L 11 KR 143/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 21 KR 3491/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 143/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15. Januar 2020 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger einen den Festbetrag übersteigenden Zuschuss zum Zahnersatz beanspruchen konnte.

Der 1948 geborene Kläger war Zahnarzt und ist als Rentner bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er bezieht eine Leistung zur Altersversorgung vom Altersversorgungswerk der Zahnärztekammer M (im Folgenden: AVW) in Höhe von monatlich 2.837,88 EUR (Stand 15. Dezember 2017). Er ist nicht anspruchsberechtigt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII; Bescheid der Stadt X vom 28. Mai 2020).

Der geschiedene Kläger schuldet seiner früheren Ehefrau rückständige Unterhaltszahlungen von ca. 48.381 EUR (Stand 6. Dezember 2017) und seinem Sohn von ca. 37.837 EUR (Stand 16. Dezember 2014). Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen des Amtsgerichts (AG) M1 vom 15. Mai 2012 (Az. 4 aM 972/12) und vom 21. Januar 2015 (Az. 4 aM 2476/14) wurde die dem Kläger gewährte Rente der AVW in Höhe von 1.001,88 EUR zugunsten des Sohnes und in Höhe von 816,34 EUR zugunsten der früheren Ehefrau der Zwangsvollstreckung unterworfen.

Mit Beschluss vom 23. Februar 2018 stellte das AG M1 (Az. 00 aM 00/14) fest, dass dem Kläger - befristet bis zum 31. Januar 2019 - bis zur Deckung des Gläubigeranspruchs von seinem Nettoeinkommen für seinen eigenen notwendigen Unterhalt ein Betrag von 800,00 EUR zuzüglich 536,36 EUR monatlich (Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge) sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau der nach § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) pfändbare Betrag zu verbleiben hat. Auf die Beschwerde des Klägers änderte das Landgericht (LG) P die Entscheidung insoweit ab, als dem Kläger von dem errechneten Nettoeinkommen bis zur Deckung des Gläubigeranspruchs für seinen eigenen notwendigen Unterhalt 848,00 EUR zuzüglich 550,55 EUR monatlich sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau der nach § 850c ZPO pfändbare Betrag verbleiben muss (Beschluss vom 20. Mai 2019 (Az. 2 T 159/19)).

Seit dem 1. Oktober 2017 leistet der Kläger an seine frühere Ehefrau monatlichen Unterhalt in Höhe von 200,00 EUR (Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Celle vom 12. Dezember 2018 (Az. 12 UF 199/18)).

Nach Vorlage eines Heil- und Kostenplanes (HKP) Nr. 00 des Zahnarztes Dr. L, M1, vom 3. Mai 2018 mit geschätzten Behandlungskosten für Zahnersatz von insgesamt 2.315,85 EUR (geschätztes zahnärztliches Honorar 815,85 EUR, geschätzte Material- und Laborkosten 1.500 EUR), eines weiteren HKP vom 3. Mai 2018 (Nr. 000) für eine "Interimsversorgung" mit geschätzten Behandlungskosten von insgesamt 456,72 EUR (zahnärztliches Honorar 106,72 EUR, Material- und Laborkosten 350 EUR) und eines Antrages "auf Befreiung von der Zuzahlung des Eigenanteils an den Kosten für Zahnersatz" vom 7. Mai 2018 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 2018 zum HKP Nr. 00 einen Zuschuss entsprechend der Regelversorgung in Höhe von 1.094,79 EUR. Eine weitergehende Leistung könne der Kläger nicht beanspruchen, da sein Einkommen über der für Härtefälle geltenden Grenze liege. Eine Entscheidung zum Leistungsanspruch im Hinblick auf die mit HKP Nr. 000 geplante Interimsversorgung traf die Beklagte nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheides vom 23. Mai 2018 nebst Anlage Bezug genommen.

