L 4 KR 605/19 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 KR 537/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 605/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei Beschwerden gegen die Streitwertfestsetzung eines Sozialgerichts gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG ist eine Entscheidung über die Abhilfe weiterhin vorgeschrieben.
2. Die Festsetzung des Auffangstreitwerts nach § 52 Abs. 2 GKG ist nur vorgesehen, wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Festsetzung des Streitwerts bietet. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der gesamte Sach- und Streitstand - nicht nur der Wortlaut des Klageschriftsatzes - in das nach § 52 Abs. 1 GKG auszuübende Ermessen einzubeziehen ist.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 27.05.2019 abgeändert. Der Streitwert für das Klageverfahren wird auf 190.958,86 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

In dem zu Grunde liegenden Klageverfahren S 14 KR 537/18 beim Sozialgericht Regensburg (SG) hat die Klägerin und Beschwerdeführerin beantragt,

1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Vorsteuerabzug (Umsatzsteuer auf den tatsächlich vereinbarten Einkaufspreis der Beklagten für die in ambulant abgegebenen Rezepturen verwendeten Fertigarzneimittel) für Rezepturen mit den Sonder-PZN ..., die mit der Klägerin in den Jahren 2009 bis 2016 abgerechnet wurden, gesondert, bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr, zu benennen.
2. Die Beklagte wird zudem verpflichtet, die nach Nennung der Vorsteuer bezifferbare Summe an zu viel bezahlter Umsatzsteuer ... an die Klägerin zu erstatten, nebst Zinsen daraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung. Die von der Beklagten zu erstattende Summe wegen überzahlter Umsatzsteuer berechnet sich wie folgt:

Für das Jahr 2009 den Gesamtbetrag der von der Klägerin bezahlten Umsatzsteuer in Höhe vom 186.392,19 Euro abzüglich der nach Klageantrag zu 1. von der Beklagten für dieses Jahr zu benennenden Vorsteuersumme.

(Es folgen entsprechende Angaben für die Jahren 2010 bis 2016; es ergibt sich, dass die Klägerin nach eigener Darstellung in den Jahren 2009 bis 2016 insgesamt Umsatzsteuer in Höhe von 855.792,49 bezahlt hatte.)

Mit Schreiben vom 20.05.2019 hat die Klägerin mitgeteilt, man habe sich außergerichtlich geeinigt. Die Beteiligten hätten vereinbart, dass jede Seite die außergerichtlichen Kosten selbst trage; die Gerichtskosten trage die Klägerin. Es werde gebeten, den Streitwert festzusetzen. Hierzu dürften die Umsatzsteuerumsätze der einzelnen Jahre nicht einfach addiert werden, da diese Summe nicht das Klageinteresse wiedergebe. Entweder werde die Beklagte aufgefordert, die Vorsteuer für die betreffenden Jahre zu benennen, oder es sollte der Regelstreitwert festgesetzt werden. Die Vergleichssumme unterliege der Geheimhaltung, sofern nicht die Beklagte mit einer Offenlegung einverstanden sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 03.06.2019 ebenfalls um Festsetzung des Streitwerts gebeten und erklärt, die Höhe des Vergleichsbetrages habe keinerlei Auswirkungen auf die Höhe des Streitwertes.

Mit Beschluss vom 27.05.2019 hat das SG den Streitwert auf 855.792,49 Euro festgesetzt.

Am 04.11.2019 hat die Klägerin beim SG Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt. Sie habe nicht die Rückerstattung der gesamten Umsatzsteuer beantragt, sondern nur die eines bereinigten Anteils. Nur, weil die Benennung der Vorsteuer für die Beklagte aufwendig sei, dürfe nicht der Streitwert ohne Berücksichtigung des klägerischen Vortrags festgesetzt werden. In Parallelfällen sei zum Teil auch der erzielte Vergleichsbetrag als Streitwert festgesetzt worden. Teilweise hätten Sozialgerichte den Auffangstreitwert festgesetzt. Die Beschwerde wurde dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) vorgelegt.

Die Klägerin wurde zunächst auf die Rechtsprechung des 5. Senats des Bayer. LSG zur Höhe des Streitwerts bei einer als Stufenklage erhobenen Auskunfts- und Zahlungsklage hingewiesen (Urteil vom 05.12.2017, L 5 KR 508/17, Rn. 47-48; ausdrücklich ebenso der 4. Senat des Bayer. LSG, Beschluss vom 27.02.2018, L 4 KR 583/17 B).

