S 25 AS 1377/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 1377/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juli 2015 und vom 25. August 2015 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 21. Oktober 2015 und 22. Oktober 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom 6. Juli 2015 bis 5. Oktober 2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger. Zudem werden der Beklagten Verschuldenskosten in Höhe eines Betrages von 250,- EUR auferlegt, die diese neben den angefallenen Pauschgebühren zu zahlen hat.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob den Klägern in der Zeit vom 6. Juli 2015 bis 5. Oktober 2015 Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) zustehen.

Die am 00.00. 1999 bzw. 00.00. 2001 geborenen Kläger und ihre Mutter, Frau J I sind ukrainischer Staatsangehörigkeit. Sie reisten am 00.00. 2015 als minderjährige Kinder im Alter von damals 00 bzw. 00 Jahren zusammen mit ihrer Mutter und dem Kleinkind U T, bei dem es sich um das leibliche Kind des Deutschen B T und der Frau J I handelt, mit einem Visum am 00.00.2015 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. U T verfügt über die deutsche Staatsangehörigkeit. Herr B T stand bereits im Jahre 2015 im Leistungsbezug bei der Beklagten. Frau I und die insgesamt drei Kinder zogen zunächst in die Wohnung von B T nach L. Später erfolgte ein Umzug nach E, wo die Kläger das Gymnasium besuchten.

Im Rahmen einer Veränderungsmitteilung teilte Herr B T der Beklagten unter dem Datum des 14. Juli 2015 mit, dass seine Lebensgefährtin mit insgesamt drei Kindern bei ihm eingezogen sei und für diese Leistungen beantragt würden.

Mit Bescheid vom 24. Juli 2015 bewilligte die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Januar 2015 Leistungen für J I und U T ab Juli 2015 bis August 2015, jedoch keine Leistungen für die Kläger. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Kläger gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.

U.a. gegen diesen Bescheid legte Herr B T für die Kläger am 17. August 2015 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er im Wesentlichen angab, dass auch für die Kläger Leistungen vom Zeitpunkt der Einreise an zu erbringen seien, da sie zur Bedarfsgemeinschaft gehören würden.

Mit weiterem Bescheid vom 25. August 2015 bewilligte die Beklagte Herrn B T, Frau J I und U T Leistungen ab September 2015 bis Februar 2016, jedoch keine Leistungen für die Kläger. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Kläger gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.

Gegen diesen Bescheid legte Herr B T am 31. August 2015 für die Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Kläger zu Unrecht nicht in seiner Bedarfsgemeinschaft aufgenommen worden seien.

Mit Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2015 änderte die Beklagte den Bescheid vom 25. August 2015 aufgrund des Bezuges von Kindergeld für den Sohn U ab. Wegen der Einzelheiten dieses Bescheides wird auf Bl. W165 ff. der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 22. Oktober 2015 nahm die Beklagte die Kläger ab 6. Oktober 2015 in die Bedarfsgemeinschaft auf. Wegen der Einzelheiten dieses Bescheides wird auf Bl. W169 ff. der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück. Wegen der Einzelheiten des Widerspruchsbescheides wird auf Bl. 21 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Kläger haben am 29. Februar 2016 Klage erhoben. Zur Begründung ihrer Klage wiederholen und vertiefen sie ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend tragen sie vor: Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II bestehe bei verfassungskonformer Auslegung nach Art. 6 GG und europarechtskonform (Art. 20 AEUV) einschränkender Auslegung der Norm nicht gegenüber solchen Ausländern, die gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der Personensorge gegenüber einem minderjährigen unverheiratetem Unionsbürger (Deutschen) eingereist seien. J I sei dementsprechend zu Recht seit ihrer Einreise anspruchsberechtigt, nichts anderes gelte für die beiden minderjährigen Kläger, die ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht von ihrer Mutter hätten. Sie verweisen auf das Urteil des BSG vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 37/12 R -.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,

die Bescheide der Beklagten vom 24. Juli 2015 und vom 25. August 2015 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 21. Oktober 2015 und 22. Oktober 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom 6. Juli 2015 bis 5. Oktober 2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich zur Begründung ihres klageabweisenden Antrags auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor: Ihre Rechtsansicht würde auch durch die Entscheidung des EuGH vom 25. Februar 2016 (C-299/14) gestützt. Dort werde ausdrücklich bestätigt, dass der Anspruchsausschluss für die ersten drei Monate nach Einreise auch bei Familiennachzug europarechtskonform sei.