Der Kläger erhob mit Schreiben vom 29. Mai 2018 Widerspruch gegen die Nichtbewilligung des Härtefallantrages. Sein Einkommen werde aufgrund hoher, titulierter Unterhaltsrückstände gepfändet. Ihm stehe daher nur der Pfändungsfreibetrag zur Verfügung. Einwendungen gegen die Höhe des Festbetrages erhob der Kläger nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Härtefallregelungen nach §§ 55 Abs. 2 und Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien nicht erfüllt. Die maßgebliche Einkommensgrenze für die Anwendung von § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB V betrage im Jahr 2018 für einen Ein-Personenhaushalt 1.218,00 EUR. Die monatlichen Bruttoeinnahmen des Klägers überschritten diesen Betrag. Soweit dieser das pfändungsfreie Existenzminimum und nicht die Altersrente von 2.837,88 EUR abzüglich des Unterhalts von monatlich 1.000,00 EUR als maßgeblich ansehe, sei darauf hinzuweisen, dass sich zwar Unterhaltszahlungen mindernd auf die Einnahmen auswirkten; Pfändungen jedoch nicht zu einer Minderung der berücksichtigungsfähigen Einnahmen führten. Dieses ergebe sich aus dem Gemeinsamen Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes zu Einnahmen zum Lebensunterhalt vom 4. Dezember 2013.

Mit der am 16. November 2018 zum Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage hat der Kläger sein Leistungsbegehren weiterverfolgt und eingewandt, die Beklagte berücksichtige bei ihrer Einkommensberechnung nicht, dass sein Einkommen bis auf den Pfändungsfreibetrag gepfändet sei. Die titulierten Unterhaltszahlungsverpflichtungen seien von den Bruttoeinnahmen abzuziehen, weil nur dadurch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit festgestellt werden könne, die für die Härtefallregelung entscheidend sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2018 aufzuheben und seinem Härtefallantrag zur Kostenübernahme stattzugeben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

In Anlehnung an das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenbandes und der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene vom 4. Dezember 2013 zu Einnahmen zum Lebensunterhalt (im Folgenden: Gemeinsames Rundschreiben) seien stets die Einnahmen zu berücksichtigen, die dem Berechtigten zustünden; auf den Betrag nach Pfändungen bzw. sonstige Abtretungen komme es nicht an.

Mit Urteil vom 15. Januar 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 3. Februar 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. März 2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Er nimmt auf sein bisheriges Vorbringen Bezug und führt ergänzend aus, dass ein Härtefall im Sinne des § 55 Abs. 2 SGB V gegeben sei. Er könne eine vollständige Kostenübernahme für die Zahnbehandlung beanspruchen.

Im Verhandlungstermin hat der Kläger erklärt, dass es im Vergleich zum Jahr 2018 zu keiner wesentlichen Änderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse gekommen sei. Sein medizinischer Zahnzustand habe sich jedoch zwischenzeitlich verändert. Aufgrund des veränderten Zahnzustandes liege bereits ein aktualisierter, neuer HKP vor. Der frühere HKP sei gegenstandslos geworden.

Der Kläger beantragt nunmehr,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15. Januar 2020 zu ändern und festzustellen, dass der Bescheid vom 23. Mai 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2018 insoweit rechtswidrig gewesen ist, als es die Beklagte abgelehnt hat, ihm die im Heil- und Kostenplan vom 3. Mai 2018 (Nr. 00) vorgesehenen medizinischen Leistungen ohne Eigenbeteiligung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug.

Auf Anfrage des Senats hat der Kläger erklärt, dass die mit Heil- und Kostenplänen vom 3. Mai 2018 (Nr. 000 bzw. Nr. 00) geplanten Maßnahmen bisher nicht durchgeführt worden seien (Schriftsatz vom 24. September 2020).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Köln ist zulässig (hierzu I.), aber nicht begründet (hierzu II.).

I. Die am 3. März 2020 eingelegte Berufung des Klägers gegen das ihm am 3. Februar 2020 zugestellte Urteil ist zulässig, insbesondere ohne gerichtliche Zulassung statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 63 SGG).

II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig (hierzu 1.), aber unbegründet (hierzu 2.).

1. Die - nach entsprechender Präzisierung des Klageantrags im Berufungsverfahren - nunmehr auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung einer eigenbeteiligungsfreien Versorgung der mit dem HKP vom 3. Mai 2018 (Nr. 000) geplanten Leistungen (Bescheid vom 23. Mai 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2018) gerichtete Klage ist zulässig.

a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG statthaft. Das vom Kläger zunächst im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG verfolgte Begehren, ihm die im HKP vom 3. Mai 2018 (Nr. 00) geplanten zahnmedizinischen Leistungen ohne Eigenbeteiligung zu gewähren, hat sich im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erledigt. Der Begriff der Erledigung entspricht demjenigen in § 39 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (Schütz, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, Stand 5. April 2018, § 131 Rn. 35; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, 2020, § 131 Rn. 7a). Demnach kommen als erledigendes Ereignis die Rücknahme, der Widerruf, eine anderweitige Aufhebung des Verwaltungsakts, Zeitablauf oder sonstige Gründe in Betracht. Im vorliegenden Fall ist die mit dem Bescheid vom 23. Mai 2018 erteilte Genehmigung der mit dem HKP Nr. 00 vom 3. Mai 2018 geplanten wegen Zeitablaufs wirkungslos geworden.