Die Klägerin hat entgegnet, diese Rechtsprechung sei nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil keine bezifferte Leistungsklage im Rahmen einer Stufenklage erhoben worden sei. Man habe nicht 855.792,49 Euro eingeklagt; vielmehr sei dieser Betrag um die Vorsteuer zu mindern. Über die entsprechende Information verfüge nicht die Klägerin, sondern nur die Beklagte.

Weiter hat die Klägerin auf das erledigte Verfahren L 5 KR 542/19 B hingewiesen. Dort hatte eine ähnliche Konstellation wie im vorliegenden Verfahren zu Grunde gelegen. Das SG hatte den Auffangstreitwert festgesetzt; der Bezirksrevisor hatte Beschwerde eingelegt. Hier hatte der 5. Senat einen richterlichen Hinweis erteilt, wonach der tatsächliche Streitwert nicht ermittelt werden könne, so dass auf den Auffangstreitwert zurückgegriffen werden müsse. Daraufhin hatte der Bezirksrevisor seine Beschwerde zurückgenommen.

Die Beteiligten wurden anschließend darauf hingewiesen, dass es ausgeschlossen erscheine, dass der Streitwert geringer sei als der Betrag, auf dessen Zahlung sie sich vergleichsweise geeinigt hätten. Daraufhin wurde mitgeteilt, man verzichte auf eine Verschwiegenheitsklausel; der Vergleichsbetrag liege bei 190.958,86 Euro.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 27.05.2019 aufzuheben und den Streitwert auf 190.958,86 Euro festzusetzen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Akten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Über die Beschwerde entscheidet der Senat. Zwar ist grundsätzlich für die Entscheidung über eine Streitwertbeschwerde gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG der Einzelrichter zuständig, wenn die angefochtene Entscheidung - wie vorliegend - von einem Einzelrichter erlassen wurde. Mit der Einfügung von § 1 Abs. 5 GKG, wonach die Regelungen des GKG über die Erinnerung und Beschwerde den Bestimmungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Reglungen vorgehen, unterliegt dies keinem Zweifel mehr. Im vorliegenden Fall hat der Einzelrichter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache - es handelt sich um eine wiederkehrende Fallkonstellation; die Rechtsprechung ist bislang uneinheitlich - nach § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG auf den Senat übertragen.

1.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Bei Beschwerden gegen die Streitwertfestsetzung eines Sozialgerichts gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG ist eine Entscheidung über die Abhilfe weiterhin vorgeschrieben (z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.07.2014, L 11 R 2546/14 B, Rn. 2). Für dieses Verfahren gelten insbesondere nicht die Bestimmungen über die Beschwerde nach dem SGG, die ein Abhilfeverfahren seit dem Wegfall des § 174 SGG zum 01.04.2008 nicht mehr vorsehen.

Vorliegend hat der zuständige Kammervorsitzende am 14.11.2019 von der Beschwerde Kenntnis genommen und verfügt, dass diese dem LSG vorzulegen sei. Damit hat das SG entschieden, dass der Beschwerde nicht abgeholfen wird.

2.
Die Beschwerde wurde fristgerecht eingelegt. Nach § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG in Verbindung mit § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG gilt dabei grundsätzlich eine Frist von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Vorliegend hat das SG mit Beschluss vom 10.12.2018 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Auf diesen Beschluss ist für den Fristbeginn jedoch nicht abzustellen, weil er nicht zu einer Erledigung des Verfahrens geführt hat. Maßgebend für die Erledigung des Verfahrens war vielmehr ein außergerichtlicher Vergleich, der am 15.04.2019 unterzeichnet wurde. Mit Schreiben vom 20.05.2019, beim SG eingegangen am 22.05.2019, gab die Klägerin gegenüber dem SG eine Erledigterklärung ab. Am 27.05.2019 setzte das SG den Streitwert fest; am 04.11.2019 ging die Beschwerde beim SG ein. Dies war fristgerecht, denn die Frist begann mit Eingang der Erledigterklärung der Klägerin beim SG am 22.05.2019. Nicht maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Unterzeichnung des außergerichtlichen Vergleichs. Ein außergerichtlicher Vergleich, an dessen Zustandekommen das Gericht in keiner Weise mitgewirkt hat und von dessen Abschluss es keine Kenntnis hat, setzt die Beschwerdefrist nicht in Lauf.

