997 zugestellte Urteil am 25.02.1997 Berufung eingelegt und vorgetragen: Die Tätigkeit eines Tätowierers könne nicht mit derjenigen eines künstlerischen Malers gleichgesetzt werden. In der DVO KSVG werde der Tätowierer nicht genannt. Sein Arbeitsergebnis gehöre nicht zur bildenden Kunst. Es würden Auftragsarbeiten durchgeführt, wobei wiederkehrende Motive Verwendung fänden. Die freie schöpferische Gestaltung stehe nicht im Vordergrund. Die Individualität der angefertigten Tätowierungen führe nicht zur Annahme von Kunst.

Die Beklagte beantragt,

Der Kläger beantragt,

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor: Er arbeite nicht nach Katalogen oder irgendwelchen Mustern. Jede Tätowierung entwerfe er in Absprache mit den Kunden unmittelbar auf der Haut. Vorlagen benutze er dabei nicht. Die Vorzeichnung auf der Haut bespreche er mit dem Kunden. Wenn dieser einverstanden sei, werde die Tätowierung dementsprechend gefertigt. In keinem einzigen Fall handele es sich um wiederkehrende Motive, sondern stets um individuelle Werke. Er stelle keine Muster her, die wiederholt Verwendung fänden. Er vergebe Termine. Zur Zeit sei er etwa bis Mai 1998 ausgebucht. Sein Erfolg beruhe auf Mundpropaganda. Es fänden auf dem Gebiet des Tätowierens auch Veranstaltungen, vielfach Conventions genannt, statt. Dort gebe es Preisverleihungen. Er habe dort an die zehn 1. Preise und etliche 2. und 3. Preise erzielt. Seine Werke würden auf diesen Veranstaltungen in erster Linie durch die Kunden selbst zur Schau gestellt. Über seine Arbeiten sei auch schon in Presse und Rundfunk (Eins-Live im März 1997) berichtet worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 21.06.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.01.1996 zu Recht aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger versicherungspflichtig gemäß § 1 KSVG ist. Der Kläger übt nämlich als Tätowierer eine selbständige künstlerische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend aus.

Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer u.a. bildende Kunst schafft. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Tätigkeit die Voraussetzungen der vorgenannten Vorschrift. Er ist Künstler, weil er bildende Kunst schafft. Zwar wird die Tätigkeit als Tätowierer in § 2 Abs. 2 DVO KSVG in den Nrn. 1 bis 14 nicht ausdrücklich genannt. Dies ist aber unschädlich, weil die dort bezeichneten Tätigkeiten keine abschließende Aufzählung darstellen. Dieses wird deutlich daran, daß nach der Nummer 14 auch ähnliche selbständige künstlerische Tätigkeiten wie die in den Nrn. 1 bis 14 genannten dem Bereich der bildenden Kunst zugeordnet werden. Bei der vom Kläger ausgeübten und von ihm im einzelnen in der mündlichen Verhandlung dargestellten Tätigkeit handelt es sich um eine der in Nr. 3 genannten Tätigkeit als Maler ähnlichen selbständigen künstlerischen Tätigkeit. Diese geht über den Bereich des bloß Handwerklichen hinaus. Der Kläger arbeitet nämlich nicht nach Katalogen oder irgendwelchen Mustern. Vielmehr entwirft er die Tätowierung unmittelbar auf der Haut des Kunden, wobei er keine Vorlagen benutzt. Er zeichnet die von ihm eigenschöpferisch entworfene spätere Tätowierung auf der Haut vor und bespricht diese mit dem Kunden. Wenn dieser nach Inaugenscheinnahme der Zeichnung einverstanden ist, wird die Tätowierung dementsprechend gefertigt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger eingehend die von ihm zu den Gerichtsakten gereichten Fotos sowie weitere großformatige Fotos über seine Arbeiten erläutert. Für den Senat ist die dargestellte Arbeitsweise des Klägers glaubhaft. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, seine Darlegungen in Zweifel zu ziehen, zumal sich seine Arbeitsweise insbesondere durch die zu den Gerichtsakten gereichten Fotos 5 und 6 belegen läßt. Auf dem Foto Nr. 6 findet sich eine ursprünglich vorhandene Tätowierung auf dem Arm eines Kunden. Über diese hat der Kläger eine Vorzeichnung eines eigenschöpferisch entworfenen Werkes gefertigt und anschließend - wie aus dem Foto 5 ersichtlich - die eigene Tätowierung aufgebracht, so daß die ursprüngliche nicht mehr sichtbar ist. Auch die übrigen eingereichten und vorgelegten Fotos bestätigen eindrucksvoll die eigenschöpferische Tätigkeit des Klägers. So war es seine Aufgabe, in der Tätowierung des Kindskopfes entsprechende Schattierungen hereinzuarbeiten, die ein plastisches Bild ergeben. Ähnliches gilt für die weiteren von ihm selbst entworfenen Motive, in denen jeweils die allgemeinen Vorgaben der Kunden in konkrete Darstellungen umgesetzt worden sind und in denen zum Teil die räumliche Wirkung aufgrund von dargestellten Schatten hervorgehoben worden ist, jeweils unter besonderer Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Körperteils (z.B. Wölbungen, Hautfalten). Anhaltspunkte dafür, daß der Vortrag des Klägers hinsichtlich seiner Tätigkeit in Zweifel zu ziehen sind, ergeben sich nicht. Der Vortrag hat sich während des gesamten Antrags-, Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren auch nicht geändert. Bereits mit Schreiben vom 11.05.1995 hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, er sei ausschließlich eigenschöpferisch tätig und fertige individuelle Werke, die letztlich einmalig seien. Ebenso hat er mit Schreiben vom 30.05.1995 im Widerspruchsverfahren darauf hingewiesen, daß er nur seine eigenen Ideen verwirklicht und alle Arbeiten auf seine Vorstellungen zurückgingen. Gleichwohl verharrt die Beklagte auf ihrer Ansicht, es würden wiederkehrende Motive verwendet. Dies geht - wie vom Senat mit der Vertreterin der Beklagten in der mündchen Verhandlung erörtert - zurück auf die Vorstellung der Beklagten, die vom Kläger eingereichten Kopien aus dem deutschen Tätowierer-Magazin April/Mai 1995, in welchem über das M. M. Studio berichtet wurde, enthielten in den dargestellten Fotos Muster, nach denen der Kläger (lediglich handwerklich) arbeite (vgl. den Vermerk der Beklagten auf Bl. 16a Satz 1 der Verwaltungsakten sowie Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 18.05.1995, vorletzter Satz).

Der Kläger arbeitet auch in dem äußeren Rahmen eines Künstlers. Er stellt seine Werk ähnlich wie ein Maler her. Daß er seine "Kunstwerke" nicht in Galerien und Ausstellungen ausstellt, liegt in der Natur der Sache (Kunstwerke auf dem Körper von Menschen). Er wird jedoch in einschlägigen Kreisen als Künstler angesehen, was dadurch eindrucksvoll zum Ausdruck kommt, daß sein Kundenkreis in ganz Deutschland beheimatet ist und durch entsprechende Mundpropaganda in den Tätowierungen interessierenden Kreisen angesprochen werden. Als weitere Indizien für die Bewertung seiner Tätigkeit als eine künstlerische kommen ferner hinzu: Seine Teilnahme auf Conventions u.a. in Neuss und München sowie - auf besondere Einladung- in New York, ein Bericht über ihn im Radiosender Eins-Live im März 1997, Berichte in Zeitungen und Darstellung seiner Werke auf Ausstellungen, bei denen er von einer Jury bereits etliche Preise erhielt (vgl. im einzelnen die glaubhafte Erklärung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung). Die vorstehend dargestellten Umstände belegen eindrucksvoll den Rahmen, der für einen Künstler typisch ist (vgl. zu den äußeren Umständen einer als künstlerisch anzusehende Tätigkeit: BSG Urteil vom 20.03.1997 - 3 RK 20/96, S. 8 -; Urteil des Senats vom 27.06.1996 - L 16 Kr 88/95, S. 13 -).

Im Senatstermin ist der äußere Rahmen der Tätigkeit des Klägers, der sich in wesentlicher Hinsicht von der Tätigkeit eines schlichten, lediglich handwerklich tätigen Tätowierer unterscheidet, von der Beklagten nicht mehr angezweifelt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlaß, die Revision zuzulassen, besteht nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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