Einem HKP ist immanent, dass er sich auf eine unmittelbar bevorstehende, nur durch das Genehmigungsverfahren hinausgeschobene vertragszahnärztliche Behandlung bezieht. Gemäß Nr. 4 und 5 der Anlage 3 zum Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) a.F. (Vereinbarung nach § 87 Abs. 1a SGB V über die Versorgung mit Zahnersatz zwischen der Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und dem GKV-Spitzenverband m.W.v. ab 1. April 2017; ab dem 1. Juli 2018 Nr. 4 und 5 der Anlage 2 zum BMV-Z) ist der HKP der Krankenkasse vorzulegen. Diese hat den HKP vor Beginn der Behandlung insgesamt zu prüfen und kann den Befund, die Versorgungsnotwendigkeit und die geplante Versorgung begutachten lassen (Nr. 4 der Anlage 2 zum BMV-Z). Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit bewilligt die Krankenkasse die Festzuschüsse. Nach der Genehmigung sind Änderungen des Befundes oder der tatsächlich geplanten Versorgung der Krankenversicherung zur Neufestsetzung der Festzuschüsse mitzuteilen. Die Festzuschüsse werden gezahlt, wenn der Zahnersatz in der bewilligten Form innerhalb von sechs Monaten eingegliedert wird. Die Gesamtvertragspartner können Regelungen zur Vereinfachung des Bewilligungsverfahrens für Wiederherstellungen/Erweiterungen vereinbaren (Nr. 5 der Anlage 3 zum BMV-Z a.F.; vgl. zum Ganzen auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 27. August 2019 - B 1 KR 9/19 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 49 = juris, Rn. 14). Die Vorschriften aus dem Vierten Kapitel des SGB V nebst den ergänzenden Regelungen im BMV-Z zum Erfordernis der HKP-Genehmigung und ihrer Befristung regeln dabei nicht nur die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, sondern gestalten auch das Leistungsrecht der Versicherten (BSG, Urteil vom 27. August 2019 - B 1 KR 9/19 R - juris, Rn. 15 m.w.N.).

Hiernach kann der HKP Nr. 00 vom 3. Mai 2018 einer vertragsärztlichen Versorgung nicht mehr zugrunde gelegt werden, da der Kläger den geplanten Zahnersatz nicht innerhalb von sechs Monaten entsprechend dem streitgegenständlichen HKP eingliedern lassen (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 24. September 2020). Dass die den HKP Nr. 00 betreffende Genehmigung wirkungslos geworden ist, wird auch dadurch unterstrichen, dass dieser HKP nach der Erklärung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung zwischenzeitlich nicht mehr aktuell ist, weil sich der medizinische Zahnzustand verändert hat. Der Kläger hat selbst darauf hingewiesen, dass die zahnprothetische Versorgung aus diesem Grund Gegenstand eines aktualisierten HKP ist. Damit ist zugleich die Grundlage für einen - insoweit akzessorischen - Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses nach § 55 Abs. 2 und Abs. 3 SGB V entfallen.

b. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht die Feststellung, dass der Bescheid rechtswidrig gewesen ist, nur aus, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Das hiernach erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein (BSG, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 16/06 R -). Ein Feststellungsinteresse kommt in Betracht im Fall einer Wiederholungsgefahr, bei Präjudiziabilität sowie einem Schadens- oder Rehabilitationsinteresse (Aussprung, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 131 Rn. 41; Hintz/Lowe, Sozialgerichtsgesetz, 2012, § 131 Rn. 22; Humpert in: Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 131 Rn. 18). Der Kläger kann das erforderliche Feststellungsinteresse auf eine Wiederholungsgefahr stützen (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 131 Rn. 10b m.w.N.). Darunter ist die hinreichend bestimmte Gefahr für den Kläger zu verstehen, dass die Beklagte unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen einen gleichartigen Verwaltungsakt wie den erledigten erlassen wird. Wiederholungsgefahr ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Rechtsstreit bei im Wesentlichen gleichen Tatsachen maßgeblich von Rechtsfragen abhängt, die künftig voraussichtlich wieder bedeutsam werden (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2001 - B 6 KA 86/00 R - SozR 3-2500 § 116 Nr. 23, Rn. 16), wenn also die Klärung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage weiterhin für das Verhältnis der Beteiligten relevant ist, weil sie sich mit einiger Wahrscheinlichkeit künftig erneut stellen wird (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juli 2006 - B 6 KA 14/05 R - SozR 4-2500 § 116 Nr. 3, Rn. 14 m.w.N.; BSG, Urteil vom 28. September 2005 - B 6 KA 60/03 R - SozR 4-1300 § 32 Nr. 1, Rn. 16; BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 - B 6 KA 12/01 R - SozR 3-2500 § 116 Nr. 24 Rn. 17; BSG, Urteil vom 14. März 2001 - B 6 KA 49/00 R - SozR 3-2500 § 95 Nr. 30, Rn. 16). Die Frage, ob der Kläger eine volle Kostenübernahme bei der Versorgung mit Zahnersatz beanspruchen kann, wird sich auch bei dem neuen HKP stellen, der im Hinblick auf den veränderten Zahnzustand zwischenzeitlich gefasst wurde. Hierbei wird in Anbetracht der im Wesentlichen unveränderten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers damit zu rechnen sein, dass auch in Folgeverfahren über einen etwaigen Anspruch auf einen besonderen Zuschuss zum gesetzlichen Festbetrag gestritten werden wird.

c. Der erfolgte Übergang von der Anfechtungs- und Leistungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist keine Klageänderung, die nur unter den Voraussetzungen des § 99 SGG zulässig ist (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. Dezember 2014 - L 8 KA 17/13 - m.w.N.).

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 23. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2018 ist nicht rechtswidrig gewesen (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte hat den Anspruch auf einen die Höhe des Festbetrages überschreitenden Zuschuss zu Recht abgelehnt. Ein solcher Anspruch stand dem Kläger weder nach § 55 Abs. 2 SGB V (hierzu a)) noch nach § 55 Abs. 3 SGB V (hierzu b)) zu. Dieses Ergebnis ist mit höherrangigem Recht vereinbar (hierzu c)).

a) Nach § 55 Abs. 2, 1. Halbsatz SGB V haben Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz zusätzlich zu dem - hier mit Bescheid vom 23. Mai 2018 gewährten und seiner Höhe nach von dem Kläger nicht angefochtenen - Festzuschuss nach § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB V Anspruch auf einen Betrag in jeweils gleicher Höhe, angepasst an die Höhe der für die Regelversorgungsleistungen tatsächlich anfallenden Kosten, höchstens jedoch in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten, wenn sie ansonsten unzumutbar belastet würden. Nach § 55 Abs. 2 Satz 2 SGB V liegt eine unzumutbare Belastung vor, wenn (1.) die monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten 40 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches nicht überschreiten, (2.) der Versicherte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch oder im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz, Leistungen nach dem Recht der bedarfsorientierten Grundsicherung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch, Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder dem Dritten Buch erhält oder (3.) die Kosten der Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung von einem Träger der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge getragen werden.

Als Einnahmen zum Lebensunterhalt der Versicherten gelten auch die Einnahmen anderer in dem gemeinsamen Haushalt lebender Angehöriger und Angehöriger des Lebenspartners (§ 55 Abs. 2 Satz 3 SGB V). Zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt gehören nicht Grundrenten, die Beschädigte nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach anderen Gesetzen in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes erhalten, sowie Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Körper und Gesundheit gezahlt werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (§ 55 Abs. 2 Satz 4 SGB V). Der in Satz 2 Nr. 1 genannte Vomhundertsatz erhöht sich für den ersten in dem gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten um 15 vom Hundert und für jeden weiteren in dem gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners um 10 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches (§ 55 Abs. 2 Satz 5 SGB V).