3.
Die Beschwerde ist begründet; der Streitwert ist auf 190.958,86 Euro festzusetzen. Für die Festsetzung des Streitwertes sind §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 3 Abs. 1, 40, 63 Abs. 2, 52 Abs. 1-3 GKG maßgeblich. Der Streitwert ist gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

a)
Dieses Interesse beläuft sich nicht auf den Gesamtbetrag der von der Klägerin gezahlten Umsatzsteuer in Höhe von 855.792,49 Euro. Der vorliegende Fall ist nach der Überzeugung des Senats wesentlich anders gelagert als die Konstellation, die den Entscheidungen des Bayer. LSG im Urteil vom 05.12.2017, L 5 KR 508/17 und im Beschluss vom 27.02.2018, L 4 KR 583/17 B zu Grunde lag. Die dortige Klägerin hatte u.a. ausgeführt, sie habe gegenüber ihren Versicherten bestimmte Leistungen erbracht und könne "möglicherweise diesen gesamten Betrag von der Beklagten erstattet verlangen". Gleichzeitig hatte sie erklärt, im Mittel seien nur 10 v.H. ihrer Auslagen zu erstatten, so dass sich der Streitwert entsprechend reduziere. Letzteres haben sowohl der 4. als auch der 5. Senat des Bayer. LSG als weder nachgewiesen noch glaubhaft bezeichnet. Im vorliegenden Fall dagegen hat die Klägerin nie die Möglichkeit angesprochen, sie könne auch die vollständige Erstattung der von ihr gezahlten Umsatzsteuer erreichen. Ihre Klage war vielmehr auf die Differenz der von ihr entrichteten Umsatzsteuer und der von der Beklagten gezahlten Vorsteuer gerichtet. Sie hat nicht die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass die Beklagte eventuell gar keine Vorsteuer bezahlt habe; nur dann wäre die Klage auf vollständige Erstattung der aufgewendeten Umsatzsteuer gerichtet gewesen. Die klägerische Annahme, dass die Beklagte in jedem Fall Vorsteuer gezahlt habe, ist - anders als der Vortrag der Klägerin in den Verfahren L 5 KR 508/17 und L 4 KR 583/17 B - glaubhaft; die Argumentation ist insoweit schlüssig.

b)
Bei der Ausübung des dem Gericht in § 52 Abs. 1 GKG eingeräumten Ermessens ist nicht nur auf den Wortlaut des Klageschriftsatzes abzustellen; vielmehr ist der Sach- und Streitstand insgesamt heranzuziehen. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau von § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Die Festsetzung des Auffangstreitwerts nach § 52 Abs. 2 GKG ist nur vorgesehen, wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Festsetzung des Streitwerts bietet. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der gesamte Sach- und Streitstand in das nach § 52 Abs. 1 GKG auszuübende Ermessen einzubeziehen ist.

Vorliegend ist der Sach- und Streitstand wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass sich die Beteiligten in einem Vergleich auf die Zahlung von 190.958,86 Euro durch die Beklagte verständigt haben. Damit ist ausgeschlossen, dass die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits für die Klägerin mit einem geringeren Wert zutreffend abgebildet werden kann. Da sonstige Anhaltspunkte fehlen, übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass der Vergleichsbetrag als Streitwert festgesetzt wird.

Die Festsetzung des Vergleichsbetrages als Streitwert stellt keinen Verstoß gegen § 40 GKG dar, wonach für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend ist, die den Rechtszug einleitet. Denn der Senat nimmt nicht einen im Verlauf des Klageverfahrens reduzierten Streitwert an, sondern er sieht in der gefundenen Vergleichssumme den maßgeblichen Anhaltspunkt für das bereits bei Klageerhebung mindestens gegebene wirtschaftliche Interesse der Klägerin an dem Verfahren.

c)
Eine Minderung des Streitwertes ergibt sich vorliegend nicht durch die Geltendmachung der Leistung in Form einer Stufenklage. Nach § 44 GKG ist bei einer Stufenklage für die Wertberechnung nur einer der verbundenen Ansprüche, und zwar der höhere, maßgebend. Diese Regelung gilt auch für ein Zusammentreffen mit einer Leistungsklage. Für die Wertberechnung ist der höhere Anspruch maßgebend, wenn in einer Instanz über beide Ansprüche entschieden wird. Es kommt regelmäßig auf den in der letzten Stufe geltend gemachten Zahlungsanspruch an. Nach § 40 GKG ist bei einer Leistungsklage der eingeklagte Wert ausschlaggebend, selbst wenn der Prozess nicht mehr in die Leistungsstufe kommt (Bayer. LSG, Beschluss vom 27.02.2018, L 4 KR 583/17 B, Rn. 11 m.w.N.).

Dieses Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

Die Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Rechtskraft
Aus
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