Mit Richterbrief vom 23. November 2016 hat die vormalige Berichterstatterin die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vorrangig für volljährige Ausländer gelte und die Leistungsbewilligung der Kinder stets dem Leistungsausschluss oder der Leistungsbewilligung der Eltern folge, was zu zweckmäßigeren Ergebnissen führe. Vorliegend habe die Mutter der Kläger durchgehend Leistungen nach dem SGB II bezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Richterbriefs wird auf Bl.23 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beklagte hat daraufhin mitgeteilt, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht zwischen volljährigen und minderjährigen Ausländern unterscheide.

Mit Richterbrief vom 7. November 2019 hat das Gericht im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass es weiterhin an dem richterlichen Hinweis der früheren Kammervorsitzenden vom 23. November 2016 festhalte. Wegen der Einzelheiten dieses Richterbriefs wird auf Bl. 58 R ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Gericht hat am 12. November 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt. Das Gericht hat im Erörterungstermin auf den Erfolg der Klage hingewiesen und die Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides angehört, nachdem die Beklagte über einen Untervertreter einer anderen Behörde hat ausrichten lassen, dass man im vorliegenden Verfahren zu nichts bereits sei. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 63 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid und damit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu angehört wurden. Dies ist hier der Fall.

Die Klage hat Erfolg.

Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 24. Juli 2015 und vom 25. August 2015 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 21. Oktober 2015 und 22. Oktober 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zulässig und begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, vgl. § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die zum Zeitpunkt des Leistungsantrags minderjährigen Kläger haben dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 6. Juli 2015 bis 5. Oktober 2015.

Die Klägerin zu 1. hatte im Zeitpunkt der Antragstellung das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), war erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) sowie hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) – dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig - und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs. 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als ukrainische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte genau wie bei ihrer Mutter, bestand und ausreicht (BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff), worauf auch § 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II hinweist.

Die Klägerin zu 2. war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst in der strittigen Zeit über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügte, was bedarfsdeckend war. Auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Streitig ist allein zwischen den Beteiligten, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II hier anzuwenden ist.

Das Gericht ist der Auffassung, dass hier kein Leistungsausschluss vorliegt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr. 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr. 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr. 3 Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Das Gericht nimmt zunächst Bezug auf die Entscheidung des BSG vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 37/12 R - , worin das BSG Folgendes ausführt, was sich zu Drittstaatsangehörigen verhält – dies sind auch die Kläger des vorliegenden Verfahrens: "Die Nichtanwendbarkeit des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 1 S 2 Nr 1 SGB II folgt unmittelbar aus der Auslegung innerstaatlichen Rechts.

Zwar ist der Wortlaut des § 7 Abs. 1 S 2 Nr. 1 SGB II insoweit nicht eindeutig. Als "Familienangehöriger" ist der Kläger jedenfalls nicht vom Ausschlusstatbestand erfasst. Zwar ist als Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift - zur Auslegung ist § 3 FreizügG/EU heranzuziehen - auch ein Ehegatte anzusehen. Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II bezieht sich indes - worauf auch der Kläger zu Recht hinweist - lediglich auf Familienangehörige der in diesem Ausschlusstatbestand zuvor genannten Personengruppe der Ausländerinnen und Ausländer, die sich nicht als Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, Selbstständige oder nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU im Bundesgebiet aufhalten, worauf das Possessivpronomen "ihre" hinweist (so im Ergebnis zB auch Thie/Schoch in Münder, SGB II, 4. Aufl 2012, § 7 RdNr 24; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II, § 7 RdNr 40b (Stand: 10/07)). Dies trifft auf den Kläger nicht zu, da er Familienangehöriger einer deutschen Staatsangehörigen ist.