Die Voraussetzungen für einen Härtefallzuschuss nach § 55 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs., Satz 2 Nr. 1 SGB V, der vorliegend allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage, liegen nicht vor. Diese Norm fingiert eine unzumutbare Belastung, wenn die anzurechnenden "monatlichen Bruttoeinnahmen" des Versicherten zum Lebensunterhalt 40 v.H. der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht überschreiten. Um festzustellen, ob der Versicherte unter die Härtefallregelung der Nr. 1 fällt, sind zunächst seine "monatlichen Bruttoeinnahmen" zum Lebensunterhalt zu ermitteln (hierzu aa)). Anschließend ist zu prüfen, ob diese Einnahmen die in Nr. 1 festgesetzte Bemessungsgrenze von 40 v.H. der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV übersteigen ((hierzu bb)); vgl. Altmiks, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., Stand: 15. Juni 2020, § 55, Rn. 110).

aa) Die monatlichen Brutto-Einnahmen des Klägers betrugen im maßgeblichen Zeitpunkt 2.637,88 EUR. Wie der Kläger im Verwaltungsverfahren selbst erklärt hat, gewährte ihm das AVW eine Altersrente in Höhe von 2.837,88 EUR (Erklärungen des Klägers vom 7. Mai 2018 und vom 6. Juni 2018; Mitteilung des AVM vom 15. Dezember 2017). Von diesem Betrag kann als familienrechtlicher Unterhalt an die geschiedene Ehefrau ein Betrag von 200,00 EUR (OLG Celle, Beschluss vom 12. Dezember 2018, Az. 12 UF 199/18) in Abzug gebracht werden.

(1) Bei der Ermittlung der "monatlichen Bruttoeinnahmen" zum Lebensunterhalt kann unterschieden werden zwischen den Einkünften des Versicherten selbst und den Einkünften anderer Personen, die sich der Versicherte als eigenes Einkommen anrechnen lassen muss. Wenngleich der Gesetzgeber den Begriff der "Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt" nicht umfassend definiert hat, findet er sich im geltenden Recht - mit einem jährlichen Bezug - auch in § 62 SGB V. In der Begründung zu § 69 Abs. 2 und 3 des Entwurfs des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 ist zur Umschreibung des Begriffes ausgeführt: "Einnahmen zum Lebensunterhalt sind - wie schon im geltenden Recht (§ 180 Abs. 4 Reichsversicherungsordnung (RVO)) - die persönlichen Einnahmen, die dem tatsächlichen Lebensunterhalt dienen, also die Einnahmen, die der typischen Funktion des Arbeitsentgeltes beim Pflichtversicherten entsprechen" (vgl. Altmiks, a.a.O., § 55 SGB V, Rn. 112 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 RK 11/92 - BSGE 71, 299, 301). Daher kann zur Bestimmung der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt im Grundsatz auf die frühere Rechtsprechung zu § 180 Abs. 4 RVO zurückgegriffen werden (Altmicks, a.a.O., Rn. 112). Demzufolge sind den monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt alle Einkünfte (einschl. etwaiger gesetzlicher Abzüge) zuzurechnen, die dem Versicherten zur Gestaltung seines allgemeinen Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 8.Dezember 1992 - 1 RK 11/92 - BSGE 71, 299, 301; BSG, Urteil vom 23. Februar 1988 - 12 RK 34/86 - SozR 2200 § 180 Nr. 39).

Die Definition des Begriffes "Einnahmen zum Lebensunterhalt" ist weit auszulegen. Sie ist insbesondere weiter zu verstehen, als die inhaltliche Klassifikation bestimmter Einkunftsarten, die nach der Art ihrer Erzielung oder ihrer anderweitigen gesetzlichen Behandlung definiert sind. Unter Einnahmen zum Lebensunterhalt fallen deshalb alle nicht für andere Zwecke gebundenen persönlichen, geldlichen oder geldwerten Zuflüsse an den Versicherten, ohne Rücksicht auf ihre steuer- oder sozialversicherungsrechtliche Behandlung. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen Vermögensumschichtungen und fiktive Einnahmen. Wegen der damit erforderlichen weiten Auslegung gehören zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt insbesondere das Bruttoarbeitsentgelt, Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit sowie Renten und Versorgungsbezüge (vgl. Altmiks, a.a.O., § 55 SGB V, Rn. 115 m.w.N.). Demzufolge ist als maßgebliche Einnahme im Ausgangspunkte die von dem AVW gewährte Rente in Höhe von 2.837,88 EUR zugrunde zu legen.