Allenfalls als "Ausländer" könnte er bei Betrachtung allein seiner Person von der Norm erfasst sein. Der Wortlaut der Bestimmung schließt unterschiedslos alle Ausländerinnen und Ausländer von Leistungen nach dem SGB II aus, die nicht Arbeitnehmer, Selbstständige oder nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU Freizügigkeitsberechtigte sind, unabhängig davon, ob es sich um Unionsbürger oder um Drittstaatsangehörige handelt. Andererseits lässt der Wortlaut der Norm eine abweichende Auslegung zu, weil lediglich "Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen" von der Norm erfasst werden, sodass offenbleibt, ob die Familienangehörigen von Deutschen in den Regelungsgehalt der Norm einbezogen werden. Dass dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren sind, ergibt sich jedoch aus dem der Entstehungsgeschichte herzuleitenden Zweck und systematischen Erwägungen.

Mit Inkrafttreten des § 2 Abs. 5 FreizügG/EU zum 28.8.2007 ist Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen das Recht eingeräumt worden, sich drei Monate ohne besonderes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten. Diese Unionsbürger waren von der vormaligen vom 1.4.2006 bis zum 27.8.2007 geltenden Fassung des § 7 Abs. 1 S 2 SGB II nicht erfasst. Um diese Personengruppe ebenfalls zu erfassen, ist die Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) neu gefasst worden. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 16/5065 S 234) soll der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II "vor allem Unionsbürger" betreffen. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass dieser Hinweis in den Gesetzesmaterialien den Schluss zu tragen scheint, dass Drittstaatsangehörige, die einem deutschen Staatsangehörigen zwecks Familienzusammenführung nachziehen, vom Leistungsausschluss erfasst sein könnten. Die Gesetzesänderung war indes dem Umstand geschuldet, dass mit der Änderung im SGB II die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog "Unionsbürger-Richtlinie", ABl EU Nr L 158, berichtigt ABl EU Nr L 229, 35) umgesetzt und von der Option des Art 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden sollte. In den Gesetzesmaterialien wird explizit ausgeführt, dass der Leistungsausschluss dann nicht Platz greifen soll, falls Unionsbürger einem deutschen Familienangehörigen nachziehen (BT-Drucks 16/688 S 13). Auf die Personengruppe der Drittstaatsangehörigen und insbesondere die Situation des Familiennachzugs eines Drittstaatsangehörigen zu einem deutschen Staatsangehörigen gehen die Gesetzesmaterialien nicht ein. Zweck der Gesetzesänderung war es vielmehr, einen denkbaren Leistungsanspruch von Unionsbürgern auszuschließen, die sich drei Monate lang voraussetzungslos im Bundesgebiet aufhalten dürfen (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Hieran zeigt sich, dass der Gesetzgeber lediglich auf die Neuordnung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger reagieren wollte und nicht zugleich die Leistungsberechtigung anderer Ausländer über die bisherige Regelung hinaus einschränken wollte.

Im Unterschied zu den Unionsbürgern können Drittstaatsangehörige regelmäßig nicht voraussetzungslos in das Bundesgebiet einreisen. Die Einreise ist vielmehr davon abhängig, dass eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Im Falle eines Familiennachzugs ist gemäß §§ 6, 28 AufenthG Voraussetzung das Bestehen einer Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen, dessen gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet besteht. Während Unionsbürgern die Einreise ohne eine vorherige Prüfung der Fähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt sichern zu können, ermöglicht ist, bedarf es bei der Erteilung eines Visums für Drittstaatsangehörige - gemäß Art 1 iVm Anhang I VO (EG) Nr 539/2001 vom 15.3.2001 (ABl EG Nr L 81, 1) auch für Algerier - der Prüfung, ob die nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen vorliegen. Zwar gehört nach § 5 Abs.1 Nr. 1 AufenthG zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, dass der Lebensunterhalt des Einreisenden gesichert ist. Das zwecks Familienzusammenführung erteilte Visum soll jedoch bei Einreise eines Ehegatten eines Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 S 3 AufenthG abweichend hiervon erteilt werden. Dies hat zur Folge, dass es auf ausreichenden Wohnraum und Unterhaltssicherung bei den Angehörigen Deutscher grundsätzlich nicht ankommt (vgl Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 28 AufenthG RdNr 5). Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 16/5065 S 171) soll die Sicherung des Lebensunterhalts bei Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen nur bei Vorliegen besonderer Umstände zur Voraussetzung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemacht werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Ausland zumutbar ist, was insbesondere bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit in Bezug auf das Land in Betracht kommt, dessen Staatsangehörigkeit neben der deutschen besessen wird oder falls der deutsche Ehegatte geraume Zeit im Herkunftsland des Ehegatten gelebt und gearbeitet hat und die Sprache dieses Landes spricht. Derartige Umstände hat das LSG allerdings nicht festgestellt.

Die Regelung des § 28 Abs. 1 S. 3 AufenthG entstammt - wie bereits ausgeführt - demselben Gesetz wie die Änderung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Hieraus wird - wie das SG zutreffend erkannt hat - ersichtlich, dass der Gesetzgeber das fiskalische Interesse der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Erteilung eines Aufenthaltstitels berücksichtigen wollte und nicht durch die anlässlich der Umsetzung der EU-Richtlinien erfolgte Änderung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II die Rechtsposition von Drittstaatsangehörigen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland einreisen, ändern wollte. Eine abweichende Regelungsabsicht hätte der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zu erkennen gegeben. Tatsächlich ist dies aber nicht geschehen. Nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber diese Entscheidung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sich zu dieser aufenthaltsrechtlichen Entscheidung in Widerspruch setzen wollte.

Ein Leistungsausschluss ergibt sich auch nicht aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Gemäß dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug ausgenommen Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (hierzu BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28; Urteil des Senats vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies ist hier jedoch bereits deswegen nicht der Fall gewesen, da sich das Aufenthaltsrecht des Klägers aus dem Familiennachzug ergab und damit nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche.

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind schließlich nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II ausgeschlossen, denn Anspruch auf Asylbewerberleistungen hatte der Kläger im streitigen Zeitraum nicht."

Nicht anderes gilt hier für die Klägerin zu 2. Sie ist als Familienangehörige entsprechend § 3 FreizügG/EU anzusehen, da sie das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und mit ihrer Mutter und ihrem deutschen Stiefbruder verwandt ist und mit diesen zusammenlebt. Sie ist dementsprechend mit einem Visum zur Familienzusammenführung in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Beide Kläger haben deswegen einen Aufenthaltstitel nach § 32 AufenthG. Gemäß § 34 AufenthG ist abweichend von § 5 Abs. 1 AufenthG den Kindern die Aufenthaltserlaubnis abweichend davon zu gestatten, ob der Lebensunterhalt gesichert ist. Damit ist auch hier ersichtlich – genau wie im vom BSG oben zitierten Fall -, dass der Gesetzgeber das fiskalische Interesse der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Erteilung eines Aufenthaltstitels berücksichtigen wollte und nicht durch die anlässlich der Umsetzung der EU-Richtlinien erfolgte Änderung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II die Rechtsposition von Drittstaatsangehörigen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland einreisen, ändern wollte. Eine abweichende Regelungsabsicht hätte der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zu erkennen gegeben. Tatsächlich ist dies aber auch bezüglich Kinder von Drittstaatsangehörigen, die im Rahmen des Familiennachzugs in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einreisen, nicht geschehen. Nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber diese Entscheidung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sich zu dieser aufenthaltsrechtlichen Entscheidung in Widerspruch setzen wollte.

Es liegt auch kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vor. Gemäß dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug ausgenommen Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Dies ist hier jedoch bereits deswegen nicht der Fall gewesen, da sich das Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 2. aus dem Familiennachzug ergab und damit nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche.

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind schließlich nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II ausgeschlossen, denn Anspruch auf Asylbewerberleistungen hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht.