(2) Von Bruttoeinnahmen sind nur in engem Rahmen Abzüge zulässig. So ist anerkannt, dass familienrechtliche Unterhaltszahlungen an getrennt lebende bzw. geschiedene Ehegatten/Lebenspartner und an die getrennt lebenden Kinder bei dem Zahlenden die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt vermindern (vgl. Albers, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, Stand: 15. Juni 2020, § 62 SGB V Rn. 40; ebenso Ziffer 13 des Gemeinsamen Rundschreibens). Keine Berücksichtigung finden jedoch Abtretungen und Pfändungen (ebenso Nr. 15 des Gemeinsamen Rundschreibens). Derartige Abzweigungen sind nämlich dadurch gekennzeichnet, dass sie die Rechtszuständigkeit für das dem einzelnen Zahlungsanspruch zu Grunde liegende Stammrecht unangetastet lassen. So ist es auch im Fall des Klägers, denn unabhängig von einer Auszahlung seiner Rente an seine Gläubiger ist er (zunächst) dessen Anspruchsinhaber. Seine Rente wird nicht durch Auszahlung an ihn, sondern anderweitig verwendet, was aber seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dennoch erhöht. Denn die Pfändung laufender Bezüge erfolgt, um mit den dann erfolgenden Zahlungen eine Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger (hier den unterhaltsberechtigten Angehörigen) zu erfüllen. Eine Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit tritt damit nicht ein, weil der Schuldner - hier der Kläger - von einer Verbindlichkeit befreit wird (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Januar 2013 - L 4 KR 56/10 -, Rn. 6; zur Höhe beitragspflichtiger Einnahmen i.S.v. § 240 SGB V BSG, Urteil vom 17. März 2010 - B 12 KR 4/09 R - SozR 4-2500 § 240 Nr. 14, Rn. 20).

bb) Das danach ermittelte monatliche Bruttoeinkommen des Klägers von 2.637,88 EUR überschreitet die maßgebliche Einkommensgrenze erheblich. Die maßgebliche Einkommensgrenze für einen Ein-Personen-Haushalt nach § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB V, mithin 40 v.H. der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (3.045,00 EUR), betrug 1.218,00 EUR.

Selbst wenn - wie der Kläger meint - auch die Pfändungen zu Gunsten der früheren Ehefrau (monatlich 816,34 EUR) und des Sohnes (monatlich 1.001,88 EUR) in Abzug gebracht würden, wären die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB V nicht erfüllt. Denn diese Pfändungen griffen nur bis zur Pfändungsfreigrenze in Höhe von 1.598,55 EUR (LG P, Beschluss vom 20. Mai 2019 (Az. 2 T 159/19)). Auch dieser Betrag überschreitet die Einkommensgrenze noch deutlich.

b) Einen weiteren Erstattungsbetrag konnte der Kläger auch nicht nach § 55 Abs. 3 SGB V beanspruchen. Hiernach haben Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz zusätzlich zu den Festzuschüssen nach Absatz 1 Satz 2 Anspruch auf einen weiteren Betrag (§ 55 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Die Krankenkasse erstattet den Versicherten den Betrag, um den die Festzuschüsse nach Absatz 1 Satz 2 das Dreifache der Differenz zwischen den monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt und der zur Gewährung eines zweifachen Festzuschusses nach Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 maßgebenden Einnahmegrenze übersteigen (§ 55 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Die Beteiligung an den Kosten umfasst höchstens einen Betrag in Höhe der zweifachen Festzuschüsse nach Absatz 1 Satz 2, jedoch nicht mehr als die tatsächlich entstandenen Kosten (§ 55 Abs. 3 Satz 3 SGB V).

Hier beträgt der Festzuschuss nach § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB V 1.094,79 EUR (Bescheid vom 23. Mai 2018). Subtrahiert man den Differenzbetrag vom Festzuschuss, verbleibt kein positiver Wert. Eine Aufstockung des Festzuschusses scheidet damit ebenfalls aus. Dem liegt folgende Berechnung zugrunde:

Monatliche Bruttoeinnahmen 2.637,88 EUR
Einkommensgrenze iSv § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB V 1.218,00 EUR
Differenz 1.419,88 EUR
Dreifacher Differenzbetrag 4.259,64 EUR
Befundbezogener Festzuschuss 1.094,79 EUR
Festzuschuss abzgl. dreifacher Differenzbetrag - 3.164,85 EUR

c) Die dargelegten Regelungen verstoßen nicht gegen Grundrechte Versicherter. § 55 SGB V verletzt insbesondere nicht den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG)). Versicherte haben auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Anspruch auf eine Versorgung mit Zahnersatz jenseits der bestehenden Regelversorgung (BSG, Urteil vom 27. August 2019 - B 1 KR 9/19 R -, SozR 4-2500 § 13 Nr. 49, Rn. 20 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG zur Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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