Der Klägerin ist daher der Grundbedarf zu gewähren. Vom Bedarf der Klägerin zu 2. ist ggf. das erhaltende Kindergeld im streitigen Zeitraum sowie ggf. sonstige erhaltende Leistungen abzusetzen.

Der Kläger zu 1., der zum Zeitpunkt der Antragstellung 13 Jahre alt war, hatte als minderjähriges Mitglied der Bedarfsgemeinschaft von unter 15 Jahren einen Anspruch auf Sozialgeld nach §§ 19, 23 SGB II. Nach Auffassung des Gerichts ist er als minderjähriges Kind von unter 15 Jahren bereits aus diesem Grunde nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfasst. Selbst wenn man anderer Auffassung sein sollte, gelten die Ausführungen, die das Gericht bezüglich der Klägerin zu 2 oben gemacht hat. Auch hier ist ggf. das Kindergeld anzurechnen.

Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind für beide Kläger im Rahmen der Bruttokaltmiete zu übernehmen.

Insoweit war das Gericht gemäß § 130 Abs. 1 SGG befugt, die Beklagte zur Leistungsgewährung dem Grunde nach zu verurteilen. Die Beklagte wird die endgültig zu gewährenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts danach unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zu berechnen sowie zu bescheiden haben und den Klägern auszuzahlen haben.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 192, 193 SGG. Das Gericht hat es für geboten erachtet, die Beklagte in Höhe von weiteren 250,- EUR an den Gerichtskosten zu beteiligen. Eine verständige Beklagte wäre bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage, nämlich nach dem zweifachen schriftlichen Hinweisen des Gerichts durch zwei verschiedene Richterinnen, dass die Klage aus den obigen Erwägungen Erfolg hat, zum einen mit einem eigenen Vertreter im Erörterungstermin am 12. November 2019 erschienen und hätte nicht einen Vertreter einer anderen Behörde ausrichten lassen, dass man hier zu nichts bereit sei, und zum anderen hätte eine verständige Beklagte auch im Vorfeld ein Anerkenntnis abgegeben, zumal es hier auch eine entsprechende BSG Entscheidung gibt. Das von der Beklagten zitierte Urteil des EuGH vom 25. Februar 2016 – C – 299/14 – (Garcia-Nieto) ist zudem ersichtlich nicht einschlägig, da es zum einen spanische Staatsbürger betrifft, und nicht Drittstaatsangehörige wie hier, und es auch nicht um die Gewährung von Arbeitslosengeld II im Rahmen des Familiennachzugs geht. Das Beharren auf eine Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil bei dieser Sach- und Rechtslage stellt sich für das Gericht als Mutwilligkeit dar.

Da es sich bei den Kosten nach § 192 SGG um eine Schadensersatzregelung als notwendigen Ausgleich für die grundsätzliche Kostenfreiheit des Verfahrens handelt (vgl. nur LSG NRW, Urteil vom 17. Juli 1996 - L 17 U 220/95 -), können diese Kosten in entsprechender Anwendung der §§ 202, 287 ZPO geschätzt werden (vgl. nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, München 2008 zu § 192 SGG, Rn. 14 m.w.N.). Das Gericht setzt derzeit für eine Richterarbeitsstunde einen Betrag von 500,- EUR an. Dies entspricht dem gerichtsbekannten derzeitigen Stundenhonorar von Rechtsanwälten in Düsseldorfer Großkanzleien. Danach wären hier eigentlich 2500,- EUR gegen die Beklagte zu verhängen gewesen, da das Gericht hier ca. fünf Stunden für die Fallbearbeitung und Urteilsabsetzung benötigt hat. In anderen Verfahren gegen andere Beklagte hat das Gericht bei wiederholten mutwilligen Verhalten auch diese Summe als Mutwillenskosten verhangen. Das Gericht hat sich im Rahmen des ihm zustehenden Ermessen hier für einen geringeren Betrag entschieden, da es erstmals in der 25. Kammer zu einem solchen Verhalten der Beklagten gekommen ist. Den Betrag von 250,- EUR hat die Beklagten neben den angefallenen Pauschgebühren zu tragen.
Rechtskraft
Aus
Saved